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3.3 Die Diskursivierung der Geschichte: Michel Foucault

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Die inzwischen nahezu unüberschaubare fachübergreifende Rezeption der Werke Michel Foucaults spiegelt sich in seiner geschichtswissenschaftlichen Berücksichtigung, allen voran im deutschsprachigen Raum, nur bedingt. Hier setzt eine Auseinandersetzung mit dem Franzosen erst in den 1990er Jahren ein und bringt zunächst Einzelanalysen hervor, die etwa machtanalytische und genderorientierte Ansätze für geschichtswissenschaftliche Untersuchungsfelder fruchtbar zu machen suchen oder an Foucaults archäologische Studien zur Geschichte des Wahnsinns, der Pathologie sowie der Kriminalität anknüpfen.1 Die Entdeckung des Historikers Foucault verdankt sich vorrangig der umfangreichen, 1998 erschienenen Studie Ulrich Brielers, die zu folgendem Ergebnis kommt:

In summa: Die Historie Foucaults kann als der radikalste Versuch zeitgenössischen Geschichtsdenkens verstanden werden, die vermeintliche Objektivität der historischen Gegenstände und ihrer theoretischen Fassungen zu brechen.2

Inzwischen sind Brielers Untersuchung weitere Arbeiten gefolgt, die das Werk Foucaults aus einer breiteren geschichtswissenschaftlichen Perspektive beleuchten.3

Von Interesse für die vorliegende Untersuchung ist die Frage, inwieweit Foucaults Ausführungen zur Geschichte an der tiefen Verunsicherung der Geschichtswissenschaft angesichts der postmodernen Einsicht in die sprachliche Verfasstheit der Wirklichkeit teilhaben, inwieweit also eine positivistisch vorausgesetzte historische Realität in Foucaults Diskursbegriff aufgeht. Diesbezüglich findet eine frühe Verurteilung durch die Geschichtswissenschaft statt, indem Foucaults Konzept der Diskursanalyse hier ausdrücklich als Signal des linguistic turn und als Ansatz verstanden wird, den außersprachlichen Kontext unberücksichtigt zu lassen – mithin die historische Referenzialität einmal mehr aufzugeben.4

Als vermeintlich exponierter Vertreter des (Post-)Strukturalismus wird Foucault zum einen (insbesondere von Vertretern eines um politische Intervention bemühten Marxismus) die Flucht aus der Realität in einen apolitischen Szientismus unterstellt. Zum anderen – und dies ist das aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive entscheidendere Argument – wird ihm die grundsätzliche Infragestellung historischer Kontinuität zugeschrieben sowie die Absage an die Möglichkeit des Einzelnen zur historischen Veränderung und damit das »Ende des Subjekts«.5 Offenbar zeigt sich innerhalb dieser Diskussion eine ähnliche Undifferenziertheit, wie sie bereits die oben ausgeführte Vereinnahmung der Thesen Hayden Whites durch poststrukturalistische Positionen (und der Kritik daran) sowie die fehlende Trennschärfe zwischen der Narrativitätsdebatte und dem vermeintlich postmodernen Abschied von den historischen Fakten kennzeichnet. Zum Teil verführt wohl der Foucault’sche Diskursbegriff dazu, ihn analog zu dem von Barthes profilierten und damit ganz im Sinne des Poststrukturalismus zu verstehen. Tatsächlich aber ist Philipp Sarasin zuzustimmen, wenn er mit Blick auf das Foucault’sche Gesamtwerk behauptet: »Wir werden sehen: Diskursanalyse nach Foucault hat kaum etwas mit dem linguistic turn zu tun […].«6 Wie Barthes entwickelt Foucault den Diskursbegriff ausgehend von der Unterscheidung der Ebene des Geschehens (histoire) und der Ebene seiner sprachlichen Darstellung (discours), löst sich in der Folge jedoch von dem streng linguistischen Entwurf und hält beide, wie Hans-Jürgen Goertz im Blick auf die sich wandelnden Positionen Foucaults unterstreicht, in »einer Spannung, die neue Perspektiven für die historische Arbeit zu eröffnen vermag«.7 Diese Spannung wird insbesondere im Übergang von Die Ordnung der Dinge (1966) zu Die Archäologie des Wissens (1969) nachvollziehbar, jenen Schriften, die im Kontext geschichtswissenschaftlicher Auseinandersetzungen am stärksten rezipiert worden sind.8 Foucaults Einordnung als Poststrukturalist verdankt sich unübersehbar dem früheren der beiden Werke, in dem Foucault eine Archäologie der Humanwissenschaften (so der Untertitel der Studie) entfaltet, welcher er seinen Begriff der Episteme zugrunde legt, jenes Ordnungschema, das »im Raum der Gelehrsamkeit« die Bedingungen konfiguriert, »die den verschiedenen Formen der empirischen Erkenntnis Raum gegeben haben.«9 Als Episteme der Renaissance begreift Foucault die Ähnlichkeit, welche die Signatur und das von ihr Bezeichnete verbindet – beide sind hier noch »von genau gleicher Natur«.10 Das Prinzip der Ähnlichkeit fungiert damit als das erkenntnisstiftende Zwischenglied, das Zeichen und Bezeichnetes miteinander verknüpft: »Den Sinn zu suchen, heißt an den Tag zu bringen, was sich ähnelt.«11 Das heißt auch, dass die Sprache als epistemologisches Instrument hier zum einen nicht in Frage gestellt wird, und zum anderen Hermeneutik (als die Suche nach dem bedeuteten Sinn) und Semiologie (als Auseinandersetzung mit den deutenden Zeichen) ineinander übergehen.12

