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Kapitel 5

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Worms, 3. November im Jahre des Herrn 1067

Es war ein kalter Morgen. Der Regen hatte ein wenig nachgelassen, doch das einheitliche dunkle Grau, das den Himmel bedeckte, ließ nicht vermuten, dass er in absehbarer Zeit aufhören würde.

Während Bandolf einem kleinen, stämmigen Drechslermeister folgte, der offenbar einen Ertrunkenen aus der Pfrimm gefischt hatte, fragte er sich übellaunig, warum, zum Henker, stets dann eine Leiche gefunden werden musste, wenn er sich just zu einer Mahlzeit an die Tafel gesetzt hatte.

Ohnehin, so fand er, hatte dieser Tag denkbar schlecht begonnen.

Nachdem sein Küken die halbe Nacht gebrüllt hatte, war seine Leidenschaft ungestillt geblieben, und als der Hahn in der Früh krähte, hätte er jeden Eid darauf geschworen, dass er gerade erst die Augen zugemacht hatte.

Im Gegensatz zu ihm erschien sein Vetter frisch und munter in der Halle und erzürnte Bandolf noch vor dem ersten Bissen mit einer langatmigen Beschreibung der überaus wohlwollenden Begrüßung, die ihm der Bischof von Worms am gestrigen Tag offenbar hatte zuteilwerden lassen. Als hätte das noch nicht genügt, Bandolf den Morgen zu verdrießen, erschien kurz darauf sein Torhüter mit der Nachricht in der Halle, draußen an der Pforte stünde der Wachobere vom Andreastor, der den Burggrafen dringlich zu sprechen wünsche.

»Was der Drechslermeister Gottlieb ist, Herr, so hat der eine Leich’ am Andreastor gemeldet«, erklärte der Wächter. »Er hätt’ den Mann aus der Pfrimm gezogen, sagt er. Es wär’ einer, den er noch nie gesehen hätt’.« Er räusperte sich und fügte hinzu: »Meister Gottlieb wartet am Tor, um Euch hinzuführen, falls Ihr Euch die Leiche anschauen wollt. Ich wär’ ja selber mit den Bütteln hin und hätt’ den Toten geborgen, aber alldieweil Meister Gottlieb sagt, es könnt’ wohl ein hoher Herr sein, so wie er gekleidet wär’, dacht’ ich, es wär’ wohl besser, wenn ich es Euch melde.«

Nach einem kurzen, trübseligen Blick auf die Schüssel Haferbrei, die noch kaum angerührt vor ihm stand, hatte der Burggraf Rosalind um seinen Mantel geschickt.

»Wie weit ist es noch?«, erkundigte sich Notger bei Meister Gottlieb, der auf seinen kurzen Beinen vorausmarschierte, seit sie die Stadt verlassen hatten.

Hinter dem Andreastor hatte der Drechsler zunächst den Weg nach Hochheim eingeschlagen, war jedoch bald nach links abgebogen, auf einen Pfad, der an der Pfrimm entlang zum westlich von Worms gelegenen Dorf Paternisheim führte. Rechts des Weges erstreckten sich abgeerntete Weizen- und Roggenfelder; zu ihrer Linken säumte die mit Weiden, Eschen und dichtem Gestrüpp bewachsene Böschung, die zum Flussufer abfiel, den Pfad.

»Nicht mehr weit, Herr«, versicherte Meister Gottlieb und wies unbestimmt nach vorne. »Da hinten, hinter der nächsten Biegung, da ist die Stelle, wo ich den Mann aus dem Wasser gezogen habe.«

»Mir will scheinen, als wäre der Mann recht weit von der Stadt entfernt ertrunken«, bemerkte Notger mit deutlichem Verdruss in der Stimme.

Bandolf warf seinem Vetter einen spöttischen Blick zu.

Notger hatte den mit Fuchspelz verbrämten Umhang dicht um sich geschlungen und die Kapuze so tief in die Stirn gezogen, dass man darunter nur die nasse, rote Spitze seiner langen Nase sehen konnte.

Als Schöffe erachte er es als seine Pflicht, einen derartigen Fund selbst in Augenschein zu nehmen, hatte er behauptet und darauf bestanden, den Burggrafen zu begleiten. Für einen Augenblick war Bandolf versucht gewesen, ihm zu sagen, er solle seine perfide Neugierde anderswo befriedigen, hielt es dann aber doch nicht für der Mühe wert. Eine Leiche, die man aus dem Fluss zog, bot für gewöhnlich keinen erquicklichen Anblick. Womöglich genügte Notger diese Ansicht, damit er künftig seine Nase nicht mehr in Bandolfs Angelegenheiten steckte.

Wie es schien, hatte aber nun schon der Marsch im Regen, durch schlammige Pfützen, glitschige Grasbüschel und über tückische Steine und Wurzeln, den Pflichteifer seines Vetters erheblich gedämpft.

»Da der Mann doch offenkundig außerhalb der Stadt zu Tode gekommen ist, sollten sich da nicht die Leute des Landgrafen um den Ertrunkenen kümmern?«, hakte Notger nach, als Bandolf keine Antwort gab.

