Читать книгу Phönix Band 3 - Stefanie Worbs - Страница 7

Enyo

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Was will der denn schon wieder? Bay ist hier und lehnt im Türrahmen. Näher traut er sich wohl nicht. Besser ist das, für seine Gesundheit.

„Wie geht es dir?“, will er leise wissen.

„Erschieß mich, dann geht’s mir wieder gut.“

Bay atmet hörbar tief durch. „Und wie geht es Ty?“

Wut sammelt sich in meinem Bauch und zeigt sich als Tränen in meinen Augen. „Sie ist tot, Basil!“, knurre ich ihn an. „Falls du denkst, ich bin mir dessen nicht bewusst, weißt du es jetzt.“

„Wieso sagst du das? Ich meine, dass sie tot ist?“

„Ihr Herz schlägt nicht mehr von allein. Ihre Lungen atmen nicht mehr von allein. Sie hat so gut wie keine Aura mehr.“ Und plötzlich lösen sich die Tränen in einem Schluchzer. „Bay. Mein Mädchen. Sie ist doch meine Ty.“ Meine Wut verraucht und von jetzt auf gleich ist da nichts mehr außer Schmerz. Genau an der Stelle, an der mein Herz schlägt, als würde es gleich bersten wollen. Meins rast und ihres kann nicht einen Schlag allein tun.

Bays Hand legt sich auf meine Schulter, dann sitzt er neben mir, mit dem Rücken an das Bett gelehnt. „Kleiner Bruder. Was kann ich tun?“

Ich schüttle den Kopf. Mein Hals ist zugeschnürt und es fühlt sich an, als wäre es Stacheldraht.

„Glaubst du, sie fängt sich noch mal?“, will er wissen und sein Blick trifft mich von der Seite.

Ich kann nur Ty ansehen. Ich will, dass sie kämpft. Darum, dass ihr Herz es noch mal schafft, zu schlagen. Und darum, dass sie aufwacht. Doch wenn ich sie so sehe, sehe ich Schmerzen und Leiden für sie.

Duan hat ihr wortwörtlich den Schädel zertrümmert. Ihre linke Gesichtshälfte musste rekonstruiert werden. Sie haben ihr eine Platte aus Metall in den Schädel setzen müssen, da wo ihre Schläfe ist. Ihr Kiefer war mehrfach gebrochen. Ihre Zunge halb abgebissen.

In den vergangenen Monaten sind diese Wunden schon sehr gut verheilt. Das hat uns hoffen lassen, dass Ty es schafft. Die Ärzte hatten sie zu Anfang in ein künstliches Koma versetzt, damit ihr Körper mehr Ruhe hat, doch als sie sie aufwecken wollten, ist Ty nicht aufgewacht. Sie hat einfach weitergeschlafen.

Ich strecke eine Hand aus und lege sie sachte auf ihren Unterbauch. Auch diese Verletzung hat eine große Wunde gerissen. Nicht nur in ihrem Körper, sondern auch in meiner Seele. Ich weiß noch, wie Duan sie dort geschlagen hatte, damit sie zu sich kam und sehen musste, wie ich aus dem Fenster gestoßen wurde.

Als ich nach den ganzen OPs endlich zu ihr durfte, hat man mir dann eine der bis dahin schlimmsten Botschaften überbracht. Sie war schwanger gewesen. Meine Ty hatte ein Baby im Bauch. Doch Duan hat dafür gesorgt, dass es nie das Licht der Welt erblicken würde.

Guenive meinte, sie habe davon nichts gewusst, obwohl sie Ty ja dahingehend untersucht hatte. Ich weiß genau, wann es nur passiert sein kann. Am Tag unserer Ankunft hier. Aber das ist nun nicht mehr wichtig. Duan hat es mir genommen. Er hat mir Ty und unser Baby genommen.

„En? Was willst du tun?“

„Was soll ich tun?“, frage ich fast lautlos zurück.

„Willst du hier sitzen bleiben?“

Ich nicke.

„Wie lange?“

„Für immer.“ Wieder stößt ein Schluchzer aus meiner Kehle. „Ich kann sie nicht gehen lassen, Bay. Ich kann nicht leben, wenn ...“

„Vielleicht gibt es aber keinen anderen Weg, kleiner Bruder.“

„Sie könnte aufwachen.“

Bay nickt sachte, meint dann aber „Und wenn nicht? Sie würde ewig hier liegen. Alt werden und dann doch sterben. Sie würde nicht wollen, dass du neben ihr sitzt und dein Leben vergeudest.“

„Was ist es denn wert?“

„Alles, En! Komm schon, man. Du könntest viel mehr Menschen helfen, wenn du loslässt. Ty würde das sicher wollen. Sie würde wollen, dass du kämpfst.“

