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Platon und der linkshändige Pfad
ОглавлениеObwohl Platon selbst nie für sich in Anspruch genommen hätte, ein eigenes philosophisches System erdacht zu haben, da er alles wahre Wissen auf eine „Rückerinnerung“ (gr. anamnesis) an Inhalte, die in der Seele angelegt sind zurückführte, kann man von ihm sagen, dass er die größte und wirkmächtigste Ausgestaltung und Systematisierung der idealistischen Philosophie vorgelegt hat. Platon bediente sich souverän einer breiten Vielfalt von Quellen, insbesondere der hellenischen Mysterien und des Pythagoreismus, doch er tat dies mit einer nie zuvor da gewesenen Klarheit und Sachlichkeit.
Es wäre nicht richtig, Platons Idealismus als den Ursprung der Philosophie zu betrachten. Er ist das Ergebnis eines jahrtausendelangen Prozesses überlieferter Spekulationen und intellektueller Forschungen, der mit dem Morgendämmern der indoeuropäischen Kultur ihren Anfang nahmen. Unter allen Sprachen der Welt kennen nur die indoeuropäische und die von ihr abgeleiteten Sprachen die wahre Bedeutung des Verbs „sein“ im Sinne von „existieren“. Ursprünglich gab es mindestens zwei indoeuropäische Verben, um das „Sein“ zu beschreiben: Eines davon bedeutete „sein“ im Sinne einer Prädikation, zum Beispiel in einer beschreibenden Aussage wie „der Stuhl ist rot“. Mit dem anderen Verb war „sein“ im Sinne von Existenz gemeint, wie in dem berühmten Ausspruch: „Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage.“ In der indoeuropäischen Ursprache waren das die Verben *bheu- (für die Prädikation) und *wes- (existieren).15 Im Altenglischen drückte sich diese Unterscheidung entsprechend in den Verben beon und wesan aus. Mit dem – durch das Einströmen mittelöstlichen, von den Kirchen propagierten Gedankengutes herbeigeführten – Untergang der eingeborenen indoeuropäischen Denkweise fielen die beiden Verben zu einem zusammen. Dieser sprachliche Prozess wird „Suppletion“ genannt, und darum ist die Bedeutung des Verbs „to be“ im Englischen so uneinheitlich: weil es von einem Gemisch unterschiedlicher Wortstämme abgeleitet ist.
Was hat dies alles mit Platon oder dem linkshändigen Pfad zu tun? Das ist nicht schwer zu erkennen: Platons Philosophie ist ein Versuch, Sein (im Sinne der Existenz) zu definieren und ein Lehrsystem zu entwickeln, damit andere wissen, was existiert – was in ihnen selbst und im Kosmos wirklich ist.
Obwohl alle Werke Platons im Wesentlichen auf die seelische Entwicklung ausgerichtet sind, geben viele auch praktische Anleitungen. Aus einem modernen Blickwinkel betrachtet, wäre das vorrangigste Verdienst von Platons praktischer Philosophie politischer, nicht religiöser Natur, weil die Philosophenkönige, die sein System gleichsam repräsentieren, ihre Kenntnisse charakteristischerweise erst auf eine praktische, gesellschaftspolitische Weise anwenden. Was diesen Punkt seiner Philosophie betrifft, greift Platon auf einige sehr elementare indoeuropäische Denkansätze und Strukturen zurück. Wie auf dem altertümlichen Fundament seiner Kultur wurde die irdische gesellschaftspolitische Ordnung als ein Spiegelbild der entsprechenden Strukturen in der Götterwelt betrachtet. In Politeia legt Platon seinen Wunsch dar, eine politische Struktur (wieder)einzusetzen, die auf indoeuropäischen Prinzipien basiert:
Abb. 3.2. Platonisches System der gesellschaftlichen Funktionen
Doch Platon ging es nicht darum, zu archaischen Gesellschaftsmodellen um ihrer selbst willen zurückzukehren, sondern vielmehr darum, die philosophische Grundlage, die Form und die Prinzipien, auf denen diese Strukturen beruhten, zu begreifen und neu zu verstehen. Wie T.S. Eliot es in Teil V seines Gedichtes „Little Gidding“ ausdrückte:
We shall not cease from exploration
And the end of all our exploring
Will be to arrive where we started
And know the place for the first time.16
[Wir sollten nicht von der Forschung lassen,
Und das Ziel all unser Forschungen
Wird kommen, wo wir begonnen haben,
Und wir werden erstmals den Ort verstehen.]
