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Kapitel 6 Das Team der Amerikaner

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Als Dr. T. Keith Glennan am 9. April 1959 in Washington, DC Amerikas erste Astronauten in spe präsentierte, war Project Mercury, das bemannte Raumfahrtprogramm der NASA, gerade einmal sechs Monate alt. Die Vorstellung fand um zwei Uhr nachmittags bei einer Pressekonferenz im NASA-Hauptquartier im Dolley Madison House statt. Der Festsaal war bis auf den letzten Platz besetzt mit Reportern, Fotografen und Kameraleuten. Alle waren gekommen, um Amerikas neue Helden im Wettlauf ums Weltall zu bewundern. Und da waren sie nun, sieben Männer, schick gekleidet in Anzug und Krawatte – zwei trugen sogar eine Fliege –, schlank, gepflegt, alle in ihren Dreißigern, alle weiß und alle mit einem schüchternen Grinsen, im hundertfachen Blitzlichtgewitter. Sie saßen an einem Tisch auf der Bühne, hinter ihnen das schwungvolle neue NASA-Logo, vor ihnen ein Modell einer Rakete und einer Raumkapsel, und damit auch wirklich jeder mitbekam, worum es hier ging, die Flagge mit den Stars and Stripes links von ihnen: Das waren sie nun, die Mercury Seven.

Die Frage, die die Atmosphäre in diesem Festsaal und natürlich einen Großteil der amerikanischen Bevölkerung elektrisierte, lautete schlicht: Wer genau sind diese sieben Männer, und wie wurden sie aus den Hunderten von Bewerbern ausgewählt?

Das ursprüngliche Anforderungsprofil für Astronauten verlangte nach Menschen mit Erfahrung in ernsten Gefahrensituationen – auf der Kandidatenliste standen Tätigkeitsbeschreibungen wie U-Boot-Fahrer, Tiefseetaucher, Bergsteiger und Polarforscher. Am Ende verfügte Präsident Eisenhower, dass ausschließlich Testpiloten des Militärs in Betracht gezogen werden sollten. Dabei ging es weniger um deren Können als Piloten – in den frühen Tagen der Raumfahrt mussten die Raumfahrer ihr Gefährt nicht fliegen, sie mussten das ganze Abenteuer einfach nur aushalten. Eisenhower glaubte einfach, sie wären am besten in der Lage, mit allen denkbaren und furchterregenden Gefahren fertigzuwerden, mit denen sie bei einem Raumflug konfrontiert werden konnten. Sie mussten in exzellenter körperlicher Verfassung sein, unter 40 Jahre alt, Jetpiloten mit mindestens 1500 Flugstunden und Absolventen einer Schule für Testpiloten. Das bedeutete unter dem Strich auch, es mussten Männer sein, da in den USA des Jahres 1959 keine Frau, so brillant und erfahren sie als Pilotin auch sein mochte, eine Chance hatte, alle diese Kriterien zugleich zu erfüllen. Eine gehörige Portion Chauvinismus schwingt bei dieser Auswahl mit. »Es gibt«, sagte Brigadegeneral Donald Flickinger, einer der an der Auswahl beteiligten Mediziner, »diese aggressive Reaktion auf Stress, wie wir sie beim Tiger finden, und die sanftmütige Reaktion, wie wir sie vom Kaninchen kennen.« Und er fügte hinzu, »Wir brauchen Tiger.«[87] Charles Donlan, stellvertretender Direktor der Space Task Group, die das Project Mercury leitete, war noch direkter. Was sie wirklich suchen würden, meinte er, wären »richtige Männer«.[88]

Alan Shepard war da eindeutig ein geeigneter Kandidat. Das Auswahlkomitee zog die Akten jedes einzelnen Absolventen sämtlicher Testpilotenschulen im Land aus den vergangenen zehn Jahren zurate und verkürzte die Liste zunächst auf 508 Kandidaten, dann weiter auf 69. Einer davon war Shepard. Im Januar 1959 wurde er zu einem Briefing ins Pentagon eingeladen und gefragt, ob er sich als Astronaut freiwillig melden wolle. Er sagte zu. Im Februar gehörte er zu den 32 ausgewählten Männern, die zwei Wochen voller brutaler medizinischer und psychologischer Tests über sich ergehen lassen mussten. Da niemals zuvor ein Mensch im Weltraum gewesen war, wusste natürlich niemand, was einen dort erwartete. Die Tests umfassten daher alles, was man nur testen konnte. »Wir mussten sicherstellen«, sagte Dr. Robert Voas, ein an dem Programm beteiligter Psychologe, »dass die runde Million Dollar, die wir in jeden einzelnen dieser Kerle bis dahin investiert hatten, langfristig eine gute Investition waren.«[89]

