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Berührung erwünscht: Die CT-Faser

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Berührung scheint nicht nur oberflächliche Empfindungen zu generieren. Berührung geht unter die Haut. Berühren, Streicheln, liebevolles Halten und Massieren sind verschiedene Formen von Hautkontakt, einer der ursprünglichsten Kommunikations- und Kontaktwege von Menschen und Tieren. Die Haut ist über den Tastsinn mit unserem Nervensystem verbunden und Reize, die über die Haut gehen, beeinflussen unser Befinden. Der Säugling nimmt so Kontakt mit der Mutter auf, bevor er noch richtig die Augen geöffnet hat. Fehlt diese beruhigende Gegenwart, leidet nicht nur die Psyche, auch sein Immunsystem entwickelt sich weitaus weniger stabil, wie Erfahrungen mit Frühgeborenen zeigen. Im zweiten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts lag die Sterblichkeitsrate von Kindern unter einem Jahr in Waisenhäusern aufgrund mangelnden Kontakts und mangelnder Berührung bei fast hundert Prozent.14

Warum jedoch Berührungen so wichtig sind, war noch nicht geklärt. Zwar hatte man schon in den 1990er Jahren herausgefunden, dass Ratten beim Streicheln und sanften Massieren offenbar vermehrt das Glückshormon Oxytocin ausschütteten, aber welche physiologischen Mechanismen dahinterstanden, blieb ungeklärt.

Den Durchbruch lieferte ein Test an einer Patientin, die keinerlei bewusste Berührungen spüren konnte, Streicheln aber dennoch diffus als angenehm empfand. Im Gegensatz zu den nicht funktionierenden Hautnerven sprach ihr CT-Faser-Netz auf die Berührung an. Wie sich herausstellte, wurden die entsprechenden Signale nicht an den bewussten Teil ihres Gehirns, sondern an das Gefühlszentrum geschickt. Die Patientin spürte von der Berührung daher nichts, fühlte sich aber scheinbar aus heiterem Himmel wohler und entspannter.15

Berührungsreize gelangen durch unterschiedliche Nervenfasern, auch sensorische Neuronen genannt, ins Gehirn. Diese unterteilen sich in zwei Kategorien: schnell leitende A-Fasern und langsam leitende C-Fasern. Während die A-Fasern Informationen mit hoher Geschwindigkeit weiterleiten, sorgen sie u. a. für die sogenannte Propriozeption, die Wahrnehmung der Position des eigenen Körpers im Raum. Sie sind für die feine, taktile, diskriminative, d. h. differenzierende Wahrnehmung sowie für die Übertragung bestimmter Aspekte von Schmerzreizen und schmerzvollen Temperaturschwankungen zuständig. Hingegen bilden die C-Fasern, als langsam leitende Fasern, ein zweites Netzwerk, dessen Rolle bisher nicht restlos geklärt war. Diese Fasern übertragen ihre Informationen mit einer Geschwindigkeit von ca. einem Meter pro Sekunde wesentlich langsamer als die A-Fasern, was sie für schnelle Reaktionen ungeeignet macht. Sie können sich deshalb so viel Zeit lassen, weil sie Informationen weiterleiten, die mit einer bestimmten Schmerzqualität sowie mit Temperatur und Juckreiz zu tun haben. Diese Informationen gelangen vermutlich in die Inselrinde, die Region des Gehirns, die für die Gewichtung von Informationen zuständig ist.16

1999 entdeckte der Schwede Åke Vallbo schließlich eine neue C-Faser, die sogenannte C-taktile Faser. Sie ist für die Übertragung besonderer Reize zuständig, nämlich Berührungen, die mit einer Geschwindigkeit von drei bis zehn Zentimetern pro Sekunde, einem hohen Weichheitsgrad und einer Temperatur zwischen 32 und 36,5 Grad Celsius ausgeführt werden. Das entspricht genau der Qualität achtsamer sinnlicher Berührung, von der weiter oben die Rede war.17 Bemerkenswert ist außerdem, dass diese Fasern nur auf behaarten Oberflächen zu finden sind. Eine Vermutung diesbezüglich ist, dass sie dafür geschaffen sind, Berührungen von anderen Menschen zu spüren.18 Die CT-Fasern könnten also dazu dienen, aus der Flut von Berührungen, die ständig auf unsere Haut treffen, jene herauszufiltern, die für unser emotionales und soziales Leben wichtig sind,19 oder mit anderen Worten: Unser Tastsinn verfügt über eine spezielle Leitung, um liebevolle, tröstliche oder erotische Botschaften anderer Menschen aufzufangen. Anscheinend vermitteln diese CT-Fasern die Zusatzinformation an das Gehirn, dass die entsprechende Berührung ungefährlich ist.20

