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1. Leichenschau

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Ein großes Sorgenkind ist das Leichenschauwesen, das durch landesrechtliche Gesetze und Verordnungen geregelt ist[30]. Nicht zuletzt um fremdverschuldete Todesfälle zu erkennen, ist jede menschliche Leiche, bevor sie bestattet wird, von einem Arzt zu untersuchen. Das gilt auch für die Leiche eines Neugeborenen, wenn nach der Trennung vom Mutterleib mindestens eines der Lebenszeichen vorgelegen hat: Herzschlag, Pulsieren der Nabelschnur, natürliche Lungenatmung. Auch Totgeburten mit einem Gewicht von mindestens 500 g sind zu untersuchen. Erreicht ein Totgeborenes dieses Gewicht nicht, ist es als Fehlgeburt von der Leichenschau ausgenommen[31]. Das Ergebnis der Leichenschau ist in der Todesbescheinigung (Leichenschauschein oder auch Totenschein) festzuhalten, die vom Standesbeamten zur Beurkundung des Sterbefalles und zur Anfertigung der Sterbeurkunde benötigt wird. Der Leichenbeschauer hat nicht nur anhand sicherer Todesanzeichen den endgültigen Todeseintritt festzustellen, den Todeszeitpunkt zu bestimmen und – soweit möglich – Mitteilungen über die Todesursache sowie etwa zum Tode geführte Erkrankungen zu machen, sondern auch nach Anhaltspunkten für einen nicht natürlichen Todesfall zu suchen. Kaum vorstellbar aber wahr, immer wieder schockieren Meldungen, dass Mediziner den Totenschein ausgestellt haben, obwohl die vermeintlich Gestorbenen noch gelebt haben[32].

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Oft genug bleiben aber auch Anzeichen unentdeckt, die auf ein Verbrechen hindeuten. Nur der Wachsamkeit einer Freundin des Opfers ist zu verdanken, dass der Mord einer privaten Altenpflegerin an einer hochbetagten Dame aufgeklärt werden konnte, die im November 2001 durch Verschließen der Atemöffnungen mit einer „weichen Bedeckung“ zu Tode gebracht worden war. Die behandelnde Ärztin hatte zahlreiche Punktblutungen im Gesicht des Opfers übersehen und einen natürlichen Tod bescheinigt[33]. Es finden sich authentische Fälle, bei denen man einen Brustkorbsteckschuss, einen Herzstich oder Strangmarken um den Hals übersehen und einen natürlichen Tod bescheinigt hat. Mal hatte der Leichenbeschauer pflichtwidrig darauf verzichtet, die Leiche zu entkleiden, mal war die Beschau bei völlig unzureichenden Lichtverhältnissen durchgeführt worden. Bei künstlicher Beleuchtung sind verschiedene Rottöne kaum zu unterscheiden. Insbesondere Hinweise auf Vergiftungen bleiben dann leicht unerkannt. Fachleute gehen deshalb davon aus, dass die im Rahmen der Leichenbeschau getroffenen Diagnosen in mehr als der Hälfte aller Fälle unzutreffend sind[34]. 1996 fand Brinkmann unter 350 Todesfällen, die in der Leichenbeschau als „natürlich“ eingestuft worden waren, 92 „nicht natürliche“ Todesursachen, darunter 9 Suizide und 10 Tötungsdelikte. Bundesweit werden weniger als 5 % der Verstorbenen seziert, in Kliniken sind es etwa 10 %[35].

Verteidigung in Mord- und Totschlagsverfahren

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