Читать книгу Weil du so schön bist... - Stefanie Rock - Страница 12
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Оглавление„Komm rein mein Lenchen“, begrüßte ihre Mutter sie an der Haustür, „das Essen steht schon fast auf dem Tisch.“
Rita war eine herzensgute Frau Ende 50 und das Organisationstalent der Familie. Sie war eine begnadete Köchin und versorgte die halbe Nachbarschaft mit delikaten und exquisiten Speisen aller Art. Jeden ersten Freitag im Monat gab sie ihr Talent zum Besten. Nicht, weil sie das Lob brauchte, nein, sie tat es einfach gerne. Sie mochte den Tumult in Ihrem Haus. Es war Ihr ein Vergnügen liebe Menschen zu verwöhnen und mit Ihrem größten Hobby zu beeindrucken. Rita war schon vor einiger Zeit in Rente gegangen. Sie hatte das große Glück, viele Jahre ihren Traumjob ausüben zu können. Über 30 Jahre bestand ihre Aufgabe darin, alte Kunstwerke zu restaurieren und ihnen wieder neues Leben einzuhauchen. Aber mit der Zeit wurden ihre Augen schlechter, die Hände unruhiger und sie musste ihren Job aufgeben. Am Anfang fiel ihr es sehr schwer, damit klar zu kommen. Aber von Monat zu Monat bemerkte sie, dass sie jetzt so viel Zeit für andere, neue Dinge hatte. Sie besuchte Bastel-und Handwerkskurse und blühte wieder auf, aber das Kochen hatte es ihr im Endeffekt am meisten angetan. Wie immer, wenn Lena ihre Eltern besuchte, lag ihr Vater mit ausgestreckten Beinen auf dem Sofa und guckte irgendeine Tierdokumentation im Fernsehen. Lilablaue Quallen schwammen gelangweilt und einsam auf dem großen LCD Gerät rum, auf das ihr Vater besonders stolz war.
„Hi Dad, heute also Quallen, ja?“ Peter zuckte leicht zusammen als er seine Tochter erblickte.
„Ach Lenchen, jetzt war ich so vertieft…Quallen sind tolle Tiere, anmutig und voller Gelassenheit. Die schwimmen den ganzen Tag so geschmeidig im Meer und sind einfach wunderschön.“
„Dad, ich habe mal gelesen, dass es eine Quallenart gibt, die sich irgendwo niederlässt und ihr restliches Leben damit verbringt, ihr Gehirn zu verdauen. Das ist wahnsinnig anmutig!“
„Wo hast du denn das gelesen?“ Peter runzelte die Stirn.
„Ehm, das habe ich aus dieser App, -Unnützes Wissen-, da stehen ab und an wirklich lustige Dinge drin.“
„Ja, so ein Quatsch, wer sich sowas ausdenkt, sowas braucht doch keiner.“ Kopfschüttelnd verließ Peter das Wohnzimmer.
„Na, egal, ob das stimmt oder nicht. Ich finde Quallen trotzdem nicht anmutig, vor allem nicht, wenn sie stechen oder mir am Strand zwischen die Zehen flutschen. Das ist einfach nur ekelig!“
Lena folgte ihrem Vater in die Küche und nahm drei Gläser aus dem Schrank. „Quallen stechen nicht Kind, trotzdem magst du Recht haben, dass es ordentlich brennen kann, wenn man sie berührt. Bei einigen Arten von Quallen kann sogar nur die Berührung der Tentakel zum Tode führen.“
„So, genug jetzt von tödlichen Quallen“, schritt Rita ein, „das ist kein schönes Thema beim Abendessen. Lenchen, sag uns lieber, wie es dir geht.“
Lena nahm sich die Schüssel und schaufelte zwei voll beladene Löffel Kartoffeln auf ihren Teller. Es gab heute ihr Lieblingsgericht- auch wenn ihre Mutter sicher viel mehr drauf hatte- Gulasch mit Kartoffeln war das leckerste auf Erden. Für Peter gab es extra Klöße, er konnte es absolut nicht verstehen, wie man dazu Kartoffeln essen konnte. Zum Nachtisch gab es selbstgemachtes Vanilleeis mit heißen Kirschen und einer total leckeren Bourbon-Sahne, die ihre Mutter unter ständigem Schlagen bearbeitet hatte. Rita hatte wirklich Ausdauer in der Küche und Lena hätte auch die Sahne aus der Sprühdose nicht verschmäht, aber so etwas Feines bekam man nicht alle Tage. Also inhalierte sie genüsslich ihr Dessert und verlangte sofort eine zweite Portion.
Etwas später saß Lena in eine Decke eingekuschelt vor dem Fernseher und nippte an ihrem noch heißen Tee. Peter saß neben ihr und versuchte die Zeitung wieder ordentlich zusammenzufalten. Rita räumte die letzten Teller in die Spülmaschine und gesellte sich mit zwei weiteren Tassen Tee zu ihnen an den Couchtisch.
„Ich hoffe so sehr, dass dieser Mann gefasst wird, wobei man sich ja denken kann, dass das fast nicht möglich sein wird.“ Lenas Mutter seufzte und schaute traurig ihre Tochter an.
„Ja, weil die Polizei keine Ahnung hat, wie man mit solchen Typen umzugehen hat.“ Schaltete sich ihr Vater dazwischen.
