Читать книгу Ins All - Stephen Walker - Страница 5

Prolog Fünfzehn Minuten vor dem Start

Оглавление

08:52 Uhr, 12. April 1961

Die Menschheit bleibt nicht ewig auf der Erde. Aber bei der Jagd nach dem Licht und dem Raum beginnt sie langsam, die Grenzen der Atmosphäre zu überwinden und dann den gesamten zirkumsolaren Raum zu erobern.[1]

Konstantin Ziolkowski, russischer Wissenschaftler und Visionär, 1911

Herrschaft über den Weltraum bedeutet Herrschaft über die Welt.[2]

Senator Lyndon B. Johnson, 1958

12. April 1961

Forschungs- und Testgelände Nr. 5 (NIIP-5) Kosmodrom Tjuratam, Sowjetrepublik Kasachstan

Die Dämmerung bricht rasch herein in der kasachischen Steppe, aber von Horizont zu Horizont gibt es kaum jemanden, der davon Kenntnis nehmen könnte. Der Wechsel brennend heißer Sommer und langer, frostiger Winter hat diese Gegend zu einer der am dünnsten besiedelten Regionen des Planeten gemacht, zu einem Land der Leere und der Stille. Wildpferde, Kamele, giftige Spinnen und gefährliche Skorpione haben die Landschaft für sich allein.

Oder fast für sich allein.

Durchschnitten wird diese Halbwüste mit ihren Beifußgewächsen und Steppenläufern von der Eisenbahnlinie Moskau – Taschkent, eine Strecke von fast 3000 Kilometern. Zwei Tagesreisen entfernt von der Hauptstadt des Sowjetreichs legt der Zug einen kurzen Stopp in einem Ort namens Tjuratam ein. Der Legende nach soll hier im 17. Jahrhundert der Leichnam eines der Nachkommen Dschingis Khans entdeckt worden sein, wie er im lehmfarbenen Wasser des Flusses Syrdarja trieb, nachdem er in einer Schlacht den Tod gefunden hatte. Vor 1955 gab es hier kaum jemanden außer dem Stationsvorsteher und seiner Familie und einer Handvoll kasachischer Nomaden, die dem Rhythmus der Jahreszeiten folgend durch die Steppe wanderten und für die dies ein heiliger Ort war. 1961 jedoch, gerade einmal sechs Jahre später, hat sich alles verändert. Ein Gebiet, rund vier Mal größer als der Großraum London, wurde vom sowjetischen Verteidigungsministerium für das tollkühnste, teuerste – und geheimste – Projekt der UdSSR in Beschlag genommen. Wo vorher nichts war, wuchs in kürzester Zeit eine neue Siedlung mit Namen Leninsk aus dem Boden, ein neues Zuhause für Ingenieure, Soldaten und Bauarbeiter mit ihren Familien, die Straßen gesäumt von neuen Wohnblocks, Verwaltungsgebäuden, Schulen und einer Kaserne. Dreißig Kilometer weiter nördlich liegen neue Komplexe von Montage- und Testbauten, ein rasch wachsendes Straßen- und Schienennetz, Strommasten, Überwachungsstationen, Kontrollbunker und jetzt auch vier gigantische Raketenstartrampen. Die Nomaden sind schon längst vertrieben worden. Hier draußen in der unwirtlichen Steppe, den Blicken neugieriger Spione so weit wie möglich entzogen, starten die Russen ihre Raketen.

Eine dieser Raketen steht jetzt glitzernd und zischend auf der Rampe, dahinter geht am Horizont die Sonne auf. Sie trägt den Codenamen R-7 und ist die größte Rakete der Welt, eine der geheimsten Geheimwaffen der UdSSR. Ein CIA-Spionageflugzeug, das im Mai des Vorjahres die Startrampe fotografieren sollte, wurde abgeschossen; der Pilot, Francis Gary Powers, überlebte, wurde wegen Spionage vor Gericht gestellt und zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Die R-7 ragt gut 38 Meter[3] aus der Steppe hervor und hat fast dreimal mehr Leistung als Amerikas größte Rakete. Sie kann einen thermonuklearen Sprengkopf mit der Zerstörungskraft von 200 Hiroshima-Bomben[4] über 9000 Kilometer weit befördern – vom Standort bis nach New York, beispielsweise.