Im Übergang zum klassischen Zeitalter, im auslaufenden 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts, beginnen Signifikat und Signifikant sich, mit Foucault, voneinander zu lösen. Um eine Verbindung zwischen beiden herzustellen, dominiert nun die Episteme der Repräsentation und später, im modernen Zeitalter, die des Menschen und der (subjektiven) Bedeutung, die er den Dingen verleiht. Von nun an, so Foucault, wird

man sich fragen, wie ein Zeichen mit dem verbunden sein kann, was es bedeutet. Auf diese Frage wird das klassische Zeitalter durch die Analyse der Repräsentation antworten, und das moderne Denken wird mit der Analyse des Sinnes und der Bedeutung antworten. Aber genau dadurch wird die Sprache nichts anderes mehr sein als ein besonderer Fall der Repräsentation – für die klassische Epoche – oder der Bedeutung – für uns. Die tiefe Zusammengehörigkeit der Sprache und der Welt wird dadurch aufgelöst.13

Das im klassischen Zeitalter etablierte Ordnungssystem der Repräsentation stellt dabei ein selbstregelndes Zeichensystem zur Verfügung, welches das Bezeichnete im repräsentierenden Bezeichnenden unmittelbar aufgehen lässt und die Erkenntnisfunktion der Sprache weiterhin aufrecht hält. Foucault verweist in seiner Argumentation auf das in der Logik von Port-Royal angegebene Beispiel der Landkarte, die dem von ihr bezeichneten Raum nicht ähnelt, sondern allein über die abstrakte Idee der Repräsentation funktioniert:

Tatsächlich hat das Bezeichnende als alleinigen Inhalt, als alleinige Funktion und als alleinige Bestimmung nur das, was es repräsentiert: es ist völlig danach geordnet und transparent; aber dieser Inhalt wird nur in einer Repräsentation angezeigt, die sich als solche gibt, und das Bezeichnete liegt ohne Rückstände oder Undurchsichtigkeit im Innern der Repräsentation des Zeichens.14

Dieser Glaube an eine Naturgeschichte, in der die Erkenntnis der Wesen aus der Möglichkeit ihrer Namensgebung resultiert und das Prinzip der Repräsentation den Dingen eine Realität gibt, erfährt im modernen Zeitalter, im Umbruch zwischen dem 18. und dem 19. Jahrhundert, eine radikale Erschütterung. Diese wird, folgt man Peter Sloterdijk, ausgelöst durch die Einsicht in die »den Dingen selbst inhärenten Grenzen, […] die Autonomie der sachlogischen Ordnungen und ihre Irreduzibilität auf die Weise ihrer Vorstellung«.15 Repräsentation und Realität fallen nun mit Foucault auseinander, veranschaulicht an den Bereichen der Arbeit, des Lebens und der Sprache. Jedes Sprechen ist von nun an durch den historischen und sozialen Ort determiniert, in dem es stattfindet – der Diskurs als die (zunächst noch sprachlich gefasste) Erscheinungsform der Episteme rückt in den Vordergrund der Foucault’schen Argumentation und meint nun eine Denk- und Aussagepraxis, die jene Dinge, von denen sie spricht, erst produziert.

