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8.Der rasende Mirko

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Kerschbaumer hatte seinen Koffer konsequent ausgeräumt und alles in den wuchtigen Schrank sowie in die Kommode verräumt. Das war für ihn ein wichtiges Ritual, immer wenn er ein Hotelzimmer bezog, das er auch beherzigte, wenn er für Schulungen oder Vorträge irgendwo nur eine Nacht blieb. Heimat schaffen, nannte er das.

Ein weiteres Ritual war das konsequente und beinahe tägliche Entleeren der Knabbereien aus der Minibar, Diät hin oder her. Zwar lebte er mit seinen Bezügen nicht auf ganz großem Fuß, aber es war für ihn eine Frage der Ehre, sich nicht von acht Euro für hundert Gramm versalzene Erdnüsse abschrecken zu lassen.

Außerdem mochte er den Luxus eines schönen Hotels. Bei Schulungen und Vorträgen war er meist in üblen Hütten mit welligen Tapeten und Schmutzrändern im Bad untergebracht. Jeden Augenblick erwartete er, Norman Bates an der Rezeption oder ein staubiges Skelett in irgendeinem Sessel zu finden. Im Kirchheimerhof drohte das glücklicherweise nicht: In seinem Zimmer gab es dezente Beleuchtung, Parkettboden, ein Bett mit elegant geschwungenem Kopfende und einen Flachbildfernseher zum Ausziehen – doch, das hätte sogar seiner anspruchsvollen Ex-Frau gefallen. Auch wenn für sie der Flachbildfernseher gern etwas größer hätte sein dürfen, das Kopfende des Bettes eleganter geschwungen, die Beleuchtung noch dezenter, der Parkettboden irgendwie parkettiger. Es war, erinnerte sich Kerschbaumer mit einem wohligen Schaudern, nie einfach gewesen mit ihr.

Besonders gern setzte er sich nach dem Frühstück noch an die Bar, trank einen Espresso und blickte aus dem Fenster. Cappuccino wäre ihm lieber gewesen, aber diese verflixte Diät … Andererseits fühlte er sich mit der Pfütze im Glas wie ein echter Italiener, ein lässiger gentiluomo, der mit zwei Fingern die kleine Tasse elegant an die Lippen hebt. Und immerhin hatte er ja italienisches Blut in den Adern. Den Barmann konnte er mit seinem Gehabe allerdings nicht beeindrucken, denn der kam aus Bosnien.


Swetlanas Bruder Mirko war am Morgen in Bad Kleinkirchheim eingetroffen. Er war sehr groß, noch einmal deutlich größer als seine Schwester, mindestens eins neunzig, hatte eingefallene Wangen und tief in den Höhlen liegende Augen. Es schien, als könne die Gesichtshaut nur mit größter Mühe den Schädel umspannen. Insgesamt hatte er die Aura eines sadistischen Rausschmeißers, der seine Schlägereien durch pure Verschlagenheit gewann.

»Wer war?«, fragte er auf der Wache in bestem gebelltem slawischem Deutsch. Das Einzige, was vage an seine Schwester erinnerte, waren die schönen, vollen blonden Haare, die an ihm allerdings zu allen Seiten abstanden und wie eine Perücke wirkten.

»Wir haben Sie zu erreichen versucht«, bemühte sich Revierinspektor Feiersinger in vorbildhaftem Bürokratendeutsch.

»War verreist. Handy ist alte Nummer.«

Mirko wirkte nicht gerade traurig, sondern eher zornig. Was allerdings, wie Kerschbaumer aus Erfahrung wusste, keine ungewöhnliche Reaktion enger Angehöriger bei schweren Straftaten war, insbesondere junger Männer. So schonend wie möglich brachte Kerschbaumer Mirko bei, dass seine kleine Schwester einige Männerbekanntschaften unterhielt, die ihr Einkommen aufbesserten, doch man stehe noch am Beginn der Ermittlungen und man wisse nicht, ob diese Tätigkeit in einem Zusammenhang mit dem Mord stünde, man forsche in alle Richtungen.

Mirko hörte aufmerksam zu und nickte dabei langsam. »Ich bleibe hier, bis aufgeklart«, sagte er schließlich, was ein verständlicher Wunsch war, bei Kerschbaumer aber aus einem unbestimmten Grund Unbehagen auslöste.

»Es kann dauern, bis wir greifbare Ergebnisse bekommen. Machen Sie sich keine Umstände. Außerdem ist Slowenien ja nicht weit. Auch bei der Überführung Ihrer Schwester können wir helfen, damit wir nicht …«

»Danke, lieber hier.«

Das roch nach Komplikationen, aber Kerschbaumer konnte Mirko das Bleiben in Bad Kleinkirchheim schlecht verbieten.

Nachdem Mirko sich mit einem recht nachdrücklichen Nicken verabschiedet hatte, blickte der Chefinspektor aus dem Fenster auf den Parkplatz und sah dort nur ein einziges Auto mit slowenischem Kennzeichen: einen mit Goldfolie verklebten Golf R. Tatsächlich stieg Mirko in den Wagen ein. Höher motorisiert bekam man das Wolfsburger Modell nicht, wusste Kerschbaumer, mit seinen dreihundert PS und dem geringen Gewicht konnte er es mit jedem Porsche aufnehmen. Es musste Mirko gejuckt haben, mit quietschenden Reifen vom Polizeiparkplatz davonzuschießen, aber er beherrschte sich.


Am Nachmittag, zur Identifizierung der Leiche im Krankenhaus Spittal, kam Mirko nicht allein. Zwei Männer etwa in seinem Alter saßen mit im Auto. Bizarrerweise saßen sie beide im Fond, der Beifahrersitz blieb frei. Nur Mirko stieg aus; an der Seite von Kerschbaumer erledigte er im grell ausgeleuchteten Untergeschoss der Klinik die leidige Pflicht, seine Schwester zu identifizieren. Die Spuren der Obduktion verhüllte das Leichentuch, nur der Kopf war abgedeckt. Mirko blieb ruhig und hatte die ohnehin schmalen Lippen im Kühlraum noch weiter zusammengekniffen, sodass sie wie ein schwacher Strich wirkten. Mit einem Nicken bestätigte er, dass es sich um Swetlana handelte; der zuständige Arzt ließ ihn anschließend ein paar Formulare ausfüllen, um eine Überführung der Toten in ihre Heimat in die Wege zu leiten.

Als sie endlich wieder vor die Tür traten, blinzelte Kerschbaumer durch die kühle Dezembersonne, die sich durch die Wolken stahl und den goldenen Golf besonders hübsch funkeln ließ. Die beiden Passagiere waren inzwischen ausgestiegen, lehnten am Auto und rauchten. Mirko fuhr sie scharf an, woraufhin sie hastig ihre Zigaretten wegwarfen und wieder auf dem Rücksitz verschwanden. Sie waren beide von ähnlicher Gestalt, nicht groß und nicht klein, von blasser Gesichtsfarbe und einer Physiognomie, die man schnell vergessen hatte.

»Wer sind die beiden?«

»Freunde.«

»Aha.«

»Tschip und Tschop.«

Mehr Mitteilungsbedürfnis hatte Mirko nicht, und Kerschbaumer ließ ihn davonfahren. Die beiden Burschen im Fond hatten quer über ihre Stirn das Wort »Ärger« tätowiert.

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