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b) Die „Unabhängigkeit“ von Regulierungsbehörden als sektorenübergreifendes Konzept

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Während die materiellen Bestimmungen des öffentlichen Wirtschaftsrechts vor allem in seinen Kerngebieten seit langem richtliniengeprägt sind, bedarf mittlerweile auch die These von der verwaltungsverfahrensrechtlichen und verwaltungsorganisatorischen Autonomie der Mitgliedstaaten der Korrektur. Diese Entwicklung lässt sich unter dem Begriff der „Unabhängigkeit“ von Regulierungsbehörden zusammenfassen. Allerdings enthalten die einschlägigen Richtlinien mittlerweile klare unionsrechtliche Vorgaben. Im Bereich der Netzregulierung folgt das Unionsrecht dem Modell einer unabhängigen, von ministeriellen Weisungen freigestellten Verwaltungseinheit[613], das „in den Independent Agencies des US-amerikanischen Wirtschaftsregulierungsrechts seine klassische Ausprägung gefunden hat“[614]. Dies gilt auch für die Finanzmarktaufsicht[615], obwohl diese Fragen in Deutschland eher wenig erörtert wurden[616]. Ganz im Gegenteil war die Weisungsunabhängigkeit der Bundesbank ein zentrales Argument gegen die zeitweise erwogene Übertragung der Finanzmarktaufsicht auf die Bundesbank[617].

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Auf unionaler Ebene hat das Modell einer „offenen, effizienten und unabhängigen europäischen Verwaltung“ in Art. 298 Abs. 1 AEUV ausdrücklich Anerkennung gefunden, ohne dass es näher definiert wird[618]. Es lässt sich aber an die sekundärrechtlichen Maßstäbe anknüpfen[619]. Dabei ist zwischen einer funktionellen und der sog. „politischen“ Unabhängigkeit zu differenzieren.

Die funktionelle Unabhängigkeit verlangt die Trennung der Regulierung als staatlicher Funktion von der Leistungserbringung bzw der Unternehmensverwaltung in der Telekommunikation[620] sowie von den Stellen, die über Einsprüche gegen Entscheidungen der Regulierungsbehörden entscheiden[621]. Diese Vorgaben basieren auf den ursprünglichen Vorgaben in Art. 3 Abs. 2 S. 1 RahmenRL. Mit ihnen war zunächst keine Aussage zur Stellung der Regulierungsbehörde im allgemeinen Staatsgefüge verbunden[622]. Nach dem geltenden Recht muss sie aber „unabhängig von allen politischen Stellen selbstständige Entscheidungen treffen“ können[623]. Diese politische Unabhängigkeit beschreibt die Entscheidungsautonomie der Behörde, dh die Frage der organisatorischen Abkopplung der Behörde von Exekutive und Legislative sowie damit einhergehend ihre Fähigkeit, eine eigene Regulierungspolitik zu entwickeln und durchzusetzen[624]. Damit werden ministerialfreie Räume geschaffen[625], ganz nach US-amerikanischem Vorbild, für das eine weitreichende Autonomie von Verwaltungsbehörden als der „4. Gewalt“ seit seinen Anfängen charakteristisch ist[626]. Dieses Vorbild hat vor allem den Bereich des europäisierten Regulierungsrechts auch konzeptionell so stark geprägt, dass Teile der Literatur schon früh die Unabhängigkeit und damit zusammenhängend die Unzulässigkeit jedenfalls von Einzelweisungen geradezu als – verfassungsrechtlich durchaus bedenkliches – Charakteristikum des Regulierungsrechts betrachteten[627]. Die Weisungsfreiheit der BNetzA ist in Art. 35 Abs. 3 S. 2 RL 2009/72/EG und Art. 39 Abs. 4 S. 2 RL 2009/73/EG für die Regulierung von Strom und Gas sowie nach Art. 3 Abs. 3a RahmenRL für das Telekommunikationsrecht ausdrücklich vorgeschrieben. Weisungen, und damit auch Einzelweisungen nach dem Vorbild der „Ministererlaubnis“ in § 42 GWB, sind nach herrschender Auffassung jedoch das zwingende verwaltungsorganisatorische Korrelat parlamentarischer Demokratie[628]. Verfassungsrechtliche Bedenken standen auch hinter dem „bewussten Schweigen“ des Gesetzgebers bei der Richtlinienumsetzung. Weder in den Einzelgesetzen noch im BNetzAG[629] wird die „politische“ Unabhängigkeit angesprochen[630]. Allerdings sind die entsprechenden Richtlinienbestimmungen unmittelbar anwendbar[631]. Erst recht unzulässig wäre eine „Ministererlaubnis“ entsprechend § 42 GWB, um unmittelbar eine Beschlusskammerentscheidung zu korrigieren[632]. Davon zu unterscheiden, und von den Vorgaben der Richtlinie nicht erfasst, ist die Möglichkeit der Einflussnahme des Präsidenten auf die Entscheidung der Beschlusskammer. Im Ergebnis hielt das BVerfG diese unionsrechtlich determinierte Weisungsunabhängigkeit für verfassungsrechtlich zulässig (s. dazu Rn 187).

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