Die R-7, von der hier die Rede ist, peilt allerdings nicht New York an. Und sie trägt auch keinen atomaren Sprengkopf. Sie ist für einen anderen Zweck umgebaut worden. Um 09:07 Uhr Moskauer Zeit werden ihre fünf riesigen Triebwerke gezündet – vier äußere für die erste und ein Zentraltriebwerk als zweite Stufe, und wenn alles klappt, hebt die Rakete ab in Richtung Weltraum. Statt einer Atombombe trägt sie eine kugelförmige Kapsel, in der ein Mann sitzt oder eher liegt. Der Mann muss ziemlich klein sein, höchstens 1,65 Meter, und auch möglichst leicht, da seine Raumkapsel ungefähr das Gewicht der Fünf-Megatonnen-Atombombe hat, deren Platz sie einnimmt. Er wird ein über einjähriges Training hinter sich haben, um für diese Mission gerüstet zu sein. Und er wird Mut brauchen. Kein Mensch war je zuvor im Weltall. Niemand weiß genau, was passieren wird, wenn er dort ankommt – wenn er denn dort ankommt. Werden ihm die Augäpfel platzen? Wird sein Blutkreislauf den Dienst versagen? Wird er die mörderischen Beschleunigungskräfte überleben – die ausreichen, um das Blut aus seinem Gehirn zu drücken? Wird der Hitzeschild seiner Metallkugel die Hitze von 1500 Grad Celsius beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre überstehen? Wird seine Rakete explodieren wie einige ihrer Vorgänger bei früheren Testflügen? Und wenn er es bis nach da oben schafft, in einer Weise abgekoppelt von seinem irdischen Dasein wie kein menschliches Wesen je zuvor, wird er vielleicht wahnsinnig werden?

Während Juri Alexejewitsch Gagarin – gerade 27 Jahre alt geworden, verheiratet, Vater einer knapp zweijährigen Tochter und eines einen Monat alten Babys, studierter Gießereitechniker, ehemaliger Kampfpilot und loyaler Kommunist – in seinem orangefarbenen Raumanzug ins gleißende Sonnenlicht hinaustritt und sich zu dem Aufzug begibt, der ihn an die Spitze der Rakete bringen soll, weiß niemand außerhalb eines streng begrenzten Zirkels etwas von seinem Vorhaben. Noch nicht einmal seine Frau, daheim in der Nähe von Moskau, weiß davon, dass ihr Mann für diese Aufgabe auserkoren wurde oder dass heute der große Tag ist.

Und der Rest der Welt weiß von nichts.

Trotz gewisser Andeutungen in den sowjetischen Medien ist die formelle Existenz des Raumfahrtprogramms ein Staatsgeheimnis. Das Training, das Gagarin und weitere 19 Kosmonauten absolviert haben, ist ein Geheimnis. Der Verantwortliche für das Programm ist ein Geheimnis und wird auf seinen Reisen innerhalb der UdSSR von einem Bodyguard des KGB beschützt, für den Fall, dass CIA-Agenten versuchen sollten, ihn zu entführen oder zu töten; der US-Geheimdienst hat jahrelang erfolglos versucht, seinen Namen ausfindig zu machen. Die zahlreichen Kamerateams, die jetzt die Startvorbereitungen filmen, wurden allesamt auf strikte Geheimhaltung eingeschworen: Sollte einer aus diesen Teams ein Sterbenswörtchen nach außen dringen lassen, wird er in diesem unerbittlichen Überwachungsstaat die entsprechenden Konsequenzen zu tragen haben. Im Kalten Krieg steht für die UdSSR zu viel auf dem Spiel, als dass sie einfach die Karten auf den Tisch legen könnte. Seit zwei Jahren bereiten die Amerikaner in aller Öffentlichkeit ihren eigenen ersten bemannten Raumflug vor. Die neueste Information besagt, der Versuch solle in weniger als drei Wochen stattfinden. Ohne irgendetwas öffentlich verlauten zu lassen, nutzen die Sowjets die Zeit, die bis dahin verbleibt, für ihren Start.

In Amerika ist es noch der 11. April abends. Millionen werden ihrem jugendlichen neuen Präsidenten, John F. Kennedy, und seiner glamourösen Gattin Jackie am Fernseher lauschen, wenn sie erzählen, was die Erziehung ihrer kleinen Kinder, Caroline und John, im Weißen Haus so alles an Herausforderungen mit sich bringt. Im West Village in New York steht ein noch völlig unbekannter 19-Jähriger namens Bob Dylan vor seinem Debüt als Profimusiker im Gerde’s Folk City Club, im Vorprogramm von John Lee Hooker. Der Aufmacher in den Abendnachrichten ist der erste Tag des Prozesses gegen Adolf Eichmann in Jerusalem. Der ehemalige SS-Offizier steht wegen seiner Rolle bei der Ermordung von sechs Millionen Juden vor Gericht, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Derweil wird viele Tausend Meilen weiter östlich Gagarin in seinem Sitz angeschnallt, der letzte Gurtverschluss rastet ein, die Luke der Kapsel wird geschlossen. Alleine in seiner kleinen Kugel wartet er und pfeift ein Liebeslied vor sich hin. Die Techniker und Controller sitzen in ihrem unterirdischen Bunker, keine 100 Meter von der Rakete entfernt, warten und können ihn über die Kopfhörer pfeifen hören. In den nächsten paar Minuten wird er entweder der erste Mensch in der Geschichte der Menschheit werden, der die Erde verlassen hat und vom Weltall aus auf ihre majestätische Schönheit herabblickt, oder er wird eines plötzlichen und schrecklichen Todes sterben. Wenn er Erfolg hat, wird er in der Stunde des Sonnenuntergangs der berühmteste Mensch auf dem Planeten sein, ein Sieger im erbitterten Kampf der Ideologien gegen die USA und ihre Verbündeten. Wenn er scheitert, wird kaum jemand wissen, dass es ihn jemals gegeben hat.

Ins All

Подняться наверх