„Für was denn? Ich wollte für sie kämpfen. Für unsere Zukunft. Die ist weg.“

„Dann kämpfe jetzt für Tys Ziele.“

Mein Blick trifft seinen. Ich sehe ihn nur verschwommen, weil meine Tränen mir noch immer die Sicht nehmen. Ohne Ty loszulassen, wischte ich mir die Augen an meinem Arm trocken. „Sie wollte, was ich wollte!“, zische ich. „Sie wollte Frieden. Sie wollte leben. Was hat sie jetzt davon? Nichts von beidem!“

„Vielleicht kann sie den Frieden nicht mehr erreichen und vielleicht ist es auch für ein Leben mit dir zu spät. Aber du kannst für den Frieden aufstehen, En. Für den Frieden, den sie so sehr wollte. Den sie sich so sehr gewünscht hat. Was ist zum Beispiel mit ihrer Mum? Die ist noch irgendwo da draußen. Du kannst helfen, sie zu retten. Tu es für Ty. Ich bin sicher, dass sie es will.“

Mein Blick gleitet zurück zu meinem Mädchen. Es stimmt, was Bay sagt. Ty hat immer gesagt, sie wollte etwas tun. Sie wollte helfen. Als ich schlucke, merke ich, wie sich der Stacheldraht um meinen Hals etwas lockert. Tys Mum ist da draußen. Ganz sicher lebt sie noch. Ob ich sie finden kann? Ob ich sie überreden kann, herzukommen? Ob ich sie schützen kann, wo ich doch bei ihrer Tochter so kläglich gescheitert bin?

„Denkst du, ich kann ihre Mum finden?“, will ich wissen und beginne schon zu grübeln, wie man sie aufspüren könnte.

„Warum nicht? Ty hat doch mal gemeint, sie wäre aus der Gegend hier. Vielleicht hast du sogar so großes Glück und sie ist schon in der Stadt.“

Ich schnaube, weil das zu viel des Guten wäre.

Wieder klopft er mir auf die Schulter und steht dann auf. „Du solltest was essen und duschen, Dicker.“

„Ich lasse sie nicht allein.“

„Soll ich hierbleiben?“

Wieder ziehe ich die Brauen zusammen und mustere Bay argwöhnisch.

„Keine Sorge. Ich fasse nichts an. Und du bist ja nicht weit weg.“ Er deutet auf das Bad, das zum Zimmer gehört. „Also?“

„Ich höre alles“, warne ich ihn und erhebe mich schwerfällig. Ich brauche eine ganze Weile, um mich zu überwinden, Tys Hand loszulassen. Schließlich schaffe ich es und lege sie sanft neben ihr aufs Bett. „Bin gleich wieder da, Kleine“, verabschiede ich mich für höchstens zehn Minuten - länger werde ich ganz bestimmt nicht brauchen - gebe ihr noch einen Kuss auf die Stirn und beeile mich dann, damit ich sie nicht zu lange allein lassen muss.

Während das Wasser auf mich prasselt, lausche ich auf alle Geräusche von draußen. Wenn Basil nur falsch atmet, werde ich ihn wieder grün und blau schlagen. Doch er überrascht mich, indem er leise anfängt zu sprechen. Da stehe ich unter dem Wasser und höre ihn mit Ty reden, als würde sie gesund und munter neben ihm sitzen.

„Kleine, ernsthaft. Wenn du wüsstest, was hier abgeht. Die ganze Stadt ist in Aufruhr. Zwei Städte von draußen haben angegriffen und zwei weitere Städte sind unterwegs. Außerdem dreht dein Freund total durch.“ Basil kichert. „Wenn du die Augen aufmachen würdest ...“

Bei diesem Satz brennen meine Augen gleich wieder. Wenn sie es nur tun würde.

„... würdest du sehen, dass er die komplette Einrichtung zerlegt hat. Das war ein Spektakel, sag ich dir. Hier sind alle ausgeflippt, weil sie Ens Ausbrüche noch nicht erlebt haben. Und Kleine, er hat jetzt Flügel. Wusstest du das? So richtig echte, aber irgendwie aus Feuer. Keiner hat sie bisher richtig gesehen, weil er immer gerade total am Austicken war. Sie kommen nur dann raus, glaub ich. Deine Augen würden leuchten, wenn du sie sehen könntest.“

Ich würde alles geben, um ihre Augen nur noch ein Mal leuchten sehen zu können.

Bay verstummt kurz und als er erneut spricht, ist seine Stimme gedrückt. „Du fehlst uns, Kleine. Richtig doll sogar.“ Er atmet tief durch. „Das ist merkwürdig. Du warst für mich immer anstrengend. Großkotzig, besserwisserisch und einfach ein nerviges kleines Ding. Aber scheiße, Ty, du bist das großkotzigste, besserwisserischste, nervigste, aber auch das taffeste kleine Ding, das ich kenne.

