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Teil 1 – Kapitel 7
ОглавлениеThomas traf sich am Vormittag des 13. Juli mit einem Immobilienmakler in Cumaná, mit dem er am Abend zuvor einen Termin gemacht hatte. Er gab sich dabei als Interessent für bestimmte Objekte aus. Die Verhandlungen verliefen sehr gut. Die beiden Männer scherzten, während sie sich die Exposés ansahen, und waren offenbar hochzufrieden. Schließlich bat Thomas den Makler um einige Unterlagen, damit er sich zuhause in Ruhe nochmal Gedanken darüber machen konnte, welche Immobilie er nun kaufen wollte oder vielleicht auch mehrere? Ferner erfragte er, ob er eine Kopie von Grundbuchauszügen bekommen könnte, denn es gäbe in den Staaten noch weitere Interessenten, die zum Teil Informationen über Belastung der Grundstücke durch Hypotheken benötigten... rein aus steuerlichen bzw. rechtlichen Gründen, wie Thomas versicherte. Der Makler händigte dem Richter die gewünschten Unterlagen aus, was den hoch erfreute. Schließlich verabschiedete sich Thomas und meinte, er würde in Kürze von sich hören lassen.
Auf dem Weg zurück ins Hotel dachte er siegessicher: Das war doch echt gut, alles hat prima geklappt. Die Unterlagen verstaue ich in meinem Zimmersafe, und heute Nachmittag besuche ich Jeremiah. Dann kann ich eigentlich schon morgen zurückfliegen. Tja, wenn ich das gewusst hätte, hätte ich ja doch die Einladung auf die Segelyacht annehmen können. Aber halt! Das kann ich ja noch! Oh, das ist wunderbar! Und wie das wirkt. Dann kann ich Peter sagen, dass ich mich sehr schnell mit meinem Bruder versöhnen konnte und jetzt doch Zeit für ihn habe. Thomas McNamara, du bist einfach genial. Das ist mit Abstand die beste Woche deines Lebens. Und da sage noch jemand, dass die Dreizehn Pech bringt. Ich würde mal eher sagen, die Dreizehn bringt Glück. Auch wenn ich nicht abergläubisch bin, aber fast finde ich es schon schade, dass heute nur Donnerstag, der Dreizehnte, ist und nicht Freitag, der Dreizehnte. Denn das wäre der perfekte Gegenbeweis gewesen.
Nach einem kleinen Snack zur Mittagszeit ging Thomas auf sein Zimmer, um kurz bei Philip anzurufen und ihn zu fragen, ob der schon den vollen Namen und die Telefonnummer von diesem Peter herausfinden konnte. Ferner wollte er Philip erzählen, dass alles wunderbar geklappt hatte und dass er Peter ausrichten sollte, wie sehr er sich freute, doch noch die Einladung auf die Yacht annehmen zu können.
Gerade als Thomas Philip anrufen wollte, klingelte das Telefon. Der Richter war einigermaßen überrascht, aber er beschloss, mal lieber abzunehmen. Der Immobilienmakler war am Apparat und meinte, er wolle Thomas noch etwas zukommen lassen, was er eben vergessen habe. Er würde jetzt sofort einen Boten losschicken, der in zwanzig Minuten bei Thomas im Hotel sein würde.
Der Richter meinte, er würde auf seinem Zimmer warten.
Weil gleich der Bote vorbeikommen würde, beschloss Thomas, sich eben umzuziehen für den Besuch bei Jeremiah. Er wollte nicht mit Schlips und Kragen dort auftauchen wie eben in dem Immobilienbüro. Außerdem konnte er besser Philip dann anrufen, wenn er die fehlenden Unterlagen bekommen hatte. Also zog er sich legere Kleidung an. Anschließend legte er sein Jeanshemd, das er statt einer Jacke mitnehmen wollte, neben sich auf das Bett. Die Autoschlüssel seines Mietwagens steckte er ein, ferner sein Portemonnaie mit etwas Geld, seinen Führerschein und die Kreditkarte. Seinen Reisepass aber ließ er lieber im Zimmersafe liegen, da war er sicherer. Schließlich brauchte er ihn ja erst morgen.
Kaum dass er fertig war, klingelte schon wieder das Telefon. Thomas war irritiert, weil er keine weiteren Anrufe erwartete, aber vielleicht war es etwas Wichtiges.
