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1. Wie Artemisias Geburt ihren Vater Orazio fast ins Gefängnis brachte

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Die Kneipe von Pasquale dem Pisaner war brechend voll. Vor der Tür standen sie, Becher in den Händen, und schwatzten, der lange Tisch im Gärtchen war bis auf den letzten Platz besetzt. Im Wirtsraum staute sich die Hitze, Schweiß hing in der Luft. Die Männer saßen und standen in ihren bunten Jacken und Hosen, aus denen buntbestrumpfte Waden in ledernen Schuhen ragten. Die Federn an den Hüten wippten, wenn sie Karten ausspielten oder aneinander stießen. Würfel klapperten auf Holzbrettern. Becher klirrten. Rufe, Begrüßungen und Bestellungen schwirrten hin und her.

Orazio Gentileschi drängte sich nach allen Seiten grüßend vor zur Theke, hinter der Pasquale und sein Gehilfe den Wein zapften. Orazio nickte dem Wirt zu, sie kannten sich schon lange. Der nickte zurück und schob Orazio einen Becher Rotwein hin. Der Schweiß lief ihm von der Stirn.

„Fertig?“, fragte er.

Orazio nickte. Er kam aus der Basilika Santa Maria Maggiore, einer der sieben Hauptkirchen Roms, wo er an der Ausmalung des Mittelschiffs beteiligt war. Die Beschneidung Christi war knapp vor Einbruch der Dunkelheit fertig geworden.

Er nahm einen kräftigen Schluck und lehnte sich mit dem Rücken an die Theke. Die meisten der Männer hier kannte er, lauter Maler, deren Nebenbeschäftigung darin bestand, über die Bilder anderer Maler und ihre Frauengeschichten herzuziehen, wozu sie heftig gestikulierten oder ihre Bärte strichen. Der Geräuschpegel war danach. Orazio nahm noch einen kräftigen Schluck, als er seinen Namen von einem der Tische hörte. Er sah Giuseppe Cesari winken und schob sich durchs Gedränge.

Cesari, ein junger Mann Mitte zwanzig, spielte mit zwei Männern Karten; den andern Teil des Tisches belegten zwei Würfelspieler. Ein paar Männer mit Bechern in der Hand standen um den Tisch herum und sahen den Spielern zu.

„Und?“, fragte Cesari und rückte auf seinem Stuhl ein wenig zur Seite, was Orazio als Aufforderung begriff, sich auf die andere Hälfte zu setzen.

„Kann nicht mehr lange dauern“, sagte er.

„Halbe Backe, halber Einsatz?“, fragte der Mann ihnen gegenüber. Sein Bauch stülpte sich herausfordernd über die Tischplatte.

„Ich bleib nicht lange“, sagte Orazio.

Er spielte nicht. Jedenfalls nicht mehr. Jedenfalls nicht um Geld, und anders ging es nicht. Wenn er es täte und dabei verlöre, würde Prudenzia ihn zur Schnecke machen, so jung sie auch war. Prudenzia war achtzehn Jahre alt, zwölf Jahre jünger als er, und zum ersten Mal schwanger. Hochschwanger.

Wenn Prudenzia in Fahrt geriet, dachte er manchmal, so, blitzenden Zorn in den Augen, müsste er sie malen. Aber daran war nicht zu denken. Er malte Prudenzia auch sonst nicht, ein paar Zeichnungen, das war alles, für später. Zeichnen war billiger als Malen und Malen war Zeitverschwendung. Wer würde seine Bilder denn kaufen? Er malte Fresken, damit kam er über die Runden. Bevor er anfangen konnte, in Öl zu malen, musste er sich erst einen Namen machen.

„Ich leih dir was“, sagte Cesari und spielte eine Karte aus. Er besaß trotz seines jugendlichen Alters bereits eine eigene Werkstatt und schien gut zu verdienen.

„Spielen macht das Warten leichter“, sagte der dicke Mann. Seine Stimme war hoch und gequetscht, mit einem Stich ins Falsett. Er strich die Karten, die auf dem Tisch lagen, ein. Er hatte gewonnen und sie rechneten ab.

Orazio schüttelte den Kopf. Der Mann war ein Streithammel, nicht gerade mit Begabung gesegnet, aber das machte er mit Worten wett. Orazio kannte ihn aus der sixtinischen Bibliothek, bei deren Ausmalung sie vor ein paar Jahren mitgearbeitet hatten. Seinen Namen hatte er vergessen, sie konnten sich nicht leiden. Der Mann wollte ihn abzocken, das war alles.

