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Herren des linkshändigen Pfades

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In diesem Buch stelle ich die Gedanken und Biografien vieler Magier und Philosophen in Vergangenheit und Gegenwart vor. Einige werden gemeinhin als „böse“ und „satanistisch“ angesehen, während andere durch die Geschichte gingen, ohne mit einem solchen Vorurteil behaftet zu sein. Aber Vorstellungen stimmen selten mit der Realität überein, auch wenn die Madison Avenue oder Washington DC Sie dies glauben machen wollen. Letztlich wird man einige dieser Gestalten, nach eingehender Analyse, nicht als Praktizierende des linkshändigen Pfades ansehen können. Die Kriterien, die ich zur Abgrenzung des eigentlichen Wesens des linkshändigen Pfades von scheinbar Zugehörigem anwende, müssen an dieser Stelle klar benannt werden. Einige der in diesem Buch behandelten Figuren erfüllen eine Reihe dieser Kriterien, aber doch nicht genug, um als „Herren“ oder „Meister“ des Pfades bezeichnet werden zu können.

Es gibt zwei Hauptkriterien, um jemanden als wahren Herrn (oder wahre Herrin) des linkshändigen Pfades zu identifizieren: Selbstvergöttlichung und Antinomismus. Das erstgenannte ist recht komplex: Das Gedankensystem, das ein Magier oder Philosoph vertritt, muss eines sein, welches die individuelle Selbstvergöttlichung, vorzugsweise beruhend auf einem magischen Initiationsschema, befördert. Wir werden sehen, dass zu diesem ersten Kriterium fünf verschiedene Aspekte gehören:

1. Selbstvergöttlichung: Das Erlangen eines erleuchteten (oder erwachten), unabhängig existierenden Intellekts und dessen relative Unsterblichkeit.

2. Individualismus: Der erleuchtete Geist ist derjenige eines Individuums, nicht eines Kollektivwesens.

3. Initiation: Die Erleuchtung und unerschütterliche Haltung, die zum Erreichen der angestrebten Entwicklungsstufe des Selbst notwendig sind, werden vom Magier durch dessen Willen Schritt für Schritt erlangt, und nicht, weil er oder sie von Anfang an schon „göttlich“ waren.

4. Magie: Die Praktizierenden des linkshändigen Pfades wenden, nach ihrer Anschauung, ihren Willen im Rahmen eines zweckmäßig eingerichteten Systems oder einer spirituellen Technik an, die dazu entwickelt wurde, das sie umgebende Universum mit ihrem selbständig geschaffenen Modell in Übereinstimmung zu bringen.

Das zweite Kriterium, der Antinomismus, besteht darin, dass sich die Praktizierenden für Opponenten gegen die grundlegenden Übereinstimmungen, den „Kern“, ihrer kulturell konditionierten und konventionalisierten Normen von „gut“ und „böse“ halten. Wahre Herren und Herrinnen des linkshändigen Pfades haben den spirituellen Mut, ihre Ziele mit den kulturellen Normen des „Bösen“ zu identifizieren. Sie werden die Symbole des konventionell „Bösen“, der „Unreinheit“ oder der „Rationalität“ oder sonstiger Qualitäten, die in ihrer Kultur üblicherweise gefürchtet und abgelehnt wird, bejahen. Die Herren und Herrinnen des linkshändigen Pfades werden sich selbst von ihren Mitmenschen abkehren; sie werden tatsächlich oder im übertragenen Sinne als Außenseiter leben, um diejenige Art von innerer Unabhängigkeit zu erreichen, die für die initiatorische Arbeit im Sinne des ersten Kriteriums nötig ist. Die Praxis, die diesem zweiten Kriterium entspricht, manifestiert sich oft in „Antinomismus“, d. h. in der absichtlichen Zurückweisung konventioneller normativer Kategorien: „böse“ wird zu „gut“, „unrein“ zu „rein“, „Dunkelheit“ zu „Licht“.

Anders gesagt, der Antinomismus impliziert etwas „Ungesetzliches“. Aber der Praktiker des linkshändigen Pfades ist kein Krimineller im gewöhnlichen Sinne. Er oder sie ist gewillt, die kosmischen Gesetze der Natur ebenso wie die konventionellen gesellschaftlichen Gesetze, die aus Unwissenheit und Unwissenheit resultieren, zu brechen. Während er so verfährt, strebt der Praktiker des linkshändigen Pfades allerdings nach einem „höheren Gesetz“ der Wirklichkeit, das sich auf Wissen und Macht gründet. Obwohl er jenseits von Gut und Böse verläuft, verlangt dieser Weg strenge ethische Standards. Diese Standards beruhen auf Verständnis und nicht auf blindem Gehorsam gegenüber äußeren Autoritäten.

