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3. Die Niederlassungsfreiheit
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Die stärkste Integration in einen Mitgliedstaat erfolgt auf der Grundlage der Niederlassungsfreiheit des Art. 49 AEUV. Ihr Schutzbereich erfasst die dauerhafte Eingliederung in das Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedslandes durch die Aufnahme und Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit. Unter Erwerbstätigkeit versteht man hier das gesamte Spektrum wirtschaftlicher Tätigkeiten. Dies sind alle, die dem deutschen Gewerbebegriff (einschließlich des Handwerks) unterfallen, aber auch Urproduktion und freie Berufe. Ausgenommen werden nur die schlechthin strafbaren Tätigkeiten. Sowohl die Ausübung der Prostitution wie die immerhin teilweise gestattungsfähige Durchführung von Wettveranstaltungen ist daher als vom Schutz der Niederlassungsfreiheit umfasste Erwerbstätigkeit zu qualifizieren (s. schon zum allgemeineren Begriff der Teilnahme am Wirtschaftsleben oben Rn 52). Das Merkmal der Selbstständigkeit dient der Abgrenzung von der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 ff AEUV), die im öffentlichen Wirtschaftsrecht nicht relevant wird. Das entscheidende Kriterium ist die Dauerhaftigkeit dieser Teilnahme am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaates. Dieses Merkmal übernimmt also die Abgrenzung von der Dienstleistungsfreiheit des Art. 57 AEUV. Da Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit grundsätzlich schwieriger zu rechtfertigen sind, fasst der EuGH Grenzfälle unter die Dienstleistungsfreiheit. Ebenfalls unter die Dienstleistungsfreiheit fallen Online-Angebote eines im Ausland ansässigen Unternehmens (dazu Rn 80).
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Die Dauerhaftigkeit manifestiert sich in einer Niederlassung. Der Begriff der Niederlassung ist „ein sehr weiter Begriff, der die Möglichkeit für einen Unionsangehörigen impliziert, in stabiler und kontinuierlicher Weise am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaates als seines Herkunftsmitgliedstaates teilzunehmen und daraus Nutzen zu ziehen, wodurch die wirtschaftliche und soziale Verflechtung innerhalb der Europäischen Union im Bereich der selbstständigen Tätigkeiten gefördert wird“[163]. Hierbei kommt es auf eine Gesamtschau der in einem konkreten Fall relevanten Aspekte an. Dauerhaftigkeit ist gegeben, wenn ohne zeitliche Beschränkung eine Niederlassung gegründet wird[164]. Nach der Rechtsprechung genügt es, wenn einzelne kurzfristige Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat regelmäßig ausgeübt werden und so zu einem Teil einer tatsächlich dauerhaften bzw schwerpunktmäßig auf dieses Land ausgerichteten Geschäftstätigkeit werden. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn es mittels einer festen Einrichtung im Bestimmungsstaat geschieht[165]. Dass es dem EuGH gleichwohl weniger um die Infrastruktur als die Frage der dauerhaften Integration geht, zeigt sich daran, dass auch die Ausübung des Reisegewerbes unter die Niederlassungsfreiheit fallen kann, wenn sich der gesamte oder überwiegende Kundenstamm in einem Mitgliedstaat befindet, so dass die Tätigkeit ganz oder vorwiegend auf das Gebiet eines Mitgliedstaates ausgerichtet ist[166].
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Während es in Fall 3a (Rn 45) eindeutig an einer Niederlassung fehlt, erweist sich die Bestimmung der Niederlassung in Fall 3b (Rn 45) als problematisch, weil U seine Leistungen in Deutschland regelmäßig von den gleichen, angemieteten Räumlichkeiten aus anbietet[167]. Darin könnte man eine Niederlassung sehen. An einer Niederlassung fehlt es aber, solange ein Unternehmen „nicht über eine Infrastruktur verfügt, die es ihm erlauben würde, in stabiler und kontinuierlicher Weise einer Erwerbstätigkeit nachzugehen“[168]. Andererseits führt allein die regelmäßige Wiederholung einer Tätigkeit noch nicht zur Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit[169] und schließt der vorübergehende Charakter der Leistung keineswegs die Möglichkeit aus, sich im Aufnahmemitgliedstaat mit einer bestimmten Infrastruktur (einschließlich eines Büros, einer Praxis oder einer Kanzlei) auszustatten, soweit diese Infrastruktur für die Erbringung der fraglichen Leistung erforderlich ist[170]. Das sporadische Anmieten der Räumlichkeiten reicht deswegen nicht, um eine hinreichend feste Verbindung zu Deutschland anzunehmen. Diese ist in Fall 3d (Rn 45) in jedem Fall gegeben.
