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5. Wie Orazio anfing, anders zu malen

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Artemisia legte ein Ohr an die Tür zum Malerzimmer, aber sie hörte nur das selbstvergessene Singen des Kanarienvogels aus der Küche.

Es war alles anders geworden.Ihr Vater hatte den Kardinal Pietro Aldobrandini porträtiert. Das war der Durchbruch gewesen.

Jetzt, im Frühjahr des Jahres 1600, malte er zu Hause. Nach den Skizzen, die er gemacht hatte, auf Leinwand.

Prudenzia war glücklich.

Artemisia dagegen fühlte sich zurückgesetzt.

„Was soll das für ein Bild sein, das du malst?“, fragte sie patzig, bald nachdem er mit dem neuen Bild angefangen hatte.

Orazio sah sie an, als hätte sie gerade den Kanarienvogel umgebracht.

„Die Heilige Jungfrau mit dem Jesuskind!“, sagte er kurz.

Artemisia bekam einen Schreck. Sie kannte die Geschichte von der Geburt Christi. Es war eine der vielen Geschichten aus der Bibel, die ihre Mutter ihr erzählt hatte. Eine der wichtigsten. Und wenn jemand die Madonna mit Kind malte, konnte er natürlich kein Mädchen nehmen! Mädchen hatten keinen Pimmel. Und außerdem war sie mit fast sieben schon viel zu alt. Links und rechts von der Madonna malte Orazio je einen Mann. Sie sahen beide ein bisschen steif aus.

„Das sind Heilige“, sagte Prudenzia.

Sie standen vor dem fertigen Bild, Prudenzia mit Giulio, der sehr lebendig geraten war, auf dem Arm. Dass die beiden Heiligen mit auf dem Bild waren, hatte sich der Auftraggeber gewünscht.

Der linke Heilige war der heilige Sebastian.

„Der hat ja einen Pfeil im Hals stecken!“, rief Gianni.

„Und einen in der Schulter!“, ergänzte Artemisia.

„Aber er merkt es gar nicht!“

Der Heilige hatte Augen nur für das Jesuskind, das nun doch nicht nackt gemalt war, sondern in ein Tuch gehüllt.

Wahrscheinlich, weil Giulio noch nicht sauber ist, dachte Artemisia.

„Der heilige Sebastian“, erklärte Prudenzia, „war einer der Christen, die von den alten Römern, die keine Christen waren, verfolgt wurden. Der Kaiser Diokletian ließ ihn mit Pfeilen beschießen, aber eine fromme Witwe pflegte ihn wieder gesund. Leider ging er anschließend zum Kaiser und machte ihm Vorwürfe und der hat ihn dann im Circus Maximus hier in Rom zu Tode peitschen lassen. So starb er als Märtyrer!“

Wie dumm von ihm, dachte Artemisia, dem Kaiser Vorwürfe zu machen!

Der andere Heilige war der heilige Franziskus, was der dreieinhalbjährige Francesco, den inzwischen alle Cecco nannten, sehr passend fand. Er hatte ein Holzkreuz in der mit dem Wundmal Christi gezeichneten Hand, und Artemisia fand, er hatte denselben Gesichtsausdruck wie ihr Vater, wenn er nachdenklich auf seine Pasta schaute.

„Der heilige Franziskus“, erzählte Prudenzia den Kindern, „hat vor vielen hundert Jahren gelebt. Er war der Sohn eines reichen Kaufmanns und lebte in den Tag hinein. Aber dann schlug Gott ihn mit Krankheit und anderen schlimmen Dingen und er wurde ein anderer Mensch, folgte Gott, entsagte dem Reichtum und lebte als armer Mann. Und manchmal sprach er mit den Vögeln, die ihn verstanden.“

„Das will ich auch versuchen“, versicherte Gianni.

Der Kanarienvogel zwitscherte fröhlich dazwischen, als ob er etwas Wichtiges zu sagen hatte. Alle hörten sie zu. Aber sie verstanden ihn nicht.

Als das Bild abgeholt und bezahlt war, ging Orazio einkaufen und zur Feier des Tages gab es bei den Gentileschis zum Abendessen geräucherten Aal, Artischocken in Butter und eine Lammkeule mit Rosmarin und Salat.

Das nächste Bild, das Orazio malte, war ein Heiliger Franziskus, von einem Engel gehalten.

