Читать книгу Ich will malen! - Michael Hatry, Susanna Partsch - Страница 8

4. Wie Artemisia den Rauch sah, aber nicht das Feuer

Оглавление

An diesem Morgen stahl sich Artemisia frühmorgens aus dem Haus. Sie fühlte sich überflüssig. Prudenzia hatte genug mit den Jungen zu tun, vor allem mit Giulio, der ein paar Tage nach Beatrice Cencis Hinrichtung zur Welt gekommen war. Im Übrigen fand Artemisia es ein bisschen langweilig, immer bloß neue Brüder und nie eine Schwester zu bekommen.

Es war der 17.Februar 1600, ein Donnerstag.

Die Familie wohnte mittlerweile in der Via Paolina, Ecke Via dei Greci, und Artemisia lief die Via dei Greci hinunter, vorbei am Laden des Kerzenmachers und des Schweinemetzgers, dann links in den Corso mit seinen Kneipen, Tavernen und Geschäften. Sie war inzwischen ein dünnes, spinnenbeiniges Mädchen, das schnell rennen konnte.

Ein paar Fuhrwerke rasselten und knirschten, die meisten kamen von Norden, aus den Sabiner Bergen. Gruppen von Pilgern waren unterwegs, die zum Heiligen Jahr 1600 die Hauptkirchen abklapperten (wie Orazio das nannte), auf dem Weg zu den Hauptkirchen Santa Maria Maggiore und San Giovanni in Laterano. Es waren in diesem Jahr sehr viel mehr als in gewöhnlichen Jahren. Dazwischen Leute vom Land, die Artemisia an ihren bloßen Füßen erkannte, Frauen mit Körben und die unvermeidlichen Bettler.

Artemisias Ziel war der kleinere der beiden römischen Tiberhäfen, dem Porto di Ripetta , der eigentlich nur eine Anlegestelle war. Hier gab es immer etwas zum Gucken. Vor allem Boote. Manche fuhren bloß vorbei, zum Beispiel Getreideboote, die aus dem Norden kamen und weiter zu den Mühlen und Speichern oder zum Porto Ripa Grande getreidelt wurden.

Segelboote, die ausgeladen wurden, hatte Artemisia besonders gern. Dann stellte sie sich vor, was für Waren in den Ballen, Körben, Säcken oder Kisten waren, und manchmal fragte sie die Bootsleute und die antworteten zum Beispiel: Kotzbrocken aus Neapel. Oder: Bärendreck aus den Abruzzen.

Sie blieb vor der Kirche San Girolamo stehen, ein paar Katzen streunten herum und strichen den Prostituierten um die Beine, die auf Kunden warteten.

Dann lief sie zum Ufer hinunter und warf ein paar Stöckchen ins Wasser, die sofort abtrieben.

Ein leichter Wind ging. In der Luft lag ein ungewohnter Geruch.

Nicht weit von ihr landete ein Boot mit großen braunen Segeln, aus Norden kommend. Zwei Männer sprangen aus dem Boot und zogen es auf den Strand. Einer zeigte mit ausgestrecktem Arm. Artemisia wandte den Kopf. Eine Rauchsäule stieg südlich von ihnen in den kälteblauen Himmel.

Die Männer riefen einander ein paar Worte zu, Artemisia konnte aber nicht verstehen, was sie sagten.

Drei Dominikanermönche, die Arme in ihren weiten Kuttenärmeln über der Brust gekreuzt, kamen, vorbei an der Baustelle des Palazzo Borghese, herangeschlendert.

Artemisia lief wieder zur Kirche hinauf.

„Es brennt!“, rief sie aufgeregt.

Einer der Mönche drehte den Kopf.

„Keine Angst“, sagte ein anderer. „Da ist bloß einer verbrannt worden auf dem Campo de’ Fiori.“

Artemisia blieb der Mund offen stehen. Verbrannt? Ein Mensch? Auf dem Campo de’ Fiori? Wo sie sonst Blumen verkauften?

„Ein Ketzer!“

Die beiden Bootsleute waren auch herauf gekommen und blieben stehen. Artemisia klappte ihren Mund wieder zu.

„Ein Ketzer?“, fragte sie.

„Auf einem Scheiterhaufen. Ein schlimmer Ketzer!“

Artemisia starrte. Sie hatte keine Ahnung, was ein Ketzer war. Sie sah zu den Mönchen hoch. Der eine war groß und sehr umfangreich, der zweite kurz und mager und der dritte sah wie ein Schauspieler aus, der einen Mönch spielte. Sie standen gegen die Sonne, die über der Kirche erschienen war, warfen ihre Schatten auf Artemisia und verdunkelten den Himmel.

„Es hat sehr lustig gebrannt“, sagte der Schauspieler.