“Hallo, mein Schatz, hier ist Martha. Störe ich dich?!”
“Nein”, log Thomas und bemühte sich, einigermaßen freundlich zu klingen. Martha wollte nur mal hören, wie es ihm ginge und redete wie ein Wasserfall. Die Minuten verstrichen, und Martha erzählte und erzählte und erzählte. Thomas fragte sich, ob sie die Familie McNamara mit diesem Telefonat finanziell ruinieren oder ob sie die heimische Telefongesellschaft sanieren wollte. Schließlich beschloss er, sie abzuwürgen.
“Du Schatz”, unterbrach Thomas sie, “ich wollte gleich bei Jeremiah vorbeischauen. Habe mit ihm einen Termin gemacht und möchte nicht zu spät kommen.”
“Oh, das ist wunderbar”, freute sich Martha, “wie war er denn? Hat er sich gefreut oder war er abweisend?”
“Er war recht zugänglich”, log Thomas, denn er hatte Jeremiah ja gar nicht kontaktiert, “ich hoffe, dass alles glatt geht.”
“Das ist schön”, erwiderte sie, “ich wünsch dir alles Gute, und ich bete dafür, dass ihr euch versöhnen könnt.”
“Ja, danke, ich kann’s gebrauchen”, murmelte Thomas ziemlich genervt.
Das machte Martha dann doch misstrauisch.
“Thomas, es ist doch alles in Ordnung oder?”
“Ja, ja natürlich”, bestätigte der und gab sich sehr locker, “du brauchst dir wirklich keine Sorgen zu machen. Und schließlich betest du doch für Erfolg bei der Aktion. Dann muss es ja wohl klappen.”
Thomas hatte eben aufgelegt, als es auch schon an seiner Zimmertür summte. Er lugte kurz durch den Spion und sah einen Mann, der einen Umschlag in der Hand hielt.
Das wird der Bote sein, dachte er und öffnete.
Der Mann reichte ihm den Umschlag herein und verschwand wieder. Thomas ließ sich genüsslich auf sein Bett fallen, öffnete gespannt den Brief und zog ein Blatt Papier mit einem handschriftlich verfassten Text heraus. Als er die Nachricht las, blieb ihm fast das Herz stehen. Er rieb sich die Augen, als könne er es nicht glauben, was er da sah.
Allerdings schreckte er Sekunden später davon hoch, dass sich offenbar jemand an der Tür zu schaffen machte. Kaum dass er seinen Blick auf die Tür gerichtet hatte, wurde diese aufgestoßen, und herein stürmten zwei Polizisten, die ihre Revolver im Anschlag hatten und auf ihn richteten. Thomas hob instinktiv die Hände.
“Hola, Doctor McNamara”, meinte der eine, “das ist aber schön, dass wir Sie hier noch antreffen. Wir hatten nämlich schon befürchtet, dass Sie sich bereits aus dem Staub gemacht hätten, wie Sie das auch sonst immer tun, sobald Sie einen Deal unter Dach und Fach gebracht haben.”
Thomas hätte diesem Kerl am liebsten eine Standpauke gehalten und ihn angeschnauzt, wie er sich so eine Frechheit erlauben könnte, aber die Lage war wirklich ziemlich prekär für ihn. Also sagte er besser mal nichts und wartete ab. Der Kollege des Redners hatte inzwischen den Brief an sich genommen und präsentierte ihm diesen, indem er ihm das Blatt unter die Nase hielt.
“Sieh mal, was für ein nettes kleines Liebesbriefchen das hier ist”, fand er.
Der sah sich nun auch die Zeilen an. Für einen Augenblick war er dadurch abgelenkt. Thomas realisierte das sofort und nutzte die einzige Chance, die sich ihm bot. Blitzschnell packte er mit der einen Hand sein Jeanshemd und mit der anderen das Kopfkissen von der freien Seite des Doppelbettes. Dieses schleuderte er den beiden Polizisten an den Kopf, so dass die etwas benommen zurückwankten. Dann flüchtete er aus dem Zimmer und stürzte die Treppen hinunter.
Die zwei Männer nahmen zwar recht schnell die Verfolgung auf, aber in diesem großen Hotel war es relativ schwierig, jemanden zu stellen, weil es so viele Treppenaufgänge und Aufzüge gab. Das war Thomas’ Glück, weil er auf diese Weise noch vor seinen Verfolgern den Haupteingang des Hotels erreichte und schnell ins Auto springen konnte. Die beiden Polizisten sahen nur noch, wie er gerade mit quietschenden Reifen den Parkplatz verließ.