Dieses letztgenannte Merkmal des wahrhaftigen linkshändigen Pfades ist die Hauptursache für zahlreiche Missverständnisse, nicht nur durch Außenstehende, sondern auch durch Personen, die dem Pfad folgen möchten. Es bedarf eines großen spirituellen Mutes, an der Abkehr nicht nur von der Umwelt, sondern auch von Aspekten des eigenen subjektiven Universums festzuhalten. Viele brechen unter dieser Last zusammen, scheitern an dieser Herausforderung und sinken zurück in den Sumpf ihrer kulturellen Normen.

Damit jemand wirklich als Herr oder Herrin des linkshändigen Pfades angesehen werden kann, muss er also die konventionellen Vorstellungen vom „Guten“ ablehnen und diejenigen vom „Bösen“ befürworten bzw. einen Antinomismus vertreten, um eine dauerhafte, unabhängige, erleuchtete und ermächtigte Stufe des Seins zu erreichen. Diese Selbstvergöttlichung kann nicht ohne die „satanische“ Komponente statthaben, die als eine Art Kompass durch den Morast der gewöhnlichen Empfindungen und Glaubensvorstellungen führt.

Während ich mich mit den Vorarbeiten zu diesem Buch befasste, bemerkte ich, dass es eigentlich zwei voneinander unterschiedene Zweige des linkshändigen Pfades gibt. Beide erfüllen die oben genannten Kriterien, aber sie nähern sich ihrem Ziel aus unterschiedlichen Richtungen. Der eine von beiden, den ich den „immanenten Zweig des linkshändigen Pfades“ nenne, geht von einem „objektivistischen“ und sogar materialistischen Standpunkt aus. Seine magischen Methoden sind oft von Metaphorik durchdrungen, und er orientiert sich zumeist nur am objektiven oder „kosmischen“ Universum. Bei diesem Zweig ist die antinomistische Stoßrichtung besonders stark akzentuiert. Unter den zeitgenössischen Schulen wird er von LaVeys Satanismus vertreten.

Der zweite Pfad, den ich als „transzendentalen Zweig des linkshändigen Pfades“ bezeichne, beruht auf einem psychozentrischen (seelen- oder intellektzentrierten) Modell. Er ist hochgradig idealistisch ausgerichtet, und seine magischen Methoden basieren gewöhnlich auf ewigen Formen oder Archetypen. Deutlich erkennt und feiert er die letztendliche Trennung des menschlichen Geistes von der ihn umgebenden kosmischen Ordnung. In seinen höchsten Formen ist der transzendentale Zweig auf das subjektive Universum gerichtet – auf die Loslösung des Selbst aus der Weltordnung und die Evolution jenes Selbst zu einer dauerhaften und machtvollen Stufe. Bei diesem Zweig wird der Aspekt der Selbstvergöttlichung besonders betont. Im Kontext moderner Schulrichtungen vertritt ihn insbesondere die sethianische magische Philosophie von Michael Aquino (siehe Kap. 10).

Ich werde meine Untersuchung des linkshändigen Pfades damit beginnen, wie er in „östlichen“ religiösen Systemen verstanden wurde, d. h. in Systemen, die ihre Wurzeln im indo-iranischen Kulturkreis haben. Zunächst diskutiere ich die Konzepte des rechtshändigen Pfades im Gegensatz zum linkshändigen vor dem Hintergrund von Hinduismus und Buddhismus (in dem diese Begriffe zuallererst aufkamen). Dieser Abschnitt wird die gesamte Betrachtung in einen nicht jüdisch-christlich geprägten Kontext einbetten, in welchem beide Pfade koexistierten und dieselbe Kosmologie vertraten. Dabei werfe ich auch einen Blick auf die dualistischen Lehren des Zoroastrismus und gehe der Frage nach, wie diese die Entwicklung des linkshändigen Pfades im Westen beeinflussten.

