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3.5 Lösungsansätze

Einer der führenden Fluchtforscher*innen Aristide Zolberg sagte zu Beginn des 21. Jahrhunderts, in Bezug auf Fluchtkrisen „there are solutions, but no quick fix“ (Zolberg und Benda 2001, S.13). Daher müssten immer langfristige Lösungen für den Verbleib von Geflüchteten gefunden werden. In der wissenschaftlichen Diskussion werden dabei vor allem drei ‚dauerhafte Lösungen‘ (durable solutions) diskutiert (Kosher 2012): Die beste Lösung stellt dabei immer die freiwillige Rückkehr der Geflüchteten in ihr Heimatland dar, nachdem der Konflikt vorüber ist und die Geflüchteten nicht mehr um ihr Leben fürchten müssen („voluntary repatriation“); die zweite Möglichkeit ist der dauerhafte Verbleib der Geflüchteten im Aufnahmeland und deren Integration in den nationalen Arbeits- und Wohnungsmarkt; drittens ist eine dauerhafte Umsiedlung in ein sicheres Drittland möglich (Resettlement). Diese Alternative wird vor allem in den klassischen Einwanderungsländern USA, Kanada und Australien favorisiert. Wir wollen im Folgenden diese drei Optionen kurz beleuchten, inwieweit sie realistisch sind und ob sie den Bedürfnissen der Geflüchteten Rechnung tragen.

3.5.1 Rückkehr

Ist die freiwillige Rückkehr bei Arbeitsmigrant*innen noch relativ problemlos und teilweise auch mit finanziellen Anreizen verbunden, so sieht die Situation bei Geflüchteten zumeist anders aus. So erfolgt eine freiwillige Rückkehr von Geflüchteten in der Realität in einem sehr geringen Maße. Im Jahr 2015 haben z.B. weltweit nur 0,9 Prozent der über 21 Millionen Geflüchteten die Rückkehrmigration in Anspruch genommen (Gerken et al. 2017). Die Rückkehr, ob sie nun organisiert oder spontan erfolgt, darf bei anerkannten Geflüchteten nicht erzwungen werden (Prinzip des Non-Refoulement). Die Repatriierung wird in Ländern, die noch schwelende Konflikte haben, jedoch häufig nicht durch flankierende Programme unterstützt, was die Existenz von Reintegrationsprogrammen der Aufnahmeländer umso wichtiger werden lässt (z.B. ERIN für sechs EU-Länder und Großbritannien). In Ermangelung dieser Programme bleibt vielen Rückkehrmigrant*innen jedoch nichts anderes übrig, als spontan und selbstorganisiert, also ohne institutionelle oder staatliche Unterstützung, zurückzukehren (ebd.).

Abbildung 21:

Länder mit den meisten zurückkehrenden Geflüchteten im Rahmen von UNHCR-Programmen 2010-2019

Quelle: UNHCR 2020.

Abschiebung

Von der freiwilligen Rückkehr ist die Abschiebung abzugrenzen. Mit der Abschiebung ist die zwangsweise Rückkehr einer einzelnen Person in das Herkunfts-, Transit- oder Drittland auf Grundlage eines Gerichts- oder Verwaltungsaktes gemeint. Nach europäischem Recht erfolgt zunächst die Ausweisung, wenn kein Aufenthaltsrecht im Aufnahmeland (mehr) besteht. Die tatsächliche physische Rückführung kann nach der Ausweisung vollzogen werden, der Rückkehrverpflichtung kann jedoch auch durch die sogenannte „freiwillige“ Ausreise innerhalb einer bestimmten Frist nachgekommen werden (European Migration Network 2019, S.13, 145, 283). In Deutschland wurden im Jahr 2019 22.100 Abschiebungen durchgeführt. Rund 8.400 von ihnen wurden im Rahmen der Dublin-III-Verordnung in andere europäische Länder überstellt. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der Abschiebungen um 6,4 Prozent zurückgegangen.1

Doch auch wenn die Geflüchteten der Aufforderung, das Land zu verlassen, nicht folgen, muss die Abschiebung nicht zwangsläufig vollzogen werden. Neben der Rechtsstellung als geflüchtet können Migrant*innen subsidiär schutzberechtigt sein, wenn ihnen durch die Rückkehr in ihr Herkunftsland ernsthafter Schaden (Folter, Tod usw.) drohen würde. Auch ein Abschiebeverbot kann ausgesprochen werden, hier handelt es sich jedoch um eine bloße Duldung der Person.2 Im Jahr 2019 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge insgesamt knapp 184.000 Entscheidungen gefällt, davon betroffen waren circa 25 Prozent Geflüchtete, 11 Prozent subsidiär Schutzberechtigte und ungefähr 3 Prozent Geduldete (BAMF 2020, S.37).

Gegen die Abschiebung von ausländischen Staatsbürger*innen formiert sich in vielen Ländern Protest, zum Beispiel in Form von physischen Blockaden, Flughafenprotesten (bei Abschiebungen mit dem Flugzeug) oder auch dem Kirchenasyl. Der Grad der Organisiertheit variiert dabei stark und reicht von spontanen Bekundungen bis hin zu etablierten Organisationen, in Deutschland zum Beispiel Pro Asyl, die Rechtsbeihilfe anbieten. Die Forschung zu sozialen Bewegungen nimmt sich ebenfalls vermehrt diesem Thema an. Ruedlin et al. identifizieren für Deutschland, Österreich und die Schweiz beispielsweise überwiegend lokale Protestformen, die sich auf individuelle Lösungen fokussieren, anstatt den sozialen und rechtlichen Wandel der Migrationsregime voranzutreiben (Ruedlin et al. 2018).