Du hast so viel weggesteckt. Bist so oft gefallen und immer wieder aufgestanden. Du hast deine Krankheit besiegt, weißt du das? Die Brandrose ist komplett verheilt. Du hättest im Dreieck Salti geschlagen, wärst du dabei gewesen, als der Arzt es verkündet hat. Kleine, komm schon. Du hast Duan dreimal geschlagen. Das kann’s doch jetzt nicht gewesen sein. Bist du doch nicht die kleine Kämpferin, für die ich dich halte?“ Wieder verstummt er und ich kann quasi Tys Antwort hören.

Natürlich bin ich eine Kämpferin! Schimpfst du mich etwa schwach?! Ich zeig dir gleich, wie schwach ich bin!

Dann spricht Bay wieder. „Ich weiß, wir sind keine Freunde. Und ich weiß du schuldest mir rein gar nichts. Aber, Ty, ich habe eine Bitte an dich. Und ich schwöre dir, wenn du sie mir erfüllst, werde ich alles tun, was du jemals von mir verlangst. Nicht nur ein Mal, sondern immer.

Bitte, Kleine, mach die Augen auf und komm zu uns zurück.“

Meine Knie geben nach und ich sinke in der Dusche zu Boden. Scheiße, Basil. Wie oft habe ich mein Mädchen in den vergangenen Wochen darum gebeten. Was habe ich ihr alles versprochen und nie hat sie mich gehört. Das Gesicht in den Händen vergraben, kann ich meine Tränen nicht zurückhalten.

Bitte hör auf ihn, Kleine! Bitte erfülle ihm seinen Wunsch. Ich weiß nicht, warum du mich nicht hörst, aber bei allen Göttern, ich flehe dich an, erhöre wenigstens ihn.

Es dauert viel länger, als ich geplant hatte, bis ich mich wieder fangen kann und endlich aus der Dusche komme. Ohne mich großartig abzutrocknen, ziehe ich neue Kleider von dem Stapel an, den Cara hier deponiert hat und gehe zurück ins Zimmer. Bay sitzt jetzt auf der Bettkante und hält Tys Hand.

„Sorry. Hat doch etwas länger gedauert.“

„Kein Problem“, winkt Bay ab. „Wir haben ein bisschen geredet“, sagt er und seine Stimme versagt ihm tatsächlich, kurz bevor er den Satz beendet. „Ich hau dann auch wieder ab. Brauchst du irgendwas?“

Ich schüttle den Kopf und tausche den Platz mit ihm. Er schaut noch kurz zu uns, dann dreht er ab und geht.

„Hey Kleine“, spreche ich nun zu meinem Mädchen. „Tut mir leid, dass ich länger im Bad war. Aber ich hab gehört, dass Bay dich unterhalten hat. Ich hoffe also, es ist okay.“ Mein Blick fliegt zu den Monitoren, die ihren Herzschlag anzeigen. Der Arzt meinte, ich sollte die Zahl überprüfen, wenn ich mit Ty rede. Manchmal hören Komapatienten ihren Besuch und ein veränderter Puls ist dann eine häufige Reaktion. Doch die Zahl bleibt konstant bei 65. Wie auch die ganzen Male davor schon.

Ich streiche über die Schläfe, an der operieren Seite. Sie mussten ihr die wunderschönen langen Haare dort abschneiden, doch seit ein paar Wochen wachsen sie wieder, denn die Naht verheilt problemlos. Der Chirurg war ein Meister seines Faches, denn man sieht kaum, wie schwer die Verletzung gewesen ist.

Alle Knochen sind wieder da, wo sie sein sollten und man sieht nicht, wo die Platte sitzt. Die eine Naht wird eine Narbe bleiben, auch wenn sie wohl noch an Farbe verlieren wird. Wenn meine Ty aufwacht, wird sie kaum noch was von dem sehen, was Duan ihr angetan hat.

Bitte, wach auf.

Am nächsten Morgen weckt Bay mich. „En. Komm wach auf. Die Ärzte sind da.“

Ich liege neben Ty, wie immer. Das Bett ist viel zu klein für zwei, aber egal. Es hat Gitter, die man hochschieben kann. Gegen eins davon lehne ich nachts immer.

Müde quäle ich mich hoch und sitze schließlich auf der Bettkante. Draußen stehen einige Leute und glotzen durch das große Fenster, dem ich einen Sprung verpasst habe. Meine Hand war dermaßen geprellt, dass ich sie lange nicht bewegen konnte. Aber das war es wert. Sie wollten den kleinen Knopf drücken, der die Maschinen ausstellt, die Ty am Leben halten. Jetzt werden sie sich hüten, ihm ohne meine Zustimmung auch nur zu nahezukommen.