Hier erst setzen jene sprach- und erkenntnistheoretischen Reflexionen Foucaults an, die seine Wahrnehmung als Poststrukturalist primär verantworten. Exemplarisch zeigt das die Rezeption durch Hayden White, der einen Schulterschluss mit Foucault bereits früh übt. In einem 1973 veröffentlichten Beitrag setzt er sich mit Die Ordnung der Dinge und Die Archäologie des Wissens auseinander und deutet Foucaults Aussagen dabei als erkenntnistheoretische Prämissen einer Geschichtswissenschaft, die sich der sprachlichen Konstitution ihres Sujets stellen müsse. Denn Foucault schreibe, so White,

»die Chronik des Verschwindens und Wiederauftauchens der Sprache – ihr Verschwinden in der Repräsentation und ihr Wiederauftauchen anstelle der Repräsentation, als diese ihr Ende gefunden hat in der Erkenntnis des abendländischen Bewußtseins seiner eigenen Unfähigkeit, Humanwissenschaften hervorzubringen, die auch nur annähernd die Überzeugungskraft ihrer Gegenstücke in den Naturwissenschaften besitzen.«16

Foucault gilt White als »der Philosoph des französischen Strukturalismus«17, er versäumt zwar nicht auf Foucaults eigene Ablehnung dieser Kategorisierung hinzuweisen, schreibt der Ordnung der Dinge jedoch jene Prämissen ein, die seine These von einer durch den Historiker »erfundenen« Geschichte stützen:

Der eigentliche Grund, warum man über manche Dinge schweigen muß, ist der, daß wir bei jeder Bemühung, die Ordnung der Dinge in der Sprache zu erfassen, einen bestimmten Aspekt dieser Ordnung ausblenden. Da die Sprache ein »Ding« wie jedes andere ist, ist sie ihrem Wesen nach intransparent. Der Sprache die Aufgabe zuzuschreiben, die Welt der Dinge zu »repräsentieren«, als könne sie diese Aufgabe angemessen erfüllen, ist daher ein tiefgreifender Irrtum. Jede gegebene Diskursform kann daher nicht danach, was sie dem Bewußtsein über die Welt zu sagen erlaubt, bestimmt werden, sondern danach, was sie von ihr zu sagen verbietet, nach dem Erfahrungsbereich, den der sprachliche Akt selbst von der Repräsentation in der Sprache ausschließt. Sprechen ist ein repressiver Akt, als spezifische Form der Repression identifizierbar anhand des Erfahrungsbereichs, den es zum Schweigen verurteilt.18

Im Unterschied zu der Vereinnahmung durch White begründet Foucault den Repressionscharakter der Sprache jedoch nicht ausgehend von zeitgenössischen strukturalistischen Überzeugungen, sondern indem er, spätestens in der Archäologie des Wissens, einen Diskursbegriff etabliert, der »die diskursiven Praktiken in ihrer Komplexität und in ihrer Dichte« nachzeichnet und dabei zu zeigen sucht, »daß Sprechen etwas tun heißt.«19 Im Gespräch mit Raymond Bellour versucht Foucault den entscheidenden Unterschied zwischen strukturalistischen Ansätzen und der eigenen Diskursanalyse auszuführen:

Ich bin im Unterschied zu jenen, die man als Strukturalisten bezeichnet, nicht so sehr an den formalen Möglichkeiten eines Systems wie der Sprache interessiert. Mich persönlich reizt vielmehr die Existenz der Diskurse, die Tatsache, daß Äußerungen getan worden sind, daß solche Ereignisse in einem Zusammenhang mit ihrer Ursprungssituation gestanden haben, daß sie fortbestehen und mit ihrem Fortbestand innerhalb der Geschichte eine Reihe von manifesten oder verborgenen Wirkungen ausüben.20