Die philosophischen Systeme einiger großer Weltkulturen wie die des Fernen Ostens (China und Japan) oder der mittelamerikanischen Welt wird der Leser möglicherweise vermissen. Zum Teil beruht dies auf meinen Wissensgrenzen, zum Teil scheint es aber auch, dass etwa die Systeme des Taoismus oder des Shinto nicht dieselben strengen Dichotomien aufweisen, auf denen ein Verständnis der Rolle des Einzelnen im Universum in der Terminologie der „beiden Pfade“ beruht. Das Maß, in dem sie doch in die verschiedenen Systeme eingegangen sind, dürfte mit dem Grad ihrer Berührung mit indo-arischem Denken in der Gestalt des Buddhismus zu tun haben.

Im zweiten Teil des Buches werde ich die westlichen Zweige des linkshändigen Pfades behandeln. Zunächst aber müssen wir die eigentliche Natur der „westlichen“ Traditionen deutlich verstehen. Es ist wichtig, einerseits zu erkennen, in welcher Hinsicht indigene europäische Systeme Aspekte mit „östlichen“ Traditionen teilen, als auch andererseits zu sehen, bis zu welchem Grade der „Westen“ tatsächlich ein Produkt südlichen Einflusses – vor allem aus Ägypten und dem Mittleren Osten – ist. Was wir oft „östlich“ nennen, ist in Wirklichkeit östlicher (oder nördlicher), was wir als „westlich“ bezeichnen, ist tatsächlich „mittelöstlicher“ oder südlicher Herkunft.

In unserer Betrachtung der ursprünglich-europäischen Traditionen werden wir zuerst die griechisch-römische Welt in den Blick nehmen. Der Mythos von Prometheus kann als Paradigma der Beziehung von „Schöpfergott“ zum „Spender der Gabe des göttlichen Funkens“ gesehen werden. In der nordischen Tradition werden wir den Mythos Odins als ursprüngliches Paradigma des Fürsten der Finsternis, der auf die „faustische“ Thematik vorausweist, erkennen.

Der Westen wurde selbstverständlich in hohem Maße aufgrund seiner Übernahme des Christentums (einer jüdischen Lehre aus dem Osten) sowie durch das Judentum selbst und später durch den Islam von Traditionen des Mittleren Ostens geprägt. Ein Verständnis dieser Tradition ist eine Grundvoraussetzung für die Sicht des linkshändigen Pfades im heutigen Westen. Von Bedeutung sind hier sowohl sumerische als auch semitische Auffassungen von der Rolle „böser Gottheiten“ in nichtjüdischen semitischen Religionen.

Die ägyptische Tradition, namentlich die Art, wie der Kult des Gottes Seth praktiziert wurde, ist nicht nur für das Verständnis der antiken Traditionen des linkshändigen Pfades, sondern auch im Hinblick auf ihre mögliche Relevanz für die zeitgenössische Verehrung Seths wesentlich.

Um die tiefe Bedeutung des linkshändigen Pfades im Westen von der Christianisierung bis zum Heraufdämmern unseres eigenen postmodernen Zeitalters zu erfassen, müssen wir die jüdischen Wurzeln des Christentums in den Ideen des „Bösen“ und im Wesen Satans erkennen. In dieser Hinsicht dürfen wir die gnostischen (vor allem ophitischen und naassenischen „Schlangen“-)Interpretationen der Funktion der Schlange/​Luzifers und seiner prometheischen Beziehung zur Menschheit nicht verkennen.

Die orthodoxe christliche Doktrin hinsichtlich desselben Mythos Eden steht hierzu, wie wir sehen, in einem fundamentalen Gegensatz. Eine rationale, objektive und wirklich vom Text geleitete Interpretation des „Mythos von Eden“ läßt die Schlange nämlich als „Beschützerin“ der Menschheit und spirituelle Schöpfergestalt erscheinen.

Weiterhin werden wir die bemerkenswerte Geschichte des linkshändigen Pfades in der islamischen Tradition kennenlernen, in der wir einigen besonders selbstbewussten Anhängern dieses Pfades vor dem zwanzigsten Jahrhundert begegnen. Viele Menschen, darunter auch heutige praktizierende Satanisten, glauben in irgendeiner Weise, dass das Mittelalter eine Hochzeit satanistischer Betätigung war. Nichts ist weiter von der Wahrheit entfernt! Die Zeit des Mittelalters kannte kaum eine wirkliche Tätigkeit auf dem linkshändigen Pfad, obwohl die Kirche gerne glauben wollte (und andere glauben machte), dass es an jeder Ecke satanische Kulte gab. Dies endete, als vorhersagbare Radikalisierung rechtshändiger Ignoranz und Amok laufender Panik, im „Hexenwahn“ des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts.