„Sie können reinkommen.“

Bay winkt den Leuten draußen und zaghaft betritt einer nach dem anderen den Raum.

„En“, fordert Bent meine Aufmerksamkeit. „Die Ärzte würden gern wissen, ob es okay ist, wenn sie einen neuen Versuch starten.“

Sofort beginnt mein Herz zu rasen. Sie wollen die Maschinen von Ty nehmen und sehen, ob ihr Herz allein schlägt. Wieder schnürt sich der Stacheldraht um meinen Hals. Ich habe panische Angst davor und zugleich hoffe ich so sehr, dass sie die Hilfe der Monitore nicht mehr braucht.

„En? Dürfen sie es versuchen?“, fragt nun Cara. „Es passiert nichts Schlimmes, versprochen. Sie schließen sie sofort wieder an, für den Fall, dass ...“

Ich schüttle den Kopf, um sie zum Schweigen zu bringen, dann stehe ich auf, umrunde das Bett und stehe schließlich auf der anderen Seite. Hinter mir piepen die Monitore. Mit einem bösen Blick warne ich alle, ja nichts Falsches zu tun, dann nicke ich.

Der Oberarzt kommt heran, fährt das Bett nach oben und beginnt, Ty zu untersuchen. Ich lehne mich auf das Gitter an dieser Seite und halte ihre Hand die ganze Zeit. Als der Arzt einer Schwester zunickt, senke ich meine Lippen auf Tys zarte, kühle Finger und schließe die Augen.

Bitte, bitte, bitte. Mein Mädchen. Meine Ty. Bitte. Ich höre, wie die Schwester auf einem der Geräte herumtippt und plötzlich ist die Stille im Raum greifbar, als die Maschinen langsam runterfahren. Trotz der vielen Personen hier, könnte man eine Stecknadel fallen hören. Das regelmäßige leise Piepen, das Tys Puls anzeigt, wird langsamer, während mein Herz schneller denn je rast.

Kämpfe, Kleine. Bitte. Bei allen Göttern, tu es für mich. Bitte. Ich höre jemanden ausatmen und öffne die Augen. Bent starrt auf den Monitor hinter mir. Er piepst noch. Langsam, viel langsamer als vorher, aber er piepst noch. Ich drehe mich um und sehe, dass das Gerät aus ist, das Tys Lungen die letzten Tage ersetzt hat. Mein Blick schnellt zurück zu ihr. Es dauert einen Moment, doch dann hebt sich ihr Brustkorb minimal.

Ty atmet allein!

Der Stacheldraht löst sich in Luft auf. Meine Ty. Ich danke allen mir bekannten und unbekannten Göttern dafür. Die Ärzte und Schwestern wuseln um uns herum. Tyree bekommt eine Sauerstoffmaske aufs Gesicht und sämtliche Anschlüsse, die ihre Lebensfunktionen überwachen, werden neu angebracht und eingestellt.

Ich bekomme davon kaum was mit. Mein Blick huscht zwischen ihrem Gesicht und ihrem Brustkorb hin und her. Irgendwann wird es ruhiger im Raum und als ich aufschaue, sind nur noch Bent und Bay da. Plötzliche unendliche Dankbarkeit überkommt mich.

„Bay?“

„Jupp?“

„Danke!“

Verdutzt verzieht er das Gesicht. „Wofür?“

„Das weißt du.“ Ich hoffe, er sieht es an meinem Blick.

Kurz grübelt er noch, dann hellt sich sein Gesicht auf. „Ich denke nicht, dass es an mir lag.“

„Doch. Ich denke schon. Ich habe sie tausendmal gebeten. Du nur ein einziges Mal.“

„Als würde die kleine Zicke auf mich hören“, scherzt er, doch es klingt liebevoll.

„Egal. Danke.“

Er hebt nur die Schultern zur Antwort.

„Hoffen wir, dass es so bleibt. Jetzt muss sie noch aufwachen“, meint Bent. Er kommt rüber und setzt sich auf die Bettkante. „Wenn sie weiterkämpft, wird es ein schwerer Weg werden.“

„Das schafft sie. Ty schafft alles.“

„Sicher. Nur gib ihr Zeit, En.“

Als wäre es an mir, sie zu etwas zu drängen. Sie hat ihren eigenen Kopf. Das wird sich nicht geändert haben.

Als würden sie es laut aussprechen, weiß ich, was meine Brüder denken. Fünfmal waren wir schon an dieser Stelle. Und fünfmal wurden wir enttäuscht. Aber irgendwas sagt mir, dass es diesmal nicht so sein wird. Diesmal wird das Herz des Mädchens, das ich liebe, weiterschlagen und dann wird sie auch ihre Augen wieder öffnen.

Phönix Band 3

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