Читать книгу Vampirmächte - Stefanie Worbs - Страница 12

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Ihre beiden Freunde saßen wie immer an dem langen Esstisch und Raven stolzierte darauf herum. Als Hayley Memphis bemerkte, schnalzte sie mit der Zunge und der Rabe flog auf den Kaminsims. Memphis ignorierte Raves Fehltritt diesmal, führte Lilly zu ihrem Platz, zog ihr den Stuhl zurück und setzte sich, nachdem sie saß, wieder neben sie. Ein forschender Blick in die Gesichter von Denniz und Hayley zeigte Lilly ein freches, wissendes Grinsen und einen besorgten Blick. Also hatte Denniz mehr mitbekommen, als er sollte. Allerdings verkniff er sich irgendwelche Sprüche, zumindest für den Moment.

„Was hat Raven rausgefunden?“, fragte Memphis schließlich.

„Du hattest recht. Er ist hier.“ Hayleys Stimme war leise. Memphis lehnte sich zurück und vergrub das Gesicht in den Händen.

„Was machen wir jetzt?“, fragte nun Lilly in die folgende Stille.

Lange antwortete niemand, dann ergriff Denniz das Wort. „Was können wir machen, ist die bessere Frage. Wo ist er denn? Weiß er, wo wir wohnen? Wie hat er uns gefunden?“

Hayley antwortete: „Wo er genau ist, konnte Raven nicht ausmachen. Er wird seinen Aufenthaltsort getarnt haben, wie wir unseren. Rave kam letzte Nacht zurück und brachte mir ein paar Dinge. Stofffetzen, Zweige und so was. Dadurch konnte ich feststellen, wen Memphis gesehen haben könnte. Einiges von dem was er brachte, stammte von Raphael oder zumindest hat er es berührt. Ob er weiß wo wir leben, kann ich nicht sagen. Meine Zauber schützen uns zwar, aber sie sind nicht unaufspürbar. Das ist kein Zauber.“ Sie warf Memphis einen Blick zu, um einem möglichen Ausbruch zuvorzukommen. „Wie er uns gefunden hat, kann ich auch nicht sagen. Vielleicht hat er einfach gesucht und ist irgendwann fündig geworden. Immerhin war er schon mal in der Nähe. Er könnte einfach weiter in der Gegend unterwegs gewesen sein.“

„Das war vor 40 Jahren und Schottland ist nicht so nah“, entgegnetet Memphis.

„Richtig, vor 40 Jahren. Er hatte 40 Jahre Zeit die Insel abzusuchen. Und wenn man weiß, wonach man sucht, ist das nicht so aufwendig, wie du vielleicht denkst.“

„Er müsste dann von dir wissen. Von deinem Schutz für uns.“

„Ich denke, dass er das tut. Vielleicht weiß er nicht, dass ich es bin, die euch schützt. Aber er weiß sicher, dass euch jemand schützt.“

„Kann er die Zauber brechen?“

„Natürlich. Mit genug Zeit.“

Lilly hielt den Atem an. Sie konnte förmlich spüren, wie sich eine Welle von Wut in Memphis aufbaute.

„Was?! Ich dachte, es sind Schutzzauber? Sind die nicht dafür da, uns zu schützen?!“

„Halt mal die Luft an, Memphis!“, fuhr die Hexe ihn an. „Es sind Schutzzauber, ja. Aber es sind eben nur Zauber. Wie ich schon sagte, kann man jeden Zauber aufspüren. Und jeder Zauber hat einen Gegenzauber. Es gibt immer ein Gleichgewicht und das weißt du auch. Meine Sprüche sind dafür da, dass man eure Magie nicht findet. Dass man unser Haus nicht findet. Sie sind keine Wand, die jeden abhält.“

„Wofür sind die dann gut?!“

Hayley sprang auf. „Soll ich sie lösen? Dann wirst du sehen, für was die gut sind! Wenn ich es tue, ist Raphael hier, bevor du auch nur Luft holen kannst!“

Lilly rutschte unbehaglich auf ihrem Stuhl hin und her. Sie hatte Hayley noch nie wütend erlebt. Die plötzliche Aura von Macht um die Hexe herum war beängstigend.

„Wir sollten erst mal alle ruhig bleiben“, versuchte sie, die Situation zu entschärfen.

„Wer regt sich denn auf?“, scherzte Denniz, doch niemand lachte.

„Wie soll ich mich beruhigen, wenn da draußen ein jahrhundertealter Hexer rumläuft, der mindestens einem von uns nach dem Leben trachtet?!“, fuhr Memphis nun sie an und deutete dabei auf Denniz.

„Ich dachte, er weiß nichts von mir?“, fragte dieser dazwischen.

„Vielleicht doch! Woher sollen wir wissen, dass er dich nicht beobachtet? Dass er uns nicht beobachtet?! Wir sind alle ständig außerhalb von Green Manor unterwegs! Wer weiß, wie lange er schon hier ist!“

„Es bringt trotzdem nichts, wenn wir uns gegenseitig die Köpfe einschlagen!“, fuhr Lilly dazwischen. Dass Memphis sie so angefahren hatte, irritierte sie. Diese Seite kannte sie auch von ihm noch nicht. Unter Stress sieht man das wahre Gesicht der Menschen, dachte sie.

