Читать книгу Scarlett Taylor - Stefanie Purle - Страница 8
Kapitel 6
Оглавление„Das gibt’s doch nicht!“, flüstert Chris und blickt sich um.
Um uns herum sind Stapel von Büchern, die sich vor noch größeren, übervollen Bücherregalen türmen. Inmitten einiger dieser Stapel steht ein uralter Globus, in einer anderen Ecke ist eine nackte männliche Marmorstatue und in wieder einem anderen Bereich befindet sich ein leerer, mannshoher, goldener Vogelkäfig.
„Wo sind wir hier?“, frage ich leise, obwohl ich bereits weiß, dass Chris die Antwort auch nicht kennen kann.
Es ist wirklich unfassbar. Vor einer Stunde waren wir noch im Wald vor Chris´ Haus, dann plötzlich in Australien, und nun in einem unbekannten Raum mitten im Nirgendwo. Selbst Chris, der als Mannwolf schon Einblicke in die weiße und schwarze Magie bekommen durfte, ist absolut überwältigt. Zwar weiß er, wozu Fletcher als weiße Hexe fähig ist, aber das ist nichts im Vergleich zu dem, was wir gerade erleben dürfen.
„Keine Ahnung“, sagt Chris und greift nach einem der Bücher von den unzähligen Stapeln. „Katzenminze – Wirkung und Fluch“, liest er vom Buchdeckel ab.
Ich nehme eines der anderen Bücher in die Hände. „Fortpflanzung der Meerwesen“, lese ich und klappe das Buch auf. Auf einer Seite ist die Zeichnung einer schwangeren Meerjungfrau zu sehen, auf einer anderen das Bild eines Oktopus-ähnlichen Wesens mit dem Körper einer Seekuh. „Das müssen Robertas Bücher sein! Meerwesen und Kräuter gehören zur weißen Magie.“
Chris nickt und legt das Buch über die Katzenminze zurück auf den taumelnden Stapel. „Und aufgrund der Vielzahl der Bücher, wette ich, dass es sich um die königliche Hexenbücherei handelt.“
Noch immer staunend nicke ich und lese vereinzelt die Titel von den Buchrücken ab. „Feen, Elfen und ihre Unterarten, Tierkommunikation, die Seelen der Bäume und wie man sie ruft.“ Mit funkelnden Augen blicke ich in Chris´ gebanntes Gesicht. „Ich hätte gerne eine Kopie von jedem dieser Bücher.“
Er grinst, doch ein Fingerschnipsen lässt seine Miene erstarren.
„Können Sie haben, Eure Hoheit!“
Ruckartig drehe ich mich um und kann meinen Augen kaum trauen, als ich meine Tante Roberta quicklebendig hinter ein paar Stapel Bücher entdecke. Ihre schmalen Augen funkeln und die runden Wangen hüpfen vor Lachen. Ungestüm haste ich um die Bücherstapel herum und schließe ihren massiven Körper in meine Arme.
„Kindchen, warum denn so wild?“, fragt sie lachend und kneift in eine Speckfalte an meinem Bauch. „Ein bisschen zugenommen hast du. Steht dir!“ Sie sieht mir grinsend ins Gesicht, doch als die Tränen der Erleichterung von meinen Wangen kullern, verlässt das Lächeln ihre Lippen und wechselt zu einer sorgenvollen Miene. „Hat die zukünftige Scarlett dir nicht ausgerichtet, dass ich wohlauf bin?“
Ich schlucke und dränge vergeblich den Kloß in meinem Hals zurück. „Doch... Aber alle sagten, du seist tot!“, antworte ich und senke bei dem schmerzvollen Gedanken den Blick
Sie packt mich bei den Schultern und zwingt mich, sie anzusehen. „Wenn du nicht dir selbst glaubst, wem kannst du dann glauben?“, sagt sie ernst und schüttelt unverständlich mit dem Kopf. „Also wirklich!“
„Hallo Roberta, schön dich wiederzusehen“, sagt Chris hinter mir und Roberta schubst mich unsanft zur Seite.
