Читать книгу Ich will malen! - Michael Hatry, Susanna Partsch - Страница 12

8. Wie Artemisia ein Selbstporträt zeichnete

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Bald darauf ging Orazio daran, Artemisias Bruder Cecco anzulernen.

Artemisia sah ihn und Scarpellino Farben reiben und mischen, Entwürfe durchpausen und Zeichnungen und Bilder abzeichnen. Artemisia war fassungslos. Ihn lernte er an und nicht sie! Vier Jahre war er jünger als sie und durfte all das tun, was sie gern getan hätte!

Es tat ihr weh, das zu sehen, während sie putzen, fegen, schrubben und kochen musste.

„Warum er und nicht ich?“, wollte sie wissen. Bei Tisch. Wie ihre Mutter früher.

Orazio starrte sie an, schälte eine Zwiebel und schien nicht zu begreifen.

„Wenn du mich schon wie eine Gefangene hältst“, schrie Artemisia, „dann bring mir wenigstens das Malen bei!“

„Malen ist Männersache!“, schnappte Orazio und biss in die Zwiebel. „Du kannst es vielleicht lernen, aber anfangen kannst du damit im Zweifel nichts!“

„Ich kann es ganz bestimmt lernen!“

Und wenn du es mir nicht beibringst, dachte sie, muss ich es mir eben selber beibringen!

Das Zeichnen ging ihr von der Hand, als seien ihre Hände und Finger zu nichts anderem gemacht. Papier und Holzkohlestifte zweigte sie vom Vorrat ihres Vaters ab. Ein paar Rosenkränze, die ihr der Pater im Beichtstuhl auferlegte, machten die Sache jeweils wieder gut.

Sie zeichnete, wenn Orazio nicht zu Hause war, die Figuren auf den Bildern ihres Vaters ab: Johannes der Täufer und Christus (im Jordan, halb auf einem Stein kniend, halb im Wasser stehend), David (das Schwert erhoben, im Begriff, dem schon gefällten, am Boden liegenden Goliath den Kopf abzuschlagen), den Erzengel Michael (gleichfalls mit erhobenem Schwert, unter ihm der nackte jungenhafte Teufel von hinten, für den Scarpellino Modell gestanden hatte). Sie zeichnete mit fliegenden Fingern und arbeitete die Zeichnungen in ihrem Zimmer aus.

Außerdem porträtierte sie ein paar Mal ihre Brüder Giulio und Marco. Das kostete sie einige quattrini, die sie vom Haushaltsgeld abzweigte, weil die kleinen Gauner mitgekriegt hatten, dass Modelle bezahlt wurden. Die Zeichnungen gerieten verblüffend ähnlich, aber sie zeigte sie ihrem Vater nicht. Sie wollte erst richtig gut werden. Das kostete sie weitere quattrini, zu dem einzigen Zweck abgezweigt, dass ihre Modelle den Mund hielten.

Mit Cecco machte sie ein Geschäft.

Der Rotzlöffel hatte es sich in den Kopf gesetzt, sie zu porträtieren. Sie weigerte sich, er ließ nicht locker. Schließlich fiel ihr ein, wie sie ihn überlisten könnte.

„Wenn ich mich von dir zeichnen lasse“, sagte sie mit der Überlegenheit der Älteren, „musst du dich auch von mir zeichnen lassen.“

„Ich soll mich von einer Frau zeichnen lassen?“, schrie Cecco empört. „Wo Frauen einfach nicht malen und zeichnen können!“

Das hatte Orazio zwar nicht gesagt, aber es passte Cecco anscheinend so in den Kram.

„Du und ein Mann!“, sagte Artemisia. „Dann halt nicht.“

Cecco starrte sie wütend an, während sie sich an Näharbeiten versuchte, die ihr im Gegensatz zum Zeichnen leider überhaupt nicht von der Hand gingen.

Ich bin zum Malen geboren, redete sie sich ein. Alles andere zählt nicht.

„Willst du Geld?“, fragte Cecco.

„Ich will dich zeichnen. Außerdem hast du kein Geld.“

„Ich könnte etwas auftreiben ...“, sagte er zögernd.

„Stehlen, meinst du? Kommt nicht in Frage.“

Er stampfte wütend mit dem Fuß auf und lief zur Küche hinaus. Artemisia stach sich in den Finger und schmiss die Hose, die sie zu stopfen versuchte, auf den Küchentisch und das Nähzeug dazu. Während sie das Blut aus dem Finger lutschte, kam Cecco zurück und baute sich vor ihr auf.

