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c) Die EBA: „Aufsicht über die Aufsicht“

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Seit dem 1.1.2011 gehört zu den sog. Regulierungsagenturen für den Bereich der gesamteuropäischen Bankenaufsicht die EBA (European Banking Authority)[684]. Mit dem europäischen System für Finanzaufsicht ESFS wurden auf Vorschlag des Larosière-Berichts die früheren Level 3-Ausschüsse des Lamfalussy-Verfahrens[685] durch europäische Regulierungsagenturen für die Banken-, Wertpapier- und Versicherungsaufsicht ersetzt. Für jede dieser Agenturen wurde eine eigene Verordnung erlassen, deren Regelungen sich allerdings bis in die Details hinein gleichen[686]. Sie sollen einen Beitrag zur Festlegung qualitativ hochwertiger gemeinsamer Regulierungs- und Aufsichtsstandards leisten[687]. Sie sollen aber auch zur Effizienz der Aufsicht beitragen und für eine einheitliche Verwaltungspraxis sorgen. Insoweit hat sie nach Art. 21 Abs. 2 EBA-VO eine „führende Rolle“. Diese Position wurde auch durch die Übertragung von Aufsichtsaufgaben auf die EZB formal nicht angetastet[688]. Sie beschränkt sich allerdings auf eine „Aufsicht über die Aufsicht“[689] mit eigenen Entscheidungsbefugnissen nach dem Vorbild eines aufsichtsbehördlichen Selbsteintrittsrechts[690].

Bei der Novellierung der ESA-Verordnungen 2019 wurden einige Klarstellungen und Ergänzungen vorgenommen, weitergehende Reformvorschläge der Kommission allerdings nicht umgesetzt[691]. Im Hinblick auf die Kapitalmarktaufsicht wird das Prinzip der „Aufsicht über die Aufsicht“ zunehmend durchbrochen. Die ESMA übt die direkte Aufsicht über die Ratingagenturen[692] und das Register für OTC-Derivate aus.[693] Ab dem 1.1.2022 wird sie auch die direkte Aufsicht über die Datenbereitstellungsdienstleister[694] sowie kritische Referenzwerte und deren Administratoren übernehmen.

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Fall 14a (Rn 172):

Die Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung gegenüber D setzt zunächst eine Ermächtigungsgrundlage für die Maßnahme voraus. Eine solche ergibt sich aus Art. 8 Abs. 2 lit. f) EBA-VO, wonach die EBA die Befugnis zum Erlass von an Finanzinstitute gerichtete Beschlüssen hat, wenn Unionsrecht verletzt wird (Art. 17), als Maßnahme im Krisenfall (Art. 18) sowie im Fall der Streitschlichtung (Art. 19). Die BaFin hat es versäumt, gegenüber D entsprechende Maßnahmen zu erlassen, damit diese das unionale Finanzmarktaufsichtsrecht einhält. Dies stellt eine Verletzung des Unionsrechts dar, so dass die EBA Maßnahmen nach Art. 17 Abs. 6 EBA-VO treffen kann[695]. Voraussetzung für eine solche Maßnahme ist jedoch, neben der Einhaltung der materiellrechtlichen Vorgaben (Erforderlichkeit der Maßnahme und unmittelbare Anwendbarkeit der verletzten Normen auf das Finanzinstitut), dass vor dem Erlass die Kommission gem. Art. 17 Abs. 4 EBA-VO eine förmliche Stellungnahme abgegeben hat, in der die zuständige Behörde aufgefordert wird, die zur Einhaltung des Unionsrechts erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Da eine solche Stellungnahme der Kommission nicht vorliegt, ist die Untersagungsverfügung (formell) rechtswidrig[696]. Dieses Beispiel zeigt, dass ein Einschreiten der EBA angesichts seiner Voraussetzungen sogar ein schwerfälligeres Instrument darstellt als ein Vertragsverletzungsverfahren der Kommission[697].

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Darüber hinaus erhält die EBA in Art. 8 Abs. 2 lit. a) EBA-VO die Befugnis zum Entwurf technischer Regulierungsstandards in den in Art. 10 EBA-VO genannten Fällen. Ziel dieser Standards ist die Harmonisierung des Rechtsstandes in Europa („single rule book“)[698]. Bei technischen Regulierungsstandards handelt es sich um delegierte Rechtsakte der Kommission gem. Art. 290 AEUV, die die von Rat und Parlament erlassenen Rechtsakte mit Gesetzescharakter modifizieren oder ergänzen können (dazu schon Rn 91).