„Hallöchen, junger Mann!“, flötet sie und breitet die Arme aus, während sie Chris von oben bis unten mustert. „Gut schaust du aus!“
Chris lacht und merkt schnell, dass er mit einem einfachen Händeschütteln nicht aus der Nummer herauskommt. Also ergibt er sich und legt die Arme um ihre Schultern. Sie schmiegt ihre Wange an seine Brust und sieht mich verzückt an.
„Ein herrlicher Mann“, meint sie und streicht über seine Oberarme.
Ich stemme die Fäuste gespielt in die Hüfte und räuspere mich. „Ja, und er ist meiner!“
Roberta blickt an Chris hoch, der die Umarmung bereits gelöst hat und sieht ihn ernst an. „Deine Gefährtin macht sich Sorgen, du könntest ihr abhandenkommen. Deswegen lass uns eines gleich klarstellen: Du kannst mich nicht haben!“
Chris verfällt in schallendes Gelächter, während ich erst geschockt den Mund aufklappe, bevor ich unfreiwillig in Chris´ Lachen miteinstimme.
Roberta dreht sich um und läuft mit wackelnden Hüften durch den Raum, während sie uns mit einem gekrümmten Zeigefinger zu verstehen gibt, dass wir ihr folgen sollen.
Wir laufen ihr im Zickzack durch die Bücherei hinterher. Sie drückt leichthändig ein Bücherregal in die Wand und öffnet somit eine geheime Tür, die in einen pompösen Flur führt. Ein langer roter Teppich verläuft auf dem sich vor uns ausbreitenden weißen Marmorboden. Alle paar Meter stehen kleine Tische mit bunten Blumen in Kristallvasen darauf, und an den Wänden hängen Bilder von halbnackten Männern, die sich auf Samtdecken oder unter Obstbäumen räkeln.
Niemals hätte ich gedacht, dass eine schroffe Person wie Roberta, so wohnt! Allerdings habe ich sie auch nur kurz kennengelernt und da war sie immer auf der Hut vor ihrem Bruder, dem schwarzen König. Wenn ich nun so hinter ihr hergehe, die sich wiegenden Lagen ihrer mehrschichtigen Gewänder um ihren voluminösen Körper betrachte, fällt mir auf, dass ich sie eigentlich so gut wie gar nicht kenne. Umso erleichterter bin ich, dass ich nun doch noch die Chance dazu bekommen habe.
Sie führt uns durch eine geräumige Küche hinaus in einen Garten, wo sie uns einen Platz auf einem der breiten weißen Holzstühle unter dem Birnenbaum anbietet. Als ich das satte Grass, die Vielfalt der Blumen und die kühle Brise rieche und sehe, frage ich sie, wo wir uns befinden.
„Das hier, mein Kindchen, ist mein Zuhause. Wir befinden uns im England des 17. Jahrhunderts, allerdings mit ein paar kleinen Zusätzen und Annehmlichkeiten des 21. Jahrhunderts. Man will es ja bequem haben“, sagt sie und zwinkert mir zu. Dann breitet sie die Arme aus und blickt zurück auf ihr Schloss. „Willkommen in meinem kleinen Cottage!“
„Cottage“, spotte ich lachend und drehe mich um. Doch anstelle eines riesigen Schlosses, wie es von innen noch den Anschein hatte, sehe ich wirklich nur ein kleines Cottage. Die Wände sind aus hellgrauen Klinkersteinen, dass Dach aus dunklem Schilf und alles drum herum ist mit Rosen, Iris und Veilchen bepflanzt. „Aber... Ist das nicht ein Imagezauber?“
Roberta schüttelt den Kopf und setzt sich zu uns an den runden Tisch. „Nein, ein Imagezauber wäre es, wenn ich schwarze Magie benutzt hätte. Habe ich aber nicht, da ich eine weiße Hexe bin.“
„Weiße Hexen können Imagezauber vollbringen?“
Sie schnalzt abfällig mit der Zunge. „Hast du denn die Bücher nicht gelesen, die die zukünftige Scarlett dir gegeben hat?“
„Doch, aber noch nicht alle“, gebe ich etwas kleinlaut zu.
