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a) Vom mitgliedstaatlichen zum kooperativen Vollzug

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Wie bereits angedeutet, werden die dargestellten Organisationsstrukturen des nationalen Rechts in zentralen Bereichen von europäischen Vorgaben überlagert. Die Referenzgebiete des Telekommunikations- und Energierechts, aber in der aktuellen Entwicklung vor allem auch das Bankaufsichtsrecht, sind hierfür anschauliche Beispiele. Zugleich sind Kommission und europäische Agenturen in vielfältiger Weise in die Verwaltungsorganisation eingebunden. Es ist traditionell vor allem die Kommission, die nach Art. 17 Abs. 1 S. 5 EUV auf europäischer Ebene exekutive Aufgaben wahrnimmt (zB in der Beihilfenkontrolle – s. Rn 960 ff, aber auch dem Telekommunikations- und Energierecht – s. Rn 183, 578), und insoweit einen kontinuierlichen Aufgabenzuwachs zu verzeichnen hat. Daneben treten unter unterschiedlicher Bezeichnung seit den 1970er Jahren Exekutivorgane (Agenturen) mit eigener Rechtspersönlichkeit, Leitung, Verwaltungspersonal und Haushalt unterhalb der Vertragsorgane. Die Kommission selbst unterscheidet zwischen den sog. Exekutiv- und Regulierungsagenturen[590]. An die Spitze der Entwicklung hat sich das Bankaufsichtsrecht gestellt. Hier übernahm zunächst 2011 die EBA (European Banking Authority) eine „Aufsicht über die Aufsicht“ (vgl Rn 198 ff), 2014 übernahm die EZB (Europäische Zentralbank) im Rahmen der Bankenunion originäre Aufsichtsaufgaben gegenüber den beaufsichtigten Instituten (dazu näher Rn 191 ff).[591]

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Insgesamt verschieben sich die Gewichte innerhalb des Verwaltungsverbundes. Im Telekommunikations-, aber auch im Energierecht entwickelten sich komplexe Strukturen eines institutionalisierten Kooperationsverwaltungsrechts. Diese Verbund- bzw Netzwerkstrukturen[592] lassen sich mit der traditionellen Unterscheidung zwischen direktem und indirektem Vollzug[593] kaum noch angemessen umschreiben[594]. Die Einbindung ausländischer nationaler Regulierungsbehörden und vor allem der Kommission (und europäischer Gremien bzw Agenturen) in das nationale Verwaltungsverfahren geht über Informations- und Beteiligungsrechte hinaus. Es entwickeln sich Einwirkungs- und Kontrollbefugnisse, die stark an die Rechts- oder gar Fachaufsicht erinnern, wie sie im Verhältnis der Behördenhierarchie nach deutschem Verwaltungsrecht zu beobachten ist. Sicherlich ist die Entwicklung noch nicht am Ende. Möglicherweise führen sie zu Formen der Mischverwaltung, die erst noch der dogmatischen Aufarbeitung bedürfen[595].

Die primärrechtliche Zulässigkeit dieser Aufgabenübertragung wurde vor allem in der deutschen Literatur angezweifelt[596]. Man berief sich vor allem auf die Meroni-Rechtsprechung[597], in der der EuGH schon in den fünfziger Jahren der Übertragung von Kompetenzen weg von der Kommission enge Grenzen zog. Allerdings lassen sich die Fälle schon angesichts der veränderten primärrechtlichen Ausgangslage nur bedingt vergleichen. Seit dem Lissabonvertrag setzt das Primärrecht, insbesondere in Art. 263 Abs. 4 AEUV, die Existenz von „vom Unionsgesetzgeber geschaffenen Einrichtungen und sonstigen Stellen“ voraus, „denen Befugnisse zum Erlass von für natürliche und für juristische Personen verbindlichen Rechtsakten auf spezifischen Gebieten eingeräumt wurden“[598]. Damit ist freilich noch nicht über die Zulässigkeit der Hochzonung auf die europäische Ebene entschieden. Anders als das deutsche Verfassungsrecht enthält der AEUV keine speziellen Vorgaben zu den Verwaltungskompetenzen, so dass man an die Gesetzgebungszuständigkeiten (insbes Art. 114 AEUV anknüpfen kann. Allerdings bleibt der Vollzug des Unionsrechts grundsätzlich Aufgabe der Mitgliedstaaten (vgl Art. 4 Abs. 3 UAbs. 2 EU, Art. 197 und Art. 291 Abs. 1 AEUV), so dass der direkte Vollzug zwar die Ausnahme darstellt, aber möglich ist. Der EuGH hat in der Leerverkaufsentscheidung ausführlich zur Zulässigkeit unionaler Verwaltungskompetenzen Stellung genommen und diese für grundsätzlich zulässig erachtet[599]. Damit war die Verwaltungskompetenz auch für die Bankenunion geklärt[600]. Das BVerfG hielt diese Kompetenzübertragung für verfassungskonform[601], bezeichnete aber das Modell der unabhängigen Regulierungsbehörde als „prekär“ (dazu näher Rn 42).