In der Lovelace-Klinik in Albuquerque, New Mexico, in der unter anderem auch Forschung über und für die in großen Höhen fliegenden Spionagepiloten der CIA betrieben wurde, wurden Shepard und die anderen Astronauten in spe eine Woche lang 14 Stunden täglich einer Serie von Tests unterzogen. Sie trafen im Laufe des Februars grüppchenweise dort ein. Nachdem man die Männer anonym in einem örtlichen Motel einquartiert hatte, wurden sie am Abend vom Klinikdirektor William Randolph Lovelace und seiner Frau Mary bei einer Cocktailparty begrüßt.[90] Danach gab es erst einmal keine Cocktailpartys mehr. Die Kandidaten wurden danach nur noch über eine Nummer identifiziert und niemals mit Namen angesprochen. Und sie brachen auf zu einer schonungslosen und oftmals erniedrigenden Prüfungstortur. Man spritzte ihnen Farbstoff in die Leber, füllte radioaktives Barium in ihre Gedärme, inspizierte den Anus der Probanden mit einem metallenen Instrument mit der vielsagenden Bezeichnung »Stahl-Aal«, dessen Vorderöffnung nach dem Einführen ins Rektum aufsprang. Es gab 17 separate Sehtests und bis zu sechs Einläufe pro Tag. Elektroden wurden in die Handmuskeln eingeführt, die eine bestimmte Abfolge von Elektroschocks auslösten, die Prostata wurde zusammengedrückt, der Magen ausgepumpt, die Männer mussten in kleinen Zellen masturbieren, damit man die Spermienzahl kontrollieren konnte, und die Kandidaten wurden aus jedem nur denkbaren Winkel nackt fotografiert, auch direkt über der Kamera kauernd. Das Stochern, Stechen und Sondieren ließ keine Körperöffnung und auch sonst kaum eine Körperregion aus. »Ich wusste gar nicht«, meinte John Glenn, »dass der menschliche Körper so viele Öffnungen hat, die es wert sind, erkundet zu werden.«[91] Bei einem besonders unangenehmen Test wurde den Probanden bei verbundenen Augen mit einem Schlauch so lange Wasser in die Ohren gepumpt, bis das Opfer das Gefühl hatte, die Augen würden aus den Augenhöhlen gespült. »Es war«, erzählte Deke Slayton, einer der sieben, die es in die Endauswahl schafften, »der schlimmste Albtraum.«[92] Sogar Dr. Lovelace, immerhin der Direktor und Besitzer der Klinik, konnte kaum widersprechen. »Ich hoffe bloß«, gestand er später, »sie stellen niemals eine solche medizinische Untersuchung mit mir an.«[93]

Einer der Auserwählten durchlief diese ganzen medizinischen Tests weitaus leichter als alle anderen. Scott Carpenter, der Gitarre spielende Navy-Patrouillenpilot, erwies sich als nahezu perfektes Exemplar eines männlichen Homo sapiens, weshalb er es auch trotz seiner relativ geringen Erfahrung als Pilot in die Endauswahl schaffte. Carpenter genoss sogar die Zeit bei Lovelace. »Ich fand es faszinierend«, sagte er später, »wir gelangten zu einer ganz neuen Wertschätzung für diese wunderbare Maschine namens menschlicher Körper.«[94] Aber seine eigene Wundermaschine von einem Körper hatte alle anderen »plattgemacht«, meinte Bob Solliday, einer der gescheiterten Kandidaten: »Er hatte den geringsten Körperfettanteil, das beste Belastungs-EKG, konnte unendlich lange auf dem Hometrainer radeln, am längsten die Luft anhalten, und er verlor niemals die Nerven. Wir haben uns kaum getraut, gegen den Kerl beim Armdrücken anzutreten.«[95] Wally Schirra, der Komiker unter den Mercury Seven, fand die ganze Prozedur überhaupt nicht witzig. »Wir waren gesunde Patienten, die von kranken Ärzten untersucht wurden«, schrieb er später, und am Abend vor der geplanten ärztlichen Untersuchung seiner Gedärme gönnte er sich mit voller Absicht das schärfste mexikanische Dinner, das in ganz Albuquerque aufzutreiben war.[96]

Aber die Klinik des Dr. Lovelace war noch lange nicht das Ende der Tortur. Das Auswahlkomitee, bekanntlich auf der Suche nach Tigern und nicht etwa Kaninchen, schickte 31 der Kandidaten – einer war bereits ausgeschieden – als Nächstes ins Wright Air Development Center in Dayton, Ohio. Was den Astronauten in spe dort blühte, war nach den Worten von John Tierney, einem der Kandidaten, »ein komplett neues Arsenal an Folterwerkzeugen«.[97] Hier traktierte man die Männer mit allen nur denkbaren und undenkbaren Stress- und Traumabelastungen. Allein schon die Namen einiger dieser Tests genügten, um selbst jedem noch so unerschrockenen Tiger den Angstschweiß auf die Stirn zu treiben: der Kaltwassertest, der Kipptisch-Test, der Gleichgewichts-/Aufstehtest, der Test mit MC-1-Partialdruckanzug, der Flack- und Valsalva-Überlastungstest. Die Liste war endlos lang – zumindest kam sie den Teilnehmern, die sie im Verlauf einer Woche abarbeiten mussten, endlos lang vor. Es gab 25 psychologische Untersuchungen und psychiatrische Interviews – Shepard, der »coole Typ«, der mit akribischer Selbstanalyse wenig am Hut hatte, war der größte Teil davon, wie nicht anders zu erwarten, ein Gräuel, der Klassenclown Schirra dagegen schlief bei einem der Tests sogar ein – da gab es Rorschach-Tests und einen 566 Punkte umfassenden Fragebogen zur Persönlichkeit (Scott Carpenter hatte selbst daran seinen Spaß); es gab EKGs und akustische Tests mit »hoher Energie« und Zentrifugentests, bei denen die Männer immer schneller und schneller herumgeschleudert und den erdrückenden Beschleunigungskräften ausgesetzt wurden, um zu sehen, wie viel sie aushalten konnten, bevor sie das Bewusstsein verloren. In einem Test wurden Shepard und seine Mitkandidaten gezwungen, sieben Minuten lang mit bloßen Füßen in einem Eiseimer sitzen zu bleiben; in einem anderen setzte man sie für volle zwei Stunden in einen »Backofen« bei 55 °C; ein dritter verlangte von ihnen, in einer Art Albtraum-Version von Kindergeburtstag bis kurz vor der Bewusstlosigkeit Luftballons aufzublasen. »Diese Typen«, sagte John Tierney über seine Peiniger, »liebten es, Grenzen auszutesten. Sie waren Forscher, oder vielleicht auch Sadisten, in einem Themenpark ihrer Träume, in dem keine Regeln galten.«[98] Tierney zählte nicht zu den Auserwählten.

