Читать книгу Die Tote im Stadl - Stefan Maiwald - Страница 16
9.Journalistenauftrieb
ОглавлениеSo etwas hatte Bad Kleinkirchheim noch nicht gesehen: Bei der Pressekonferenz waren gleich acht, nein, fast zehn Journalisten anwesend, also sozusagen die ganze Welt. Sogar echte Fernsehkameras wurden aufgebaut. Ein Urlaubsblogger aus Spittal mit dreihundertzweiundachtzig Followern auf Instagram filmte außerdem mit einer Handykamera. Volker Feiersinger hatte sich eine Krawatte umgebunden, die aber so schlecht saß, dass sie den obersten Knopf seines Hemdes freigab. Hilde Hofgärtner überspielte ihre Aufgeregtheit, indem sie Wasser und Saft verteilte sowie eine frische Kanne Kaffee und Gebäck aus der Bäckerei Weissensteiner heranbrachte. Sie stammte aus einer alteingesessenen Wirtsfamilie, außerdem hatte sie ein Gespür dafür, dass nur satte Journalisten zufriedene Journalisten waren. Das galt auch für Chefinspektoren, doch Kerschbaumer hielt sich aufgrund seiner Diätbestrebungen zurück. Schon bald wurde munter gemurmelt und gescherzt, neidisch beäugt von Kerschbaumer.
Kärntens Polizeipräsident Lutz-Heiko Heil sprach sich mit Kerschbaumer ab. Er teilte dem Wiener im Wesentlichen mit, dass er selbst alles Wichtige zu sagen gedenke, was Kerschbaumer mehr als recht war, denn Pressekonferenzen waren, wie generell alle öffentlichen Auftritte, noch nie seine Stärke gewesen.
Der Polizeipräsident – Kerschbaumer kannte ihn bereits von einigen gemeinsamen Sicherheitstagungen – war ein blutjunger Jurist, der auf dem Ticket der Regierungspartei eine rasche Karriere gemacht hatte. Mit seinen zurückgegelten Haaren sah Lutz-Heiko dem Politiker Sebastian Kurz nicht unähnlich, hatte aber ein nicht ganz so windschnittiges Gesicht. Er wirkte insgesamt eher wie ein Investmentbanker, allerdings überraschenderweise wie einer, dem man vertrauen konnte. Und das waren ja gemeinhin die gefährlichsten.
Die Pressekonferenz wurde im zweiten Raum der Polizeiwache abgehalten, der von den Büroplanern einst optimistisch als »Konferenzraum« bezeichnet worden war, nun aber mangels Konferenzen oder sonstiger Besprechungen in größerer Runde als Rumpelkammer diente und unter anderem ausrangierte Computermonitore und Feiersingers Skiausrüstung beherbergte. Feiersinger hatte alles in eine Ecke geschoben und notdürftig unter Wärmedecken versteckt. Außerdem hatte er einen Tapeziertisch aufgebaut, der für den Zweck eigentlich gut geeignet schien, bis sich herausstellte, dass die Platte zu dünn war, um die Mikrofonklemmen zu halten.
Von links nach rechts saßen jetzt Feiersinger, Kärntens Polizeipräsident Heil, Kerschbaumer und Hofgärtner am Tapeziertisch vor den Journalisten, die im Halbkreis von links nach rechts das Krone Hitradio, die beiden Tageszeitungen Kleine Zeitung und Krone, das neue Magazin Österreich Heute Aktuell und den Regional-TV-Sender ORF Kärnten repräsentierten. Ein Mann mit Standkamera, auf der ORF stand, filmte das Geschehen, was den Reiseblogger mit der Handykamera um seine Exklusivrechte brachte. In einem nachgeordneten Mini-Halbkreis hatten eben dieser Reiseblogger und eine Redakteurin von Radio Kärnten Eins Platz genommen. Zudem war ein Vertreter der APA da, der Austria Presse Agentur, der für eine Verbreitung der Meldung in nachgeordneten Medien sorgen dürfte. Der Bürgermeister Bad Kleinkirchheims, an dem die farbige Brille auffiel, war ebenfalls hereingekommen, hielt sich aber im Hintergrund, ebenso sein Stellvertreter, ein älterer, massiger Mann, der die Journalisten so abschätzig anblickte, als wären sie ein Wiener Schnitzel aus Schweinestatt aus Kalbfleisch.
Der Investmentbanker hatte die Meute ganz gut im Griff. Lutz-Heiko Heil berichtete kurz, was es zu berichten gab, und er blieb geschickt dürr, sachlich und souverän. »Sie werden verstehen, dass wir aus ermittlungstechnischen Gründen zu diesem Zeitpunkt keine weiteren Angaben machen können«, schloss er. Die Journalisten nickten verständnisvoll. Manche konnten auch nicht anders als nicken, weil sie die Backen voller Kekse hatten. Ach, das war hier doch etwas anderes als in Wien.
»Aber ob es einen Verdacht gibt, können Sie doch sicher sagen, ohne konkret zu werden?«, schnitt eine Zwischenfrage scharf durch die harmonische Blase.
»Nein.«
»Nein, dass es keinen konkreten Verdacht gibt, oder nein, dass sie es nicht konkret sagen können?«
All diese Fragen kamen vom Vertreter von Österreich Heute Aktuell, jener neuen, ambitionierten Zeitung, die ausschließlich mit klugen Reportagen und spektakulären Enthüllungen glänzen wollte und sich in der Werbekampagne neckisch ÖHA! abkürzte, stets mit aufdringlichem Ausrufezeichen (aktueller Slogan: »ÖHA! Für das tägliche AHA-Erlebnis!«). Die Reportagen waren flott geschrieben, doch der große Pflock im Boden, der das Magazin dauerhaft etablieren konnte, war bislang noch ausgeblieben. Fragesteller Franz Ferdinand Kluibnschädl, knapp über dreißig Jahre, hatte helle Haut, die leicht fiebrig wirkte. Er sah aus wie jemand, der viel zu lange in seinem Leben auf einen Computerbildschirm geblickt hatte. Im Mundwinkel flammte ein Pickel auf, an dem er sich offenbar schon ein wenig mit den Fingernägeln abgearbeitet hatte. Aber nun hatte er ja die Pressekonferenz, die seine gesamte Energie beanspruchte und rote Flecken auf seiner Haut produzierte.
»Letzteres«, antwortete ein leicht irritierter Heil.
»Fassen wir zusammen: Der Mörder läuft also noch frei herum, und in ein paar Tagen beginnt die Skisaison?«