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I. Fakten und Zahlen

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Alljährlich werden in der Bundesrepublik zwischen 2.000 und 2.500 vollendete und versuchte Tötungsdelikte registriert; im Jahr 2010 wurden 2.218 Mord- und Totschlagsfälle (einschließlich Versuchstaten) erfasst[1]. Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) weist für das Jahr 2010 allein 324 als vollendeter und 490 als versuchter Mord eingestufte Fälle aus, 366 Fälle des vollendeten und 1.421 des versuchten Totschlags (einschließlich Tötung auf Verlangen)[2], Körperverletzungen mit Todesfolge wurden 98-mal verzeichnet[3]. Der Straftatbestand des Totschlags gem. § 212 StGB betrifft den „Normalfall“ der vorsätzlichen Tötung eines Menschen, die jedoch als Mord verfolgt wird, wenn sie unter einem oder mehreren der in § 211 Abs. 2 StGB genannten besonders verwerflichen Begleitumständen erfolgt, es sei denn, die Tötung geschieht auf ausdrückliches und ernsthaftes Verlangen des Getöteten. Dann ist allein § 216 StGB einschlägig. Geht es um fährlässige Todesverursachung infolge einer vorsätzlichen Körperverletzungshandlung, greift § 227 StGB ein. „Straftaten gegen das Leben“[4] machen jedoch nur rund 0,1 %[5] aller (in der PKS) polizeilich registrierten Straftaten und nur etwa mehr als 1 % der erfassten Gewaltkriminalität aus[6]. Legt man die rund 2.300 Fälle von versuchtem oder vollendetem Mord oder Totschlag zugrunde, haben wir es nur noch mit 0,04 % der polizeilich registrierten Gesamtkriminalität zu tun[7].

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In knapp 90 % aller registrierten Mord- und Totschlagsfälle begegnen uns männliche Tatverdächtige[8]. Bei Mord im Zusammenhang mit Raubdelikten wurden zu über einem Drittel (36,1 %) Tatverdächtige unter 21 Jahren festgestellt[9]. Mord- und Totschlagsopfer waren im Jahr 2010 zu 64,1 % männlichen, zu 35,9 % weiblichen Geschlechts[10]. Unter den Todesopfern waren auch 127 Kinder[11]; bei weiteren 8 Kindern war der Tod die unbeabsichtigte Folge einer vorsätzlichen Körperverletzung (§ 227 StGB)[12]. 2010 kamen auf 100.000 Einwohner etwa 3 Mord- und Totschlagsdelikte (einschließlich Versuchstaten)[13].

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Zum Vergleich: In den USA (304 Millionen Einwohner) liegt die Anzahl der Ermordeten jedes Jahr relativ konstant bei 15.000 bis 20.000. Fachleute machen hierfür unter anderem das liberale Waffenrecht verantwortlich, das in den meisten Bundesstaaten dem Erwerb und dem Tragen von Schusswaffen kaum Hindernisse bereitet[14]. Ohne die hocheffiziente Notfallmedizin würden nach Expertenmeinung in den USA um die 100.000 Tote jährlich zu beklagen sein[15]. Einer im September 2008 veröffentlichten Studie zufolge ist Caracas mit 130 Morden je 100.000 Einwohner die gefährlichste Stadt der Welt, gefolgt von New Orleans in den USA mit 67 Morden und dem südafrikanischen Kapstadt mit 62 Morden je 100.000 Einwohner. In Europa lebt man in Moskau (mit 9,6 Morden je 100.000 Einwohner) am gefährlichsten[16].

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Unter den bundesdeutschen Städten führte im Jahre 2010 Frankfurt/M. mit etwa 6 Mord- und Totschlagsfällen auf 100.000 Einwohner. In absoluten Zahlen übertraf Berlin mit 122 versuchen oder vollendeten Mord- und Totschlagsfällen alle anderen deutschen Städte[17]. Die Häufigkeitszahlen der bei uns polizeilich registrierten vorsätzlichen Tötungsdelikte sind seit Anfang der 70er-Jahre – entgegen dem allgemeinen Trend – rückläufig. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland bei den versuchten und vollendeten Tötungsdelikten im unteren Bereich. In Deutschland ist das Risiko, bei einem Verkehrsunfall ums Leben zu kommen, rund 7-mal größer als die Gefahr, einem vorsätzlichen Tötungsdelikt zum Opfer zu fallen[18]. Auffällig ist schon immer der hohe Versuchsanteil: Bei Mord über die Hälfte und bei Totschlag und Tötung auf Verlangen knapp vier Fünftel der Fälle[19]. Die Fortschritte in der Intensivmedizin dürften sich auch in Deutschland in einem Rückgang der vollendeten Morde um -6 (-2 %) und der vollendeten Totschlagsdelikte um -21 (-6,4 %) widerspiegeln, allerdings bei gleichzeitigem Absinken der Anzahl von Versuchstaten (von -5 bei Mord: -1,2%; von -26 bei Totschlag: -2,2 %)[20].

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Nichtdeutsche stellten bei Mord und Totschlag drei von zehn Tatverdächtigen[21]. Zu beachten ist dabei, dass sich die nichtdeutsche Wohnbevölkerung immer noch zu einem größeren Teil aus jüngeren Männern unter vierzig zusammensetzt als die deutsche Wohnbevölkerung. Ferner dürfte auch die besondere, konfliktträchtige Lebenslage in der Fremde bedeutsam sein. Die Restgruppe, die sich vor allem aus nicht anerkannten Asylbewerbern mit Duldung, aus Flüchtlingen, Besuchern und erwerbslosen Personen zusammensetzt, weist bei Mord und Totschlag mit mehr als der Hälfte den höchsten Anteil der nichtdeutschen Tatverdächtigen auf. Die Gruppe der Asylbewerber stellt bei Mord und Totschlag einen Anteil von weniger als einem Zehntel (8,4 %) an den nichtdeutschen Tatverdächtigen. Im Vergleich zu ihren Tatverdächtigenanteilen bei den Straftaten insgesamt sind vor allem Tatverdächtige mit türkischer Staatsangehörigkeit bei den vorsätzlichen Tötungen überdurchschnittlich vertreten[22].

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Im Jahre 2010 sind insgesamt 682 Personen wegen versuchten oder vollendeten Mordes oder Totschlags verurteilt worden, davon 34 Jugendliche, 75 Heranwachsende und 577 Erwachsene[23]. Wegen vollendeten Mordes wurde in 128 Fällen lebenslange Haft verhängt[24]. Zum 31.03.2011 saßen bundesweit 2.343 Strafgefangene wegen vollendeten, weitere 539 wegen versuchten Mordes und weitere 1.434 wegen Totschlags ein[25], 2.048 Strafgefangene verbüßten eine lebenslange Freiheitsstrafe[26].

Teil 1 EinführungA › II. Dunkelziffer

Verteidigung in Mord- und Totschlagsverfahren

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