Entsprechend distanziert Foucault in Archäologie des Wissens sein diskursanalytisches Konzept explizit von der bloßen »Übertragung einer strukturalistischen Methode […] auf das Gebiet der Geschichte und insbesondere der Geschichte der Erkenntnisse.«21 Stattdessen profiliert Foucault eine Analysemethode, die nicht den linearen Verlauf der Geschichte, sondern die Gleichzeitigkeit (Häufung) diskursiver Formationen untersucht – ein Verfahren, das er selbst als »den Typ von Positivität eines Diskurses zu definieren«22 bezeichnet; augenzwinkernd erfolgt eben hier die Selbstausweisung Foucaults als »glücklicher Positivist«.23 Dabei geht Foucault von der Vorstellung eines positiv zu bestimmenden diskursiven Feldes aus, als »die stets endliche und zur Zeit begrenzte Menge von allein den linguistischen Sequenzen, die formuliert worden sind.«24 Damit stellt die Diskursanalyse, die sich auf endliche und bestimmbare Mengen von Aussagen konzentriert, grundsätzlich andere Fragen als die sich auf ein »beliebiges« diskursives Faktum beziehende strukturalistische Sprachanalyse:

[G]emäß welchen Regeln ist eine bestimmte Aussage konstruiert worden und folglich gemäß welchen Regeln könnten andere ähnliche Aussagen konstruiert werden? Die Beschreibung der diskursiven Ereignisse stellt eine völlig andere Frage: wie kommt es, daß eine bestimmte Aussage erschienen ist und keine andere an ihrer Stelle?25

Whites Einsicht, der »versteckte Protagonist« der frühen Schriften Foucaults sei die Sprache, greift folglich ebenso wie seine Analyse Foucaults als »eschatologischen Strukturalisten«, für den »das ganze menschliche Leben als ein ›Text‹ zu behandeln« sei, zu kurz.26 Die Vereinnahmung Whites erklärt sich aus seinem Bemühen, Foucault als Verwandten Giambattista Vicos zu deuten, da er »eine ähnliche Art tropologischer Reduktion« in Foucaults Analyse der humanwissenschaftlichen Archäologie vorzufinden glaubt. Mit dieser Erkenntnis sieht White sich legitimiert, Foucault seine eigene These einer »Poetik der Geschichte« zuschreiben zu können, so dass er schlussfolgert:

Die Prosa in Dichtung umzuwandeln ist Foucaults Absicht und so geht es ihm vor allem darum zu zeigen, wie alle Denksysteme in den Humanwissenschaften als wenig mehr denn als terminologische Formalisierungen des poetischen Sich-Arrangierens mit der Welt der Wörter statt mit den Dingen, die sie zu repräsentieren und zu erklären behaupten, gesehen werden können.27

Eine solche Reduktion der Thesen Foucaults, wie White sie exemplarisch vorführt, ist, wie wir gesehen haben, mit Blick auf das eigentliche Ziel der Diskursanalyse, wie Foucault es in Archäologie des Wissens spezifiziert, freilich irreführend. Tatsächlich verweigert sich Foucaults Werk einer strengen Subsumierung unter den linguistic turn oder den Strukturalismus, da die von White gänzlich ausgesparte diskursive Praxis sukzessive eine größere Rolle einzunehmen scheint als die Sprache.28 Foucault schärft einen Diskursbegriff, der über eine rein sprachliche Dimension hinausgeht und die praktische Ebene des Handelns mit einbezieht. Unmissverständlich wird diese Ausweitung der sprachlichen Ebene, wenn Foucault es in Archäologie des Wissens nicht als seine primäre Aufgabe begreift,

die Diskurse als Gesamtheiten von Zeichen (von bedeutungstragenden Elementen, die auf Inhalte oder Repräsentationen verweisen), sondern als Praktiken zu behandeln, die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen. Zwar bestehen diese Diskurse aus Zeichen; aber sie benutzen diese Zeichen für mehr als nur zur Bezeichnung der Sachen. Dieses mehr macht sie irreduzibel auf das Sprechen und die Sprache. Dieses mehr muß man ans Licht bringen und beschreiben.29