„Ach Dad, nun lass doch mal die Polizei in Ruhe, die tun doch ihr Bestes, der Typ hatte eine Maske auf. Wie sollte die Polizei deiner Meinung nach einen maskierten Mann suchen, der nur einen Schal hinterlassen hat.“
„Ach ich weiß doch auch nicht“, antwortete Peter mürrisch, „es ist nur diese Hilflosigkeit, ich sitze hier zu Hause rum und kann nichts machen.“
„Peterchen, was könntest du schon ausrichten. Es wird immer gefährlicher auf den Straßen und du bist ein alter Mann. Diese Kriminellen machen auch keinen Halt vor dir.“
„Alter Mann? Na du bist ja wieder charmant zu deinem Ehemann,“ spottete Peter kopfschüttelnd vor sich hin,
„Mich alten Mann sollte man nur versuchen zu überfallen, der würde sein blaues Wunder erleben.“
Lena hörte der Unterhaltung ihrer Eltern nur noch halb zu, sie war in ihre eigenen Gedanken vertieft. Ihre Mutter hatte Recht. Die Polizei würde den Angreifer niemals finden. So direkt hatte sie darüber seit dem Vorfall noch gar nicht nachgedacht. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass dieser Mann weiter frei auf den Straßen herumlaufen würde. Lena dachte kurz nach, sie war sich sicher, heute war der erste Tag an dem sie um diese Uhrzeit noch unterwegs war. Alleine.
Lena suchte nach einer Uhr im Wohnzimmer ihrer Eltern, in dem Moment vernahm sie leise aus dem Fernseher die übliche Titelmelodie der Tagesschau.
20.00 Uhr also, dachte Lena.
Ihr Blick ging zum Fenster, es war schon dunkel draußen.
Es war Ende Februar und Lena wünschte sich ad hoc den Sommer herbei, dann wäre es noch hell und sie müsste sich keine Gedanken darüber machen, wie sie sich wohl auf dem Heimweg fühlen würde. Der Nachrichtensprecher erzählte gerade etwas über eine vermisste Person, der Fernseher war zwar sehr leise eingestellt, aber die Personenangaben, die auf dem Bildschirm auftauchten, gaben ihr die Bestätigung. Auf dem folgenden Foto wurde eine blonde Frau gezeigt, darunter stand eine Telefonnummer bei der man sich melden solle, falls man Hinweise zum Vermisstenfall hatte. Kurz verweilte Lenas Blick auf dem Foto, im ersten Moment kam sie ihr irgendwie bekannt vor, im nächsten wurde das Bild durch den Nachrichtensprecher ersetzt und Lena war sich sicher, sich geirrt zu haben. Sie hatte von der Personenangabe nur noch flüchtig den Vornamen im Kopf.
M…Ma…Marion Irgendwas. Nein, ich kenne keine Marion.
Ihr Vater holte Lena wieder zurück ins Geschehen.
„Lenchen, du siehst müde aus, soll ich dich nach Hause fahren?“
„Du kannst auch bei uns schlafen“, rief ihre Mutter aus der Küche.
Lena streckte sich um Zeit zu gewinnen, sie war noch halb in ihren Gedanken gefangen und wusste nicht so recht, was sie davon halten sollte. Ihr Vater würde sie zwar Jederzeit nach Hause fahren, wenn sie ihn darum bitten würde, aber Lena fuhr eigentlich gerne mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Außerdem war sie fast 30 Jahre alt und brauchte keinen Chauffeur. Vor allem nicht für eine 20-minütige Busfahrt. Aber unter diesen Umständen kam ihr das Angebot ihres Vaters gar nicht so verkehrt vor.
„Ja, Dad, wäre lieb, wenn du mich nach Hause fährst und Mum, danke, aber du kennst mich doch, ich schlafe doch lieber in meinem eigenen Bett, außerdem muss ich doch morgen wieder früh aufstehen.“
„Das finde ich im Übrigen nicht so gut, dass du dich gleich wieder in die Arbeit stürzt“, sagte Peter fast schon tadelnd.
„Ach ja, das wollte ich ja noch mit dir besprechen Papa.“
Lena stand im Türrahmen und schaute ihren Vater streng an.
„Ich kann wirklich verstehen, dass ihr euch Sorgen macht, aber mir tut die Arbeit gut und vor allem lenkt sie mich ab. Aber ich bitte dich, lass Carsten in Ruhe.“
„Was ist denn mit Carsten?“ Peters Augen bekamen ein leichtes Funkeln.
„Dad, bitte, ich meine es ernst, höre auf meinem Chef,“ Lena betonte das Wort „Chef“ extra stärker, „Anweisungen zu geben, wie und wann ich, wie lange zu arbeiten habe.“
„Ich habe Carsten keine Anweisungen gegeben.“
Peter wand den Blick von seiner Tochter ab, um sich die Jacke anzuziehen und sein Schmunzeln, das seine Lippen umspielte, vor Lena zu verbergen.
„Papa, ich merke es, wenn du lügst, guck mich mal an.“
Peter reagierte nicht sofort.
„Ja okay, ich habe es verstanden, ich halte mich da raus. Du hast ja recht, er ist dein Chef und es ist nicht meine Aufgabe ihm Anweisungen zu geben, dass er dich entlasten soll.“
„Danke Papa.“
Lena nahm ihre Tasche von der kleinen Bank im Flur und drückte ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange. Mit einer festen Umarmung erwiderte Rita die herzliche Geste und drückte ihr eine Tüte mit Tupper-Behältern in die Hand.
„Damit du morgen etwas Leckeres zu Essen hast, mein Lenchen.“
Mit einem zweiten Kuss bedankte sich Lena und verschwand durch die Tür.