„Ich muss mich nicht beleidigen lassen!“ Hayley stand noch immer und Zorn funkelte in ihren Augen.

„Niemand wollte dich beleidigen. Memphis ist nur etwas angespannt.“ Lilly warf ihm einen Blick zu, der sagen sollte, entschuldige dich bei ihr, doch er tat nichts dergleichen.

Stattdessen sagte er: „Raphael hat mir mit Denniz’ Tod gedroht. Und er hat gedroht, mir alles zu nehmen, was ich liebe.“ Er schaute ihr in die Augen und Lilly verstand.

„Er wird weder Denniz noch sonst jemanden bekommen.“ Sie legte ihm eine Hand auf den Arm. „Wir sind vier und er allein.“

„Ich glaube nicht, dass er allein ist“, meinte Hayley, woraufhin Lilly ihr einen bösen Blick zuwarf. „Was? Es ist so. Die meisten Magier sind in einem Zirkel. Es würde mich wundern, wenn er keinen hat. Er ist wahrscheinlich sogar der Älteste.“

Lilly verdrehte die Augen. Auch wenn es die Wahrheit sein sollte, brachte sie das jetzt nicht weiter.

„Kommen wir also zu der Frage, was wir tun können“, warf Denniz noch mal ein.

„Genau genommen? Nichts“, stellte Hayley schlicht fest. Memphis schloss resigniert die Augen.

„Nichts?“, hakte Lilly nach. „Gibt es nicht irgendeinen Zauber, der ihn von uns fernhält? Wenn es welche gibt die ihn uns finden lassen, muss es auch einen Gegenzauber geben. Einen, der uns vor ihm verbirgt.“

„Den haben wir bereits. Sein Aufspürzauber ist zwar auf Memphis und Denniz geprägt, jedoch ein allgemeiner. Das heißt, er wurde nicht speziell für sie gesprochen, sondern nur mit ihnen verbunden.“ Hayley klang wieder ruhiger, wie Lilly erleichtert feststellte. „Ich habe unter anderem ein paar allgemeine Abwehrzauber gewirkt. Sie halten fremde Magie von uns fern und schirmen unsere ab. Das heißt, Raphael kann so viele Zauber wirken, wie er will, wenn er nicht genau weiß, was ich getan habe, werden uns seine Zauber nicht finden und er uns somit auch nicht.“

„Aber gibt’s nicht was, dass ihn auf Distanz hält? Kannst du nicht einen Zauber für ihn sprechen, statt ihn nur damit zu verbinden?“, hakte Lilly weiter nach.

„Auch diesen Zauber habe ich bereits gewirkt. Doch ich kann ihn nur auf das Haus beschränken.“

„Wie hast du das dann gemacht, als die Jungs in Deutschland waren?“

„Gar nicht. Da habe ich lediglich einen Bann um ihre Macht gelegt. Einen, der ihre Kräfte soweit eingeschränkt hat, dass Magier sie nicht gleich finden konnten. Außerdem hatten sie Gegenstände zum Schutz dabei. Solange sie sich nicht zu lange an einem Ort aufhielten, wurden diese Orte sozusagen verborgen.“

„Interessant, was man alles so erfährt.“ Denniz warf seinem Gefährten einen vielsagenden Blick zu. In Deutschland wusste er selbst noch nichts von all dem. Erst zum Ende hin hatte Memphis seine Geheimnisse gelüftet.

„Irgendwie ist das verwirrend.“ Lilly kratzte sich am Kopf.

„Sieh es so“, erklärte Hayley. „Raphael hat einen Zauber gewirkt, der ihm hilft Memphis und seine Kinder aufzuspüren. Ich habe mehrere gewirkt um ihn davon abzuhalten. Jeder Zauber hat seinen Gegenzauber. Jeder Zauber hat seine Einschränkungen. Es sind so viele Jahre vergangen, seit er Memphis verflucht hat. Und wer weiß, wie lange er schon nach ihm sucht? Wer weiß wie lange er ihn schon gefunden hat?

Vielleicht folgt Raphael ihm schon die ganze Zeit und kann nur nicht an ihn ran, weil er noch nicht weiß, wie er meinen Schutz durchbrechen kann. Vielleicht hat er es auch schon getan. Da er sich offen gezeigt hat, ist das sogar wahrscheinlich. Wir kennen seine Beweggründe nicht. Wir wissen nur, was er damals gesagt hat. Seitdem kann er seine Meinung schon hunderte Male geändert haben.“

„Vielleicht sollten wir dann einfach mal mit ihm reden?“, schlug Denniz vor.

„Hast du sie noch alle?!“

Lilly starrte Memphis an. „Hast du sie noch alle?“, wiederholte sie seinen Ausbruch ungläubig. So was hörte man sonst nie von ihm. Er warf ihr einen entschuldigenden Blick zu, den sie kopfschüttelnd annahm.

„Entschuldige, das hätte ich nicht sagen dürfen“, wandte er sich an Denniz.

