Читать книгу Phönix Band 3 - Stefanie Worbs - Страница 12

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Enyo

Ich reiche Basil ein Bier und lasse mich dann neben ihm auf das Sofa fallen. Er hat ein bisschen Ordnung gemacht, ist aber Tys Wunsch nachgekommen und hat vieles nur zur Seite und auf einen Haufen geräumt.

„Ihr habt also sprechen geübt?“, frage ich noch mal, auch wenn ich die Antwort ja schon kenne.

„Jupp. Und bevor du austickst, ich hab aufgepasst, dass es sie nicht überfordert.“

„Die Ärzte sagen ...“

„Sie sagen, was sie denken, was sie für richtig halten“, unterbricht er mich. „Aber sie wissen nicht, was Ty für okay hält.“

„Aber sie sind die Ärzte, nicht Ty oder wir.“

„Stimmt schon. Aber Dicker, du hast doch selbst gesehen, wie glücklich sie war. Wann hat sie das letzte Mal so gestrahlt, hm?“ Er hat recht. Sie hat sich so gefreut, das war lange nicht. Sonst ist Ty immer genervt. Verständlicherweise. Trotzdem will ich nicht, dass sie es übertreibt. Sie ist immer noch in der Genesungsphase.

„Ich versteh’s ja“, gebe ich zu. „Trotzdem. Bitte macht langsam.“

„Mach dir keinen Kopf. Ich passe schon auf. Und jetzt erzähl. Was gibt es Neues von der Belagerungsfront?“

Den Kopf an die Sofalehne gelehnt erzähle ich Bay, was heute in der Ratssitzung gelaufen ist. „Leodrín und Kattár weichen wie erwartet keinen Schritt zurück. Verhandlungen blocken sie vollkommen ab. Wahrscheinlich denken sie immer noch, sie könnten uns irgendwann aushungern.“

„Sie haben also noch keine Ahnung von den Tunneln?“

„Sieht jedenfalls nicht danach aus. Ristan meint zwar, es sind wieder vermehrt Suchtrupps unterwegs, aber die sind alle nah am Stadtrand. Keine Gefahr also für die Tunnelwege.“

Es gibt derzeit drei davon und alle sind in unterschiedliche Richtungen gegraben worden. Sie sind wahnsinnig lang und führen weit verzweigt, in einer Art Labyrinth unter der Stadtgrenze durch und dann weit ins Umland. Jeder Tunnel hat nur einen Eingang draußen und drinnen. Aber unzählige Gänge unter der Erde führen davon ab und in Sackgassen.

Selbst wenn der Feind eine der Unterführungen finden würde, würde er sich höchstwahrscheinlich verlaufen und sterben, bevor er der Stadt auch nur zu nahekommt. Nur die Räte haben Karten bekommen und jeder von ihnen hat nur wenige Vertraute, denen sie den richtigen Weg zeigen durften.

„Wie weit ist der Tunnel nach Norden?“, will Bay weiter wissen.

„Sie brauchen noch drei oder vier Tage, dann werden sie an die Oberfläche graben.“

„Super. Und die Akquisiteure, die raus sollen? Ist da alles bereit?“ Er meint die Gruppen, die zeitnah ausgeschickt werden sollen, um neue Leute nach Ryél zu holen. Hier ist es egal, welches Volk. Es geht darum, neue Mitstreiter zu finden, die sich für die Menschenrechte einsetzen wollen. Mehr Befürworter machen eine größere Masse, die eindrucksvoller wirkt, wie Saiden sagt.

„Die sind so gut wie reisefertig. Ein paar Kleinigkeiten noch, dann brechen sie auf“, erkläre ich.

„Was machst du dann? Gehst du mit?“

Dafür bekommt er einen schiefen Blick von mir. „Nein?! Und frag jetzt bloß nicht blöd, warum.“

„Aber du hast das alles ins Leben gerufen. Willst du dann hier einfach warten und sehen, was passiert?“

„Ja.“

„Ty hätte ...“

„Halts Maul, Bay! Ich will nicht hören, was sie hätte und wollte. Sie braucht mich hier!“

„Wenn du meinst.“

„Was habt ihr heute gemacht? Nur geübt?“, will ich dann wissen.

