Читать книгу Machtästhetik in Molières Ballettkomödien - Stefan Wasserbäch - Страница 27

2.2.3 Ruse und bêtise

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Es gibt auch Handlungsschemata, die außerhalb gesellschaftlicher Normen stehen und daher zur textinternen Sujetschicht gezählt werden. Sie treten auf, wenn beide Parteien unvernünftig handeln und sich jenseits der Wertmaßstäbe von la cour et la ville befinden. Im Gegensatz zur Hauptsujetschicht ist eine gewisse Gleichwertigkeit zwischen den Kontrahenten auszumachen, denn beide besitzen aufgrund ihrer Flegelhaftigkeit, Kurzsichtigkeit und Einfältigkeit das Attribut ‚unvernünftig‘ und sind innerhalb der Gruppe der déraison zu situieren. Die farceske1 Opposition zwischen ruse und bêtise2 stellt eine unmoralische Infragestellung der betroffenen Normen dar; sie enthält keine moralische Legitimation, die einer Partei recht gibt. Unmoralisch ist sie deshalb, weil sich beide Parteien entgegen der gängigen Sitten und Moral verhalten. Dennoch bewegt sich dieser Agon zwischen Schelm und Narr auch immer auf der Achse von raison und déraison, die ein gewisses Normensubstrat liefert, das nie ganz ausgeblendet werden kann. Diese Szenen zeichnen sich über ihre Sujetsimilarität zur Hauptsujetschicht aus, indem sie zumeist den thematischen Kern der Komödie in ein Milieu der Unvernunft versetzen und in einem parodistischen Wechselspiel von ruse und bêtise entfalten. Der Schelm versucht durch seine List, die Norm mit der Anti-Norm zu verbinden, was ihm nur deshalb gelingt, weil der Unsinn des Narren, der an der Norm festhält, der komischen Normaufhebung selbst zum Opfer fällt.3 Dem Begriff der ruse entspricht der listige Angreifer, dem der bêtise die angegriffene Autoritätsperson. Besonders deutlich wird diese zweite Sujetschicht im Wettstreit der Dienerfiguren untereinander wahrgenommen. Hierbei wird die Nichtzugehörigkeit zu den honnêtes gens zum Maßstab für die moralische Dimension, denn sie können nicht mit den gleichen moralischen Maßstäben wie ihre Herren gemessen werden. Sie repräsentieren häufig eine hypertrophe Komisierung und Pluralisierung des Rollenspiels.

Zur textinternen Sujetschicht sind nicht nur die unteren sozialen Schichten wie Diener, Zigeuner, Spieler, Fremdlinge, Schäfer und Sklaven zu zählen, sondern auch ehemalige Räsoneure, die im Kontakt mit den Autoritäten eine komische Läuterung erfuhren und sich in ihrer neuen Gesinnung ebenfalls dem unvernünftigen Treiben verschreiben. Diese Sujetschicht ist durch Wortgefechte, Quiproquo, Pantomimen, Spiel im Spiel, Karneval, Musik- und Tanzdarstellungen strukturiert, die das Bühnengeschehen im dynamischen Spiel über den Code der theatralischen Kommunikationsebene kommuniziert. Der Schauspieler spielt sich in der Improvisation des Spiels häufig aus seiner Rolle und stellt sein berufliches Können unter Beweis. Die textinterne Sujetschicht sorgt für einen hohen Unterhaltungswert, weil sie dem Zuschauer das Spiel als solches zu erkennen gibt. Sie forciert die theatralische Perspektive und aktualisiert die Theatersituation.

Gemäß dieser Klassifikation gilt es zwischen den beiden sich überlagernden Sujetschichten zu differenzieren, welche die Komödienhandlung bereits äußerst komplex erscheinen lassen. Der satirische Gestus der Ballettkomödie entspringt der moralisch besetzten Opposition von raison und déraison. Das dramatische Substrat der déraison wird in der theatralischen Darstellung vom unmoralischen Gegensatzkonstrukt ruse – bêtise bestimmt und generiert auf der textinternen Sujetschicht einen farcesken Agon. Während die textexterne Sujetschicht dazu beiträgt, die moralische Dimension der Handlungswelt zu erfahren, lädt die betonte Indirektheit zum kulturellen Kontext der textinternen Sujetschicht den Zuschauer dazu ein, die Leichtigkeit des Spiels zu genießen. Demnach hängt die Bedeutsamkeit des Konfliktes gemeinhin von der Zuschauerhaltung gegenüber dem repräsentierten Geschehen ab.4

Machtästhetik in Molières Ballettkomödien

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