„Schon gut, war eine berechtigte Frage. Aber einer musste vorschlagen mit ihm zu reden.“ Denniz grinste.

„Bekomme ich auch eine Entschuldigung?“ Hayley klang wieder etwas gereizter. „Immerhin zweifelst du an meinen Schutzzaubern, die euch seit Jahren den Rücken freihalten.“ Sie sah ihn grimmig an.

„Es tut mir leid. Ich mache mir nur Sorgen.“

„Das ist keine Ausrede. Aber okay, angenommen.“ Endlich setzte die Hexe sich wieder.

„Wisst ihr, Denniz’ Vorschlag ist vielleicht gar nicht so schlecht.“ Alle drei Augenpaare richteten sich nun auf Lilly. „Na ich meine ja nur. Wenn Hayleys Einwurf zutrifft und Raphael seinen Standpunkt geändert hat, erfahren wir das nicht, wenn wir ihn abwehren und uns verkriechen.“

„Wir können aber auch nicht einfach auf ihn zugehen und danach fragen. Das ist zu gefährlich“, warf Memphis ein.

„Dann sollten wir ihm eine Botschaft zukommen lassen.“

„Und wie?“, wollte Denniz wissen.

Lilly überlegte. „Vielleicht ein Brief?“

„Und wo schicken wir den hin? Wenn er sich getarnt hat, findet ihn niemand. Außer er will es so“, gab Memphis zu bedenken.

„Dann macht bessere Vorschläge.“ Sie ließ sich frustriert gegen die Stuhllehne fallen und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ich würde abwarten“, schlug Hayley vor.

Memphis war sichtlich skeptisch. „Wie lange denn? Wir können uns nicht ewig nur auf dem Grundstück aufhalten. Wir müssen jagen, falls du vergessen hast, was wir sind.“

„Das habe ich nicht vergessen. Ihr könnt doch weiterhin rausgehen. Ihr müsst nur aufpassen.“

„Das klingt einfach.“ Denniz war amüsiert. „Aber ist es das auch? Er könnte immerhin jederzeit im Wald auftauchen.“

„Dann lege ich für diese Zeit extra Schutz auf euch. Solange ihr euch beeilt und in der Nähe bleibt, kann ich sie aufrechterhalten.“

Lilly dachte an ihre Pläne und musste feststellen, dass sie die wohl erst mal auf Eis legen musste. Immerhin konnte der Wein nicht schlecht werden. Für die anderen Sachen fanden Mrs Thomas oder Mr Cheslock sicher Verwendung.

Wieder mal schien Memphis ihre Gedanken gelesen zu haben. „Du siehst aus, als hätte dir jemand die Tour versaut.“

„Kann man so sagen, aber egal.“

„Erzählst du mir, welche es war?“

„Später.“ Sie grinste und Memphis verdrehte die Augen. „Frauen“, seufzte er.

„Okay, also um das klarzustellen“, begann Denniz eine Zusammenfassung, „Wir werden abwarten und Tee trinken? Und wenn wir mal Blut trinken wollen, melden wird uns bei Hayley ab, damit sie einen extra Zauber wirken kann. Und dann aber schnell machen und nicht zu weit weggehen?“

„Genau so“, bestätigte Memphis.

„So machen wir das“, stimmte Hayley zu.

„Und wie lange?“, wollte Lilly wissen.

„Bis wir sicher sein können, dass Raphael keine allzu große Gefahr mehr darstellt“, antwortete Memphis.

„Das kann ewig dauern. Immerhin ist er ein Hexer, der das Altern überlistet hat.“

„Und ich bin eine Hexe die mindestens genauso viel über Magie weiß wie er. Ich werde einen Weg finden, um ihn unschädlich zu machen.“ Hayley klang zuversichtlich, doch Lilly hatte Zweifel.

Sie wusste, dass die Hexe nicht erst jetzt begann, nach so einem Zauber zu suchen. Sie suchte schon viele Jahre danach und war bis heute nicht fündig geworden.

Es musste ihr ins Gesicht geschrieben stehen, denn Hayley meinte: „Jetzt ist er näher. Mit Raves Hilfe habe ich die Chance, an persönliche Gegenstände zu kommen. Ich kenne auch andere Magier, die uns helfen können. Wenn sie an ihn rankommen, ohne dass er weiß, wer im Hintergrund die Fäden zieht, haben wir eine Chance.“

Das beruhigte Lilly nicht, doch sie vertraute der Hexe. Sie hatte gar keine andere Wahl.

„Dann sind Ausritte wohl demnächst auch gestrichen“, seufzte sie.

„Das Gelände ist groß genug für die Pferde“, meinte Memphis. Doch das war es nicht, was Lilly gemeint hatte. Die Ausritte allein auf Hawk waren ihre persönliche Auszeit. So gern sie ihre übernatürliche Familie auch hatte, wenn immer jemand zuhörte, egal wo im Haus man sprach und wenn man den anderen immer wahrnahm, war man nie wirklich allein. Selbst wenn sie in ihrem Zimmer war und alles ausblendete, war Lilly sich immer bewusst, dass einer der beiden anderen Vampire ihren Herzschlag hören konnte.

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