Читать книгу Geschichte im Text - Stephanie Catani - Страница 10
I. Teil: Von der Geschichte zum Text 2 Erzählte Geschichte zwischen Aufklärung und Historismus
ОглавлениеDie Problematisierung eines historisch-fiktionalen wie -faktualen Erzählens reicht an den Beginn der modernen Geschichtsschreibung und die Ausdifferenzierung des Geschichtsbegriffs im 18. und 19. Jahrhundert zurück. Die Entwicklung der Historik zur wissenschaftlichen Disziplin ist immer schon an die Frage gebunden, wie sich die sprachliche Konstitution der Historie mit ihrer gleichzeitig behaupteten epistemologischen Bedeutung vereinbaren lässt. Zudem lässt sich inzwischen eine »Rehabilitierung«1 des Rhetorischen in der Geschichtswissenschaft beobachten, die mit der Einsicht in die narrative Struktur historischen Wissens unmittelbar in jene Zeit zurückführt, die rhetorische Elemente noch nicht aus der Geschichte verbannt, sondern als eines ihrer konstitutiven (wenngleich nicht unproblematischen) Merkmale angesehen hat.
Für die Wiederbelebung der sogenannten Aufklärungshistorie sprechen jene Forschungsunterfangen, die sich in den letzten Jahren den Anfängen der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft gewidmet und zahlreiche der um 1800 erschienenen Texte mit Blick auf die Problematisierung eines historischen Erzählens im Anschluss an die Thesen Hayden Whites neu geprüft haben. Der Fokus wurde dabei weniger auf die tatsächliche historische Erkenntnis durch historiografische Texte als vielmehr auf die Darstellungsform historischer Wissensvermittlung gelegt, mithin auf das Erzählen der Geschichte. Die daraus resultierende Forschungskontroverse lässt sich exemplarisch anhand zweier Studien beschreiben, die im Abstand weniger Jahre veröffentlicht worden sind: Zum einen legt der Germanist Daniel Fulda 1996 eine Dissertation vor, die unter dem programmatischen Titel Wissenschaft aus Kunst den Interferenzbereich zwischen Geschichte und Literatur im 18. Jahrhundert beleuchtet.2 Fulda leitet die Etablierung der modernen Historiografie aus poetologisch-ästhetischen Diskussionen des 18. Jahrhunderts her, indem er deren »weitreichende Folgen für die Selbstwahrnehmung beider Wissensformen im 19. Jahrhundert« nachzuweisen sucht.3 Die nicht minder programmatisch argumentierende Dissertation Geschichtsschreibung oder Roman des Historikers Johannes Süssman (2000) wendet sich entschieden gegen Fuldas Thesen, die seines Erachtens »ein durch und durch schiefes Bild vom Verhältnis zwischen Geschichtsschreibung und Roman« vermitteln.4 Im Gegensatz zu Fulda sucht Süssmann, in kritischer Auseinandersetzung mit den Thesen Hayden Whites, einen Erzählbegriff zu profilieren, der nicht zwangsläufig an ein literarisches Erzählen gekoppelt ist, sondern an Kategorien des Erzählens, die »zwar zuerst an fiktonalen Erzählungen erkannt und beschrieben wurden, nur deswegen aber keineswegs selbst fiktionaler Natur sind.«5 Eine Ästhetisierung der Historie durch das Erzählen bestreitet Süssmann ebenso wie die vermeintliche Fiktionalität der Geschichtsschreibung – wenngleich er selbst relativierend einräumen muss:
Es gibt kein absolutes Kennzeichen, das Geschichtsschreibung und Geschichtsdichtung, pragmatische und fiktionale Texte voneinander unterscheidet. Alle Erzählmerkmale, die man konventionellerweise für solche Kennzeichen halten möchte, erweisen sich bei näherem Hinsehen als uneindeutig.6
Dennoch hält Süssmann an einer klaren Differenzierung zwischen literarischem und historischem Erzählen von Beginn der Geschichtsschreibung im 18. Jahrhundert an fest: Er schlägt vor, den Status der Texte über die Art ihres Gebrauchs, mithin die von ihnen intendierte Wirkungsabsicht zu definieren, welche er allem voran von der Beschaffenheit der Erzählinstanz abzuleiten versucht.7 Diese nämlich stelle, so Süssmann, endlich ein »immanentes Kriterium für die Beurteilung der verschiedenen Textsorten« zur Verfügung, entscheide über Wissenschaftlichkeit oder Unwissenschaftlichkeit des jeweiligen Textes und führe zu einer inneren Konstitutionslogik historiografischer Texte, die stets der »größtmögliche[n] Annäherung an die historische Wahrheit« verpflichtet sei.8
Diese hier kurz skizzierte Kontroverse erweist sich in zweifacher Hinsicht als repräsentativ im Hinblick auf die gegenwärtig literatur- wie geschichtswissenschaftlich virulent gewordene Frage nach dem Verwandtschaftsverhältnis von Literatur und Historiografie: Zum einen, weil sich beide der dargestellten Positionen ganz grundsätzlich auf die oft beschworene »Sattelzeit«9 des auslaufenden 18. Jahrhunderts beziehen und nicht zufällig von hier aus ihre Argumentation entwickeln. Zum anderen, weil die Kontroverse zwischen dem Germanisten Fulda und dem Historiker Süssmann die anhaltende Brisanz der Debatte und damit einhergehende, fachspezifisch begründete Sensibilisierungen vor Augen führt.