Mit der Diskursanalyse schreibt Foucault Geschichte neu, schreibt sie – indem er das nicht Ausgesprochene, die den Diskurs steuernden »Ausschließungssysteme«30 in den Blick nimmt – von ihren Rändern her. Das ist der lose historiografische Faden, der sein frühes Werk mit dem späten verbindet. Damit bleibt Foucault trotz seines Denkens, »das uneinheitlich war und unruhig war, das Widersprüche oder zumindest konzeptionelle Spannungen zuließ und das sich auch ständig veränderte, ohne seine Grundlinien zu verlassen«,31 dem Leitsatz seiner frühen Veröffentlichung Wahnsinn und Gesellschaft treu, in der es heißt:

Man könnte die Geschichte der Grenzen schreiben – dieser obskuren Gesten, die sobald sie ausgeführt, notwendigerweise schon vergessen sind –, mit denen eine Kultur etwas zurückweist, was für sie außerhalb liegt; und während ihrer ganzen Geschichte sagt diese geschaffene Leere, dieser freie Raum, durch den sie sich isoliert, ganz genau soviel über sie aus wie über ihre Werte; […] Eine Kultur über ihre Grenzerfahrungen zu befragen, heißt, sie an den Grenzen der Geschichte über eine Absplitterung, die wie die Geburt ihrer Geschichte ist, zu befragen.32

Es bleibt zentrales Anliegen Foucaults, die gesellschafts- und wertkonstituierenden Institutionen wie Praktiken der Macht sowie deren Ausschließungsmechanismen (Wahnsinn, Krankheit, Tod, Sexualitätsdiskurs, Anomalie, Gefängnis) ins Auge zu fassen, die er allesamt als Resultat einer dialektisch verstandenen Aufklärung begreift. Dem Nachvollziehen dieser »Geschichte über eine Absplitterung« verpflichtet sich Foucault, wenn er in Wahnsinn und Gesellschaft der Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft nachgeht, in Die Anormalen das Aufkommen von ›Normalisierungstechniken‹ und die von ihnen Ausgeschlossenen untersucht oder in Der Wille zum Wissen die »polymorphen Techniken der Macht« des abendländischen Diskurses über die Sexualität herausstellt.

Nicht zufällig zitiert Philipp Sarasin in seinem Essay zur ›Zukunftsträchtigkeit‹ Foucaults aus einem Artikel, den Foucault 1979 mit Blick auf die iranische Revolution der Jahre 1978/79 verfasst. Darin beschreibt Foucault die geschichtsmächtige Kraft jener Stimmen, die sich vom Rande der Gesellschaft und gegen die Machtinstanzen, die sie als Ausgeschlossene (Strafgefangene, Irre, unterdrücktes Volk) erst produzieren, erheben. Warum nun ist, mit Foucault, das Vernehmen dieser Stimmen so wesentlich?

Niemand muss glauben, diese wirren Stimmen sängen schöner als andere und sagten die letztgültige Wahrheit. Es genügt, dass sie da sind und alles sie zum Schweigen zu bringen versucht, damit es sinnvoll ist, sie anzuhören und verstehen zu wollen, was sie sagen. Eine Frage der Moral? Ganz sicher eine Frage der Realität. Daran ändern auch all die Enttäuschungen der Geschichte nichts. Weil es solche Stimmen gibt, hat die Zeit des Menschen nicht die Form der Evolution, sondern die der ›Geschichte‹.33

Indem Foucault darauf beharrt, Geschichte unter Berücksichtigung dieser Stimmen zu schreiben und zu verstehen, weil sie, mit Sarasin, »die Wirklichkeit prägen und weil sich in ihnen Subjekte manifestieren«,34 erweist er sich längst nicht als jener »Verleugner der Geschichte und Verächter des Subjekts«, auf den ihn Kritiker reduzieren.35 Vielmehr nimmt Foucault, obgleich er die historische Metaerzählung, allen voran jene der Aufklärung, ablehnt, die Geschichte ernst, nicht als lineare, dem Fortschritt verpflichtete kohärente Entwicklung, sondern mit ihren Widersprüchen, Rückfällen, Zäsuren – und in der Gleichzeitigkeit von Disparatem, Zufälligem und Ähnlichem. Das Werkzeug, eine solche Geschichte aufzuschlüsseln, liefert er mit der Diskursanalyse und bereitet damit den Boden für jenen theoretischen Ansatz, der den narrativen Charakter der Geschichte mit der historischen Bedingtheit des Textes verbinden wird – dem New Historicism.

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