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Prometheus und der linkshändige Pfad
ОглавлениеFür die Geschichte der Denkweise, die wir im Westen als linkshändigen Pfad bezeichnen, kann die Bedeutung des Mythos von Prometheus nicht hoch genug eingeschätzt werden. In diesem Mythos haben wir die vielleicht älteste westliche Darstellung in der Geschichte der Menschheit, in der der Überbringer des Geschenks des göttlichen Licht oder Feuers als Schurke dargestellt wird. Der Umstand, dass er letztendlich wieder zu einem Helden aufgewertet wird, ist ebenso ein signifikantes westliches Phänomen, dem wir noch wiederholt begegnen werden. In Anbetracht dessen ist die Feststellung kurios, dass der amerikanische Pionier des modernen Satanismus, Anton LaVey, ein großer Bewunderer der Werke des Soziologen Orrin Klapp und seines Buches Heroes, Villains and Fools [Helden, Schurken und Narren] ist, in dem analysiert wird, wie sich moderne Figuren innerhalb dieser Kategorien in der öffentlichen Wahrnehmung verändert haben.
In der indoeuropäischen Metasprache der Mythen sind die ideologischen Muster des rechtshändigen und des linkshändigen Pfades – obwohl sie offen miteinander konkurrieren und um Bestätigung wetteifern – auf eine gewisse Art miteinander versöhnt und imstande, nebeneinander zu existieren. Dies steht in deutlichem Kontrast zur fanatischen Herangehensweise der Systeme des rechtshändigen Pfades mittelöstlichen (oder südlichen) Ursprungs, in welchen den „Teufeln“ niemals eine Vergebung oder positive Neubewertung zuteil wird.
Der Mythos von Prometheus veranschaulicht die geistige oder intellektuelle Anleitung durch eine Gestalt, die die Menschheit zu ihrem göttlichen Aspekt – dem Intellekt – geführt hat und deshalb der wahre Vater ihres Geistes ist. Prometheus fördert die Absonderung der Menschheit von den Göttern und schickt sie als Geschlecht auf eine heroische Suche, um ihre eigene göttliche Kraft zu entwickeln. So lange die Menschen mit den Göttern eng verbunden waren, konnten sie sich nicht im Einklang mit ihrem eigenen mystischen Weg weiterentwickeln. Prometheus zwang die Menschheit aus ihrem Nest im Olymp heraus und sorgte dafür, dass sie entweder fliegen lernen oder sich selbst zerstören würde. Doch kümmerte er sich auch darum, dass die Spezies mit der einen Sache ausgerüstet war, die für das Fliegen absolut notwendig war: mit dem heiligen Feuer der Götter. Der Mythos platziert den entfesselten Gebrauch des Intellekts – die göttliche Fähigkeit des Bewusstseins – deutlich in die kulturelle Hauptströmung einer Aristokratie des geistigen Verdienstes.
Die prometheische Mythologie hatte einen gewaltigen Einfluss auf den Verlauf der europäischen Kulturgeschichte. Seit Aischylos’ Zeit wurde die Gestalt des Lichtbringers, zumindest in gewissem Ausmaß, als tragischer Held betrachtet. Wahrscheinlich hat der Mythos das Leben gemarterter Philosophen, wie zum Beispiel Sokrates‘ und vielleicht auch des Jesus von Nazareth, stark mitgeprägt oder zumindest die literarischen Darstellungen über diese beeinflusst. Darüber hinaus ist interessant, dass Mary Shelley ihrem Schauerroman Frankenstein den Untertitel „Der moderne Prometheus“ gab, der eine komplexe Metapher (und sogar die Entstehung einer neuen Art von Mythologie) beinhaltet, die eine eigene Untersuchung wert ist.