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3. Vereinbarkeit von Verordnungen und Richtlinien mit dem Primärrecht

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Nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1 und 2 AEUV) wird die Union nur im Rahmen ihrer Zuständigkeit tätig (vgl ▸ Klausurenkurs Fall Nr 1). Davon zu unterscheiden ist die Frage nach dem Rangverhältnis. Ähnlich wie zwischen Verfassungs- und einfachem Recht ist auch im Unionsrecht der Grundsatz der Normhierarchie anerkannt. Das Primärrecht nimmt die oberste Rangstufe ein,[256] genießt also Vorrang vor dem sekundären Unionsrecht[257]. Nach der Rechtsprechung des EuGH[258] bildet es „Grundlage, Rahmen und Grenze“ der von den Unionsorganen erlassenen Rechtsakte. Insoweit kann auch Sekundärrecht gegen die Grundfreiheiten verstoßen.

Davon zu unterscheiden sind die Konsequenzen für die Prüfung der Vereinbarkeit nationalen Rechts mit dem Unionsrecht. In der Literatur wird dem (spezielleren) Sekundärrecht Vorrang vor den Grundfreiheiten zugebilligt[259]. Praktische Anwendungsfälle sind zB die Garantie effektiven Rechtsschutzes in den Telekommunikationsrichtlinien (näher Rn 40). Teilweise wird dies damit begründet, es sei schon der Tatbestand der Grundfreiheiten nicht eröffnet, da die Verbürgungen der Grundfreiheiten durch die Richtlinien in konkrete, abgegrenzte Rechte und Pflichten ausformuliert und konturiert werden würden[260]. Der EuGH scheint zu differenzieren. In einigen Entscheidungen erachtet er den Anwendungsbereich der jeweiligen Grundfreiheit als eröffnet und berücksichtigt einschlägiges Sekundärrecht erst auf der Ebene der Rechtfertigung[261]. In anderen Fällen stellt er hingegen heraus, dass eine nationale Maßnahme, die den Mitgliedstaaten durch eine Richtlinie gestattet wird, schon tatbestandlich nicht gegen die Grundfreiheiten verstößt[262]. Die Differenzierung orientiert sich am Regelungsgehalt der Richtlinie. Soweit sie auf Konkretisierung der Grundfreiheiten angelegt ist, entscheidet in erster Linie die Richtlinie und damit der Unionsgesetzgeber über die Rechtfertigung von Beschränkungen der Grundfreiheit. Dieses jucidial self restraint erklärt auch, dass der EuGH dann den Sachverhalt nicht zusätzlich am Primärrecht überprüft[263], sondern in einem „erst-recht-Schluss“ Einschränkungsmöglichkeiten einer Richtlinie auf nur vom Primärrecht geprägte Sachverhalte überträgt[264].

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Fall 7a (Rn 89):

Im Rahmen der Begründetheit ist zu unterstellen, dass die Anforderungen der VO eingehalten sind[265]. Nach Art. 36 Abs. 1 AEUV stehen die Bestimmungen des Art. 35 AEUV Beschränkungen nicht entgegen, die aus bestimmten Gründen, ua zum Schutze des gewerblichen und kommerziellen Eigentums, gerechtfertigt sind[266]. Dabei ist zu beachten, dass der EuGH bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung den Schwerpunkt auf die Erforderlichkeit legt und die Angemessenheit einer Maßnahme idR nicht gesondert prüft[267]. Erforderlich ist sie insbes deswegen, weil der Markt allein die Sicherstellung von Qualitätsstandards für bestimmte traditionelle Produkte nicht erreichen konnte. Hierfür hielt der EuGH die Herstellung im Ursprungsland für erforderlich. Er erstreckte dies sogar auf Abfüllen/Verpacken und Zubereiten, worin der GA einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit gesehen hatte, weil solche Standards überall eingehalten werden könnten und jedenfalls eine entsprechende Kennzeichnung genüge[268]. Auf der Grundlage der GRCh legt der EuGH gegenüber Verordnungen strengere Maßstäbe an[269].

Fall 7b (Rn 89):

Würde sich die Regelung demgegenüber in einem delegierten Rechtsakt befinden, würde dies sowohl gegen den Wesentlichkeitsvorbehalt des Art. 290 Abs. 1 wie gegen den grundrechtlichen Wesentlichkeitsvorbehalt des Art. 52 Abs.1 GRCh verstoßen.

§ 2 Der unions- und verfassungsrechtliche Ordnungsrahmen › IV. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen: Grundrechtlicher Schutz wirtschaftlicher Betätigung

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