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1.Weg mit dem Speck

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Die Hantelscheiben waren rot, knallrot, genau wie Kerschbaumers Gesicht. Kerschbaumer machte »AAAAAAaaaaarrgh«, während Nieselregen sich an den von Schweiß und Narzissmus beschlagenen Scheiben abarbeitete. Links neben ihm turnte eine Frau, die mit ihrem Pferdeschwanz, dem Stirnband und den Stulpen aussah wie frisch aus einem Aerobic-Video der 1980er-Jahre. Allerdings legte sie einen einwandfreien Spagat hin, sie musste also neueren Jahrgangs sein. Außerdem war ihr Outfit, wie Kerschbaumer neulich beim Friseur gelesen hatte, jetzt wieder modern. Rechts neben ihm mühte sich ein mehr zeitgemäß gekleideter, dafür sehr übergewichtiger Mann ab. Als ob es ums Ganze ging, radelte er gegen seinen Kalorienüberschuss an, den er sich in jahrelanger, konzentrierter Arbeit in den Kärntner Wirtshäusern erarbeitet hatte.

Doch Wendelin Kerschbaumer wusste, dass Häme fehl am Platz war. Als er die Olympia-Langhantel nach dem dritten Satz Schulterdrücken zu Boden ließ und dabei an sich hinabblickte, war das Problem allzu offensichtlich und nicht zu leugnen: Er hatte bäuchlings zugelegt nach der Scheidung. Dabei müsste es doch genau gegenteilig sein, hatte er immer wieder gelesen: Eine Scheidung sorge für einen Neuanfang, ein neues und besseres Ich. Man war wieder auf dem Markt, man musste sich präsentabel halten. Doch Kerschbaumer hatte sich ordentlich Kummer angefuttert.

Das, fand er, war keine vernünftige Strategie bei der Suche nach einer neuen Partnerin. Also hatte sich der Chefinspektor der Landespolizeidirektion Wien, dreiundvierzig Jahre alt, recht ansehnlich mit dem dichten Haar und der gesunden Gesichtsfarbe, zu einer zweiwöchigen Sportkur zurückgezogen. In die Berge von Bad Kleinkirchheim, jenes hübschen, etwas zerfasert an der Landesstraße B88 liegenden Ortes im Herzen von Kärnten, der mit viel Fleiß und Glück seit etwa zwei Generationen zu einem der touristischen Hotspots der Alpen geworden war. Es war Anfang Dezember und bereits kühl, und unten im Tal wollte sich der Nieselregen einfach nicht verfestigen. Immerhin lagen oben auf der Piste schon ein paar solide Zentimeter, während die Schneekanonen Tag und Nacht ihren monotonen Job erledigten.

Der Wintertourismus lief gerade an, doch der große Ansturm würde erst am achten Dezember kommen, der Maria Immacolata, jenem italienischen Feiertag, der in diesem Jahr besonders günstig auf einem Freitag lag und zu einer üppigen Brücke ermunterte.

Nun war aber ausgerechnet der Fitnessraum von Kerschbaumers Hotel wegen eines Wasserschadens gesperrt, und er hatte auf ein echtes Gym ausweichen müssen, das weiter unten in Radenthein lag, einem Ort, der sich bemühte, ein klein wenig von den Reiseströmen zu den Bergen umzuleiten und sich deswegen den fragwürdigen Slogan »Die facettenreiche GranatStadt« verpasste, nur echt mit dem Binnenmajuskel.

Werner, der freundliche Muskelberg im Fitnessstudio Ruckizucki Fit, mixte Kerschbaumer nach seinem Training einen Proteindrink. Der Shaker sah in Werners Pranken aus wie ein Playmobil-Modell. Kerschbaumer trank aus und hatte fertig.


Auf der gewundenen Straße ging es vierhundert Höhenmeter und einige äußerst spitze Serpentinen zurück hinauf in den Wintersportort. Auf dieser Straße trafen saturierte 50-km/h-Schleicher aus holländischen Neubaugebieten auf aufgemotzte Dorfjugend-GTIs mit 110 km/h. Für letztere galt Mario Andrettis Motto: »Wenn du dein Fahrzeug unter Kontrolle hast, bist du nicht schnell genug.«

Die hiesigen Autofahrer trugen das SP im Nummernschild, denn die Gemeinde mit ihren eintausendsiebenhundert Einwohnern gehörte zum Bezirk Spittal an der Drau. In einem Tal der Gurktaler Alpen gelegen und von den Nockbergen umgeben, soll der erste Kurgast einer Legende nach schon im elften Jahrhundert hierhergekommen sein, nämlich der im Kampf verwundete Pfalzgraf Boto Graf von Ottenstein. Seine Wunden pflegte er erfolgreich im guten Bad Kleinkirchheimer Quellwasser, und weil die Quelle praktischerweise ihm gehörte, überschrieb er sie im Jahr 1070 an das Benediktinerkloster Stift Millstatt, was ebenfalls ganz einfach ging, war das Kloster doch seine eigene Gründung.

Kerschbaumer schaffte es ohne Zwischenfälle bis nach ganz oben, bog im Ortskern nach rechts auf den Maibrunnenweg ab, fuhr den Italienerhügel hinauf, der so hieß, weil ab eintausendfünfzig Metern Höhe alle, wirklich alle Apartments im Privatbesitz italienischer Familien waren, und gelangte schließlich in sein Hotel Kirchheimerhof, wo er, den Bauch einziehend, noch kurz mit den beiden hübschen Rezeptionistinnen flirtete, bevor er ausatmete und auf sein Zimmer ging.

Die Tote im Stadl

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