Читать книгу Ich will malen! - Michael Hatry, Susanna Partsch - Страница 10
Dann redete er nicht mehr über das Bild. Mitunter sah Artemisia ihn durch die halb offen stehende Tür minutenlang regungslos vor der Leinwand stehen. Dann wieder malte er stundenlang. 6. Wie Orazio wirklich ins Gefängnis kam
Оглавление„Aufmachen! Aufmachen!“
Heftiges Klopfen an der Haustür.
Artemisia und ihre Mutter, die in der Küche zugange waren, sahen sich an.
„Soll ich aufmachen?“, fragte Artemisia.
Prudenzia schüttelte den Kopf, trocknete sich die Hände an ihrer Schürze, lief aus der Küche und sah, wie Orazio gerade die Tür des Malzimmers öffnete und den Kopf in den Flur steckte.
Sie ging zur Haustür und schloss auf. Vor ihr standen vier Sbirren und ein schwarz gekleideter Mann.
Einer schob die Tür ganz auf, als wolle er mehr Licht in den Flur lassen. Der Schwarze fragte: „Wohnt hier Orazio Gentileschi, Maler?“
„Der bin ich“, sagte Orazio von hinten.
Zwei der Sbirren gingen sofort auf ihn zu.
Artemisia war ihrer Mutter gefolgt und stand erschrocken in der Küchentür.
„Was hat er verbrochen?“, rief Prudenzia.
„Keine Ahnung“, sagte der Schwarze. „Ich bin Notar und habe einen Haftbefehl gegen Orazio Gentileschi und der seid also Ihr?“
Orazio leistete keinen Widerstand. Anscheinend war auch ihm der Schreck in die Glieder gefahren. Die Sbirren legten ihm metallene Handfesseln an.
Prudenzia lief zu ihm und lehnte sich an ihn: „Was wollen die von dir?“
„Ich weiß nicht“, sagte er. „Es muss ein Irrtum sein.“
Artemisias kleine Brüder Cecco und Giulio standen plötzlich am Fuß der Treppe.
„Wir haben auch Befehl, das Haus zu durchsuchen“, sagte der Notar und wedelte mit einem Schriftstück.
Zwei der Sbirren gingen ins Malzimmer.
„Er kommt ins Corte Savella. Ihr könnt ihm Bettzeug und Kleidung schicken.“
„Was kann ich?“, fragte Prudenzia.
Artemisia ging zu ihren Brüdern. Aus dem Malzimmer waren alle möglichen Geräusche zu hören.
„Das ist ein Gefängnis“, sagte sie wichtig und stolz darauf, dass sie es wusste. „Das, in dem Beatrice Cenci war.“
„Wird Papà geköpft?“, fragte der sechsjährige Cecco erschrocken.
Was er wohl angestellt hat?, dachte Artemisia.
„Bettzeug und Kleidung?“, fragte Prudenzia.
„Und Essen, wenn Ihr nicht wollt, dass er verhungert.“
„Ihr ...“
„Oder gehört Ihr zu den Armen in dieser Stadt?“
„Das nicht, aber ...“
„Also“, sagte der Notar.
Einer der Sbirren fasste Orazio am Arm.
„Ihr braucht mich nicht zu stützen“, knurrte Orazio.
Prudenzia kamen plötzlich die Tränen, sie fing an, ihn wie wild zu küssen.
Einer der Sbirren zerrte sie weg.
Aus dem Malzimmer kamen die beiden andern Sbirren. Der eine trug einen Stapel Papiere. Der andere lief an den Kindern vorbei die Treppe hinauf. Ihm folgte einer der Sbirren, die bei Orazio standen.
„Wir haben, was wir brauchen!“, sagte der mit dem Papier.
„Was braucht Ihr denn?“, fragte Orazio.
„Alles, auf dem was geschrieben steht“, sagte der Notar.
„Wieso?“, rief Prudenzia. „Wieso braucht Ihr das?“
„Ich weiß es nicht. Und wenn ich’s wüsste, würde ich’s nicht sagen.“
„Weißt du es?“, fragte Prudenzia Orazio, der keine Miene verzog, aber den Kopf schüttelte.
„Los!“, sagte der, der ihn hielt. „Kommt!“
Er zog Orazio ein wenig, aber Orazio leistete keinen Widerstand.
„Papà!“, rief Artemisia und lief auf ihn zu.
Die zwei Sbirren verließen mit Orazio das Haus. Der Notar schloss sich ihnen an. Artemisia lief an ihrer Mutter vorbei hinterher, die Jungen folgten ihr.
Auf der Straße waren die Nachbarskinder zusammengelaufen. Die Sbirren scheuchten sie auseinander.