„Also gut“, sagte er. „Aber ich male dich zuerst!“

„Oh nein. So haben wir nicht gewettet.“

„Ehrenwort“, sagte er. „Du darfst mich dann auch malen.“

Artemisia gab nach.

Am nächsten Tag drängte Cecco sie, kaum war ihr Vater aus dem Haus, zur Tat. Im Malzimmer setzte er sich in Orazios Lehnstuhl, nahm sein Zeichenbrett und zeichnete sie, auf dem Stuhl sitzend, der dem Lehnstuhl gegenüberstand. Er krauste dabei die Stirn und rang sich anscheinend jeden Strich ab.

„Wie lange soll das denn noch gehen?“, fragte sie.

Er sah sie über das Brett hinweg an.

„Für heute ist es vielleicht genug.“

„Gib mir bitte dein Brett“, sagte sie. „Du weißt, dass ich keins hab.“

Er nahm das Papier vom Brett und hielt ihr das Brett hin. Als sie danach greifen wollte, zog er es wieder zurück.

„Du hast dein Ehrenwort gegeben, verdammt!“, schrie sie wütend.

Er gab ihr das Brett widerstrebend. Und auch ein Blatt Papier. Blieb aber in Orazios Lehnstuhl sitzen.

Artemisia skizzierte ihn mit schnellen Strichen. Sie wusste inzwischen schon so ziemlich, wie es ging. Man muss sich aufs Wesentliche konzentrieren. Ein Satz ihres Vaters, den sie aufgeschnappt hatte. Die Augen zum Beispiel waren wesentlich.

Sie brauchte nur wenig nachzuarbeiten. Cecco dagegen bestand auf zwei weiteren Sitzungen. Er schien nicht zufrieden zu sein.

„Du hältst dich nicht ruhig genug!“, behauptete er.

Artemisia hielt den Atem an.

Sie wollte auch Francesco Scarpellino zeichnen, aber das war nicht so einfach, weil sie mit ihm nicht allein sein durfte. Und die Tatsache, dass Scarpellino neuerdings einen Kuss für Dienstleistungen jeder Art, also auch Modellstehen, verlangte, zeigte, dass Orazio mit diesem Verbot völlig richtig lag. Leider ließ es sich jedoch allzu leicht umgehen. Ihre drei Brüder waren zwar wild entschlossen, die Ehre der Familie zu verteidigen, aber, mit Ausnahme von Cecco, durchaus bestechlich.

Orazio und Cecco mussten außer Haus sein, das war alles.

Und als das der Fall war, zeichnete Artemisia den Lehrjungen.

„Lass das Gehampel!“, sagte sie. „Bitte!“

Denn Scarpellino gedachte, die Situation mit ein paar Späßen aufzulockern.

Artemisia aber versank in heiligem Ernst und äußerster Konzentration.

Als sie fertig war, schüttelte sie sich wie ein junger Hund, wenn er vom Schlafen aufgestanden ist. Sie betrachtete die Kreidezeichnung und lachte.

„Ich wusste gar nicht, wie hässlich du bist!“, sagte sie fröhlich.

Scarpellino sprang auf und ging zu ihr und stellte sich neben sie und betrachtete das Bild. Er war geradezu stolz auf seine Hässlichkeit.

Dann versuchte er, sie zu umarmen.

„Einen Kuss!“, sagte er.

Artemisia hatte ihre spinnenbeinige Kindheit hinter sich gelassen und kräftige Formen angenommen. Sie drückte ihn weg.

„Das nächste Mal!“, sagte sie und rief nach Giulio und Marco.

Sie ließ sich Zeit für ein nächstes Mal. Stattdessen zeichnete sie Hände und Füße. Immer und immer wieder. Sie zeichnete längst auch die Rückseiten der Blätter voll. Es war eine Sucht. Das Zeichnen war eine Art Ersatz für das Leben draußen. Sie zeichnete, wann immer sie Zeit hatte und verfluchte die langen Nächte, in denen es dunkel war. Sie zeichnete Hände und Füße ihrer kleinen Brüder und ihre eigenen. Sie zeichnete ihre Füße in allen möglichen Positionen, auch von unten. Dazu benutzte sie den Handspiegel ihrer Mutter.