“Mierda”, schimpfte der eine, “jetzt ist er uns doch durch die Lappen gegangen.”
“Ach, weißt du, Antonio”, tröstete ihn der andere, “der kommt nicht weit. Vielleicht ist es sogar gut, dass er abhauen konnte. Das macht unsere Version umso glaubwürdiger. Bedenke, wir haben den ‘Liebesbrief’ mit seinen Fingerabdrücken drauf, und vor allen Dingen mit denen von unserem sehr wertgeschätzten Señor Miguel Ramírez. Natürlich sind auch unsere drauf, aber das tut nichts zur Sache. Niemand bei der hiesigen Polizei weiß, dass wir für einen kolumbianischen Plantagenbesitzer arbeiten, der mit seinen landwirtschaftlichen Produkten sehr viel Geld verdient. Wie clever von Miguel, dass er überall seine Informanten hat.”
“Da hast du auch wieder Recht, Ernesto”, pflichtete Antonio ihm bei, “aber wir sollten schnell unsere nichts ahnenden Kollegen anrufen und ihnen stecken, dass der Herr Richter auf der Flucht ist, weil wir ein sehr brisantes Dokument bei ihm gefunden haben.”
Daraufhin benachrichtigte Ernesto seine Kollegen bei der Polizei. Die leitete sofort eine Ringfahndung ein. Das war ja ein Ding. Der ehrenwerte Richter aus New York war das fehlende Glied in der Beweiskette. Er führte ein Doppelleben, arbeitete offiziell für die Gerichtsbarkeit, und inoffiziell machte er mit den Drogenbaronen aus Kolumbien Geschäfte. Was hätte auch sonst dafür der Grund sein können, dass ein Staatsbeamter wie Thomas McNamara sich derart für Immobilien in Venezuela interessierte und vielleicht sogar noch weiterempfehlen wollte? Denn obwohl er als Richter nicht gerade schlecht verdiente, so waren diese Immobilien eigentlich für ihn preislich eine Nummer zu groß. Das hatte den Makler, der natürlich im Auftrag der Mafia handelte, stutzig gemacht.
Und die Mafia reagierte sehr schnell. Zufällig war nämlich Miguel Ramírez, der wahrscheinlich ungekrönte König im Drogengeschäft, zurzeit gerade in Cumaná, was Thomas allerdings nicht wusste. Deshalb hatte er Thomas auch diesen “Liebesbrief” schreiben können mit folgendem Inhalt:
Lieber Thomas!
Ich freue mich außerordentlich, dass wir uns endlich mal persönlich kennenlernen können. Leider war ein Treffen ja aufgrund der Tatsache, dass wir vorsichtig sein wollten, bisher nicht möglich. Wie schön, dass du unter dem Vorwand, eine persönliche Angelegenheit regeln zu müssen, vor Ort sein kannst. Wir werden natürlich über weitere Investitionen in Immobilien reden, aber ich denke, wir sollten uns auch einfach mal einen netten Abend zusammen machen. Komm doch heute Abend in das kleine Restaurant, das dem Immobilienbüro gegenüber liegt. Dort erwartet dich ein Taxifahrer, der angewiesen ist, dich in meine bescheidene Villa in der Nähe des Strandes zu bringen. Ich freue mich auf dich. Herzlichst... Dein Miguel.
Kein Wunder, dass es Thomas heiß und kalt geworden war, als er diese Zeilen las. Und ihm war auch klar, dass Ramírez irgendwie über den Immobilienmakler informiert worden sein musste.