Shepard dagegen schon. Als er zusammen mit den anderen sechs Mercury-Astronauten auf der Pressekonferenz in Washington präsentiert wurde – laut einem NASA-Mitarbeiter kam man sich vor wie »bei einem Schönheitswettbewerb«[99] –, hatte das Interesse der Allgemeinheit an der bemannten Raumfahrt ungeahnte Ausmaße erreicht. Für einige der Astronauten war schon die schiere Intensität des öffentlichen Interesses fast zu viel des Guten, und es begann, als das komplette Pressekorps sich von den Sitzen erhob und applaudierte, während die Glorreichen Sieben mit verlegenem Grinsen auf ihrer Bühne standen. Als ein Reporter fragte, welcher der Tests, die sie über sich hatten ergehen lassen müssen, der schlimmste gewesen sei, meinte der von Haus aus maulfaule Grissom, »Das hier, jetzt gerade, das ist das Schlimmste.«[100]

Sie sahen sich als Piloten, nicht als Promis, aber für ihre Pilotenkarriere schien sich die Presse nicht die Spur zu interessieren. Schon die allererste Frage galt den Ehefrauen, wenn man davon absieht, dass dabei nicht von Ehefrau die Rede war, sondern von den »lieben Damen« (bzw. der »besseren Hälfte«): Was hielt denn die bessere Hälfte von diesem Karriereschritt des jeweiligen Gemahls? Das war in Wirklichkeit bloß eine andere Formulierung der Frage – und genau dieser Hintergedanke geisterte beunruhigend im Saal herum –, was denn die bessere Hälfe von einem Karriereschritt hielt, der vielleicht, wenn nicht sogar wahrscheinlich, tödlich enden könnte? Shepard war wie üblich wenig mitteilsam: »Ich habe keine Probleme daheim«, meinte er und fügte gleich hinzu, »meine Familie ist absolut einverstanden«, eine Antwort, die das fast ausschließlich männliche Pressekorps mit herzlichem Lachen quittierte.[101] Für Gordon Cooper dagegen, den attraktiven Farmerssohn aus Oklahoma und vermutlich besten Piloten der sieben, mussten Fragen nach der Ehefrau zwangsläufig unangenehm werden, denn er und Trudy hatten sich im Jahr davor getrennt, nachdem sie ihn beim Fremdgehen erwischt hatte, und zwar nicht zum ersten Mal. Erst als es tatsächlich danach aussah, dass er zum Astronauten auserkoren werden könnte, war er nach San Diego gefahren, wo sie mit den beiden Kindern lebte. Er flehte sie an, seiner Erfolgsaussichten wegen zurückzukommen. Sie stimmte am Ende zu, und erstaunlicherweise war sie sogar einverstanden, die Trennung geheim zu halten – dennoch bereitete Cooper zwangsläufig jede Frage Bauchschmerzen, die seine Frau betraf. »Meine«, sagte er kurz und knapp, »ist ganz begeistert.«