In diesem Moment kam Francesco Scarpellino, der dreizehnjährige Maljunge, den Orazio seit einiger Zeit hatte, mit einem Korb voller Einkäufe daher.
„Was ist denn los?“, fragte er und kullerte mit den Augen.
Artemisia und ihre Brüder antworteten nicht, sondern liefen bis zur Straßenecke hinter dem Vater her. Dann sahen sie ihn und seine Bewacher die Via dei Greci hintergehen und nach links um die nächste Ecke verschwinden.
Es war der 12. September 1603.Am Mittag schickte Prudenzia Scarpellino mit einem Karren voll Bettzeug und Kleidung zum Gefängnis Corte Savella.
Artemisia half ihrer Mutter beim Kochen. Cecco und Giulio saßen eingeschüchtert am Tisch.
„Darf ich nachher mitkommen?“, fragte Artemisia.
„Nein“, antwortete ihre Mutter, während sie in einem Topf rührte. „Das ist auch gar nicht nötig. Euer Vater wird bestimmt bald wieder freigelassen. Spätestens morgen, wenn er ihnen alles erklärt hat!“
„Was alles?“
„Wenn ich das wüsste, ginge es mir besser. Au!“
Sie hatte sich beim Probieren die Zunge verbrannt. Und Artemisia wusste, dass es schlimm um sie stehen musste, wenn ihr so etwas passierte.
„Hat es mit den Papieren zu tun, die die Sbirren mitgenommen haben?“, fragte sie trotzdem.
„Keine Ahnung! Und hör auf, mich zu piesacken! Ich will nichts mehr davon hören!“
Sie aßen schweigend. Danach ging Prudenzia zum Gefängnis, Orazio besuchen, und brachte ihm auch etwas zu essen mit. Die Tür zum Malzimmer war geschlossen. Aber Artemisia hatte keine Bedenken, es zu betreten. Niemand konnte sie erwischen. Und es war nicht bloße Neugier, die sie trieb. Sie wollte ihrem Vater eine Freude machen.
Das Bild, an dem Orazio gemalt hatte, als er verhaftet wurde, stand auf der Staffelei. Die Palette und der Pinsel lagen auf dem Regal.
Artemisia strich durch den Raum, da etwas mit den Fingern streifend und dort. In einem Regal standen zwei Bücher, daneben lag ein Stapel mit Zeichnungen und Entwürfen. Sie blätterte ihn in einer Art müßiger Neugier durch.
Dann ging sie zur Staffelei und betrachtete jedes Detail des noch unfertigen Bildes, das offensichtlich wieder eine Madonna mit Kind werden sollte. Sie nahm den Pinsel in die Hand und fuhr die Konturen nach, als wolle sie sie abstauben.
So muss Malen gehen, dachte sie.
Neben dem Stapel mit den Entwürfen lag ein Stapel unbenutztes Papier. Artemisia nahm das oberste Blatt und suchte ein Stück Kreide. Sie fand einen Holzkohlestift, legte das Blatt auf das Zeichenbrett, das sie an die Wand gelehnt fand, und setzte sich in den Lehnstuhl neben dem Fenster.
Sie überlegte, was sie zeichnen sollte. Orazios Drohung mit dem Fegefeuer schreckte sie schon lange nicht mehr.
Kurz entschlossen zeichnete sie das Schafott vor der Engelsburg, Beatrice Cenci, den Kopf auf dem Richtblock und daneben den Scharfrichter mit dem heruntersausenden Beil.
Prudenzia und Scarpellino kamen fast gleichzeitig wieder nach Hause. Scarpellino brachte Neuigkeiten. Er hatte den Umweg zum Farbenhändler gemacht, wo es nur ein Gesprächsthema gegeben hatte. Und Scarpellino hatte erfahren, dass auch Caravaggio, dessen Freund, der Architekt Onorio Longhi und ein Maler, dessen Namen Scarpellino nicht mehr wusste, im Gefängnis waren, allerdings im Tor di Nona.
Und der Hund?, dachte Artemisia. Wer sorgt für Caravaggios schwarzen Hund? Wer gibt ihm zu fressen und geht mit ihm auf die Straße, damit er nicht die Wohnung vollkackt und vollpinkelt?
Warum sie alle festgenommen worden waren – darüber war wild spekuliert worden beim Farbenhändler.
„Longhi“, seufzte Prudenzia. „Der ist genauso schlimm wie Caravaggio! Und der musste Orazio mit ihm zusammenbringen!“
„Dann ist er doch nicht unschuldig?“, fragte Artemisia.
„So was darfst du nicht mal denken!“, fuhr Prudenzia sie an.