Ein interessanter Niederschlag der mittelalterlichen Geistestradition in Deutschland war die faustische Mythe, die uns in die Neuzeit und darüber hinaus führt. Sie ist in starkem Maße von der Entwicklung geprägt, die von der geistigen Welt der faustischen Magier des Spätmittelalters zu derjenigen verläuft, die aus Goethes Faust spricht – dem Übergang von einem mittelalterlichen Denkmuster (nach Wissen und Macht zu streben, ist wesentlich „böse“) zu einem modernen (das Streben nach Wissen und Macht ist gut). Hier finden wir tatsächlich eine Rückwendung zu antiken Vorbildern. Die Bilder, die man sich in der klassischen und romantischen Epoche vom Teufel machte, sind zweifellos für diesen Übergang in der westlichen Kultur von Bedeutung.

Im Verlaufe der Untersuchung werden wir auch einige Blicke auf Erscheinungsformen des linkshändigen Pfades in Renaissance und Aufklärung werfen, auf Miltons Satan, den Marquis de Sade und den unumgänglichen Hellfire Club. Auch die französischen „Satanisten“ des neunzehnten Jahrhunderts können nicht ignoriert werden, auch wenn sie aus der Perspektive des linkshändigen Pfades ein enttäuschendes Bild abgeben. Die meisten von ihnen verfügen über wenig bis gar kein Verständnis der tatsächlichen Lehren des linkshändigen Pfades, sondern laben sich genußvoll an der Dunkelheit als Einübung einer obskuren Ästhetik. Schließlich werden wir auch danach zu fragen haben, welche Aspekte des linkshändigen Pfades in Marxismus und Nationalsozialismus, zwei entgegengesetzten politischen (aber in vielem verwandten) Ideologien des späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts zum Ausdruck gelangt sind.

Keine historische Periode ist für den Aufstieg des philosophischen Satanismus in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts so bedeutsam wie die Wiedergeburt des Okkultismus im späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert. Die ursprünglich auf luziferische und gnostisch-ophitische Lehren zurückgehende Theosophie H.P. Blavatskys (wie sie insbesondere in ihrer Geheimlehre formuliert ist) bildet einen Zweig dieser Tradition, während der Thelemismus von Aleister Crowley einen anderen bildet. Crowley muss hier von einem rein philosophischen Standpunkt aus betrachtet werden. Obwohl er zweifellos zu den bedeutendsten Theoretikern des linkshändigen Pfades in der modernen westlichen Welt zählt, hat er zu diesem ein ausgesprochen ambivalentes Verhältnis. Im Zusammenhang mit dem Thelemismus haben wir auch auf die deutsche Fraternitas Saturni einzugehen, die von Gregor A. Gregorius (Eugen Grosche) gegründet und geleitet wurde. Ebenso müssen wir die Lehren des „Vierten Weges“ von G.I. Gurdjieff behandeln. Der letzte Teil des Buches befaßt sich detailliert mit den beiden bedeutendsten zeitgenössischen philosophischen Richtungen des linkshändigen Pfades: mit Anton LaVeys Church of Satan und Michael Aquinos Temple of Set.

Während des gesamten Buches werde ich immer wieder, gestützt auf die in diesem Kapitel eindeutig herausgestellten Prinzipien, versuchen, eine Bresche in den Dschungel von Konfusion, Missverständnis und Fehlinformation über den linkshändigen Pfad und die Praxis heutiger Schwarzer Magie zu schlagen. Mir ist nur allzu bewusst, dass viele dieser Begriffe in der Geschichte bis auf den heutigen Tag von Vertretern des rechtshändigen Pfades oder von Personen, die viele Jahre lang von solchen Quellen in die Irre geführt wurden, in einer Weise verwendet worden sind, die sehr von meinem Gebrauch abweicht. Der Unterschied besteht ganz einfach darin, dass ich über den linkshändigen Pfad aus einer internen Perspektive schreibe, während die meisten anderen Texte von einem externen Standpunkt aus verfaßt wurden. Dasjenige zu lesen, was ein Anhänger des rechtshändigen Pfades über den linkshändigen zu sagen hat, gleicht beinahe der Lektüre eines Buches über die Wall Street, das von einem Wirtschaftsprofessor, der während der Sowjetzeit an der Universität Moskau studiert hat, geschrieben wurde. Er mag interessante Einsichten haben, aber ohne die Perspektive eines Börsenmakler an der Wall Street wird er zu keinem rechten Verständnis gelangen, wie der Aktienmarkt funktioniert.