Aber die eigentliche Stimmungskanone auf jener Pressekonferenz war John Glenn, der Mann, der bereits das Fernsehpublikum mit seinen Auftritten bei Name That Tune verzückt hatte und der nun sämtliche Pressevertreter in gleicher Weise in seinen Bann zu ziehen schien. »Ich bin in das Projekt eingestiegen, weil ich dabei dem Himmel so nahe komme wie sonst wohl nie im Leben«, scherzte er, und der ganze Presseraum war hin und weg. Glenn war auf Anhieb ein Star. Er war in der Rolle des Astronauten das perfekte Futter für die Medien: ein durch und durch amerikanischer, durch und durch presbyterianischer Testpilot und vielfach ausgezeichneter Kriegsheld, mit dem mit Abstand gewinnendsten Lächeln im ganzen Saal, der minutenlang bester Laune über seine Aktivitäten im Kirchenvorstand und seinen Glauben und Gott und die Welt erzählen konnte, und davon, wie seine Frau Annie zu 100 Prozent hinter seinen Ambitionen stand, ins Weltall zu fliegen. Die Reporter sogen alles begierig auf, während die sechs anderen Kandidaten zu staunenden Nebendarstellern schrumpften. Bei Glenn war, wie die Medienleute bald herausfinden sollten, einfach alles hundertprozentig, einschließlich seiner Fähigkeit, unaufhörlich zu reden. »Wer ist dieser Pfadfinder?«, fragte sich Cooper, während Grissom, der vermutlich jahrelang keine Kirche mehr von innen gesehen hatte, vor der Schar der Reporter kleinlaut zugeben musste: »Ich bin nicht wirklich aktiv in der Kirche, so wie Mr. Glenn.«[102] Glenns Charme war schlicht umwerfend. Schon allein das schien zu reichen, um den Kampf gegen die Russen aufzunehmen und sie bis zurück in ihr Moskau zu treiben. Als ein Reporter fragte, wie zuversichtlich sie alle wären, lebend wieder aus dem All zurückzukehren, hoben alle Astronauten die Hand. Glenn streckte beide Hände in die Höhe.

Schon einen Monat später ergab sich die Gelegenheit, diese Entschlossenheit auf den Prüfstand zu stellen, jedenfalls theoretisch: Es war in den frühen Morgenstunden des 19. Mai, nachdem die sieben Astronauten nach Cape Canaveral geflogen worden waren, um als Zuschauer ihren allerersten Raketenstart zu erleben. Hier ging es um eine unbemannte Atlas-Rakete, ähnlich dem Typ, mit dem einige von ihnen eines Tages bei späteren Raumflugmissionen in die Erdumlaufbahn befördert werden sollten. 64 Sekunden nach dem Start explodierte die Rakete direkt über ihren Köpfen. »Es sah aus wie die Explosion einer Atombombe«, meinte Glenn. »Wir sahen den Feuerball und schauten uns gegenseitig an. Dann beschlossen wir, wir müssten noch mal ein Wörtchen mit den Technikern wechseln, bevor wir den nächsten Schritt unternehmen.«[103] Die NASA mochte wohl ihre künftigen Astronauten gefunden haben, aber der Fluch, der auf Amerikas Raumfahrt lastete, war noch nicht vorüber. Immer wieder flogen ihnen ihre Raketen um die Ohren.

Und das auch noch auf unterschiedlichste Art und Weise. »Ich habe eine Menge Raketenstarts miterlebt«, schrieb Chris Kraft, ein brillanter Aerodynamikexperte, der damals oft in Cape Canaveral war und an der Entwicklung der damals völlig neuartigen Idee der »Mission Control« beteiligt war. »Ich würde sagen, etwa 30 bis 40 Prozent der Starts waren Fehlschläge. Viele davon gingen von der Rampe weg und dann in die entgegengesetzte Richtung. Manche hoben halb von der Rampe ab und sind dann explodiert. Wieder andere flogen vielleicht bis zu 10000 Fuß hoch, dann drehten sie ab und explodierten.«[104] »Oh Mann«, sagte Glynn Lunney, ein Mitarbeiter in Krafts Team, »das war wirklich unheimlich! Es war beängstigend, das alles mitanzusehen.«[105] Die Hochbunker an der Rampe hatten stahlverstärkte Wände, das Fensterglas war 30 Zentimeter dick, und trotzdem hatte Ike Rigell, ein Starttechniker, der im Zweiten Weltkrieg im Pazifik im Einsatz gewesen war, Angst, die Decke könnte nachgeben. Wenn man hinter seiner Konsole in Deckung gehen muss, kommt man sich vor wie im Krieg unter Feuer. Ed Murrow, der CBS-Reporter, der durch seine Berichterstattung über den Blitzkrieg in London während des Zweiten Weltkriegs berühmt geworden war, befand sich 1959 im Hochbunker, als die Juno-Rakete, die er für einen Dokumentarfilm über Amerikas Raumfahrtprogramm aufnahm, wenige Sekunden nach dem Start plötzlich einen U-Turn hinlegte und mit der Nase nach unten direkt auf die Startrampe in wenigen Hundert Metern Entfernung zuraste. Rigell war auch dort. »Wir haben an dem Tag jede Menge Klapperschlangen gegrillt«, meinte er.[106]