„Was hat er denn gesagt, als du ihn besucht hast?“
„Er ist dem Richter vorgeführt worden. Aber er hat nicht rausgekriegt, was sie ihm überhaupt vorwerfen. Irgendwas mit Papieren, sagt er.“
„Hab ich doch gesagt!“
„Und gefragt haben sie ihn, ob er schreiben kann.“
„Ob er schreiben kann?“
„Ja.“
Und Prudenzia sah aus, als hielte sie das für sehr bedenklich.
Am nächsten Tag ging Scarpellino wieder zum Farbenhändler und als er zurückkam, wollte er Artemisia nichts erzählen und auch ihrer Großmutter nicht, die vorbeigekommen war, weil sie es vor Neugier und Sorge nicht mehr aushielt. Aber sein schiefes Gesicht mit den großen Ohren strahlte vor Stolz.
Schließlich kam auch Prudenzia.
Sie stellte ihren Einkaufskorb auf den Küchentisch und sagte: „Nichts. Sie haben ihn nicht entlassen. Er sagt, es sei ihm ein Rätsel, weshalb er und die andern verhaftet worden sind.“
„Der Scarpellino weiß was“, sagte Artemisia.
„Scarpellino!“ rief Prudenzia ins Treppenhaus.
Prompt hörten sie seine Schritte auf der Treppe. Kaum hatte er die Küche betreten, stellte er sich wie ein Schauspieler in Positur und deklamierte:
„Wisch dir den Hintern ab, mit deinen Zeichnungen und Entwürfen! Stopf sie in die Fotze von Maos Frau, sodass er sie mit seinem Mauleselschwanz nicht mehr ficken kann!“
Prudenzia sprang auf und klebte ihm eine, so dass sein Gesicht noch etwas schiefer zu werden schien.
Artemisia verstand nichts.
„Hast du den Verstand verloren?“, herrschte Prudenzia den verdutzten Jungen an. „Was fällt dir ein?“
„Das ist aus einem Gedicht! Hab ich extra auswendig gelernt!“
„Aus was für einem Gedicht?“
„Sie sagen, da würden schon seit Wochen so schmutzige Gedichte weitergegeben werden ...“ stammelte Scarpellino, „einer schreibt sie vom andern ab, und manche können sie sogar auswendig ...“
„Wie du.“
„Ich hab’s nur für Euch auswendig gelernt, weil ich keine Abschrift kriegen konnte. Es sind Gedichte, die Messer Baglione und seinen Schutzengel Mao, wie sie den Messer Salini nennen, beleidigen!“
„Baglione? Und was hat mein Mann damit zu tun? Baglione ist sein Freund!“
„Sie sagen, irgendwelche Leute müssen die Gedichte ja geschrieben haben!“
„Sie? Wer sind sie?“
„Die Maler beim Farbenhändler. Sie haben alle durcheinander geschrien, zwei haben sich sogar geprügelt, die einen meinen so und die andern so ... Und ich dachte, Ihr lobt mich, wenn ich ...“
„Du hast eine Ohrfeige gut, Scarpellino! Bloß schade, dass du keine Abschrift kriegen konntest.“
„Das ist allerdings nicht wirklich ein gutes Gedicht“, sagte die Großmutter düster.
Prudenzia sah sie an, als erkenne sie sie nicht wieder.
Hinter ihrem Rücken bildete Scarpellino mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand einen Kreis und stieß mit dem Mittelfinger der rechten Hand hinein.
Jetzt verstand Artemisia.
„Der Richter hat was von Gedichten gesagt“, sagte Prudenzia, „Gedichten gegen Baglione. Orazio hatte keine Ahnung, dass es solche Gedichte gibt. Aber sie sind trotzdem wie wild hinter seiner Handschrift her.“
Sie fing an, den Korb auszupacken.
„Du weißt, dass seit neuestem Galeere auf so was steht?!“, fragte ihre Mutter.
„Galeere! Gütiger Himmel! Kein Wunder, dass er Angst hat! Und ich erst!“
Galeere, dachte Artemisia. Rudersklaven unter Deck! Sie bekam einen Schreck. Wenn der Richter ihm nun nicht glaubte? Sie wusste, wie es auf den Galeeren zuging, alle wussten das! Die Sklaven waren angekettet und ruderten mit bloßem Oberkörper, der Schweiß floss ihnen nur so über die Körper und alles entzündete sich und sie bekamen Blasen an den Händen und wenn sie schlapp machten, stand schon ein Aufseher mit der Peitsche in der Hand da und schlug zu und es gab einen blutigen Striemen über den Rücken oder auch mehrere, je nachdem wie oft der Sklave schlapp machte. Und wenn er tot war, wurde er einfach ins Meer gekippt und war Futter für die Haie.
