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11.Pfeffersteak mit Hilde

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So viel zur Diät: Kerschbaumer arbeitete sich mit großem Vergnügen an einem Pfeffersteak vom Nockalmrind ab, jenen Tieren, die das gute Gras der umliegenden Almen genießen können und sich mit dem Ruf, besonders zartes Fleisch zu geben, schmücken dürfen. Als Großstädter war er aufgeräumte Portionen gewöhnt, denn in jedem Beisl kam das Hauptgericht neuerdings mit Schäumchen, Sphären und Chichi daher. Sattwerden galt in der von Selbstoptimierern beherrschten Großstadt als Sünde. Und nun hatte auch noch sein Lieblingslokal La Pergola im sechsten Bezirk, eine der wenigen rühmlichen Ausnahmen, wegen der verrückt hohen Mietforderungen schließen müssen. Umso mehr genoss er hier in Kärnten die schamlos üppigen Portionen, die fingerdicke Rahmsoße, den mächtigen Salat, die Kartoffelachtel. Er achtete ja schon tagsüber auf seine Ernährung, und er war strikt dagegen, Prinzipien mit in den Vorabend zu nehmen.

Derzeit befand er sich in der Gaststätte Sportalm in Bad Kleinkirchheims höher gelegenem Ortsteil St. Oswald. Auf dem Weg dorthin war ihm ein Fuchs vors Auto gelaufen, doch Kerschbaumer hatte rechtzeitig gebremst. Der Fuchs blieb stehen, Kerschbaumer blieb sitzen. Beide schauten einander lange an, dann ging der Fuchs ohne Hast weiter. Es waren diese Begegnungen, die Kerschbaumer zeigten, wie sehr ihm die Natur fehlte. In Wien wäre der Fuchs eine Kanalratte gewesen. Und hätte einfach aus Boshaftigkeit in den Reifen gebissen oder ihm den Mittelfinger gezeigt.

Er kehrte bereits zum zweiten Mal in der Sportalm ein, denn hier fühlte er sich sehr wohl. Irgendwo knisterte ein Kamin, die Wirtin brachte ihm das Weißbier schon unaufgefordert, und der Wirt schaffte es, mit jedem Gast ein Schnapserl zu trinken, ohne erkennbare Wirkung zu zeigen – es musste da einen Trick geben, auf den Kerschbaumer schon noch kommen würde. Mit Kerschbaumer übrigens trank der Wirt keinen Schnaps, es blieb bei einer freundlichen Begrüßung, der Chefinspektor rührte keinen harten Alkohol an. In Sachen harte Alkoholika hatte es nämlich ein unschönes Erlebnis in Kerschbaumers Jugend gegeben, in dem eine Wette, eine Flasche Wodka und eine Flasche Whisky involviert waren – und eine Nacht im Spital.

Natürlich wusste hier jeder, wer er war, aber das war in Wien ja nicht anders. Hier oben fühlte sich das Abendessen dennoch fast an wie im Kreis der Familie.

Und die Vertrautheiten nahmen kein Ende, denn auf einmal stand eine Frau vor ihm. »Guten Appetit!« Es war Inspektorin Hilde Hofgärtner.

Kerschbaumer erhob sich, was nicht einfach war, hatte er sich in dem Ecktisch doch ziemlich umständlich verräumt und musste seine Gliedmaßen erst einmal sortieren. Außerdem hatte er gerade einen großen Bissen Pfefferrahmsteak im Mund, was ihn insgesamt nicht wie Paul Newman wirken ließ. Um ein Haar verfehlte er mit dem Kopf die Lampe in dem schmiedeeisernen Gestell, die sehr tief über dem Tisch baumelte.

»Wollen Sie vielleicht Platz nehmen und mit mir …?«, fragte Kerschbaumer.

»Aber gern, wenn ich Sie nicht störe?«

»Wobei denn, wobei denn?«

Nun also war der anstrengende Part erledigt, die Hofgärtner hatte die Brille abgelegt und sich ein alkoholfreies Weißbier bestellt.

»Was machen Sie denn so allein hier oben?«, fragte Kerschbaumer und ärgerte sich sogleich über die Frage. In Sachen Small Talk war er eindeutig aus der Übung gekommen.