„Größtenteils. Es macht Spaß und sie will das wirklich. Klar, ab und an ist es frustrierend für sie, wenn irgendein Wort einfach nicht klappt. Aber die Kleine ist immer noch die ...“ Bay verstummt, starrt ins Leere und man könnte meinen, ihm wäre gerade jemand über den Fuß gefahren, denn sein Mund steht zu einem lautlosen a offen.

„Bay? Geht’s dir gut?“

Er dreht den Kopf und starrt nun mich an. „Scheiße! En!“ Er schließt die Augen und vergräbt dann das Gesicht in den Händen. „Bei allen Göttern! Ich bin so bescheuert!“

„Stimmt. Und sagst du mir noch, was los ist?“

Er schaut auf und strahlt mich freudig an. „Sie hat sich erinnert, En!“ Er lacht auf. „Ich hab’s nicht gecheckt, weil ihre Worte keinen Sinn ergeben haben. Jetzt hab ich’s!“

Augenblicklich sitze auch ich gerade. „An was hat sie sich erinnert?“

„Sie meinte was mit schlafen und ich und sie und Hörer. Ich hab’s nicht gecheckt. Aber sie muss gemeint haben, dass ich wohl was gesagt habe, während sie geschlafen hat. Es muss irgendwann im Krankenhaus gewesen sein, aber mir fiel vorhin nichts ein, was es hätte sein können. Ich meine, dass ich sie mal geweckt hätte oder so. Alter, sie meinte, dass sie mich gehört hat, als ich mit ihr geredet habe. Weißt du noch? Das eine Mal, wo ich kurz allein mit ihr war. Ich hab sie gefragt, ob sie noch die Kämpferin ist, die ich kenne und dass sie doch aufwachen soll. Du hast mir später dafür gedankt, weil du dachtest, sie hätte auf mich gehört. En! Sie hat mich gehört! Und sie weiß es wieder!“

Ich kann Bay nur fassungslos anstarren. Ty hat sich erinnert? Noch dazu an etwas, das während ihres Komas geschehen ist?

„Bist du noch da?“, höre ich meinen Bruder wie aus weiter Ferne fragen.

„Ja“, kommt es mir nur leise als Antwort über die Lippen.

Bay redet begeistert weiter. „Wenn sie sich daran erinnert, heißt das, dass sie vielleicht auch schon vorher was mitbekommen hat. Ich meine zum Beispiel, immer wenn du mit ihr geredet hast. Vielleicht kommt ihr Gedächtnis jetzt zurück.“

Mein Blick fliegt zur Schlafzimmertür hinter uns. Kann das sein?

Ich meine, die Ärzte haben gesagt, dass es dauern kann und einer meinte sogar, es könnte ganz wegbleiben. Ich habe immer gebettet, dass er falsch lag. Wurden meine Gebete jetzt endlich erhört?

Mit dem Blick wieder bei Bay frage ich: „Denkst du das wirklich? Ich meine, was wenn es jetzt alles auf einmal wiederkommt? Bay. Es ist so viel passiert.“

Er hebt kurz die Schultern. „Warten wir ab, was kommt. Aber es ist doch gut, oder nicht? Wenn sie sich wieder erinnern kann, meine ich.“

„Denkst du auch mal nach?!“, fahre ich meinen Bruder an. „Duan!“, werfe ich ihm an den Kopf und seine Augen werden groß.

„Oh. Ehm.“

„Ja. Was, wenn das als Erstes durchkommt? Scheiße. Daran hab ich nie gedacht.“

Es wird still im Raum, weil wir beide überlegen, was passieren würde, wenn Ty sich an eben jene Geschehnisse um Duan herum erinnert.

Bay bricht die nachdenkliche Stille schließlich. „Ich denke, wir können einfach nur abwarten. Auf jeden Fall sollte sie nicht allein sein. Sobald etwas davon wiederkommt, muss jemand da sein, der ihr helfen kann, falls es sie umhaut. Und derjenige muss es ihr erklären können, wenn sie Fragen hat.“

Eindringlich schaue ich Bay in die Augen. „Machst du mit?“

„Natürlich! Ich hab es ihr versprochen. Ich halte mein Wort.“

„Danke, Bruder.“ Ich hebe mein Bier, damit er anstoßen kann, dann fliegt mir ein Grinsen übers Gesicht. „Sie erinnert sich, Bay.“

Auch er grinst breit und gönnt sich einen großen Schluck.

