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Die epikureische und die stoische Schule
ОглавлениеDer Epikureismus und die Stoa sind zwei philosophische Denkrichtungen, die ihre Ursprünge zwar im Griechenland des vierten Jahrhunderts v.u. Z. haben, deren Einflüsse aber bis in unsere Gegenwart reichen, da in ihnen allgemeingültige Kategorien zum Ausdruck kommen.
Epikur (341 - 270 v.u. Z.) gründete eine Denkschule, die überwiegend auf den Atomtheorien basiert, die Demokrit ein Jahrhundert zuvor postulierte. Nach dem griechischen Atomismus besteht alles – das, was wir als Seele oder Geist bezeichnen, eingeschlossen – aus Atomen: Partikeln, die so klein sind, dass sie sich nicht teilen lassen. Für den Epikureer löst sich die menschliche Seele, wie auch der Körper, nach dem Tode in eine undifferenzierte Natur auf. Alles ist materiell. Doch kann die verfeinerte Substanz der Seele oder des Intellekts einem Menschen bei der Erlangung des glückseligen Zustandes, der Ataraxia genannt wird, behilflich sein: „Unbeirrbarkeit“ oder „Gelassenheit“. Da Freude oder Schmerz einzig über die Sinne Zugang zu Geist oder Seele finden können, muss der Epikureer die Qualität seiner sinnlichen Erfahrungen kontrollieren können, um Ataraxia zu erreichen. Er oder sie vermeidet Schmerz und maximiert die Freuden. Das äußere Leben muss mit der idealen Qualität der Erfahrungen in Einklang gebracht werden.21
Der Stoiker strebt ebenfalls Ataraxia an, doch er beschreitet dazu andere Wege. „Stoa“ wird eine Schule von Philosophen genannt, die sich im vierten Jahrhundert v.u. Z. regelmäßig in der Stoa (Säulenhalle) auf dem Marktplatz in Athen getroffen haben. Der Stoiker behauptet, dass die Seele getrennt vom Körper existiere. Die Seele oder Psyche kontrolliert die Sinnesreize, daher wird Ataraxia nicht durch Kontrolle der äußeren Reize erreicht, sondern durch den Geist und die Art und Weise, wie er auf diese Reize reagiert. Der Stoiker richtet sein oder ihr inneres Leben nach einem idealen Seinszustand aus. Äußere Ereignisse werden irrelevant – oder sie werden dazu gemacht. Die Stoiker gehen davon aus, dass die Seele bereits vor der Entstehung des Körpers existiert hat und auch nach dessen Vergehen weiter existieren und „Belohnungen und Strafen“ erfahren wird. In dieser Hinsicht stimmen die Stoiker weitgehend mit anderen Mysterienschulen wie auch mit der platonischen Philosophie überein. Der Stoiker benötigt ein überpersönliches Ideal oder Prinzip, dem er seinen Dienst und seine Loyalität unterstellen kann, damit seine Philosophie sich entfaltet.
Beide philosophische Richtungen waren sowohl im hellenistischen Griechenland als auch im republikanischen und kaiserzeitlichen Rom populär. In den Tagen des Imperiums wurde die Stoa geradezu zur „Staatsphilosophie“. Zwei ihrer bekanntesten Exponenten waren der republikanische Staatsmann Cicero (106 - 43 v.u. Z.) und der Kaiser Marc Aurel (121 - 180 u. Z.).22
Aus unserer Perspektive betrachtet, liefern diese beiden antiken Denkschulen entscheidende Ansätze zum Verständnis des linkshändigen Pfades. Die Epikureer vertreten die Auffassung einer materialistischen, fleischlichen Kosmologie, wie sie auch für die Denkweise des „immanenten Zweiges“ des linkshändigen Pfades von wesentlicher Bedeutung ist, während die Stoiker den platonischen und neuplatonischen Idealismus bis hin zur Vergöttlichung der Toten weiterentwickelt haben.