»Wissen Sie, manchmal genieße ich es, einen Abend für mich zu verbringen.«

»Ah.«

»Und heute hatte ich außerdem Ärger mit meinem … Freund.«

»Oh. Äh. Wollen Sie darüber reden?«

Hofgärtner schüttelte den Kopf, und der Pferdeschwanz liebkoste dabei ihre Schultern. Dann wollte sie aber doch sehr gern darüber reden, über diesen Nichtsnutz, der von seinen Eltern eine kleine, von selbst funktionierende Pension geerbt hatte und nun den ganzen Tag nichts anderes tat als Skifahren (Winter), Tennis und Padel spielen (Sommer) und auf Instagram vor seinem Auto posieren (Porsche Targa 4S). Gerne war er auch mal aufbrausend, wenn es nicht nach seiner Nase lief. Ein verwöhnter Schnösel, der das echte Interesse an ihr schnell verloren hatte, kaum dass sie zusammen waren. Das waren sie jetzt zum Glück aber nicht mehr. Und obwohl es Inspektorin Hofgärtner nachzuhängen schien, machte sie doch einen sehr erleichterten Eindruck.

Es begann zu schneien, große Flocken blieben an den Fenstern der Sportalm kleben, bis sie schmolzen und auf die Fensterbänke tropften. Vom Privaten hatten sie inzwischen auf ihre Fälle gewechselt. Kerschbaumer berichtete von all den kleinen Gaunereien der Großstadt, den Enkel- und Online- und Telefontricks, den Versicherungsbetrügereien und Unterschlagungen und professionellen Ladendiebstählen und von der halben Rapid-Fußballmannschaft, der ein windiger Bauunternehmer Wohnungen zum 38-Fachen der Nettojahresmiete verkauft hatte. Hofgärtner erzählte, wie sie neulich zwei deutsche Touristinnen gerettet hatten, die mit Stöckelschuhen im Wald unterwegs gewesen waren und sich verlaufen hatten. Kerschbaumer hörte mit großem Vergnügen zu. Es war, als lebten die Inspektoren von Bad Kleinkirchheim in einem Lausbuben-Film der 1950er-Jahre, wo es keinen Menschenhandel gab, keine Raubüberfälle, keine Drogendelikte und keine tiefen Abgründe. Jedenfalls bis jetzt nicht. Die Hofgärtner vertilgte mit viel Appetit einen großen Salat und sogar ein echtes Weißbier, und am Ende war man beim Du.

»Hilde? Passt so gar nicht zu dir.«

»Na ja, Wendelin ist auch nicht gerade geeignet, um die Frauen in Ohnmacht fallen zu lassen«, schoss sie mit einem Grinsen zurück.

Kerschbaumer biss sich auf die Lippen. Der Name war sein wunder Punkt. Seine Mutter hatte ein Faible für ausgefallene Vornamen gehabt, das lag in der Familie. Als sie dem kleinen Wendelin einmal die Alternativen nannte, die zur Wahl gestanden hatten (Erasmus, Dante, Fiesbert), war er um Wendelin recht froh gewesen und musste sich immer wieder in Erinnerung rufen, dass er es noch verhältnismäßig erträglich erwischt hatte.

»Und noch etwas«, fragte Hilde beinahe schüchtern. »Dein Dialekt klingt, nun ja, irgendwie eigenartig.«

Kerschbaumer lächelte, denn das bekam er öfter zu hören. »Mein Vater ist Südtiroler.« Das war die Kurzversion, denn die längere Version von Kerschbaumers Familiengeschichte würde jeden Seitenplan sprengen, enthielt sie doch Abstecher nach Tirol, Hamburg und Sizilien, führte aber in jedem Fall dazu, dass er ein relativ normales Deutsch sprach und sein Wienerisch nur herausholte, wenn es seiner Ermittlungstätigkeit diente. Hier in der Provinz wäre es eher kontraproduktiv, den Hauptstädter heraushängen zu lassen. Das wusste Kerschbaumer, wie es jeder kluge Wiener ebenfalls wusste. Als Wiener zählte man nur in Wien viel.

Insgesamt hatte Kerschbaumer, wie er fand, einen sehr schönen Abend verbracht. Der viele Schnee, der in den letzten beiden Stunden gefallen war, tauchte den Ort in eine samtene Stille und bildete eine dicke, weiche Daunendecke, auf der Kerschbaumer mit seinem Auto vergnügt zu Tal glitt.

Die Tote im Stadl

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