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Methoden des linkshändigen Pfades im Buddhismus
ОглавлениеEiner der Hauptaspekte des linkshändigen Pfades im Buddhismus ist die positive Einstellung gegenüber der Sexualität. Der Buddhist des linkshändigen Pfades erkennt bestimmte Shakta-Vorstellungen an, nach welchen die schöpferische Energie oder „Wirkmächtigkeit“ einer Gottheit, eines Engels, Dämons oder Bodhisattvas in seinem Ehepartner oder Gefährten personifiziert ist. Im buddhistischen Tantra des linkshändigen Pfades werden die Shaktis – weibliche Aspekte überweltlicher Wesenheiten – als Geliebte verehrt. Der praktizierende buddhistische Tantriker sucht die sexuelle Vereinigung mit diesen Shaktis mit dem Ziel, sich ihrer Kraft zu bedienen und die Kraft, die er aus diesen Vereinigungen zieht, für seine weitere spirituelle Entwicklung zu nutzen. Eine weitere Haupteigenschaft des tantrischen Buddhismus des linkshändigen Pfades ist die Nutzbarmachung nicht nur von „Gottheiten“ oder „Engeln“ (d. h. Wesenheiten, die grundsätzlich als Segen bringend gelten), sondern auch von „Dämonen“ und deren Gefährten. So wird etwa der Gott Bhairava („der Schreckliche“) verehrt, und an Begräbnisstätten werden aufwändige Riten abgehalten. Auch Geschlechtsverkehr und andere Tätigkeiten, die bei der allgemeinen Bevölkerung als unmoralisch gelten, werden für die spirituelle Weiterentwicklung genutzt oder um Seligkeit zu erlangen.67
Der tantrische Buddhismus des linkshändigen Pfades geht davon aus, dass die Leidenschaften und Sehnsüchte, die der rechtshändige Pfad entweder auszulöschen oder zu sublimieren sucht, in ihrer direkten, unsublimierten Form als Mittel zur „Erweckung“ genutzt werden können.
Walter Evans-Wentz zitiert die folgenden technischen Instruktionen aus einem tibetischen buddhistischen Text, der „Inbegriff des Großen Symbols“ genannt wird (87 - 88):
87. Welche Gedanken, Konzepte oder verdunkelnde [oder störende] Leidenschaften auch immer aufkommen, sie sind weder aufzugeben, noch sollte ihnen die Kontrolle über einen erlaubt werden; es sollte ihnen erlaubt werden aufzukommen, ohne dass man versucht, sie zu lenken [oder zu formen]. Wenn man nicht mehr tut, als sie zu erkennen, sobald sie aufsteigen, und in diesem Tun anhält, werden sie in ihrer wahren [oder leeren], unbändigen Form bemerkt [oder heraufdämmern].
88. Mit dieser Methode können alle Dinge, die das spirituelle Wachstum scheinbar hemmen, als Hilfen auf dem Pfad genutzt werden. Und darum wird diese Methode „die Nutzung von Hindernissen als Hilfen auf dem Pfad“ genannt.68
Wie so viele andere Ausdrucksformen des linkshändigen Pfades in der Welt scheut der Buddhismus des linkshändigen Pfades feste Institutionen und gesellschaftlich tragfähige Normen. Er tendiert eher in die Richtung individuellen Ausdrucks und gesellschaftlich inakzeptabler Verhaltensweisen.
In der eigentlichen sexuellen Praxis wird der männliche buddhistische Tantriker des linkshändigen Pfades wahrscheinlich seine Samenflüssigkeit bei sich behalten oder sie, falls er ejakuliert hat, vollständig oral wieder zu sich nehmen. Das Behalten des Samens (Skt. Bija) ist gleichbedeutend mit dem Erhalt von Kraft und Vitalität, sowohl körperlich als auch geistig. Außerdem scheint es – obwohl der tantrische Buddhismus des linkshändigen Pfades eine grundsätzlich positive spirituelle Haltung gegenüber Sexualität und dem weiblichen Geschlecht einnehmen mag – immer noch die Angst zu geben, dass Frauen, und insbesondere dämonische weibliche Wesenheiten, Männer ihrer spirituellen Lebenskräfte berauben könnten.69
In philosophischer Hinsicht konzentriert sich der Buddhist des linkshändigen Pfades mehr auf einen subjektiven – innerpsychischen – Prozess. Die (orthodox-)buddhistische Sicht wäre, dass Polaritäten wie die Zweiteilung in männlich und weiblich (oder auch den Pfad zur rechten und zur linken Hand) illusorische Gedankenkonstrukte des Individuums seien. Es gibt Praktiken, die zum Ziel haben, diesen illusorischen Aspekt zu demonstrieren. Der Buddhist des linkshändigen Pfades wird dazu neigen, sein eigenes subjektives, in sich ganzes und abgeschlossenes System zu kreieren, während der den linkshändigen Pfad praktizierende Hindu dazu tendieren wird, die objektive Existenz der Göttin (Shakti) als wahr anzuerkennen.