Platons neue Schule nahe Athen, die Akademie, sollte ein Ort sein, an dem ausgewählte Schüler so weit wie möglich der rechte Glauben, das rationale Denken und letztendlich die Fähigkeit vermittelt werden sollte, die ursprünglichen Formen (gr. eidos) und Prinzipien rational zu erkennen und damit zu verstehen, welche die Quellen aller Dinge oder Phänomene auf der Welt sind. Um dies zu erreichen, erdachte Platon ein Ausbildungssystem, das von einem besonderen Verständnis der Seele (Psychologie) ausging, sowie Theorien darüber enthielt, wie diese Seele (oder die Seelen) zu ihrem Wissen gelangen. In vielerlei Hinsicht ist Platons Philosophie eine Ausarbeitung (und in einigen Fällen eine Simplifizierung) der traditionellen Psychologie der indoeuropäischen Völker.17 Abbildung 3.3 zeigt die platonische Skala der Erkenntnis.
Abb. 3.3. Platonische Skala der Erkenntnis
In diesem Schema kann sich der Schüler oder Initiand aus dem Reich völlig subjektiver Vermutungen – der Objekte, die nur Schatten sind und nicht real – in das Reich des rechten Glaubens bewegen, das auf etablierten Traditionen und „gesundem Menschenverstand“ gründet. Dieses ist für die meisten Menschen die höchste Erkenntnisebene, und sie zu erreichen, ist eine beachtliche Leistung. Darüber hinaus gibt es jedoch noch eine rationale Denkweise (dianoia) oder logisches, auf Mathematik aufbauendes Denken. Hier wird der Einfluss der pythagoreischen Schule auf die platonische Synthese besonders deutlich. Sowohl die quantitativen als auch die qualitativen Aspekte können hier untersucht werden. Doch dieses „dianetische“ Denken ist nicht der Gipfel der Erkenntnis. Vielleicht halten die modernen, etablierten „Akademiker“ (eine unglückliche etymologische Entwicklung, die Platon so mit Sicherheit nicht begrüßt hätte!) es für besonders wünschenswert, das Wissen zu quantifizieren – etwas zu „wissen“ wird damit gleichgesetzt, es mit Zahlen zu versehen. Dies ist ein Aspekt der Dianoia, doch ist es lediglich ein Mittel, das einem höheren Ziel dient. Dieses höhere Ziel ist in den heutigen „Akademien“ nahezu in Vergessenheit geraten. Logische Schulung ist in Wirklichkeit eine Vorbereitung der Noesis (Wahrnehmung, Erkenntnis), durch die der Eingeweihte in der Lage ist, die wirklichen Prinzipien im Bereich der Ideen zu verstehen. An diesem Punkt wird der Eingeweihte einem Philosophenkönig (oder einer -königin!) gleich.
Platons System, wie es die Neuplatoniker kodifiziert hatten, liegt den meisten gängigen westlichen Einweihungs- und Okkultsystemen zugrunde, doch da die Quelle oft absichtlich verschleiert wurde, sind die eigentlichen Wurzeln manchmal schwer aufzudecken. Man mag noch fragen, welcher Natur die Verbindung zwischen dem Platonismus und dem philosophisch verstandenen linkshändigen Pfad ist. Die ursprünglichen Wurzeln dieser Lehre liegen in den Mysterien. Die einfache Antwort: Platon lehrte ein auf der Vernunft basierendes System, mit dem der Status einer lebenden „Gottheit“ erlangt werden sollte: des Philosophenkönigs. Dieser ist im Grunde das Äquivalent zum Jivanmukti in der indischen Philosophie.
Platon kam zu einer rationalen und noetischen Methode, den gottgleichen Zustand zu erlangen, der zuvor in den Mysterien nur durch dramatische Initiationserlebnisse, Reinigungsrituale und physische Askese erreicht wurde. Der Idealismus und die noetischen Methoden des Platonismus sollten in der Geschichte der westlichen Initiationssysteme die Grundstruktur bilden, die durch alle Arten initiatorischer, philosophischer und magischer Techniken der Antike erweitert und ergänzt wird. Diese Synthese wird (vom zweiten Jahrhundert u. Z. an) den Neuplatonismus hervorbringen und sich in vielen verschiedenen Einweihungsschulen, wie beispielsweise dem der Kabbala,18 dem Sufismus19 und ebenso dem christlichen Mystizismus niederschlagen.20
Die meisten dieser Schulen – wenn nicht alle – entwickelten den platonischen Idealismus in Richtung eines Mystizismus des rechtshändigen Pfades. Ihr Ziel ist nicht, den Intellekt des Individuums auf eine gottgleiche Ebene oder auf die des Guten (Agathôn) zu erheben, sondern die völlige Auflösung des Individuums im Wesen des Einen.
Die eigentlichen Ziele Platons wurden von Michael Aquino vom Temple of Set vielleicht am tiefsinnigsten wiederbelebt (siehe Kap. 10), der sie in einen magischen Kontext versetzt und seine Anlehnung an Platon offen bekennt.