Jay Barbree, der Journalist, der mit angesehen hatte, wie Amerikas erster Satellit bei der Explosion der Vanguard-Rakete anstatt in die Erdumlaufbahn ins Unterholz von Florida rauschte, war nun jedes Mal, wenn wieder eine Rakete explodierte, fasziniert von den Reaktionen der Astronauten. »Wir hatten wirklich unsere helle Freude daran, sie zu beobachten«, schrieb er hinterher. »Es war großartig, in ihre Augen zu blicken.«[107] Viel schlimmer war allerdings, wenn es denn etwas Schlimmeres geben konnte, als Zeuge der vielen verschiedenen Arten zu sein, wie einen diese Raketen umbringen konnten, dass während alledem die Sowjets mit einer völlig neuen Serie von Weltraumspektakeln die ganze Welt in Atem hielten, und das größte Spektakel waren die Erdumrundungen von Belka und Strelka im August 1960. Da waren diese beiden hübschen kleinen Hunde, die mühelos 18 Runden um den Planeten gedreht hatten, offenbar ohne einen Kratzer abzubekommen, während Amerikas Raketen noch immer mitten im Flug plötzlich 180-Grad-Wenden vollführten. Die stehenden Ovationen bei der Moskauer Pressekonferenz konnten es beinahe mit denjenigen bei der Vorstellung der Mercury Seven aufnehmen. Überdies hatte es die NASA bislang noch nicht einmal fertiggebracht, irgendein Lebewesen in die Erdumlaufbahn zu bringen. Die Demütigung war vollkommen, und natürlich kostete Chruschtschow das Ganze gehörig aus. In einem vertraut gewordenen Verhaltensmuster überreichte er später einen von Strelkas Welpen namens Puschinka – ansonsten besser bekannt als Fluffy – Präsident Kennedys Gemahlin Jackie als Geschenk. Sie nahm das Geschenk an, aber erst, nachdem Sicherheitsbeamte das knuddelige Tier gründlich auf elektronische Spionagewanzen durchleuchtet hatten.

Die Tatsache, dass auch der Flug von Belka und Strelka um ein Haar in einer Katastrophe geendet hätte, ganz zu schweigen von all den anderen Dingen, die bei jedem der anderen Wostok-Hundeflüge schiefgegangen waren – Arvid Pallo und sein sibirischer Suchtrupp konnten ein leidvolles Lied davon singen –, blieb selbstverständlich streng geheim. Es gab nun einmal keinen sowjetischen Ed Murrows, der sowjetische Raketenkatastrophen für das sowjetische Fernsehen gefilmt hätte. Für die Architekten des sowjetischen Raumfahrtprogramms war das natürlich ein wahrer Segen. Wenn ein künftiger amerikanischer Astronaut bei einem Fehlstart in tausend Stücke gerissen wurde, sahen 80 Millionen Menschen am Fernseher live dabei zu – eine Überlegung, die verständlicherweise eine Kultur der Vorsicht entstehen ließ. Sollte einem künftigen sowjetischen Kosmonauten dasselbe Schicksal widerfahren, würde niemand irgendetwas davon zu sehen bekommen.

Ein bemerkenswertes Dokument aus dem Jahr 1960 liefert uns ein faszinierendes Bild davon, wie streng kontrolliert Informationen in der UdSSR tatsächlich waren.[108] Auf den 60 Seiten sind akribisch alle Arten von Informationen aufgelistet, deren »Veröffentlichung in regionalen, städtischen und überregionalen Zeitungen und Radioprogrammen verboten« waren. Dazu zählte auch »jedwede Information über militärische Unfälle oder Katastrophen«. Und da »Satelliten und Raketen« unter der Aufsicht des Verteidigungsministeriums standen, galten sie als militärische Fahrzeuge, ganz gleich ob sie nun Hunde transportierten oder atomare Sprengköpfe. Im Endeffekt vermittelte das sowjetische Raumfahrtprogramm weiterhin den Eindruck, unbesiegbar zu sein, während die USA meilenweit hinterherliefen. Doch selbst ohne den verzerrenden Filter der sowjetischen Zensur war nicht zu verkennen, dass die USA tatsächlich im Rückstand waren. Boris Smirnow, einer der ganz wenigen russischen Fotografen jener Zeit, denen der Zugang zu sowjetischer Raumfahrttechnologie gestattet war, erinnert sich an Fotos amerikanischer Raketen von damals in internationalen Zeitschriften. Verglichen mit den sowjetischen Versionen waren das, wie er sich ausdrückte, »kaum mehr als Abfalleimer«.[109]

Es war mithin wenig überraschend, dass Jerome Wiesner seinen vernichtenden Report über das US-Raumfahrtprogramm an Präsident Kennedy überreichte oder dass der Präsident ihn gleich am Tag darauf zu seinem wissenschaftlichen Berater ernannte. Vielleicht hatte sich der letzte auslösende Faktor bereits einige Monate zuvor ereignet, am 21. November 1960, nur 13 Tage nach der Wahl Kennedys. Damals hatten sich die Medien des ganzen Landes, zahllose Reporter, Fotografen und Kameraleute, in Cape Canaveral versammelt, um an einem sonnigen Morgen einen ganz besonderen Start zu verfolgen. Vom Bunker aus schauten auch Wernher von Braun und einige der Astronauten zu, während Alan Shepard im VIP-Bereich seinen Zuschauerplatz eingenommen hatte und Anwohner und Touristen die nahe gelegenen Küsten und Strände in Titusville und Cocoa Beach mit ihren Ferngläsern, Transistorradios und Kameras bevölkerten. Vor der Küste im Atlantik schauten auch noch andere zu – in den internationalen Gewässern waren mehrere Fischkutter vor Anker gegangen, die Sowjetagenten regelmäßig als Tarnung nutzten, wenn es Raketenstarts der Amerikaner zu beobachten gab.[110]