„Feiglinge richten die Welt zugrunde“, sagte der Dicke. Er grinste seinem Nachbarn zu, der grinste zurück. Er grinste zu allem, was der Dicke sagte.

„Maulhelden, meinst du?“, fragte Orazio. Er schwitzte jetzt auch.

Cesari gluckste.

Der Dicke warf beiden einen gehässigen Blick zu. Mischte die Karten neu.

So einen Blick müsste man malen können, dachte Orazio und trank seinen Becher aus.

„Wenn ich jemanden einlade, mit mir zu spielen“, maulte der Dicke, „und noch dazu zum halben Einsatz, dann spielt er auch mit mir, bei der Mutter Gottes!“

Beim dreigeschwänzten Teufel, dachte Orazio und sagte: „Halber Einsatz ist Beleidigung!“

„Dann eben zum doppelten“, sagte der Dicke und begann die Karten auszuteilen.

Sein grinsender Nachbar riss seine an sich, als wollte er sie verschlingen.

Ich muss schleunigst weg hier, dachte Orazio. Der Kamerad will Streit.

„Willst du die Karten nicht aufheben, Gentileschi?“

Der Grinsemann starrte in seine Karten und fletschte die Zähne.

„Ich warte nicht mehr lange!“

„Spielen erleichtert das Warten“, sagte Orazio.

Cesari gluckste vor Vergnügen.

Der Dicke legte die Karten auf den Tisch, erhob sich halb und stützte seine Handflächen auf den Tisch, wobei sein Bauch über den Tisch schwabbelte. Sein Becher kippte um, der Wein ergoss sich über den Tisch und über seine Hose.

Der Grinsemann lachte. Der Dicke holte mit der Hand aus und schlug sie ihm quer übers Gesicht.

„He!“, sagte Cesari. „Aufhören!“

Die Würfelspieler am Tisch unterbrachen ihr Spiel.

„Was soll das, du Hurensohn?“, fragte der eine, ein blasser bartloser junger Mann mit lombardischem Akzent, den Orazio noch nie gesehen hatte. „Kannst du das Wasser nicht halten?“

Seine dunklen traurigen Augen loderten aggressiv.

Der Dicke stand ganz auf. Er schwankte ein wenig. Der Grinsemann fiel ihm in den Arm.

In diesem Augenblick drängte sich ein Junge, vielleicht elf Jahre alt, zu Orazio an den Tisch.

„Messer Gentileschi“, sagte er atemlos. „Messer Gentileschi!“

„Ja?“

Orazio stand auf. Es war der hinkende Nachbarsjunge, barfüßig, das Hemd hing ihm über die Hose, beides hinreichend schmuddelig.

„Es ist da! Es ist da!“, rief er. „Ich hab euch überall gesucht! Sie haben mich geschickt, aber ich ...“

„Wann?“

„Vor einer Stunde, glaub ich.“

„Und?“

„Eine Tochter! Es ist eine Tochter, soll ich Euch sagen!“

„Eine Tochter?“, fragte Orazio heiser.

„Eine Tochter!“, brüllte der schwankende dicke Mann ihm gegenüber.

„Eine Tochter“, sagte der Junge verwirrt. „Ich soll Euch holen.“

Der Dicke brach in ein unmäßiges Lachen aus.

„Eine Tochter!“, brüllte er, konnte sich nicht einkriegen. „Manche Männer können nur Töchter machen, habt ihr das schon gewusst?“

„Und manche Männer gar keine Kinder!“, sagte Orazio eisig und wünschte sich, dass man Worte zurückholen könnte.

Der Dicke verschluckte sich an seinem Lachen, seine Augen funkelten voller Hass. Dann nahm er den Tisch mit beiden Pranken, kippte ihn, warf ihn zur Seite und stürzte sich auf Orazio.

Orazio wich zurück und bekam einen Stoß in den Rücken. Gleichzeitig spürte er die Faust des Dicken im Bauch. Der Schwung warf den Dicken gegen den Tisch. Sein grinsender Nachbar wollte ihm aufhelfen und erntete dafür einen Schwinger gegen den Hals. Giuseppe Cesari, sonst ein Muster an Zurückhaltung, warf sich todesmutig zwischen Orazio und den Dicken und wurde von einem auffallend geschniegelt aussehenden Zuschauer zurückgezerrt.