„Einmal“, erklärte er beim Abendessen, „ist dem Heiligen ein Engel mit den Wundmalen Christi erschienen, die er ihm auf Hände, Füße und überall dorthin, wo der Soldat Christus mit der Lanze getroffen hatte, gedrückt hat. Das Bild, das ich male, ist der Augenblick gleich danach: Franziskus ist vor Schreck ohnmächtig geworden und der Engel muss ihn halten, damit er nicht hinfällt.“

„Franziskus sieht hier ganz anders aus als auf dem andern Bild!“, sagte Artemisia.

„Darauf kommt es nicht an“, antwortete Orazio. „Kein Mensch weiß, wie er wirklich ausgesehen hat. Man erkennt ihn an andern Dingen. An seiner Kutte, seiner Haltung, dem Engel, den Wundmalen, dem Heiligenschein ...“

In die Kutte, die er beim Trödler preiswert erstanden hatte, steckte Orazio seinen Hauswirt, einen Kunstschreiner. Auf ein Modell, wie es die Akademie zur Verfügung stellte, verzichtete er. Als Engel staffierte er Gianni aus, der vor Heiligkeit spürbar schwoll, sobald ihm Orazio die Flügel anlegte, große, weiße Schwingen.

Artemisia platzte fast vor Neid. Warum malte ihr Vater nicht sie? Warum jetzt Gianni? Sie sah doch mindestens genauso engelhaft aus.

Gern hätte sie ihrem Vater beim Malen zugeschaut, aber Orazio wollte das nicht.

„Ich bin mäuschenstill“, bat sie. „Du bemerkst mich gar nicht.“

„Aber meine Modelle bemerken dich!“

Orazio kannte keine Gnade.

Nur einmal gelang es ihr, einen Blick auf das Bild und den malenden Vater zu werfen, als sie im Windschatten ihrer Mutter das Malzimmer betreten konnte. Der Hauswirt lag, aufs Bett gestützt, halb am Boden und Gianni tat so, als würde er ihn mit seinen Armen halten, was aber in Wirklichkeit das Bett tat.

Ich will auch malen, dachte sie. Beim Malen kann man schummeln.

An Leinwand und an Farben kam sie natürlich nicht heran. Sie stocherte in der Asche des Küchenherdes und fand ein Stück angekohltes Holz. Zeichenpapier verwahrte der Vater im Malzimmer. Aber sie hatte ein Blatt mit den Entwürfen für die Madonna beiseite geschafft. Kurzerhand drehte sie das Blatt um und legte es auf den Boden im Schlafzimmer. Das Holz brach ab, kaum hatte sie etwas Schwarz aufgebracht. Dabei brauchte sie viel Schwarz für die Kutte. Auch wenn diese eigentlich braun war.

Wo mochte der Vater seine Zeichenkohle aufbewahren?

In seinem Malzimmer, wo sonst?

Vielleicht könnte Gianni ...? Sie verwarf den Gedanken. Gianni würde eine Gegenleistung verlangen. Außerdem würde er wissen wollen, wozu sie die Kohle brauchte.

„Ausgerechnet Caravaggio!“, rief Prudenzia bei Tisch, im Beisein der Kinder.

Aber Artemisia war froh über jedes Tischgespräch. Auf diese Weise konnte sie wenigstens das eine und andere aufschnappen.

„Von allen Malern Roms“, ereiferte sich Prudenzia, „der, über den sich die Leute am meisten die Mäuler zerreißen, und nicht wegen seiner Bilder!“

„Ich höre deine Mutter“, sagte Orazio kalt. „Und natürlich reden die Leute über seine Bilder.“

„Er malt Dirnen! Er malt Knaben!“

„Er hat den heiligen Matthäus gemalt! Die Bilder sind eine Sensation.“

„Er trägt einen Degen, als sei er ein Adliger, und streunt mit seinem Hund, schwarz wie die Hölle, durch die Stadt, sagt der Barbier. Er schlägt sich!“ Schwarz wie die Hölle!, dachte Artemisia und gruselte sich ein bisschen.

Aber schon sah sie den Maler, der Dirnen und Knaben malte, aber vor allem den heiligen Matthäus, der ein Jünger Christi gewesen war, mit seinem schwarzen Hund, den Degen an der Seite, furchtlos durch die Straßen ziehen und die Feder an seinem Hut wippte im Wind und er dachte sich neue Bilder aus.