„Wieso nicht?“
„Na, weil es ziemlich viele sind!“
Roberta beginnt zu lachen. „Du liest noch wie ein Mensch?“, will sie wissen und hält sich kichernd die Hand vor den Mund.
„Natürlich, wie sollte ich denn bitte sonst lesen?“
„Wie ein königliches Hexenblut, natürlich!“
Verwirrt schüttle ich mit dem Kopf. „Und wo ist der Unterschied?“
„Wenn die Geistwesen dir untertänig sind - und das sind sie nur, wenn du eine gute weiße Hexe bist - dann brauchst du bloß das Buch in den Händen halten und darum bitten, dass dir das darin enthaltene Wissen übermittelt wird.“
Schon wieder klappt mir die Kinnlade herunter. „Diese Fähigkeit hätte ich in der Schulzeit gut gebrauchen können.“
„Tja“, sagt sie und zuckt mit den Schultern. „Besser spät, als nie... Also nein, es ist kein Imagezauber, aber der Effekt ist derselbe, bloß das dieser Zauber mit dem Einverständnis und der Hilfe der Geistwesen und der Natur stattfindet.“ Wieder lacht sie, aber diesmal mit einem spöttischen Unterton. „Und dies muss ich der amtierenden weißen Königin erklären.“
Beschämt senke ich den Blick. Es ist nicht meine Schuld, dass ich von alledem keine Ahnung habe. Hätte mein Vater mit dem Fluch nicht verhindert, dass mir jemand von der magischen Welt erzählt, hätte ich nicht 27 Jahre in Unwissenheit gelebt.
Ich atme die Verlegenheit mit einem Seufzer weg und lege die Hände auf die Knie. „Roberta, auch auf die Gefahr hin, dass dich meine Unwissenheit wieder zum Lachen bringt, muss ich dir jetzt eine Frage stellen: Warum lebst du, obwohl wir alle gesehen haben, wie der schwarze König dich getötet hat?“
Sie streckt die Beine aus und faltet die Hände vor ihrem ausladenden Bauch. Auch Chris lehnt sich gebannt zurück und wartet ihre Antwort ab, mit der sie sich aus purem Vergnügung und zur Aufrechterhaltung der Spannung Zeit lässt.
„Es ist so, Scarlett... Was dein Vater kann, das kann ich schon lange. Er lebte die letzten Jahrhunderte als Illusion seiner Selbst. Genauso habe ich es auch getan. Die Male, die wir uns trafen, hattest du es mit einer Illusion von mir zu tun, die ich von hier aus gesteuert habe“, erklärt sie und deutet auf ihr Umfeld. „Mein wahres Ich war die ganze Zeit hier. Wenn ich in der wirklichen Welt auftauchte, nachdem ich geflohen war, tat ich es nur als Illusion meiner selbst.“
Ich lasse diese Information sacken. Für jemanden wie mich, für den die Magie noch ganz neu ist, klingt das äußerst kompliziert und verwirrend. „Aber jetzt bist du keine Illusion, oder?“
„Nein. Jetzt siehst du mich in meiner ganzen wahren Pracht vor dir.“
Noch immer verwirrt reibe ich über meine Stirn. „Und wenn die Illusion getötet wird, stirbt die Hexe nicht?“
„Genau. Eine Illusion kann nicht getötet werden.“
Chris schnellt nach vorn und beugt sich zu Roberta. „Heißt das, der schwarze König ist also auch noch am Leben?“
Sie seufzt lang und ausgiebig, wobei sie von mir zu Chris schaut. „Und das ist mal eine Frage, die ich euch nicht klar beantworten kann. Ich weiß es nicht.“