Orazio sah, wie sich der junge Würfelspieler dieses Herrn annahm, dann spürte er einen Schlag ins Gesicht und knickte mit den Knien ein. Einen Augenblick wurde ihm schwarz vor Augen. Er hörte Gebrüll und krachendes Holz. Jemand beugte sich zu ihm. Orazio öffnete die Augen und sah wie hinter einem Schleier Cesari, der aber sofort wieder aus seinem Blickfeld verschwand. Ein wildes Handgemenge tobte, Becher und Stühle flogen, anscheinend hatten sich Parteien gebildet. Vielleicht kämpfte aber auch jeder gegen jeden. Wie sonst auch.

Orazio überlegte, ob er sich besser tot stellen sollte. Er hasste Schlägereien. Schloss die Augen, als könne er sich dadurch unsichtbar machen, wie ein Kind, und fühlte, wie ihn jemand am Ärmel zerrte. Ganz gegen seinen Willen wehrte er sich, aber der unbekannte Gegner fasste seinen Arm und zog an ihn ihm. Er öffnete die Augen und erkannte den fremden jungen Würfelspieler.

„Raus hier!“, zischte der Fremde.

Orazio kam irgendwie auf die Beine, der junge Mann zerrte ihn durchs Getümmel zur hinteren Tür, wo schon mehrere Männer versammelt waren, drauf und dran, sich in die Schlacht zu stürzen. Orazio bemerkte, dass kaum noch jemand an dem langen Tisch im Gärtchen saß. Der Gedanke flatterte durch sein Hirn, das sei eine gute Gelegenheit, einen Platz an der mehr oder weniger frischen Luft zu ergattern, aber der Fremde zog ihn gnadenlos mit sich fort. Er war eine Puppe an der Hand eines großen Bruders, der aber merkwürdigerweise zehn Jahre jünger war als er, und stolperte ins Nichts.

Es war stockdunkel, nur wenige Fenster in den umliegenden Häusern gaben ein wenig Licht.

Dann kamen sie an eine Mauer.

„Es reicht“, sagte Orazio erschöpft und machte sich steif.

„Es gibt eine Tür“, sagte der Fremde und schleifte ihn mit sich.

Sie fanden die Tür und standen im Nachbargarten. Aus der Kneipe kam Schlachtenlärm.

Der Fremde ließ Orazio los. Es gelang Orazio, auf den Beinen zu bleiben. Durch einen Hof gelangten sie in ein Haus, das leer stand. Es roch nach Kalk. Anscheinend wurde es renoviert.

Orazio lehnte sich gegen eine Wand.

„Woher wusstet Ihr von dem Haus?“, fragte er mühsam.

„Ich halte die Augen offen.“

Orazio dachte, dass er das auch tun sollte, und schüttelte den Kopf, als wollte er ihn auslüften.

„Geht’s wieder?“, fragte der Fremde.

„Ich glaube“, antwortete Orazio.

Er folgte dem Fremden. Sie kamen auf die Straße, in der niemand war. Hinter ein paar Fenstern war Licht. Zwei Kater schrien in verbissenem Zweikampf.

Der Fremde und Orazio gingen in Richtung Corso.

Eine Tür wurde geöffnet, eine dicke Frau trat auf die Straße und warf einen Eimer voll stinkender Fischreste in die Gosse. Im Nu wimmelte es von Katzen, die im Lichtschein des Hausflurs fauchend über die Reste herfielen. Die Frau ging ins Haus zurück und zog die Tür hinter sich zu.„Warum habt Ihr das getan?“, fragte Orazio, als sie den Corso erreicht hatten, der wie immer voller Leben war.

„Ach, wisst Ihr! Dieser Ritter vom Schmerbauch war auf Krawall aus und wir haben ihn beide gereizt, zufällig kann ich diese Art von Zeitgenossen nicht leiden.“

Er lachte trocken. Sie gingen den Corso entlang

„Ich hielt ihn für einen Maulhelden“, sagte Orazio.

„Und wolltet den Helden spielen?“

„Gewiss nicht.“

„Seht Ihr! Ich auch nicht. Ich gehe zwar sonst keinem Streit aus dem Weg, aber mit der Polizei ...“

„Der Polizei?“

„Habt Ihr nicht gesehn, wie der Wirt seinen Jungen geschickt hat?“

„Nein.“

„Aber ich. Ich halte, wie gesagt, die Augen offen.“

Sie erreichten die Via dei Greci, in der sich die Kneipe befand. Jetzt war der Schlachtenlärm wieder zu hören. Irgendwo bellte ein Hund. Eine schrille Frauenstimme schrie gegen ihn an.