„Ich lerne von ihm“, sagte Orazio.

„Dagegen hab ich nichts. Ich hab ja Augen im Kopf und seh, dass du angefangen hast, anders zu malen. Du arbeitest mehr mit Licht.“

„Allerdings!“

„Aber deshalb brauchst du dich doch nicht gleich seiner Clique anzuschließen und mit ihm rumzustrawanzen!“, rief Prudenzia. „Demnächst wirst du wahrscheinlich auch einen Degen tragen!“

„Was ist ein Degen?“, erkundigte sich Cecco mit vollem Mund.

„So was wie ein Schürhaken“, sagte Prudenzia verächtlich. „Bloß, dass man damit Menschen tot sticht!“

„Michele hat niemanden tot gestochen!“ warf Orazio ihr wütend hin.

„Der Barbier sagt, dass er erst neulich einen Maler überfallen hat, einen Freund deines Freundes Baglione, und deswegen im Gefängnis war!“

„Das war Notwehr!“

„Notwehr! Bernardino sagt, dein fabelhafter Freund sei als Streithammel berüchtigt und ginge keinem Zoff aus dem Weg!

„Er ist der beste Maler Roms!“, sagte Orazio stur.

„Seit wann das denn?“, wollte Prudenzia wissen. „Carracci, Cesari, Baglione ... Die solltest du dir zum Vorbild nehmen, du ... mit deinen fast vierzig Jahren ... läufst ein paar jungen Krawallbrüdern nach, als könntest du dich künstlich wieder verjüngen!“

„Er ist der beste Maler Roms, verdammt!“, brüllte Orazio und schlug mit der Faust auf den Tisch, sodass die Becher tanzten und die Kinder sie vor dem nächsten Faustschlag in Sicherheit brachten. „Schau dir seine Bilder an in San Luigi und demnächst in Santa Maria del Popolo!“ Die Faust donnerte auf den Tisch. „Schau sie dir an!“

Prudenzia schwieg. Alle schwiegen. Man hörte plötzlich die Fliegen summen. Der Kanarienvogel plusterte sich.

In die Stille hinein sagte Artemisia: „Ich will aber mit, Mamma!“

Dazu kam es nicht. Prudenzia hatte dazu nicht die geringste Lust.

Bald darauf war Orazios Franziskus fertig.

Der Mönch aus dem Orden der Oratorianer, der das Bild in Auftrag gegeben hatte, kam in Begleitung von ein paar anderen Ordensmännern. Sie ließen die Tür zum Flur offen stehen, versammelten sich vor dem Bild, zeigten auf Einzelheiten und redeten durcheinander. Artemisia war ihnen nachgegangen und sah ihnen zu. Sie gestikulierten lebhaft. Orazio hatte keine Augen für seine Tochter. Er zeigte auf den Engel und erklärte offenbar etwas Wichtiges.

„Ihr malt ein wenig anders als früher, finde ich“, sagte einer der Mönche. „Aber wie ich höre, seid Ihr ja mit Messer Caravaggio befreundet!“

Caravaggio?, dachte Artemisia. Schon wieder! Der Mann mit dem Degen, der die Leute totsticht, jedenfalls fast. Der beste Maler Roms. Der mit dem Hund.

Orazio räusperte sich.

„Naja“, sagte er. „Man redet ... man diskutiert ... man schaut sich die Bilder der Kollegen an ...“

Ob der wohl schon hier war, der Caravaggio?, überlegte Artemisia. Der Hund war jedenfalls noch nicht hier. Und ob er ohne seinen Hund überhaupt ausgeht?

Gianni drängelte sich an seiner Schwester vorbei ins Zimmer. Einer der geistlichen Herren strich ihm über seine Locken.

Drei Monate später, Ende September 1601, starb er an einem Fieber, wie sie so häufig vorkamen, keine sieben Jahre alt.

Drei weitere Wochen später schenkte Prudenzia einem neuen Gianni das Leben.

Orazio malte einen zweiten Franziskus. Mit einem älteren Engel. Das auch.

„Aber vor allem, weil im ersten zu wenig Leben war!“, wie Orazio zu Prudenzias Überraschung sagte. „Ich versteh ja nicht viel von Malerei“, antwortete sie. „Aber ich dachte immer, das Leben ist das Leben und ein Bild ist ein Bild.“

„Du verstehst gar nichts“, knurrte Orazio.

Ich will malen!

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