„Wir können aber nichts anderes tun als warten“, schloss Prudenzia.
Mit jedem Tag, den sie warteten, wuchs Artemisias Angst.
„Aber benimm dich anständig!“, sagte Prudenzia.
Artemisia hatte solange gebettelt, bis Prudenzia sie schließlich, am achten Tag nach Orazios Verhaftung, mitgenommen hatte.
Sie standen vor dem Gefängnis Corte Savella in der Nähe der Piazza Navona. Artemisia nickte. Sie meldeten sich am Tor bei der Wache und wurden hineingelassen. Der Posten begrüßte Prudenzia schon wie eine alte Bekannte und Prudenzia schaute grimmig und fasste Artemisias Hand fester.
Sie gingen den Gang entlang. Die Tür zum Besuchszimmer stand offen. Drinnen saß Orazio auf einem der Stühle. Neben der Tür stand ein Wachposten.
Als Orazio Artemisia sah, lief er rot an, sprang auf und rief: „Was soll das denn?“
„Artemisia wollte gern das Gefängnis sehn, in dem Beatrice Cenci war“, sagte Prudenzia ruhig.
„Wir sind hier im Männertrakt!“
„Und ich hab dir was mitgebracht!“, sagte Artemisia feierlich und reichte ihm ihre Zeichnung, die sie aufgerollt in der Hand hielt.
Orazio riss ihr die Zeichnung aus der Hand, rollte sie auf und sah, was seine Tochter gezeichnet hatte: Beatrice Cenci auf dem Schafott und den Scharfrichter mit dem Beil.
„Du hast ja nichts Schlimmes gemacht ...“, sagte sie.
„Ich hab gar nichts gemacht!!“, brüllte Orazio.
Er zerriss die Zeichnung, knüllte die Fetzen zusammen und warf sie auf den Boden.
Artemisia fing an zu weinen.
„Raus! Raus vor die Tür! Aber fix!“
Artemisia sah ihn an.
Warum hat er das getan?, dachte sie. Warum hat er mein Bild weggeschmissen! Dann ging sie hinaus auf den Flur.
Orazios Freund Giuseppe Cesari kam nach langer Zeit mal wieder zu Besuch. Artemisia war mit einem vollen Wassereimer in die Küche unterwegs. Prudenzia folgte ihr mit Cesari.
„Was verschafft mir die Ehre?“, fragte Prudenzia mit dem Anflug eines Lächelns und bot ihm einen Becher Frascati an.
Cesari lehnte Wein nie ab und sagte: „Gern. Ich kam gerade vorbei und dachte ...“
Artemisia stellte den Eimer ab und blieb stehen, wo sie war. Die beiden kümmerten sich nicht um sie.
„Ich hab gehört“, sagte Prudenzia und goss aus einem Krug Wein in einen Becher, „der Heilige Vater hat Euch zum Cavaliere ernannt?“
„Der Himmel weiß, womit ich diese Ehre verdient hab!“
„Mit Euren Bildern, dachte ich.“
Sie setzte sich und sah ihn an.
„So wird es wohl sein“, antwortete er und trank einen Schluck. „Ich nenne mich jetzt Cavaliere d’Arpino, aber für meine Freunde bleibt alles beim alten.“
„Orazio ...“, begann Prudenzia.
„Er wird es überstehen! Diese Gedichte freilich ... Kleine Meisterwerke der Poesie! Aber meiner Meinung nach hat er nichts damit zu tun!“
Er grinste breit.
„Bestimmt nicht!“, sagte Prudenzia hart. „Ich dachte eigentlich, er könnte schon wieder zu Hause sein ...“
„Leider nicht. Sie lassen ihn schmoren.“
Artemisia hätte fast gelacht. Schmoren!, dachte sie. Und dachte an die Lammhaxe, die gelegentlich in ihrem Herd schmorte.
„Ja, die Mühlen der Justiz! Aber jetzt hat’s sich ausgeschmort!“
Er lachte vergnügte, trank und beugte sich vor.
„Ganz im Vertrauen: Ich weiß aus sicherer Quelle, dass Kardinal del Monte an allen möglichen Hebeln zugange war und dass der französische Botschafter höchstpersönlich beim Heiligen Stuhl für Caravaggio gutgesagt hat! Na, und wenn Caravaggio freikommt ...“
Prudenzia wurde erst blass, dann rot.
„Das heißt ...?“
„Das heißt alles mögliche, aber vor allem, dass Orazio auch bald freikommt.“
„Er kommt frei?“, jubelte Artemisia.
Obwohl sie eigentlich böse auf ihn war.
Am nächsten Tag wurde ihr Vater ohne Begründung entlassen.