Der Makler hatte sofort Kontakt zu dem Drogenbaron aufgenommen, und der hatte umgehend Informationen eingeholt, warum sich McNamara in Venezuela befand. Thomas’ Sekretärinnen waren von ihm angewiesen worden, als einzige Erklärung für die Reise nach Südamerika anzugeben, es handele sich um eine persönliche Angelegenheit. Anschließend hatte Ramírez diesen Brief verfasst, wobei er bewusst darauf geachtet hatte, dass sich seine Fingerabdrücke auf dem Papier befanden. Die waren der Polizei nämlich wohlbekannt. Dann hatte er zuerst den Boten mit dem Brief zu Thomas geschickt, nachdem er sich vergewissert hatte, dass der Richter auch wirklich auf seinem Zimmer sein würde. Anschließend sollten die beiden falschen Polizisten Thomas gefangennehmen, sobald der den Brief gelesen hatte und auch seine Fingerabdrücke auf dem Papier waren. Ursprünglich hatten Ernesto und Antonio Anweisung, den Richter in Untersuchungshaft zu stecken, wo ihn dann die Handlanger von Miguel raushauen sollten - schließlich lässt man Freunde nicht in der Patsche sitzen. Anschließend sollte er auf Miguels Landsitz in Kolumbien gebracht werden, wo der ihn in einen extra für den Juristen hergerichteten Kerker stecken wollte mit einem Messingschild darüber, auf dem “Dr. Thomas McNamara, Vorsitzender Richter des Obersten Gerichtshofs von New York City” stand. Und dort würde Thomas eine Menge Zeit zum Nachdenken haben, denn Miguel wollte ihn nicht umbringen, sondern nur die Informationen aus ihm herausquetschen, die er von seinem Erzfeind haben wollte, ganz besonders aber auch den Grund für Thomas’ Reise nach Venezuela. Anschließend hatte er vor, den Richter geschickt zurück in die Hände der Polizei zu spielen, und zwar der richtigen Polizei. Die besaß ja den Brief, und außerdem wollte Miguel der Gerichtsbarkeit noch einige andere hieb- und stichfeste Beweise unterjubeln, so dass Thomas keinerlei Chancen haben würde, seine Unschuld zu beweisen. Auf diese Weise würde der vorsitzende Richter des Obersten Gerichtshofs von New York City für den Rest seines Lebens genau dorthin wandern, wo er zuvor seine Angeklagten hingeschickt hatte, nämlich ins Gefängnis. Und das würde für ihn - mal ganz abgesehen von dieser entsetzlichen Demütigung und Ungerechtigkeit, weil er ja unschuldig im Gefängnis saß - ein schrecklicher Spießrutenlauf werden, denn die Männer, die er in den Knast gebracht hatte, würden bei jeder Gelegenheit, die sich ihnen bot, es ihm heimzahlen. Von daher war Miguels Idee, dafür zu sorgen, dass sein Erzfeind unschuldig ins Gefängnis kam, ein noch größerer Triumph für ihn, als wenn er ihn zur Strecke gebracht und getötet hätte. Denn Gefängnis würde für Thomas noch viel schlimmer sein als der Tod.
Thomas fuhr zunächst wie der Teufel. Nur weg! Als er aber bemerkte, dass ihm niemand folgte, mäßigte er seinen Fahrstil, um nicht unnötig Aufmerksamkeit zu erregen und wandte sich nach Osten. Allerdings bog er schon bald in einen Feldweg ab, wo er hinter einer Mauer anhielt, denn er wollte nachdenken.
Okay, Thomas, überlegte er, du hast einen fatalen Fehler gemacht, also mach jetzt nicht noch einen. Die Schlinge liegt eigentlich schon so eng um deinen Hals, dass es im Prinzip gar keine Möglichkeit mehr gibt, ihn da wieder raus zu ziehen. Natürlich waren diese Polizisten Handlanger von Ramírez. Aber sie hatten Polizeiuniformen an. Das bedeutet, dass Ramírez eigene Leute bei der Polizei eingeschleust hat. Damit habe ich jetzt nicht nur die Drogenmafia, sondern auch die Polizei am Hals. Das ist ja absolut bezaubernd. Egal wer mich einkassiert, es wird immer mein Verderben sein, denn ich lande früher oder später in den Händen von Miguel Ramírez, meinem Erzfeind. Obendrein wusste der, dass ich in einer persönlichen Angelegenheit hier unten bin. Wahrscheinlich hat er das über meine Sekretärinnen herausgekriegt. Und der Immobilienmakler hat ihm gesagt, in welchem Hotel ich mich befinde. Ein Glück, dass ich