Das stärkste Mädchen, das ich kenne. Meine Ty.

3 Wochen später

Die Tage fliegen dahin und Tyrees immer besser werdende Stimmung trägt ungemein dazu bei. Auch wenn diese eine Erinnerung bisher die Einzige war, hemmt das ihren Enthusiasmus kein bisschen.

Seit sie mit Bay das Sprechen übt, ist sie viel ausgeglichener und vor allem viel offener. Sie will sich sogar in Gespräche einbauen und ihre Meinung gehört wissen. Natürlich haben wir sie nie ausgeschlossen, doch Ty hatte sich immer im Hintergrund gehalten, weil sie ja eh nichts sagen konnte. Jetzt unterbricht sie uns sogar, entweder mit Handzeichen oder Worten, damit wir ihr zuhören.

Es fällt ihr noch immer schwer und sie redet langsam, doch niemand fällt ihr ins Wort oder hilft ihr unnötig. Wobei das echt schwer ist. Oft wissen wir, was sie sagen will und wollen ihr helfen, doch der Logopäde meinte eindringlich, dass wir es unterlassen sollen, wenn wir sehen, dass sie es selbst schafft. Gespräche dauern so länger, aber mich persönlich stört das kein Bisschen. Ty redet mit mir und ab und an diskutiert sie sogar schon wieder, zu meiner hellen Freude.

Die ersten Akquisiteurengruppen haben wir vor zwei Wochen ausgesandt und heute kam schon die erste Gruppe Menschen, die sich Ryél anschließen will. Da es meine Organisation ist, muss ich mich darum kümmern, also habe ich Bay wieder bei Ty gelassen. Er kümmert sich gut um mein Mädchen, was mich noch immer ein bisschen erstaunt, wenn man ihre Anfänge bedenkt.

„Wir haben Zimmer für euch vorbereitet“, erkläre ich gerade den Neuen und führe sie in den Wohntower. Die unteren Wohneinheiten waren alle noch im Bau, als ich mit Ty und meinen Brüdern angekommen bin. Deshalb leben wir fast unterm Dach, aber die Neuen können nun unten wohnen. Mittlerweile habe ich mich aber auch an den Fahrstuhl gewöhnt. Er bringt mich schneller nach oben, wenn ich abends später nach Hause komme als sonst.

„Bitte bildet Gruppen von drei Personen, wenn möglich vier. Noch haben wir zwar Platz, doch es werden noch mehr Leute erwartet.“

Die Gruppe hinter mir murmelt und bespricht sich leise.

„Wenn ihr eure Zimmer gewählt habt, dreht das Schild hier auf bewohnt. So weiß jeder, dass diese Zimmer besetzt sind. Ich lasse euch jetzt allein. Wenn ihr Fragen habt oder Hilfe braucht, nehmt das Telefon und wählt die 30. Dann kommt ihr direkt zum Hilfezentrum. Sie werden euch bei allem unterstützen. Gibt es für den Moment noch Fragen?“

Eine Frau tritt vor. „Wann erfahren wir, was wir tun sollen? Uns wurde gesagt, wir werden Aufgaben bekommen.“

„Morgen Mittag findet eine Versammlung statt. Ihr werdet dafür abgeholt. Dort wird man euch fragen, was eure Stärken sind und man wird euch Aufgaben zuteilen. Bis dahin ruht euch aus oder tut, was immer ihr möchtet.“

Die Frau nickt und auch die anderen zeigen an, dass sie verstanden haben. Ich lasse die Gruppe also für den Moment allein. Jetzt muss ich noch mal zu Saiden und mit ihm besprechen, wer gekommen ist und wohin die Akquisiteure als Nächstes aufbrechen sollen. Da wir einige Nachrichten aus dem Norden erhalten haben, wird es wohl diese Richtung werden.

Phönix Band 3

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