„Übrigens, falls Ihr ein Taschentuch habt ...“, sagte der Fremde. „Eure Nase blutet.“

Orazio blieb stehen. Er zog ein Taschentuch aus dem Ärmel und hielt es sich unter die Nase.

„Zu schade, dass man immer nur Heiligenbilder malt und all das“, bemerkte der Fremde sichtlich angetan von Orazios Anblick. „So einer wie Ihr, das ist das Leben! Oder Christus, wie er sich am Kreuz krümmt, dass man sieht, der hat wirklich Schmerzen!“

Was redet der da?, dachte Orazio und sagte: „Um Gottes willen, hört auf, so zu reden. Das ist Gotteslästerung!“

„Macht Euch keine Sorgen um mich!“

Sie sahen ein paar Gestalten die Kneipe in Richtung Via di Ripetta verlassen. Eine Gruppe von Polizeidienern, die Sbirren, in ihren flatternden braunen Umhängen kam ihnen entgegen. Einige trugen Fackeln, so dass ihre Schatten auf der Straße und den Hauswänden mit ihnen um die Wette liefen. Die Gestalten machten kehrt.

Orazio ging er Richtung Kneipe.

„Da doch nicht!“

Orazio drehte sich zu ihm: „Aber ich wohne in der Ripetta!“

„Dann nehmt wenigstens das Tuch von der Nase und befehlt ihr, das Bluten einzustellen!“

Sie sahen, wie einige der Sbirren die Kneipe stürmten. Zwei rannten hinter den Männern her, die aus der Kneipe gekommen waren.

„Geht weiter, verdammt!“

Der Fremde ging weiter. Orazio folgte ihm. Die beiden Sbirren beachteten sie nicht und folgten den flüchtenden Männern.

„Habt Ihr zufällig diesen Lackaffen bemerkt?“, fuhr der Fremde munter fort. „Der hinter Cesari stand?“

„Der Kiebitz?“

„Ja, der Komplice des Ritters vom Schmerbauch. Ich sah, wie er ihm Zeichen machte und ihm das Blatt von Cesari signalisierte. Ein Falschspieler ist der Schmerbauch also auch noch und mit Falschspielern muss ich nicht eine Zelle teilen.“

Orazio blieb stehen.

„Trotzdem vielen Dank“, sagte er.

„Keine Ursache. Ihr habt heute eine Tochter bekommen und verdient es nicht, die Nacht mit einem Schmerbauch und Falschspieler im Gefängnis zu verbringen. Und zufällig hatte ich heute noch nichts für mein Seelenheil getan.“

Sie hatten die Kneipe erreicht und Orazio konnte es sich nicht verkneifen, im Vorbeigehen einen Blick auf die wogende Masse in der Wirtsstube zu werfen. Als er den Kopf wieder zur anderen Seite wandte, war der Fremde verschwunden.

Orazio versuchte, sich sein Gesicht in Erinnerung zu rufen. Vielleicht konnte er es eines Tages für einen Engel gebrauchen. Aber es wollte ihm nicht gelingen. Bloß die traurigen Kohleaugen mit der plötzlich aufflammenden Glut waren noch vorhanden. Aber die taugten womöglich gar nicht für einen Engel, höchstens für den mit dem Flammenschwert.

Er beschleunigte seinen Schritt. Er hatte eine Tochter, das war Fakt. Sie hatten noch keinen Namen für sie. Für einen Sohn hätten sie einen gehabt. Er wollte einen Sohn haben. Musste.

Der hinkende Nachbarsjunge tauchte plötzlich an seiner Seite auf.

„Wie bist du ihnen entkommen?“, fragte Orazio irritiert.

„Ich bin Euch gefolgt“, sagte der Junge.

„Die ganze Zeit?“

„Die ganze Zeit“, bestätigte er.

„Wie heißt du eigentlich?“

„Giovanni Battista.“

So, nach Orazios Vater, hätte sein Sohn heißen sollen.

Was sollte er mit einer Tochter?

Es fiel ihm nichts ein. Es mussten noch ein paar Jungen her.

Ich will malen!

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