Sally und Maggie verboten habe zu erzählen, dass ich mich mit Jeremiah versöhnen will. Und offensichtlich haben sie sich auch an die Anweisung gehalten, weil Miguel das sonst bestimmt in seinem “Liebesbrief” erwähnt hätte. Das bedeutet, dass meine Gegner vielleicht gar nicht wissen, dass ich einen Bruder habe und dass der obendrein noch in Venezuela wohnt. Außerdem hat Ramírez wohl sehr spontan gehandelt, denn er hat mich ja in Zusammenarbeit mit dem Makler gelinkt. Das bedeutet wiederum, dass ich sie auch überrascht haben muss mit meinem Besuch vor Ort. Und damit wissen die wahrscheinlich gar nicht, dass ich sehr brisantes Beweismaterial habe, was ich gegen sie verwenden kann. Hm, wenn Ramírez mich wirklich liquidieren will, kann Philip diese Schweinehunde immer noch rankriegen. Aber ich befürchte, dass Ramírez mich gar nicht töten, sondern mich “interviewen” will. Und auf so ein “Interview” bin ich nicht gerade scharf, denn ich bin mir nicht sicher, wie lange ich durchhalte, wenn er mich foltert. Dann ist das Beweismaterial nichts mehr wert, und obendrein wird er sich meine Verbündeten in den Staaten vorknöpfen. Oh weh, das ist ja im Prinzip noch schlimmer, als wenn dieser Drecksack mich nur liquidieren wollen würde. Tja, falls er mich doch stellt, heißt der einzige Ausweg für mich Selbstmord. Denn nur so kann ich ihn dann doch noch zur Strecke bringen und das Leben der anderen Beteiligten retten. Na klasse, so hatte ich mir diese Aktion eigentlich nicht vorgestellt. Okay, und jetzt überleg, alter Junge, was du als Nächstes machst.
Thomas legte den Kopf in den Nacken und fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht.
Scheiße, Scheiße, Scheiße, dachte er, was für ein Elend. Okay, Gott, ich mach mit dir einen Deal. Wenn du mich hier lebend wieder herausholst, ohne dass Ramírez mich gekriegt hat, dann schenk ich Sally und Maggie eine Kaffeemaschine und das nötige Pulver, so dass sie nie wieder selbst welches kaufen müssen. Und sie dürfen auch so viel Kaffee auf der Arbeit trinken, wie sie wollen.
Noch während er das dachte, fand Thomas diese Idee total lächerlich. Das hörte sich ja fast so an wie bei einem Prozess im Gericht, wo man, um überhaupt zu einer Lösung zu kommen, Zugeständnisse machte.
Als wenn man mit Gott pokern könnte, dachte Thomas verärgert über sich selbst, das ist ja wohl das Letzte (Doch, man kann. (Die Bibel, Altes Testament, abgekürzt AT, Buch Richter, Kap. 10, Vers 15). Allerdings sollte man es nicht so weit kommen lassen, weil man dann meistens ziemlich in der Patsche sitzt, wenn diese Methode die einzige Rettung ist.). Oh Mann, bin ich mit den Nerven runter. Und eigentlich wollte ich heute Nachmittag Jeremiah besuchen.
Aber dann durchzuckte es ihn wie ein Blitz.
Jeremiah besuchen, dachte Thomas, und sein Gesicht hellte sich auf, das ist wahrscheinlich die Rettung, wenn es denn überhaupt eine gibt. Ich muss ihn ja nicht einweihen. Der kleine Bruder soll mich einfach nur außer Landes bringen. Wie schön, dass er einen Bootsverleih hat. Das ist doch eine geniale Chance für ihn, mir mal was Gutes zu tun. Dafür werde ich ihm bestimmt auf ewig dankbar sein. Denn wenn ich zurück in die Staaten kommen könnte, wird es schon wesentlich einfacher werden zu beweisen, dass ich gelinkt wurde.
Thomas war sehr froh, dass er sich kurz vor dem Mittagessen noch angeschaut hatte, wie er fahren musste, um nach San Juan de las Galdonas zu kommen. Zum Glück war er schon fast auf dem Weg dorthin, denn der Ort lag im Osten von Venezuela.
Als er an Carúpano vorbei war und Richtung Rio Caribe fuhr, bemerkte er, dass die Polizei damit begann, Fahrzeuge zu kontrollieren. Einmal konnte er gerade eben noch einen solchen Kontrollpunkt umgehen, aber er wusste, dass er beim nächsten Mal möglicherweise weniger Glück haben würde. Deshalb beschloss er, das Fluchtfahrzeug zu wechseln.
Wenn dieser Bus doch nicht so langsam kriechen würde, dachte er ungeduldig.