Inzwischen hatten die Mercury-Astronauten bereits 19 Monate Training hinter sich. In der Zeit waren sie alle mit einem ganzen Arsenal exotischer Trainingsgeräte traktiert worden, darauf ausgelegt, ihre Körper – und ihren Verstand – in Form zu bringen, damit sie mit den extremen Belastungen beim Start und beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre ebenso fertigwerden würden wie mit dem seltsamen und vielleicht auch tödlichen Gefühl der Schwerelosigkeit. Es gab weitere mehrfache Zentrifugenritte im Naval Air Development Center in Pennsylvania, wo jeder der Astronauten immer höhere g-Kräfte aushalten musste, festgeschnallt in dieser schnell rotierenden Gondel. Dazu wurden ihnen auch mehrere Sitzungen in noch viel wilderen Schleudervorrichtungen zugemutet, wie zum Beispiel dem Weltraum-Testgerät MASTIF (Multiple Axis Space Test Inertia Facility) – eine wahrhaft furchterregende Version eines Jahrmarkts-Fahrgeschäfts, die ein außer Kontrolle geratenes Raumfahrzeug simulieren sollte und die viel schneller, wilder und verrückter umherschleuderte als jede jemals erfundene Achterbahn. Der Astronaut saß dabei in einem Käfig und rotierte extrem heftig in allen drei Achsen und allen Richtungen gleichzeitig. Ein Ritt im MASTIF fühlte sich an, als würde der Körper um die eigenen Augäpfel rotieren. Ein Wischlappen und ein Eimer standen praktischerweise griffbereit in der Nähe, und fast jeder, der sich in dieses Gerät setzte, bediente sich hinterher besagten Eimers, um sich zu übergeben. Einigen der Astronauten wurde schon schlecht, wenn sie nur zuschauten, wie andere damit durch die Gegend flogen. Es war, wie John Glenn sagte, »die ultimative Kotzmaschine«.[111]

Und es gab auch noch Ritte auf einer anderen Kotzmaschine – dem »Vomit Comet« –, ein Düsenjet des Typs Boeing KC-135 von der Größe eines Passagierflugzeugs. Dieser flog mehrfach wiederholte akrobatische Parabeln, bei denen er in beängstigend steilem Winkel in die Höhe stieg und sich dann wieder fallen ließ, was rund 30 Sekunden Schwerelosigkeit simulierte und den Insassen gehörig auf den Magen schlagen konnte. Es gab erschöpfende Sitzungen in zwei Simulatoren von Mercury-Kapseln auf dem neuesten Stand der Technik, in denen die Astronauten jeden Aspekt des Raumflugs üben mussten, darunter auch alle Arten von Notfällen, vom Start bis zur Landung im Meer. Dieser exakte Nachbau der echten Raumkapsel lieferte auch alle korrekten Signalgeräusche im richtigen Moment auf den Helm des Insassen – selbst an einen kleinen Film war gedacht worden, der zeigte, wie die Erde durch eines der Bullaugen der Kapsel möglicherweise aussehen könnte. Es gab Übungen zum Überlebenstraining in der Wüste von Nevada, für den Fall, dass die Kapsel vom Kurs abkäme und in der Wüste niederginge, aber auch Überlebenstraining im Wasser des Golfs von Mexiko, außerdem während der ganzen Zeit jede Menge Bücherstudium und Vorträge. Und in den kurzen Phasen, in denen sie nicht trainierten oder studierten, standen Besuche diverser Einrichtungen im ganzen Land auf dem Programm, die mit dem Befördern eines Amerikaners ins Weltall in irgendeiner Weise geschäftlich zu tun hatten – bei Chrysler und bei Convair, die die Raketen bauten, bei McDonnell, wo die Kapsel produziert wurde, ein nicht enden wollender Zirkus voller Händeschütteln, Umarmungen und öffentlicher Reden, einschließlich Verköstigung mit Gummihuhn. Alle Astronauten verabscheuten das – alle mit Ausnahme von Glenn, der jede Minute zu genießen schien und der stets für die richtigen Leute die richtigen Worte parat hatte.

Als erfahrene Testpiloten wurden alle sieben Männer auch aktiv damit betraut, beratend auf bestimmte technische Aspekte des Programms Einfluss zu nehmen – bei Glenn war es das Design der Instrumententafel, bei Shepard war es die Verbindung zu Such- und Bergungsprozeduren, bei Schirra ging es um den Raumanzug; und natürlich kamen sie alle regelmäßig nach Cape Canaveral, um bei Raketenstarts dabei zu sein.[112] Und an jenem Morgen Ende November waren sie alle gekommen, um diesen ganz besonderen Start nicht zu verpassen.

