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Die hebräisch-orthodoxe Synthese des rechtshändigen Pfades
ОглавлениеDie hebräische oder israelitische Synthese der primitiven Glaubensvorstellungen semitischer Nomaden mit Elementen aus den Traditionen der Ägypter und Kanaaniter sowie der Babylonier und Iraner fand über einen längeren Zeitraum von etwa 1750 bis 500 v.u. Z. statt. Hebräische Nomaden waren in der Region um Hebron weitgehend sesshaft geworden, während die Israeliten (oder, genauer gesagt, die Aramäer) sich etwas später in der Region von Sichem ansiedelten. Diese Stämme lebten in den Randbezirken der städtisch geprägten und offenbar indigenen kanaanitischen Gesellschaft. Die Aramäer begannen vermutlich zwischen 1750 und 1250 v.u. Z., gewisse Eigentümlichkeiten der kanaanitischen Religion zu übernehmen. Um 1250 v.u. Z. kam eine dritte Welle hebräischer Siedler in diese Region. Diese setzten sich wahrscheinlich aus hebräischen Stämmen, die für einige Jahrhunderte in Ägypten ansässig gewesen waren, und womöglich auch aus Ägyptern und Angehörigen anderer nichthebräischer Völker zusammen, die äußerlich während des Exodus unter Führung eines (ehemaligen) ägyptischen Priesters, der als Moses in die Überlieferung eingegangen ist, hebraisiert wurden. Eine bedeutsame Synthese altertümlicher hebräischer, kanaanitischer und ägyptischer Weltanschauungen fand in diesem kulturellen Zusammenhang zwischen 1200 und 600 v.u. Z. statt. Das Königreich Israel wurde 587 v.u. Z. von den Babyloniern zur Gänze erobert. Von da an bis 538 v.u. Z. lebten die Israeliten innerhalb Babyloniens im Exil, in der so genannten Babylonischen Gefangenschaft. Zu dieser Zeit übernahmen sie babylonische – besonders aber auch iranische – Glaubensvorstellungen, die zum wichtigsten katalytischen Element in der Entwicklung der hebräischen oder jüdischen „Philosophie des Bösen“ wurden.
Wenn wir das hebräisch-jüdische Material (d. h. die kanonischen und die apokryphen Bibeltexte dieser Tradition) betrachten, müssen wir berücksichtigen, dass es sich bei diesen Mythen nicht um fortlaufende und zusammenhängende Erzählungen handelt, sondern um Fragmente von Mythen und Legenden, die ohne oder mit bestenfalls geringer Bemühung um textliche Folgerichtigkeit zusammengestückelt wurden. Das erste Beispiel davon finden wir in der Genesis, wo in 1 : 2 - 4 eine vollständige und schlüssige Version des Schöpfungsmythos erzählt wird und dann an späterer Stelle (Genesis 2 : 4 - 25) eine davon ziemlich abweichende, aber ebenso schlüssige und vollständige Version auftaucht. Die erstgenannte ist sicherlich die ältere Version, die andere wurde später (wahrscheinlich nach der Babylonischen Gefangenschaft) hinzugefügt. Dies ist eine typische Eigenart der hebräischen Mythologie, die jedoch angesichts populärer Mutmaßungen, es würde sich um einen in sich stimmigen und einheitlichen „offenbarten“ Text und nicht um das über Jahrhunderte hinweg unter verschiedenen geschichtlichen und kulturellen Einflüssen entstandene Werk mehrerer Autoren handeln, meist aus dem Blickfeld gerät.46
Die einzigen ursprünglichen Vorstellungen, die die antiken Hebräer, unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, vom „Bösen“ gehabt haben mögen, liegen verschüttet unter den Schichten dessen, was sie aus anderen Kulturen übernommen haben. Es ist wahrscheinlich, dass die hebräischen Einwanderer aus Ägypten eine theologische und rituelle Struktur mit sich gebracht haben, die in hohem Maße vom ägyptischen Denken beeinflusst war. Man hat darüber spekuliert, dass Moses vom Gedankengut der monotheistischen Reformen des Pharaos Echnaton geprägt gewesen sei, und es ist weiteres möglich, dass die Vorstellungen der Hebräer davon, wer oder was gegen den göttlichen Plan opponiert, vom etablierten Seth-Kult während der neunzehnten Dynastie (1300 - 1200 v.u. Z.) beeinflusst gewesen sind. Der „Exodus“ der semitischen Stämme aus Ägypten ereignete sich höchstwahrscheinlich gegen Ende dieser Dynastie. Die monotheistische Reform der hebräischen Religion durch Moses führte natürlicherweise zu einem Glaubensmodell, nach dem der „Eine Gott“, den Moses „Jahwe“ nannte, von einer anderen kosmischen Kraft herausgefordert werden konnte. Vor diesen Reformen stellte der hebräische Polytheismus das „Böse“ (d. h. Krankheit und Tod) als ein Produkt der „Flickschusterei“ der kosmischen Realität dar, wie es auch die Kanaaniter taten. Im mosaischen Monotheismus (womöglich gepaart mit dem Wissen um das Prinzip, das durch Seth repräsentiert wird) wurde so der potentielle Grundstein für diesen kosmischen Gegenpol gelegt. Tatsächlich hat es jedoch Jahrhunderte gebraucht, um ein Bewusstsein für all die Konsequenzen zu entwickeln, die diesem Potential innewohnen.