Praktizierende, die meinen, dass das Reich der fünf Sinne ein reines Gedankenkonstrukt und in Wahrheit das Produkt einer Illusion (Maya) sei, stützen sich oft auf das, was Nichteingeweihten wie Täuschung und Taschenspielertricks erscheint. Wenn die Welt, wie wir sie vor uns sehen, eine Illusion ist, dann weist der Magier uns nicht mit den Methoden der Philosophie darauf hin, sondern mit dem Mittel des direkten Angriffs auf die Sinne und die Weise, wie diese den Verstand (des-)informieren. So ist das, was beim ersten flüchtigen Hinsehen wie ein Täuschungsversuch oder eine Trickserei anmutet, in Wahrheit als die direkteste Methode konzipiert, die (aus buddhistischer Sicht) zentrale Wahrheit zu lehren, dass die Welt eine Schöpfung des Verstandes sei. Dies ist eine weit unterhaltsamere Annäherung an die Problematik, die in Platons „Höhlengleichnis“ beschrieben wird.70
Aufgrund der große Zeiträume umfassenden, kontinuierlichen Verbreitung von Lehren und Abspaltungen sowohl im buddhistischen als auch im hinduistischen Tantra/Shakta lässt sich weder einheitlich oder definitiv aufzählen, was nun geglaubt oder praktiziert wird, noch kann mit Bestimmtheit gesagt werden, was diese Glaubensrichtungen unterscheidet. Einzig gewiss erscheint nur die allgemeine Sehnsucht nach fortwährender – oder fortwährend transformierter – Individualität und Nicht-Entwerdung (auch wenn dieses in gegenwärtigen tantrischen Texten des linkshändigen Pfades oft verschleiert wird).
Der Einfluss des linkshändigen Pfades, wie er auf der Basis aus Indien stammender Systeme (sowohl des Buddhismus als auch des Hinduismus) praktiziert wurde, auf die modernen westlichen Formen des linkshändigen Pfades ist enorm gewesen. Historisch gesehen scheint es, dass dieser Einfluss in mindestens zwei großen Schüben stattgehabt hat. Der erste Schub erfolgte wahrscheinlich mit der Öffnung der kulturellen Kanäle zwischen „Ost“ und „West“ durch die Eroberungen Alexanders (gest. 323 v.u. Z.). Seit dieser Zeit entwickelte sich eine Fülle von Vorstellungen über den „Osten“ (Indien und Iran), aus denen heraus sich im Mittelmeerraum Sekten gründeten und reformierten. Diese Sekten wiederum übten vom ersten Jahrhundert u. Z. mit der christlichen Mission (die oft gnostischen Charakter hatte) einen sekundären Einfluss in Indien aus.71 Der zweite Einflussschub des östlichen linkshändigen Pfades ist besser dokumentiert. Im Wesentlichen war er eigentlich die Folge einer anderen „Eroberung“ aus dem Westen: der Ausdehnung des britischen Empires nach Indien (die im achtzehnten Jahrhundert begann). Als der Westen wieder einmal in wachsendem Maße für Vorstellungen offen war, die ihren Ursprung in Indien und Tibet hatten, drangen diese allmählich bis zu einer populäreren kulturellen Ebene durch, auf der die Theosophische Gesellschaft (gegründet 1875) und der Ordo Templi Orientis (gegründet 1896 oder 1904) entstanden. Wie wir in Kapitel 7 sehen werden, spielten die linkshändigen Lehren des Buddhismus und des Hinduismus in beiden Fällen eine wichtige Rolle. Die Formen der Sexualmagie, wie sie Aleister Crowley und seine Anhänger lehrte, und auch das antinomistische Täuschungsmanöver, das Anton LaVey praktizierte (siehe Kap. 9), haben ihre Entsprechungen in den indischen Praktiken des linkshändigen Pfades.