So kam sie auf die Idee, das eigene Gesicht zu zeichnen.

Sie wusste bloß nicht gleich, wie sie es anstellen sollte. Es war mühselig, das Zeichenbrett auf den Oberschenkeln zu balancieren, mit der linken Hand den Handspiegel zu halten und mit der rechten zu zeichnen. Sie atmete schwer vor Aufregung, ihr war heiß und es wurde nichts Gescheites.

Schließlich stellte sie Giulio zum Halten des Spiegels an.

Die ersten Entwürfe warf sie zu Boden. Schließlich hatte sie nur noch ein Blatt. Sie zeichnete sich wie im Fieber. Als sie den letzten Strich getan hatte, schien es ihr, als erwache sie aus einem Traum.

„Einen Kuss!“, sagte Giulio.

Sie gab ihm einen.

„Was ist das für ein Bild?!“, hörte sie Orazio im Malzimmer brüllen. „Du willst mir erzählen, dass du das gezeichnet hast?“

Ceccos kleinlaute Stimme. Artemisia verstand nicht, was er sagte. Sie verstand nicht, worum es ging.

Die Tür vom Malzimmer zur Diele wurde aufgerissen. Orazios Schritte. Als sei er ein Elefant. Er stürmte in die Küche, eine Zeichnung in der Hand.

„Was ist das?“, brüllte er.

Er hielt ihr das Selbstporträt unter die Nase.

Sie konnte nicht gleich antworten. Woher hat er die Zeichnung?, dachte sie. Hat Cecco etwa ... ?

„Ich ...“, stammelte sie.

„Du!“, brüllte er.

Warum brüllte er so?

„Wer hat das gezeichnet? Cecco kann es nicht gewesen sein! Er kann nicht so gut zeichnen! Wer war es? Scarpellino?“

„Ich ...“

„Und wenn ich es aus dir heraus prügle: Wer hat dieses Porträt von dir gezeichnet, verdammt?“

Ihr kamen die Tränen. Ihr durften die Tränen nicht kommen. Nicht jetzt. Sie ruckte den Kopf gerade. Sie sah Orazio an. Ihre Stimme schien ihr wie verklebt. Sie öffnete den Mund.

„Ich!“, krächzte sie. „Ich hab es gezeichnet.“

„Du?“

„Mit einem Spiegel.“

Er starrte sie an. Seine Augen weiteten sich. Er griff nach ihrer Hand und zerrte sie aus der Küche durch den Flur ins Malzimmer. Cecco stand dort wie zu Stein erstarrt.

„Zeichne mich!“, sagte Orazio rau.

Artemisia zitterte.

„Jetzt gleich?“, fragte sie.

„Gib ihr das Zeichenbrett, Cecco!“, sagte er.

Seine Augen funkelten.

Cecco löste sich aus seiner Starre. Er bewegte sich wie ein Automat und hielt Artemisia das Zeichenbrett hin.

„Los, mach schon!“

Sie nahm das Zeichenbrett und setzte sich. Orazio setzte sich ihr gegenüber in seinen Lehnstuhl.

Sie merkte, dass ihre Hände zitterten. Plötzlich kam es darauf an. Er setzte sie auf den Prüfstand. Sie musste es ihm beweisen und das nach seinen Bedingungen.

Wieso gibt er sich nicht einfach mit dem Selbstporträt zufrieden?, dachte sie.

„Ich brauche besseres Licht“, flüsterte sie. „Du sitzt im Schatten.“

„Kleines Miststück!“, knurrte Orazio, verrückte den Stuhl und setzte sich ins Licht.

Sie holte Atem und begann zu zeichnen.

Cecco war wieder zu Stein erstarrt. Die Zeit schien stehen zu bleiben. Nur das Geräusch der Zeichenkohle auf dem Papier war zu hören.

Sie zeichnete Orazios verwittertes Gesicht und seine funkelnden Augen.

Sie zeichnete.

Als sie fertig war, schüttelte sie sich.

„Zeig’s mir!“, sagte Orazio.

Artemisia stand auf und zeigte ihm das Porträt. Sie war auf einmal unendlich müde.

„Nicht schlecht für den Anfang“, knurrte Orazio. „Hast du sonst noch was gezeichnet?“

Ich will malen!

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