Die beiden Bootsleute hörten aufmerksam zu, aber der eine ließ seine flinken Augen spazieren gehen, um die flanierenden Frauen zu begutachten, von denen die eine oder andere schon mit einem Pilger verhandelte.

„Giordano Bruno heißt der Kerl“, sagte der Große wieder. „Hat geleugnet, dass sich die Sonne um die Erde dreht. Das muss man sich mal vorstellen! Das Weltall soll unendlich sein und die Erde sich um die Sonne drehen! Wo jeder weiß, dass die Erde der Mittelpunkt der Welt ist und die Sonne sich um die Erde dreht!“

„Was man ja daran sehen kann, dass die Sonne jeden Tag, den Gott werden lässt, auf- und untergeht!“, ergänzte der Schauspieler.

„Acht Jahre lang haben sie alles versucht, aber er wollte und wollte nicht abschwören ...“

„Zuletzt hatten sie ihn aufs Rad geflochten, um ihn zur Besinnung zu bringen“, ereiferte sich der Kurze. „Aber er!“

„Ein gewesener Dominikaner! Fanatisch!“

„Deshalb musste er verbrannt werden! Nackt! Lebendig!“

Lebendig?, dachte Artemisia. Weil er gesagt hat, dass die Erde sich um die Sonne dreht? Warum sagt er so was? Und was ist daran so schlimm?

„Mit größerer Furcht, als ich Euer Urteil höre, habt Ihr es verkündet!“, dröhnte der Große. „Seine Worte!“

„Er will gern und als Märtyrer sterben und seine Seele wird aus den Flammen zum Paradies aufsteigen!“, sagte der Schauspieler mit künstlich hoher Stimme. „„Das hat er gesagt, als er verurteilt worden ist!“, ergänzte der Kurze. „Der Gotteslästerer!“

Hinter ihnen sah Artemisia die Rauchsäule aufsteigen, in die sich Giordano Brunos Seele verwandelt hatte.

„Ha!“, lachte der Große. „Inzwischen wird er wohl wissen, ob er die Wahrheit gesagt hat!“

Die andern lachten zur Gesellschaft mit, die Bootsleute stimmten gehorsam ein, und der Rauch verwehte in der kalten Bläue des Himmels, in dem irgendwo das Paradies verborgen war.

„Aber tatsächlich spielt er schon mit dem Teufel Karten!“, schloss der Schauspieler.

Artemisia riss sich los und rannte weg. Bruno ist verbrannt worden! Bruno ist verbrannt worden! Ihr Kopf hallte wider von diesem Bruno. Ein schlimmer Ketzer! Lebendig verbrannt! Auf einem Scheiterhaufen! Und jetzt spielt er mit dem Teufel Karten! Sie kam in der Via Paolina an und das Haus erschien ihr seltsam still und leer. Sie hätte schreien mögen, aber die Stille des Hauses machte sie stumm. Nicht einmal der Kanarienvogel, den sie in der Küche hielten, gab einen Ton von sich.

Plötzlich überfiel Artemisia die Angst, alle könnten tot sein. Sie blieb stehen und horchte. Ihr Herz klopfte vom Laufen, es übertönte alles. Aber dann schienen aus dem Zimmer rechts doch leise Geräusche zu kommen. Die Tür war bloß angelehnt. Was ist das?, dachte sie. Schlich zur Tür, schob sie ein wenig weiter ins Zimmer. Niemand beachtete sie.

Ihre Mutter saß in einem ihrer besten Kleider auf einem Stuhl, das Baby Giulio nackt auf den Knien. Ihr Vater saß auf seinem Lehnstuhl, hatte ein Zeichenbrett auf den Knien und zeichnete mit einem Holzkohlestift Giulios Kopf und Körper, seine Arme und Beine, die freilich in Bewegung geraten waren. Aber auf dem Papier waren schon frühere Bewegungsstudien zu sehen.

Artemisia wagte nicht, sich zu rühren. Nach einer Weile fing der kleine Bruder an zu zappeln und zu krähen. Prudenzia versuchte ihn zu bändigen, aber es war zu spät.

„Wir müssen aufhören“, sagte sie.

„Noch eine Sitzung“, sagte Orazio. „Dann habe ich, was ich brauche.“

Prudenzia nahm den Kleinen hoch und prustete mit dem Mund auf seinen Bauch, so dass er vor Vergnügen quietschte.

Artemisia zog sich in den Flur zurück.

Was hatte Orazio vor? Wollte er die beiden malen?

Giulio quietschte. Artemisia ging in die Küche. Auf dem Tisch lag ein Brotkanten. Sie hatte Hunger, nahm ihn und biss ein Stück ab. Giulio begann zu schreien.

Warum malt er nicht mich?, dachte Artemisia eifersüchtig.

.

Ich will malen!

Подняться наверх