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Sofern der Schutzbereich eröffnet ist, ist das Vorliegen eines Eingriffs zu prüfen. Art. 49 Abs. 2 AEUV ordnet positiv eine Inländergleichbehandlung an. Aus diesem Grundsatz leitet der EuGH die Pflicht zur Anerkennung äquivalenter, im Ausland erworbener Kenntnisse und Fähigkeiten ab[171]. In Konsequenz dieses Grundsatzes wird beispielsweise im Handwerksrecht die Eintragung in die Handwerksrolle auch aufgrund einer im Ausland erworbenen Qualifikation ermöglicht (s. zu § 9 HwO ausführlich Rn 477 f). Der Schutz der Grundfreiheiten geht aber – auch bei der Niederlassungsfreiheit – über die Pflicht zur Inländergleichbehandlung hinaus. Als rechtfertigungsbedürftige (und damit vom EuGH auf ihre Angemessenheit überprüfbare) Eingriffe gestalten sich nach der Rechtsprechung des EuGH alle Maßnahmen, die die Ausübung der Niederlassungsfreiheit „unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen“[172].
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Anzeigepflichten verfolgen den legitimen Zweck, der zuständigen Behörde im Interesse einer wirksamen Überwachungsmöglichkeit, Aufschluss über die Art und Zahl der in ihrem Bezirk tätigen Gewerbetreibenden zu verschaffen (s. näher Rn 272 ff). Sie stellen auch im Vergleich zu Genehmigungserfordernissen das mildeste Mittel dar[173]. Deswegen sind Erlaubnispflichten in besonderer Weise rechtfertigungsbedürftig. Solche – vor allem mit dem Erfordernis von Sachkundenachweisen verknüpften – Genehmigungserfordernisse im nicht durch Richtlinien harmonisierten Bereich betreffen ua das Bewachungsgewerbe (§ 34a GewO), Versicherungsberater und -vermittler (§§ 34c, d GewO) sowie Finanzanlagenvermittler (§ 34f GewO). Sachkundenachweise stellen sich zB dann als geeignet und verhältnismäßig dar, wenn sie dem Schutz von Anlegern sowie der Integrität und Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes dienen[174]. Allerdings bedarf es in Konsequenz des „Herkunftslandprinzips“ einer Anerkennung ausländischer (vergleichbarer) Prüfungen, wie sie zB § 13c GewO auch vorsieht. Entsprechende Erlaubnispflichten gibt es auch außerhalb des Gewerberechts, zB für die Tätigkeit von Banken, § 32 KWG (dazu Rn 542 ff).
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In Fall 3d (Rn 45) muss sich U in die deutsche Handwerksrolle eintragen lassen (so die Sachverhaltsangaben; zur handwerksrechtlichen Rechtslage näher Rn 477). Diese Ausprägung eines Erlaubnisverfahrens zur Prüfung der Sachkunde ist zum Schutz der Kunden vor den mit unsachgemäßer Bauausführung verbundenen Gefahren auch verhältnismäßig[175], sofern seine bisherige Berufserfahrung sowie Ausbildungs- und Befähigungsnachweise anerkannt werden. Für das Handwerksrecht wurden die Anforderungen der Niederlassungsfreiheit in der Berufsanerkennungsrichtlinie zusammengefasst; diese regelt insbesondere die Anerkennung der ausländischen Qualifikationen (zur Umsetzung vgl Rn 477). Außerdem stellt sich die Frage, inwieweit er seine Tätigkeit in der Rechtsform des niederländischen Rechts weiterführen kann. Dies ist zunächst eine Frage des (internationalen) Gesellschaftsrechts. Nach der in Deutschland maßgeblichen Sitztheorie kommt es für die Rechtsfähigkeit auf den (neuen) Verwaltungssitz an, so dass ausländische Gesellschaften in Deutschland neu gegründet werden müssen und ansonsten als Personengesellschaft nach deutschem Recht behandelt werden (BGH, NJW 2009, 289). Allerdings verstößt dies gegen die Niederlassungsfreiheit, so dass für Unternehmen aus EU-Mitgliedstaaten eine „identitätswahrende Sitzverlagerung“ über die Grenze möglich ist (näher Rn 232)[176]. Die Einzelheiten ergeben sich künftig aus EU-Richtlinien; danach ist auch eine Online-Gründung von Gesellschaften vorgesehen[177].