»Falls der Mann sich zu Lebzeiten in Worms aufgehalten hat, ist er meine Angelegenheit, falls nicht, kann der Landgraf ihn haben.«

»Aber der Drechsler hat doch gesagt, dass er den Mann nicht kennt«, widersprach Notger. »Das macht es unwahrscheinlich, dass es sich um einen Hiesigen handelt.« Laut, um den Regen zu übertönen, rief er: »Du sagtest doch, dass du den Toten nicht erkannt hast, Drechsler?«

»Hab’ ich nicht, Herr. Jedenfalls nicht auf den ersten Blick«, rief Meister Gottlieb über die Schulter zurück. »Genauer nachschauen wollt’ ich aber auch nicht. Mir hat gereicht, wie er so tot und steif dagelegen hat.«

»Da habt Ihr es! Ein Unbekannter«, sagte Notger, augenscheinlich befriedigt.

»Worms ist kein Dorf«, brummte der Burggraf.

»Ich für mein Teil bin der Ansicht, dass Ihr Euch umsonst ...«

»Zum Henker noch eins, Vetter«, unterbrach Bandolf ihn gereizt. »Es steht Euch jederzeit frei umzukehren, wenn Euch der Weg zu lang ist.«

Notger schnaubte. Ohne abzuwarten, ob ihm dazu noch eine Antwort einfallen würde, beschleunigte Bandolf seinen Schritt.

Im Stillen hatte er sich schon selbst für seine Gedankenlosigkeit verflucht, dass er sich bei diesem Wetter selbst auf den Weg gemacht hatte. Im Grunde hätte es genügt, wenn er die beiden Büttel mit der Trage geschickt hätte. Den Leichnam bequem im trockenen Beinhaus in Augenschein zu nehmen wäre früh genug gewesen. Es war nicht das erste und gewiss auch nicht das letzte Mal, dass jemand in der Pfrimm ertrunken war. Häufig waren es denn auch junge Burschen, die übers Maß gezecht hatten und solchen Unfug anstellten, wie zu nächtlicher Stunde in den Fluss zu pinkeln oder ähnliche Narreteien am Flussufer zu treiben.

Der Burggraf seufzte.

»Was hattest du eigentlich in aller Herrgottsfrühe am Ufer der Pfrimm herumzukrauchen?«, wollte er wissen, als er zu Meister Gottlieb aufgeschlossen hatte.

Für einen Augenblick schien der Drechsler nachzudenken. Dann sagte er: »Ja, das kam so, Herr: Gestern bekam ich vom Propst von Sankt Martin den Auftrag, für den Altar der Stiftskirche einen Kerzenständer anzufertigen. Bis zu Sankt Martin muss er fertig sein, und er soll genau zu dem Ständer passen, der schon beim Altar steht. Aber wie’s nun mal so ist, habe ich just kein passendes Stück Eschenholz vorrätig, welches geeignet wäre. Und alldieweil’s eben Esche sein muss und weil es ja auch eilt, habe ich mich heut’ in aller Früh schon auf den Weg gemacht und bin durchs Tor, kaum dass der Hahn gekräht hat. Die Pfrimm ist immer gut für ein ordentliches Stück Esche, deshalb bin ich hergekommen.«

»Und das musstest du ausgerechnet an einem Regentag tun, wenn das Holz nass ist?«

»Ich hätt’ ja gern drauf verzichtet, Herr, das könnt Ihr mir glauben. Aber bis Sankt Martin ist’s ja nicht mehr lange hin. Und außerdem war’s die letzten Tage trocken. Da ist jetzt nur die Rinde nass, die ich ohnehin abschälen muss.«

Bandolf nickte. »Wie hast du den Mann entdeckt?«, fragte er nach einer Weile.

»Beinahe gar nicht, Herr«, meinte Meister Gottlieb. »Ich hab’ nämlich zuerst hier am Wegrand nach meinem Holz Ausschau gehalten, hab’ aber nichts Passendes gefunden. Da erst hab’ ich gedacht, ich könnte den Rückweg direkt am Ufer entlanggehen, um mich dort umzusehen, und bin die Böschung runtergeklettert. Und wie ich da so herumschaue, seh’ ich plötzlich etwas Dunkles, das im

Wasser dümpelt wie ein Boot, das man am Ufer festgemacht hat. Und so hab’ ich ihn dann im Wasser liegen sehen.« Er seufzte erneut. »Ich hab’ gleich gewusst, dass er schon tot war. Sein Arm hatte sich im Gestrüpp verfangen, der Rest von ihm trieb im Wasser. Bäuchlings, versteht Ihr, mit dem Kopf nach unten. Und wie ich ihn aus dem Wasser gezogen hab’, war er schon steif und kalt wie ein Fisch. Und schwer. Da hab’ ich ihn dann liegen lassen und bin schnurstracks zum Tor ...« Er unterbrach sich, blieb stehen und wies auf eine schmale Schneise im Gesträuch der Böschung. »Hier!«, rief er. »Da ist die Stelle. Da unten liegt er.«

Mit zusammengekniffenen Augen spähte der Burggraf die Böschung hinunter, konnte jedoch durch das Gestrüpp und den Regen nicht viel mehr erkennen als ein Stückchen Fluss und einen schmalen Uferstreifen, auf dem etwas Dunkles lag.