Und dann machte es “klick” bei ihm. Der Bus! Er würde einfach mit dem Linienbus weiterfahren. Er überholte bei der nächstbesten Gelegenheit den Bus.
Glück muss der Mensch haben, dachte Thomas, der Bus fährt nach San Juan de las Galdonas.
Den Bus im Visier behaltend fuhr Thomas voraus und spähte die Straßenränder nach einer Bushaltestelle ab. Da, dort vorn warteten Leute. Er parkte den Wagen in einer Seitenstraße und vergewisserte sich, dass der Bus auch wirklich hielt. Dann eilte zu dem Bus hinüber.
“San Juan de las Galdonas!”, meinte Thomas, bezahlte und ließ sich auf einen der freien Plätze fallen.
Der Bus zuckelte die staubigen Straßen entlang, und Thomas hatte das Gefühl, dass er nie am Ziel ankäme. Aber irgendwann sah er doch das Ortsschild und war erleichtert. In der Ortsmitte stieg er aus und sah sich suchend um. Er entdeckte aber recht schnell ein Hinweisschild, auf dem “Playa” stand.
Na, dann werde ich mich mal zum “Anwesen” meines lieben Herrn Bruders begeben, murrte er innerlich, der ja keine weitere Angabe in seiner Adresse als “Playa grande No.18” benötigt. Womöglich ist der hier so bekannt wie ein bunter Hund. Oh weh, hoffentlich geht das alles gut.
Allerdings fand er nur Fischer am Strand vor und Badegäste. Keinen Jeremiah. Schließlich beschloss er, mal einen der Fischer zu fragen.
Und wie das Leben nun mal so spielt, geriet er ausgerechnet an Eugenio, der am Tag zuvor das Foto von ihm gesehen hatte.
“Pérdon”, versuchte sich Thomas auf Spanisch zu verständigen, “donde esta Jeremiah McNamara?” (Entschuldigung, wo ist Jeremiah McNamara?)
Hoffentlich versteht er mich, dachte Thomas, oder besser gesagt, hoffentlich verstehe ich ihn. Denn das bisschen Spanisch, das ich kann, reicht vielleicht nicht, wenn er jetzt in einem Wahnsinnstempo antwortet. Warum hab ich nur Französisch und Latein vernünftig gelernt und auf Spanisch nicht sonderlich viel Wert gelegt!
Eugenio beäugte den Fremden ein wenig kritisch und antwortete nicht sofort. Thomas wurde unruhig, weil er befürchtete, dass man auch schon hier nach ihm suchen würde und kramte in seiner Brieftasche, weil er hoffte, dass sich in irgendeinem wenig genutzten Fach ein Foto von seinem Bruder befinden könnte. Aber Fehlanzeige!
Kein Wunder, dachte er, das hätte ja auch nur unnötig Platz weggenommen.
Eugenio beobachtete das Kramen seines Gegenübers mit Belustigung und meinte schließlich in nicht besonders gutem Englisch: “Sie Thomas, nicht?”
Thomas starrte Eugenio an, als habe der ihm gerade einen ganz grandiosen Zaubertrick vorgeführt. Aber gleichzeitig bekam er es auch mit der Angst zu tun.
“Wieso, wieso kennen Sie mich?”
“Ich gesehen Foto von Ihnen gestern”, erklärte Eugenio, “Bruder dort drüben.”
Eugenio deutete über den Strand zu einer Hütte, die Thomas nur schemenhaft in einer kleinen Bucht erkennen konnte.
“Sie gehen zu Bootsverleih. Solimár dort.”
“Solimár?!”, fragte Thomas ungläubig und zog die Augenbrauen hoch, “ist das der Name seiner Firma?”
“Ist Spitzname und Name von Firma. Aber sein lieb zu ihm, er gestern sehr wütend auf Sie, als ich gefragt ihn, wer Mann auf Foto.”
“Ja, ja, ich werde lieb sein”, antwortete Thomas wie durch einen Nebel, “und vielen Dank noch...”
“Okay, Señor”, erwiderte Eugenio und blickte dem Amerikaner versonnen hinterher, der sich auf den Weg zu der Hütte gemacht hatte.
Oh weh, dachte er, hoffentlich geht das gut. Wenn ich daran denke, wie sehr sich Solimár gestern schon wegen des Fotos aufgeregt hat, wird er nicht gerade begeistert sein, wenn sein Bruder leibhaftig vor ihm steht.