Die schellen A-Fasern erlauben eine diskriminative bzw. differenzierende Wahrnehmung in Bezug auf Berührungsempfindungen. Sie leiten Signale weiter, die sich hinsichtlich Form, Textur, Vibration oder entfernter Wahrnehmung sehr schnell verändern können.21 Dagegen übermitteln C-Fasern den emotionalen Ton einer bestimmten Berührung, sozusagen die „emotionale“ Vibration. Viele Jahre hat man geglaubt, dass die C-Fasern nur Informationen über Schmerz22, Temperatur und Entzündung weiterleiten. In letzter Zeit finden sich jedoch immer mehr Beweise dafür, dass C-Fasern besonders für interpersonale Berührungen zuständig zu sein scheinen. Die C-taktilen Fasern sind sozusagen „Streichel-Sensoren“. Sie befinden sich rund um die Haarfollikel, sodass sie auf jede Haarkrümmung reagieren können. Studien zeigen, dass Haarkrümmungen unterschiedliche Empfindungen hervorrufen können: ein schnelles, diskriminatives, emotional neutrales Signal, das durch die A-Fasern vermittelt wird, und ein langsameres, diffuses, angenehmes Signal durch die C-taktilen Fasern. Während A-Fasern am effektivsten durch intensive Stimuli angeregt werden, benötigen C-taktile Fasern eine besondere Berührung, und zwar ein leichtes, langsameres Streicheln. Diese langsamere Berührung ist von größter Bedeutung für die Wahrnehmung dieser Signale und für das Empfinden angenehmer Gefühle. Es handelt sich um eine Stimulation, die uns an interpersonelle Berührungsqualität erinnert. Ein Streicheln des Unterarms provoziert sowohl eine Aktivierung des primären und sekundären somatosensorischen Cortex, der für die Diskriminierung von Formen und Textur zuständig ist und durch Informationen der A-Fasern gespeist wird, als auch eine Aktivierung der Inselrinde, welche die emotionalen Aspekte taktiler Prozesse verarbeitet.23

Darüber hinaus korreliert das Aktivieren der CT-Fasern mit dem positiven Gefühl von Wohlsein. Diese Beobachtung führte zu der Hypothese einer „sozialen Berührung“, die besagt, dass CT-Fasern nur auf angenehme, interpersonale Berührungen reagieren würden.24 Vermutlich könnten diese speziellen Fasern daher zusätzlich zu den angenehmen Gefühlen auch Vermittler für erotische Berührungen sein.25 Diese Hypothese entstand durch die Beobachtung von Schmerzpatient*innen, bei denen bestimmte Fasern des Rückenmarks (Tractus spinothalamicus) beschnitten wurden. Nach der Operation berichteten diese Patient*innen, keine erotischen Empfindungen auf der Haut der operierten Stelle wahrnehmen zu können. Da CT-Fasern womöglich dieselbe Leitung wie die Schmerzrezeptoren (Nozizeptoren) benutzen, wurden diese bei der OP ebenfalls abgeschnitten. Dieser Fakt suggerierte, dass CT-Fasern notwendig für die Übertragung erotischer Empfindungen sein könnten. Allerdings wurde die potenzielle Beteiligung der CT-Fasern in der Wahrnehmung erotischer Empfindungen noch nicht eindeutig untersucht. Wenn die CT-Fasern in die Kodifizierung sexueller Anreize involviert sind, wird von den für CT-Fasern optimalen Berührungen erwartet, dass sie als erotischer wahrgenommen werden als jene Berührungen, die nicht für CT-Fasern optimiert sind. Diese Hypothese wurde in zwei Studien untersucht, die Folgendes ergaben: Die höchsten Werte bezüglich Erotik und Wohlgefühl korrelierten mit Pinselberührungen mit einer Geschwindigkeit, die CT-Fasern optimal aktiviert. Demzufolge scheinen CT-Fasern nicht nur für angenehme, sondern auch für erotische Berührungen zuständig zu sein. Erotische Berührungswahrnehmungen wurden bei besonders langsamen Reizen festgestellt.26

Das CT-Netzwerk könnte zusätzlich nicht nur für die Übermittlung von Gefühlen und Empfindungen zuständig sein, sondern möglicherweise auch für die Ausschüttung von Glückshormonen wie Oxytocin,27 dessen Funktion ich in den folgenden Kapiteln darstellen werde.

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