Der Schlüssel zur besonderen Bedeutung dieses Flugs lag in seiner Bezeichnung: Mercury-Redstone 1 oder MR-1. Dies sollte der erste unbemannte Test der Rakete zusammen mit der Mercury-Kapsel werden, die, so hoffte man, schon bald den ersten amerikanischen Astronauten ins Weltall tragen würde. Die Rakete selbst war eine Redstone, entworfen von Wernher von Braun und ursprünglich dafür konzipiert, einen Atomsprengkopf über eine kurze Distanz von etwa 200 Meilen zu transportieren; nur dass in diesem Fall der Sprengkopf erstmals durch die Mercury-Kapsel ersetzt werden würde. MR-1 sollte den späteren suborbitalen Flügen mit Schimpansen und dann auch mit Menschen an Bord den Weg bereiten: Es sollte auf einer ballistischen Flugbahn einfach nach oben und wieder nach unten gehen, wobei die Kapsel für eine kurze – aber entscheidend wichtige – Zeit bis in den Weltraum vordringen würde. Die erste Redstone war bereits anno 1953 geflogen, und im Jahr 1958 waren die Raketen als Bestandteil des taktischen Atomwaffenarsenals endgültig für die US Army einsatzbereit. Für diese Mercury-Raumflüge hatten von Braun und seine Techniker einigen zusätzlichen Schub in Form eines größeren Treibstofftanks vorgesehen, und daneben noch 800 weitere Modifikationen, die aus einer taktischen Atomwaffe eine mit einem Menschen besetzte Weltraumrakete machen sollten. Aber der eigentlich entscheidende Punkt bei der Redstone war ihre Verlässlichkeit – sie trug deshalb sogar den hübschen Kosenamen »Old Reliable«. Und die Old Reliables waren genau das, was man brauchte, wenn es um das wagemutige Unterfangen ging, lebende Objekte aus Fleisch und Blut wie Schimpansen und am Ende auch Menschen ins Weltall zu hieven.

Jay Barbree war bei diesem Start ebenfalls zugegen und stand gar nicht weit entfernt von Alan Shepard – zweifellos wollte er dessen Augen genau im Blick behalten –, als um 09:00 Uhr und mit einem gewaltigen Dröhnen der Antrieb der Redstone zum Leben erwachte. Die 25 Meter hohe Rakete spuckte Rauch und Feuer und hob dann von der Rampe ab, um ihren Flug ins All zu starten. Sie kam nur 10 Zentimeter weit – 9,65 Zentimeter, um genau zu sein –, dann stellte ihr Antrieb abrupt den Dienst ein, die ganze Rakete plumpste zurück auf die Startrampe und dellte sich dabei einen Flügel ein. Im selben Moment machte sich der »Fluchtturm«, ein hellroter, oben auf der Kapsel befestigter Pylon, der die Kapsel in einem Notfall von der Rakete wegziehen sollte, selbstständig und schoss feuerspeiend in die Höhe, bevor er wie eine heranfliegende Granate auf den VIP-Bereichs zusteuerte. Aus Lautsprechern dröhnten Warnungen, alle müssten in Deckung gehen. Reporter und Würdenträger sprangen unter Sitzbänke und verkrochen sich unter Autos. Barbree hielt sich an einem Mast fest. Der Pylon verfehlte die VIP-Bühne knapp und schlug im Sand ein, ungefähr 300 Meter von der Startrampe entfernt, auf der die Redstone samt Mercury-Kapsel nun wieder unbeweglich stand und sich definitiv nicht so verlässlich benahm, wie es der Name »Old Reliable« versprach. Alan Shepard grinste voller Galgenhumor in Richtung Barbree. »Und, macht’s noch Spaß?«, meinte er.[113]

Aber die Show war noch lange nicht vorbei. Als Wernher von Braun, Ike Rigell, der Veteran des Pazifikkriegs, und das andere Startpersonal im Hochbunker versuchten, sich auf die »verrückten Anzeigen«[114] an ihren Konsolen einen Reim zu machen, beschloss der Bremsfallschirm der Kapsel unerklärlicherweise just in diesem Moment, sich zu öffnen, kurz darauf gefolgt vom Hauptfallschirm und, wenige Sekunden später, vom Reservefallschirm. Die Redstone mit der Kapsel und drei herabhängenden Fallschirmen an der Spitze begann auf der Rampe langsam zu kippen, teils wohl auch, weil die Meeresbrise die Fallschirme in Segel verwandelte. Wenn der Wind noch weiter zunahm, drohten die Fallschirme das ganze Ensemble aus Rakete, Kapsel, 18 Tonnen Treibstoff und kryogenem Flüssigsauerstoff zu Fall und mit größter Wahrscheinlichkeit zur Explosion zu bringen – eine Katastrophe, die Millionen Fernsehzuschauer in den Abendnachrichten würden verfolgen können.

In dem Moment kam Albert Zeiler, einer der deutschen Ingenieure, der zusammen mit von Braun an der V-2 der Nazis gebaut hatte, mit dem Vorschlag um die Ecke, mit einem Jagdgewehr Löcher in die Flüssigsauerstofftanks der Rakete zu schießen. Der Inhalt, so seine Überlegung, könnte dann an der Umgebungsluft verdampfen, was zur Verhinderung einer möglichen Explosion beitragen würde. Die Idee wurde verworfen. »Selbst für einen Anfänger wie mich«, sagte Gene Kranz, damals Mitglied des Teams im Kontrollzentrum – später sollte er zu denen gehören, die die havarierte Apollo 13 von ihrem gescheiterten Mondflug zurückholten –, »hörte sich der Plan, Löcher in die Tanks zu schießen, nicht besonders vernünftig an.«[115]