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Gleichwohl bedeutet diese „organisatorische“ Zentralisierung nur auf den ersten Blick einen Verlust nationalen Einflusses; da die nationalen Behörden in die internen Entscheidungsstrukturen eingebunden sind. Am deutlichsten zeigt sich dies bei der europäischen Bankaufsichtsbehörde EBA. Deren zentrales Entscheidungsgremium ist der „Rat der Aufseher“, in dem nur die Leiter der nationalen Bankaufsichtsbehörden stimmberechtigt sind (vgl Art. 40 Abs. 1 lit. b EBA-VO), während die „europäischen“ Mitglieder – ein Vorsitzender und je ein Vertreter von EZB, ESRB, Europäischer Kommission und den beiden anderen Regulierungsagenturen ESMA und EIOPA – lediglich eine beratende Funktion haben. Insoweit wurde also die Organisation der Level 3-Ausschüsse auf die Agenturen übertragen[602]. Auch bei der EZB ist (als Konsequenz der primärrechtlichen Regelung der Organe in Art. 13 EUV, Art. 129 Abs. 1, 282 AEUV) Beschlussorgan der Rat, der sich aus dem Direktorium der EZB sowie den Präsidenten der nationalen Zentralbanken der Mitgliedstaaten zusammensetzt[603]. Intern ist jedoch zunächst das Supervisory Board zuständig, das als „Aufsichtsgremium“[604] die Planung und Ausführung der Aufsichtsaufgaben übernimmt. Es besteht aus einem Vorsitzenden, einem Stellvertretenden Vorsitzenden, der aus dem Kreis der Mitglieder des Direktoriums der EZB ausgewählt wird, vier Vertretern der EZB sowie Vertretern nationaler Aufsichtsbehörden[605]. Selbst die direkte Aufsicht der EZB (s. dazu unten Rn 193 f) obliegt nach Art. 3 SSM-Rahmen-VO „gemeinsamen Aufsichtsteams“ unter Beteiligung der nationalen Aufsichtsbehörden. Außerhalb der Finanzmarktaufsicht haben die Mitgliedstaaten entsprechende Initiativen der Kommission weitgehend verhindert. Zwar wurde im Energierecht die Zusammenarbeit durch die Europäische Energieagentur (ACER)[606] institutionalisiert (s. auch die Regelung in § 57 EnWG). Diese hat außerhalb des Regimes für grenzüberschreitende Infrastrukturen kaum Entscheidungsbefugnisse[607], sondern kann lediglich unverbindliche Stellungnahmen abgeben. Gestärkt wurde auch hier die Rolle der Kommission, die verbindliche Leitlinien für die Regulierung erlassen und deren Einhaltung in einem aufsichtsrechtlichen Kontrollverfahren durchsetzen kann[608]. Für das Telekommunikationsrecht ist anstelle der zunächst geplanten Agentur lediglich ein beratendes Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (GEREK) ohne eigene Rechtspersönlichkeit entstanden, das die European Regulators Group (ERG) ersetzen und die Arbeit der nationalen Regulierer besser koordinieren soll[609]. Allerdings verblieben die zentralen Kompetenzen bei der Kommission. Das Herzstück der Kooperation zwischen Bundesnetzagentur und Kommission bzw GEREK ist das Konsolidierungsverfahren gem. § 12 Abs. 2 TKG (dazu Rn 190, 578).

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Mit der Zuständigkeit verlagert sich auch der Rechtsschutz gegen Verwaltungshandeln. Verwaltungshandeln nationaler Behörden kontrollieren die nationalen Gerichte, gegenüber den Unionsorganen und Agenturen gewähren die europäischen Gerichte Rechtsschutz, so lange dieser nicht ausdrücklich den nationalen Gerichten übertragen wird[610]. Dies schließt auch nationalen Rechtsschutz gegenüber vorbereitenden Maßnahmen nationaler Behörden aus[611]. Zugleich haben EuG und EuGH Gelegenheit die Maßstäbe des unionalen Verwaltungsrechtsschutzes weiter zu entwickeln[612]. Besondere Probleme bereitet gerade deutschen Verfahrensbeteiligten der für die europäischen Gerichte geltende Beibringungsgrundsatz, der sich auch auf das nationale Recht erstreckt.

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