Archäologisches Belegmaterial deutet darauf hin, dass die Hebräer, die mit der dritten Einwanderungswelle in die Levante gekommen sind, weit davon entfernt waren, alles und jeden im „Verheißenen Land“ zu zerstören, um es für „Gottes auserwähltes Volk“ zu säubern (Josua 1 - 18). Vielmehr ließen sich die Hebräer von dem kanaanitischen „Land, wo Milch und Honig fließen“ und dem moabitischen Gott Ba’al Peor verführen (Numeri 25). Von der Zeit des Exodus bis zur Babylonischen Gefangenschaft weist die hebräische Religion eine kontinuierliche Assimilation kanaanitischer Mythen und Kultformen auf; zugleich hat es vonseiten der so genannten Propheten wiederholt Widerstände gegen diese fortwährende Tendenz gegeben.
Der Einfluss der Kanaaniter auf die Auffassung der Hebräer vom „Bösen“ zeigt sich in der Annahme eines kosmischen Konfliktes zwischen den Kräften des Lebens (Ba’al) und denen des Todes (Mot). Das hebräische Wort für den Tod ist mot. Die Vorstellung von einer kosmischen Rebellion jüngerer Götter gegen ältere ist ebenfalls in der kanaanitischen Mythologie angelegt,47 in der Ba’al sich nicht nur in ständigem Kampf gegen den Tod (Mot) befindet, sondern auch versucht, den älteren Gott El zu stürzen. El (pl. Elohim) ist ein „Name Gottes“, der auch ins Hebräische übernommen wurde (siehe El Schaddai). Die Pluralform kann im Hebräischen verwendet werden, um die Größe von etwas anzuzeigen, ohne damit zwangsläufig einen Plural zu implizieren.
Soweit babylonische Einflüsse beteiligt sind, kamen diese mutmaßlich eher indirekt, über die kanaanitische Theologie vermittelt, als direkt von den Babyloniern zu den Hebräern. Dies verhielt sich so bis zur Zeit der Babylonischen Gefangenschaft, seit der die hebräische – nun jüdische – Theologie sich zwei großen direkten Einflüssen öffnete: dem babylonischen Wissen und der iranischen Kosmologie und sonstigen Lehre.
Während der Babylonischen Gefangenschaft entwickelte sich eine gelehrte Priestertradition innerhalb des Judentums. Die Einstellung dieser priesterlichen Tradition gegenüber „dem Bösen“ war zwiespältig: zum einen galt dieses als Folge der Lüsternheit der „Söhne Gottes“ (heb. Bene Elohim) nach den Töchtern der Menschen (Genesis 5 : 1 - 7). Die daraus resultierende Vermischung göttlicher und menschlicher Naturen habe dazu geführt, dass die „Söhne Gottes“ den Menschen verbotenes göttliches Wissen offenbart hätten. In der „henochischen“ Literatur gibt es Listen von (dämonischen) Engeln und Kategorien „verbotenen Wissens“, das diese der Menschheit offenbart haben sollen (I Henoch 8). Wie Neil Forsyth beobachtet, verbindet so „der Mythos die Ursprünge der Kultur mit den Ursprüngen des Bösen in der Welt. […] Wollust ist die Ursache für die Grenzüberschreitung zwischen Göttern und Menschen, mit dem Ergebnis, dass Menschen verbotene Mysterien erlernen, und dieses führt in der Folge die Erde ins Verderben.“48 Dieser Mythos vom Ursprung verbotenen Wissens, das zum Einströmen des „Bösen“ führt, weist Parallelen zum besser bekannten Mythos von Eden auf.
Darum wird das Böse mit beidem in Verbindung gebracht: mit Wissen und mit der fleischlichen Existenz. Das eine ist ein Übel des Geistes, das andere ein Übel des Fleisches. Diese beiden Pole werden sich als ständige Merkmale der Schulen des linkshändigen Pfades in der westlichen Welt erweisen.
Auch wenn der hebräische Mythos vom Garten Eden und die ganze Kosmologie in Genesis 1 - 2 letztlich semitisch-sumerischen Ursprungs sind, sollten auch die Übereinstimmungen mit der iranischen Mythologie nicht unerwähnt bleiben.49 Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Grundstrukturen des Edenmythos von einem Fundament kanaanitisch-babylonischer Traditionen in die jüdische Überlieferung übernommen wurden und dass später einige Interpretationen der Mythen durch abstrakteres iranisches Gedankengut „erhellt“ worden sind, die – zusammen mit hellenistischen Vorstellungen – die Basis der geheimen jüdischen Traditionen (Kabbala etc.) geformt haben. Diesen Aspekten werden wir uns in Kapitel 4 im Zusammenhang mit der Gnosis noch detaillierter zuwenden. Auf jeden Fall sehen wir wieder einmal einen anderen Weg, auf dem „das Böse“, in Form göttlichen Wissens, der Menschheit präsentiert wird. Von diesen Mythen kann gesagt werden, dass sie nur in den Überlieferungen der nichtzoroastrischen iranischen Religionssysteme (wie dem Mithraismus) oder von einigen der unzähligen gnostischen Sekten (z. B. den Ophiten) als Teile des linkshändigen Pfades betrachtet werden können.