Zum Glück wurde der Wind nicht stärker. Am Ende konnten die Batterien der Redstone über Nacht leerlaufen, während ein Entlastungsventil am Tank mit dem Flüssigsauerstoff dafür sorgte, dass gasförmiger Sauerstoff langsam und sicher in die Umgebungsluft abgelassen werden konnte. Hinterher fanden die Techniker heraus, dass die Mercury-Kapsel exakt wie vorgesehen reagiert hatte, nachdem der Antrieb der Rakete ausgesetzt hatte. Der Mechanismus führte eine präzise und vorgegebene automatische Abfolge von Einzelschritten aus, bis hin zum Öffnen der einzelnen Fallschirme. Das Problem war, dass das Signal zum Abschalten des Antriebs zum falschen Moment gekommen war – nicht erst, wie eigentlich vorgesehen, nachdem die Rakete auf ihrem Weg ins All schon ein gutes Stück Weges hinter sich hatte, sondern bereits unmittelbar nach dem Abheben vom Boden – nach den erwähnten zehn Zentimetern »Flug«. Als Ursache wurden schließlich zwei Stromkabel ermittelt, die an der Basis der Rakete angeschlossen waren und beim Verlassen der Startrampe nacheinander hätten getrennt werden müssen, aber das Trennen dieser Verbindungskabel geschah nicht in der vorgegebenen Reihenfolge. Dies wiederum geschah wegen einer winzigen, Wochen zuvor vorgenommenen Veränderung an einem einzelnen elektrischen Steckverbinder – das Bauteil ist kleiner als eine Bierdose.[116]

Einen Monat später, am 19. Dezember, unternahm man einen erneuten Startversuch – die NASA taufte ihn MR-1A, vermutlich in der Hoffnung, dass es kein B oder C geben würde. Diesmal klappte alles; aber der größte Schaden war bereits unwiderruflich angerichtet. Und der Zeitplan für Amerikas ersten bemannten Weltraumflug wurde ein weiteres Mal verschoben.[117] Im Juni 1960 hatte die NASA noch von einem möglichen Flug im Oktober gesprochen. Im Oktober hieß es, man denke an den Dezember. Und jetzt war es Dezember, und es wurde immer wieder der März 1961 als denkbare Stunde der Wahrheit genannt. Schon machte der Scherz die Runde, das Kürzel NASA stünde in Wirklichkeit für »Not Absolutely Sure about Anything« (Nicht Allzu Sichere Angaben). Was allerdings später über den »Zehn-Zentimeter-Flug« bekannt wurde, schien alles zu symbolisieren, was im US-Raumfahrtprogramm falsch lief, und schon falsch lief, seit der erste Sputnik seine erste Wegmarkierung in der Erdumlaufbahn gesetzt hatte. Was die sowjetischen Agenten, die das Geschehen von ihren Fischkuttern aus verfolgten, sich dabei gedacht haben mögen, bleibt bis heute ein Geheimnis, und das ist vielleicht auch besser so.

Es ist auch leicht vorstellbar, dass der Zehn-Zentimeter-Flug zumindest ein wenig an der Zuversicht des Präsidenten gekratzt hat. Seine drei dürren Worte zum Thema Raumfahrt in der Antrittsrede vom 20. Januar 1961 waren nur die Spitze eines Eisbergs des Zweifels und der Verzweiflung, was Amerikas Raumfahrtprogramm anging. Alan Shepard, der in der Menge am Capitol Hill gestanden und der Amtseinführung beigewohnt hatte und der nur einen Tag zuvor von seinem Chef Bob Gilruth erfahren hatte, dass sein eigener Versuch, unsterblich zu werden, bald bevorstand, musste zur Kenntnis nehmen, dass dieser Unsterblichkeit Gefahr von gleich zwei Seiten drohte: von seinem eigenen Präsidenten und dessen neuem wissenschaftlichen Berater einerseits und von einem namenlosen sowjetischen Kosmonauten am anderen Ende der Welt andererseits. Wenn es denn überhaupt einen sowjetischen Kosmonauten gab. Denn weder Shepard noch einer der anderen Astronauten hatten ehrlicherweise irgendeine Ahnung, ob es einen gab oder nicht.

Aber natürlich existierte diese Gegenseite sehr wohl, 20 Männer an der Zahl; und nun hatten sechs dieser ursprünglich 20 Kandidaten, die »Vorhut-Sechs«, ihre letzten Prüfungen absolviert, eine unverbindliche Rangordnung war festgelegt, und sie warteten nur noch darauf, losfliegen zu können. Die Sowjets hatten als direkte Antwort auf das amerikanische Team ihr eigenes Team gebildet. Die beiden Teams existierten in merkwürdigen Parallelwelten, eines in aller Öffentlichkeit, eines im Geheimen, und jedes war ein verzerrtes Spiegelbild des jeweils anderen. Nachdem wir nun die Geburt und die Kleinkindphase der amerikanischen Seite beleuchtet haben, müssen wir die Uhr kurz ein wenig zurückdrehen auf den Sommer 1959, um den Blick auf einen entlegenen Luftwaffenstützpunkt nördlich des Polarkreises zu richten. Hier spielte sich die analoge Geburtsgeschichte auf der sowjetischen Seite ab.

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