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Zu wenig Berührung – warum?
ОглавлениеDer ambivalente Ruf von Berührung in unserer Gesellschaft hat tiefe Wurzeln in unserer sexualfeindlichen Geschichte. Insbesondere Frauen hatten darunter zu leiden. Ihnen wurde – und wird zum Teil immer noch – jedes Recht auf eine eigene oder gar selbstbestimmte Sexualität abgesprochen.34 Noch Ende des letzten Jahrhunderts wurde von einer „guten“ Frau erwartet, dass sie von sexuellem Genuss nichts wusste. Wenn sie Anstalten machte, derartige Empfindungen zu entwickeln, wurde sie grausam verhöhnt, gesellschaftlich missachtet oder als „hysterisch“ oder anderweitig „krank“ bezeichnet.35 Sexualität galt einst als heilige Handlung. Doch heute ist es für einen im westlichen Kulturkreis aufgewachsenen Menschen kaum möglich, ohne langwierige geistige Bemühungen die Ansichten der alten Welt nachzuvollziehen, in der Sexualität als eine Erfahrung göttlichen Vergnügens oder ein Vorgeschmack des Himmels galt.36
Diese Tabuisierung von Sexualität und Erotik hat jedoch zur Folge, dass die Bedeutung und subtile Präsenz des tabuisierten Themas verstärkt werden und dass jede Berührung zu einer potenziell sexuellen wird. Das Tabu wirkt sich somit auf viele Bereiche aus: Gleichzeitig mit der sexuellen Berührung werden viele freundschaftliche Berührungen verdammt, und das Berührungsrepertoire wird eingeschränkt. Auch die Sexualität selbst unterliegt Beschränkungen und ist von einem sehr begrenzten Verständnis körperlicher Liebe geprägt.