Notger war neben ihm stehengeblieben und warf einen zweifelnden Blick auf die Böschung, die zwar nicht steil war, aber nass und schlüpfrig vom Regen.

»Ihr da!«, rief er dann den Bütteln zu. »Holt den Toten her ...«

»Ihr wartet hier, bis ich nach euch rufe«, fuhr Bandolf scharf dazwischen und wandte sich mit schmalen Augen an Notger: »Sagtet Ihr nicht, es sei Eure Pflicht, den Leichnam selbst in Augenschein zu nehmen?« Mit einer einladenden Geste deutete er auf die Schneise im Gestrüpp. »Nun denn?«

Diese Spitze hatte Notger augenscheinlich verstanden. Für einen Augenblick schien er um eine Antwort verlegen zu sein. »Nach Euch, Vetter«, murmelte er schließlich.

Es hätte Bandolf gewundert, wenn Meister Gottlieb den Toten erkannt hätte, schien er den Leichnam doch genau so liegen gelassen zu haben, wie er ihn aus dem Fluss gezogen hatte. Mit dem Gesicht nach unten lag der Mann nur eine knappe Handbreit vom Wasser entfernt im Gras. Als der Burggraf sich über den Leichnam beugte, stieg ihm ein Hauch von Jauche in die Nase, und flüchtig überlegte er, dass es nicht schaden würde herauszufinden, warum das Wasser der Pfrimm nach Jauche stank.

Ein durchnässter grüner Umhang, am Saum reichlich und bunt bestickt, bedeckte den Toten bis zu den Waden. Darunter trug er gelbe Beinlinge, und das Schuhwerk war aus dunklem Kalbsleder. Soweit Bandolf erkennen konnte, war die Gewandung zwar schmutzig, jedoch weder geflickt noch abgetragen. Überhaupt kam ihm an der Kleidung des Toten irgendetwas merkwürdig vor, aber er konnte nicht ausmachen, was ihn daran störte. Womöglich lag es nur daran, dass sie nass an dem Körper klebte.

Die Kapuze des Umhangs bedeckte die Hälfte des Hinterkopfs und ließ schwarzes, unmodisch kurz geschnittenes Haar erkennen, das keine Spur von Grau aufwies.

›Kein alter Mann‹, ging es Bandolf durch den Kopf.

Leise pfiff er durch die Zähne, als er die Kapuze herunterzog und eine tiefe, klaffende Wunde auf dem Hinterkopf des Toten sah, so tief, dass er den aufgebrochenen Schädelknochen deutlich erkennen konnte. Der Fluss hatte dem Toten offenbar reichlich zugesetzt.

In seinem Rücken hörte der Burggraf, wie Notger Meister Gottlieb anfauchte, dass er gefälligst langsamer klettern solle. Augenscheinlich hatte sein Vetter nun doch beschlossen, sich vor Bandolf keine Blöße zu geben und sich zum Ufer hinunterzubemühen.

Mit einem schmalen Lächeln auf den Lippen packte Bandolf den schweren, steifen Körper des Toten, drehte ihn mit einiger Mühe um und sog scharf den Atem ein.

Obgleich nur die linke Gesichtshälfte des Mannes betroffen zu sein schien, konnte man die aufgeplatzte Haut, die hie und da Knochen und rohes Fleisch bloßlegte, zur Not noch dem Fluss zur Last legen. Aber für die Wunden darunter konnte die Pfrimm unmöglich verantwortlich sein.

Das Hemd unter dem Umhang war aufgeschlitzt worden, und drei tiefe Schnitte, die ein Muster bildeten, zogen sich über die gesamte Brust des Toten. Schnitte, die gewiss nicht durch Zufall entstanden waren. Ein Schnitt verlief senkrecht, und zwei weitere zweigten von seiner Mitte rechts nach oben ab, wie zwei parallel verlaufende Äste. Das Muster sah aus, als hätte jemand mit dem Messer einen halben Baum in die Brust des Mannes geschnitten.

Diese Wunde stammte eindeutig von einem Menschen.

In seinem Rücken nahm Bandolf eine Bewegung wahr, und gleich darauf trat Notger an seine Seite, dicht gefolgt von Meister Gottlieb, der Bandolfs Vetter über die Schulter spähte.

»Allmächtiger«, hauchte Notger. »Das ist doch ...?«

»Ihr kennt den Mann?«

»Der Dompropst«, hauchte sein Vetter, blass bis in die Lippen. »Noch gestern sah ich ihn beim Bischof in der Aula Minor. Das ist Propst Reginhard von Köln.«

Die Heilerin von Worms

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