3.5.2 Integration

Die zweite Option ist die Integration in die Aufnahmegesellschaft. Dies setzt einen komplexen Prozess in Gang, der beiden Seiten, Geflüchteten und Aufnahmegesellschaft, viel abverlangt (zu den Theorien hierzu → 9 Migration und Integration). Die derzeitige Politik setzt jedoch weniger auf Integration als auf Segregation, etwa durch die Unterbringung in Lagern. Zudem wird die Mobilität der Geflüchteten systematisch eingeschränkt, etwa in Deutschland durch die sog. Residenzpflicht. Die Fluchtforscherin Long (2013) plädiert daher für eine weitsichtigere Politik, in deren Mittelpunkt nicht Hilfeleistungen, sondern Freiheit und Entwicklung stehen.

UNHCR und ILO haben solche Ansätze in der Vergangenheit durchaus verfolgt (Garnier 2014). Bereits in den 1980er Jahren vereinbarten sie eine engere Zusammenarbeit, um die sozioökonomischen Rechte und Integrationsmöglichkeiten von Geflüchteten besser zu schützen (ebd.). So wurden Projekte wie etwa Unternehmensgründungs-Workshops für Frauen in Geflüchtetencamps gefördert. In den vergangenen Jahren rückte dieser Ansatz jedoch immer weiter in den Hintergrund, was Garnier auf Ressourcenknappheit, Wettbewerb zwischen den Institutionen und unterschiedliche Schwerpunktsetzungen zurückführt. Viele Staaten seien nicht einmal bereit, das Recht auf Arbeit von Geflüchteten anzuerkennen.

3.5.3 Resettlement

Das Resettlement stellt schließlich ein Instrument zur dauerhaften ‚Umsiedlung‘ von Geflüchteten dar, die nach der Flucht in einen Staat, in dem sie Schutz gesucht haben, von einem Drittstaat ausgewählt und als Geflüchtete mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht aufgenommen werden. Resettlement-Geflüchtete werden auch als Quoten- oder Kontingentflüchtlinge bezeichnet, da das Resettlement in den meisten Ländern nach einer Quotenregelung erfolgt. Resettlement-Programme können eine langfristige Lösung für größere Gruppen von Geflüchteten bieten, deren Leben oder Grundrechte im (ersten) Aufnahmeland bedroht sind. Voraussetzung für die Aufnahme sind in der Regel die Einstufung als geflüchtet nach GFK sowie bestimmte Auswahlkriterien, die je nach Staat variieren können, darunter Schutz vor physischer Gewalt, die Beschränkung der Grundrechte, aber auch die besondere Schutzbedürftigkeit von Kindern. Resettlement ist allerdings kein Recht, deshalb können Geflüchtete sich auch nicht darauf berufen, sondern werden durch den UNHCR, staatliche Einrichtungen oder mithilfe von NGOs ausgewählt. Staaten entscheiden dann auf Grundlage der Resettlement-Quote und der jeweiligen Aufnahmekriterien, wer einreisen darf (UNHCR 2011, S.3, 36, 243).

Die große Anzahl an Geflüchteten und Vertriebenen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges markiert den Beginn des Resettlement-Programms. In den späten 1940er Jahren konnten mehr als eine Million europäische Geflüchtete mithilfe der Vorgängerorganisation des UNHCR umgesiedelt werden, von denen die USA allein in den folgenden Jahren über 650.000 Geflüchtete aufnahm. Im Jahr 2018 war Kanada mit über 28.000 Aufnahmen das bedeutendste Resettlement-Land. Im Vergleich zu 2017 ging die Anzahl der Resettlement-Aufnahmen allerdings bedingt durch verringerte Quoten und verschärfte Sicherheits-Screenings um mehr als 10 Prozent zurück. Zu den größten Herkunftsländern der Resettlement-Geflüchteten gehören derzeit Syrien, Eritrea und die demokratische Republik Kongo (IOM 2020, S.41f.; UNHCR 2019, S.4f.).

Der UNHCR versucht angesichts zunehmender Komplexität und zurückgehender Aufnahmezahlen seit Ende der 1980er Jahre, die verschiedenen Akteure in jährlichen Konferenzen zusammenzubringen (Annual Tripartite Consultations on Resettlement) und so die Zusammenarbeit im Hinblick auf bestimmte Geflüchtetengruppen, wie zum Beispiel aus dem syrischen Bürgerkrieg Geflüchtete, zu stärken (UNHCR 2019, S.16ff.). Neben staatlichen Programmen existieren in einigen Ländern, darunter Kanada, Australien und Deutschland, auch (semi-)private Resettlement-Programme. In Kanada werden inzwischen sogar mehr als die Hälfte der Resettlement-Geflüchteten über das Private Sponsored Refugees-Programm (PSR) aufgenommen, die mehrheitlich über religiöse, Bildungs- oder Menschenrechtsorganisationen, aber auch ethnische Communities gesponsert werden. Zusätzlich hat Kanada 2013 ein privat-öffentliches Programm (Blended VISA Office Referral) geschaffen, das Resettlement-Geflüchtete mit privaten Sponsoren ‚matched‘, die gemeinsam mit dem Staat (50/50) die Unterstützungskosten für die Geflüchteten tragen (West und Plunkett 2018, S.10f.; Macklin et al. 2018, S.37f.).

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