Historisch wurde der linkshändige Pfad des öfteren mit den Methoden identifiziert, von denen man glaubte, dass er sie anwendet, darunter Nekromantie (die Befragung der Toten für wahrsagerische Zwecke) und Sexualmagie (es scheint, dass der rechtshändige Pfad immer ein Problem mit Sexualität gehabt hat). Tatsächlich gibt es in den verschiedenen linkshändigen Traditionen des Ostens wie des Westens keine kategorischen methodischen Vorschriften. Methoden werden gewöhnlich aus rein pragmatischen Gründen gewählt. Wenn etwas funktioniert, wird es weiterhin angewandt. Es gibt oft eine starke antinomistische Tendenz in der magischen Methodologie des linkshändigen Pfades. Gegen den Kernbestand gesellschaftlicher Konventionen oder natürlicher Grenzen vorzugehen, wird oft als bewusste Prüfung der Göttlichkeit, welche der menschlichen Natur innewohnt, gesehen. Dieser Aspekt muss in einem sehr weiten Sinne verstanden werden, zumal einige Verhaltensweisen, die – wie die übermäßige Einnahme von Drogen – als antinomistisch bzw. gegen gesellschaftliche Übereinkünfte oder Anstandsregeln gerichtet erscheinen, von den meisten gebildeten Praktizierenden des linkshändigen Pfades im Westen abgelehnt werden. Die theoretische Grundlage dieser Ablehnung liegt darin, dass solche Gifte die Ausübung des freien Willens und die Ausbildung des eigenen Selbst beeinträchtigen, die beide zusammen aus der Sicht des linkshändigen Pfades die größten Potentiale darstellen. Von diesem Standpunkt aus wären Drogen eher geeignet, das Ziel der Selbst-Auslöschung im Sinne des rechtshändigen Pfades herbeizuführen.

Eine andere Weise, in der Schwarze Magie historisch manchmal von Weißer unterschieden wurde, ist die Klassifikation der Wesenheiten, von denen gesagt wurde, dass der Magier mit ihnen Umgang habe. Weiße Magier würden demgemäß nur „engelhafte“ Wesen anrufen, Schwarze hingegen „dämonische“. Selbstverständlich beruht diese Vorstellung auf den mittelalterlichen christlichen Angelologien und Dämonologien, und häufig findet man in den alten Grimoires beschrieben, wie dämonische Kräfte durch die Macht des Namens Gottes gezwungen wurden, alles zu tun, wozu der Magier sie aufforderte, was beinahe alles sein konnte. Engel können dazu gebracht werden, Dämonen zu verführen oder zu töten, um Weisheit zu erlangen oder um eine verborgene Wahrheit zu enthüllen. Aus der Sicht des linkshändigen Pfades selbst wird man eine solche Unterscheidung als Heuchelei betrachten. Das Augenmerk wird auch hier weniger auf das „Wie“ als vielmehr auf das „Warum“ gerichtet.

In dieser Hinsicht wurde die Schwarz-Weiß-Unterscheidung in der Geschichte manchmal auf Gutes bewirkende Magie bzw. auf Schadenszauber bezogen: Magie, die jemanden schädigt, ist schwarz; Magie, die dazu dient, zu heilen oder sonstiges Gutes zu tun, ist weiß. Diese Unterscheidung ist immerhin in einigen Aspekten gültig. Die einzigen Probleme aus Sicht des linkshändigen Pfades sind erstens, dass sie keine wesentlichen kosmologischen oder theologischen Fragen bezüglich der beiden Pfade anspricht, und zweitens, dass sie generell unrealistisch ist. „Weiße Magier“, haben, auf die Probe gestellt, gewöhnlich kein Problem damit, Gott oder die Engel zu bitten (oder zu zwingen), ihnen den Sieg über ihre Feinde zu verleihen und die „teuflischen Widersacher“ (d. h. jeden, der ihnen im Weg steht) zu vernichten. Der linkshändige Pfad sieht Magie als eine Technik oder Methodologie menschlichen Handelns an; an und für sich ist Magie neutral gegenüber moralischen Werten. Mit anderen Worten: Nicht Magie tötet Menschen, sondern der Magier tötet Menschen. Der Gebrauch Schwarzer Magie kann als geleitet von denselben ethischen Standards wie alle anderen Arten menschlichen Handelns betrachtet werden. Der Schwarze Magier lehnt es allerdings ab, sich in seiner Anwendung magischer Mittel einschränken zu lassen, einzig weil diese Tätigkeit zu einer Klasse von Verhaltensweisen gehört, die von orthodoxen Religionen gewöhnlich verdammt werden. Wenn ein Ziel mit irgendwelchen Mitteln schwer erreicht werden kann, dann ist völlig gerechtfertigt, Magie anzuwenden, wenn es denn nötig ist, dass Ziel zu erreichen. Wenn ein Krieg schwerlich zu gewinnen ist oder jemand triftige Gründe hat, sich gegen einen Angriff zu verteidigen, dann wird der Schwarze Magier kein Problem darin sehen, seinen Feind zu beseitigen. Er sieht also nichts als Heuchelei auf Seiten Weißer Magier, die aus denselben Gründen beten oder physische Mittel anwenden, während sie den Schwarzen Magier als böse verfluchen. Der Gebrauch Schwarzer Magie ist einfach nur eine logische Übertragung menschlicher Motive in den Bereich der Magie.