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Rechtsgrundlage für den Entwurf von technischen Standards durch die EBA ist in Fall 14b (Rn 172) Art. 8 Abs. 2 lit. a) EBA-VO. Hierfür gibt es zunächst formelle Rechtmäßigkeitsanforderungen. So muss die EBA vor der Übermittlung ihrer Entwürfe an die Kommission grundsätzlich ein Anhörungsverfahren und eine Kosten-Nutzen-Analyse durchführen (Art. 10 Abs. 1 UAbs. 3 S. 1 EBA-VO). Der Entwurf muss von der Kommission innerhalb von drei Monaten gebilligt, mittels Verordnung oder Beschluss von dieser angenommen und im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht werden (Art. 10 Abs. 4 EBA-VO). Darüber hinaus muss die Kommission dem Parlament und dem Rat den erlassenen technischen Regulierungsstandard mitteilen, welche hiergegen Einwände erheben können (Art. 13 Abs. 1 EBA-VO). In materieller Hinsicht dürfen gem. Art. 290 Abs. 1 AEUV nur Rechtsakte ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Geltung zur Ergänzung oder Änderung bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften des betreffenden Gesetzgebungsaktes erlassen werden. Sie sind ferner nur zulässig, wenn Ziele, Inhalt, Geltungsbereich und Dauer der Befugnisübertragung ausdrücklich im entsprechenden Gesetzgebungsakt festgelegt worden sind, Art. 290 Abs. 2 AEUV. Ähnlich wie im nationalen Recht gilt auf Unionsebene auch der Gedanke der Wesentlichkeitstheorie, wonach die wesentlichen Aspekte eines Bereichs dem Gesetzgebungsakt vorbehalten sind und eine Befugnisübertragung für sie deshalb ausgeschlossen ist (Art. 290 Abs. 2 S. 2 AEUV)[699]. Der von der EBA vorgelegte Entwurf umfasst die Arbeitsabläufe und Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten und der EBA. Es werden somit vornehmlich Regelungen für den Ablauf der Arbeitsprozesse aufgestellt. Weiterhin werden Vorgaben gemacht, in welchem Datenformat die nationalen Behörden die gesammelten Informationen an die EBA abzuliefern haben. Da die in der Verordnung enthaltenen Regelungen somit rein technischer Art sind und die übrigen Voraussetzungen vorliegen, sind sowohl der Entwurf durch die EBA als auch die Verordnung selbst rechtmäßig.

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Diese Kompetenzen werfen auch die Frage nach dem Rechtsschutz auf, bei dem das speziell in der VO geregelte Beschwerdeverfahren und die Klagemöglichkeiten vor dem EuG zusammenkommen[700]. Gegen die Untersagungsverfügung kann die D Bank Beschwerde gem. Art. 60 EBA-VO einlegen[701]. Über die zulässige Beschwerde entscheidet ein bei der EBA eingerichteter Beschwerdeausschuss (Art. 58 f EBA-VO) innerhalb von zwei Monaten nach deren Einreichung. Die Beschwerde hat gem. Art. 60 Abs. 3 EBA-VO keine aufschiebende Wirkung, der Beschwerdeausschuss kann aber den Vollzug vorübergehend aussetzen. Wird die Beschwerde der D Bank zurückgewiesen, so kann gegen den Beschluss des Beschwerdeausschusses gem. Art. 61 EBA-VO im Einklang mit Art. 263 AEUV Nichtigkeitsklage erhoben werden.

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Auch in Fall 14a (Rn 172) hat D gegen die Anordnung der EBA zunächst Beschwerde zu erheben[702]. Hält der Ausschuss die Beschwerde für begründet, wird er die Angelegenheit an die zuständige Stelle der EBA zurückverweisen. Diese ist an den Beschluss des Beschwerdeausschusses gebunden und trifft einen geänderten Beschluss zu der betreffenden Angelegenheit (Art. 60 Abs. 5 EBA-VO). Andernfalls kann gegen die Beschwerdeentscheidung Nichtigkeitsklage erhoben werden. Zuständig ist hierbei für Klagen natürlicher oder juristischer Personen das Gericht (Art. 256 Abs. 1 AEUV). D ist als juristische Person auch zur Klageerhebung iSd Art. 61 Abs. 2 EBA-VO iVm Art. 263 Abs. 4 AEUV berechtigt. Bei dem Beschluss des Beschwerdeausschusses handelt es sich um eine Handlung einer „Einrichtung oder sonstigen Stelle“ der Union, so dass die EBA selbst Klagegegner ist. D ist als Adressat der Untersagungsverfügung auch klagebefugt im Sinne des Art. 263 Abs. 4, 1. Alt. AEUV. Auch die BaFin kann gegen die an die D Bank gerichtete Untersagungsverfügung Beschwerde einlegen. Gem. Art. 60 Abs. 1 EBA-VO ist die Beschwerde der zuständigen Behörde statthaft, wenn sie sich „gegen einen gemäß den Artikeln 17, 18 und 19 getroffenen Beschluss der Behörde“ richtet. Der Beschluss muss demnach nicht unmittelbar an die BaFin gerichtet sein, wie dies die zweite Variante des Art. 60 Abs. 1 EBA-VO voraussetzt[703]. Im Rahmen der ersten Variante ist auch nicht erforderlich, dass die BaFin unmittelbar und individuell von der Untersagungsverfügung betroffen ist. Den Beschluss des Beschwerdeausschusses kann auch die BaFin im Klageweg nach Art. 61 EBA-VO iVm Art. 263 AEUV anfechten[704]. Gegen die technischen Regulierungsstandards in Fall 14b (Rn 172) kann nur im Wege der Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 EBA-VO vorgegangen werden, da es sich um Akte der Kommission und keine beschwerdefähigen Beschlüsse der EBA iSd Art. 60 Abs. 1 EBA-VO handelt. Im Rahmen der Klagebefugnis müssten die erhöhten Anforderungen des Art. 263 Abs. 4 AEUV erfüllt sein. In Betracht kommt die Einordnung von technischen Regulierungsstandards als „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ iSd Art. 263 Abs. 4, 3. Var. AEUV[705], da die Verordnung nicht im Wege eines Gesetzgebungsverfahrens nach Art. 289 AEUV, sondern von der Kommission erlassen worden ist. Die Klagebefugnis ist jedoch für die D zu verneinen, da sie nicht unmittelbar von den technischen Regulierungsstandards betroffen ist. Diese richten sich unmittelbar nur an die BaFin. Anders könnte dies allerdings zu werten sein, falls auf europäischer Ebene unternehmensbezogene Pflichten, etwa nach dem Vorbild der MaRisk, erlassen werden.

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