Schließlich gibt es die fundamentale Unterscheidung zwischen den beiden Pfaden, diejenige von Vereinigung versus Nicht-Vereinigung, die wir bereits behandelt haben. Auf dieser Grundlage können auch die anderen, fehlgeleiteten Unterscheidungen am besten verstanden werden. Vom Standpunkte magischer Unabhängigkeit aus ist der Schwarze Magier in der Lage, jede magische Technik ganz pragmatisch anzuwenden, wie es ihm beliebt, mit jeder Art von Wesenheit umzugehen (bzw. meistens eher, sich vom Umgang mit äußeren Entitäten zurückzuziehen), und jedes gewünschte Ziel zu verfolgen – in jeder Hinsicht von einem innerlichen Verständnis seiner Zwecke und seiner Verantwortung geleitet. Äußerste spirituelle Unabhängigkeit ist das wesentliche Merkmal des linkshändigen Pfades. Aus der Freiheit, die damit einhergeht, folgt die Möglichkeit unethischen Verhaltens. Das ist freilich der Preis der Freiheit.

Zwar ist im Einzelfall nicht leicht nachzuweisen, ob der linkshändige Pfad verfolgt wird, aber wenn seine Prinzipien erst einmal bekannt sind, dürfte allmählich deutlich werden, wie breitgefächert seine Philosophie ist. Im vorliegenden Buch konzentriere ich mich auf solche Schulen und Persönlichkeiten, die sich entweder selbst als Anhänger des linkshändigen Pfades (wie im Tantrismus, in der Church of Satan oder im Temple of Set) bekannt haben oder die von ihm wissen und ihn, aus der Perspektive des linkshändigen Pfades selbst betrachtet, praktiziert zu haben scheinen, auch wenn sie sich (zumindest öffentlich) von ihm distanziert haben (z. B. H.P. Blavatsky oder Aleister Crowley). Die grundlegenden Auffassungen des linkshändigen Pfades haben jedenfalls weit über den Bereich magischen und okkulten Handelns hinaus die Jahrhunderte durchdrungen. Viele antike Philosophien beruhten auf Prinzipien, die sie mit dem linkshändigen Pfad teilten, und es geschah erst mit dem Aufkommen des Christentums, dass diese Philosophien entweder unterdrückt oder soweit christlich umgedeutet wurden, bis sie genehm waren (vgl. den Kult Odins oder insbesondere die pythagoräische/​platonische Philosophie). In neuerer Zeit haben moderne philosophische Systeme und politische Ideologien wesentliche und fundamentale Prinzipien des linkshändigen Pfades vollständig übernommen, die fast alle zu allgemein akzeptierten Normen der westlichen Welt wurden. Es ist leicht verständlich, dass die Mächte des orthodoxen Christentums jeden Fortschritt in der Wissenschaft, der Politik oder der Religionsphilosophie bekämpften, da jeder Schritt zu mehr spiritueller Freiheit und jede Stärkung pluralistischer Interessen gegenüber den Kräften der Einheit in der Tat ein Sieg des Fürsten der Finsternis – des Prinzips der isolierten Intelligenz – über die monolithische, einzige Gewalt des göttlichen Gebotes ist.

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