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Kapitel 3
ОглавлениеAufmerksam hörte Bandolf zu, während die Heilerin ihm noch einmal schilderte, was sich in den vergangenen Tagen im Haus des Edelmanns ereignet hatte.
Schon vor Ebertines Erkrankung war sie einige Male in die Salzgasse gerufen worden, berichtete sie, um Rupert, den Sohn des Edelmanns, zu pflegen. Das Kind litte an einer Schwäche seiner Lunge, die hin und wieder zu Anfällen von Atemnot führte. Diesem Leiden war offenbar auch Ruperts Mutter erlegen, was Guntram vor einiger Zeit zum Witwer gemacht hatte.
Zu den Umständen im Haus des Edelmanns konnte Garsende ihm allerdings nur wenig sagen.
»Zumeist hielt ich mich in den beiden Kammern auf, die Guntrams Töchtern und seinem Sohn als Schlafstatt dienen. Da hatte ich kaum Gelegenheit und auch keine Veranlassung, mehr über die Hausbewohner in Erfahrung zu bringen«, erklärte sie mit einem entschuldigenden Lächeln.
»In dem Haus leben also nur Guntram, seine Gattin, seine Kinder und die Hauseigenen?«, fragte er.
»Gewöhnlich ja«, antwortete die Heilerin. »Zurzeit befinden sich aber noch Guntrams Geschwisterkinder im Haus: Gernot, Folcmar und Kunigunde von Medenheim.«
Gernot von Medenheim sei ihr im Haus nur selten begegnet, berichtete sie, wogegen sie Folcmar, den jüngeren der Brüder, häufiger in Ebertines Kammer angetroffen hätte. Augenscheinlich hatte er sich bemüht, seine Base aufzuheitern. »Mir schien es so, als sei er ihr sehr zugeneigt«, fügte sie mit einem Lächeln hinzu.
»Und die Schwester der beiden? Wie heißt sie? Kunigunde?«, fragte Bandolf.
Garsende zuckte mit den Schultern. »Ein junges Weib, ich denke, sie ist im selben Alter wie Ebertine oder Guntrams neue Gemahlin.«
»War Kunigunde ihrer Base ebenfalls zugetan?«
»Schwerlich zu sagen«, erwiderte sie zögernd. »Auch sie hielt sich oft in Ebertines Kammer auf, aber sie sprach nie viel.« Mit einem Anflug von Unmut in der Stimme fügte sie hinzu: »Mit Ebertine war gewiss nicht leicht auszukommen. Sie war ein außergewöhnlich schönes junges Weib, aber auch launisch und hochfahrend.«
»Und wie stand es zwischen Ebertine und Guntrams neuer Gattin?«, wollte Bandolf wissen. »Stiefmutter und Tochter waren im selben Alter, sagst du. Kam es da nicht zum Zank?«
»Wie ich schon sagte: Mit Ebertine war nicht leicht auszukommen. Es mag schon sein, dass Ansild einen Groll gegen ihre Stieftochter hegte. Aber einen offenen Zwist scheint es nicht gegeben zu haben. Nicht, solange ich im Haus war. Da Ebertines ältere Schwester Reimut den Haushalt führt, es aber eigentlich Guntrams Gattin zustünde, die Schlüssel am Gürtel zu tragen, würde es wohl auch eher zwischen diesen beiden Frauen zu Uneinigkeit und Streit kommen«, meinte Garsende. »Doch Ansild scheint ganz zufrieden zu sein, so wie es ist. Ich hatte den Eindruck, als wüsste sie noch nicht so recht, wo ihr Platz in diesem Haus ist, und wäre dankbar, dass man ihr sagt, was sie zu tun hat.« Mit einem Schulterzucken fügte sie hinzu: »Das mag sich natürlich ändern, wenn sie erst älter ist, vielleicht selbst Mutter wird und sich ihres Standes als Guntrams Gattin bewusst wird.«
Über Guntram von Hollerborn wusste Garsende auch nicht viel mehr zu sagen, als dass er augenscheinlich wohlhabend sei, seine Lebensmitte schon um etliche Jahre überschritten hätte, jedoch für sein fortgeschrittenes Alter noch recht gut beisammen zu sein schien.
Unzufrieden schüttelte Bandolf den Kopf. »Wenn man bedenkt, was für eine unselige Neugier dich sonst umtreibt, weißt du erstaunlich wenig«, bemerkte er.
»Herrje, Burggraf, was denkt Ihr Euch denn? Ich forsche die Leute doch nicht aus, in deren Häuser ich gerufen werde«, gab sie gereizt zurück. »Oft habe ich Guntram von Hollerborn ohnehin nicht zu Gesicht bekommen. Ich war dankbar, dass er mich trotz des üblen Geschwätzes in der Stadt in sein Haus rufen ließ und mich angemessen entlohnte.« Dann runzelte sie plötzlich die Stirn. »Eigentümlich war nur ...« Sie stockte.
»Was fandest du eigentümlich?«
Garsende zuckte mit den Schultern. »Ich hätte nur gedacht, er würde meinem Verdacht auf andere Weise begegnen.«
»Deinem Verdacht?«, fragte Bandolf argwöhnisch. »Du hast Guntram von Hollerborn doch nicht etwa gesagt, seine Tochter sei vergiftet worden?«
»Natürlich nicht. Ich habe ihm nur gesagt, dass ich das vermute«, erklärte Garsende.
Ungläubig schüttelte Bandolf den Kopf. »Bei allen Heiligen, Weib! Wie kann man denn nur so töricht sein?«
»Als Vater hatte er doch ein Recht darauf, das zu erfahren«, verteidigte sie sich.
»Nur, wenn du dir sicher gewesen wärst«, schnappte er.
Aufgebracht starrte sie ihn an. »Hätte ich vielleicht abwarten sollen, bis man von den Dächern schreit, die Drude hätte seine Tochter auf dem Gewissen?«
»Verdammnis! Und wenn du dich nun irrst?«
»Ich irre mich aber nicht!«
»Pah!«, schnaubte er. »Um dessen gewiss zu sein, bedürfte es nun doch ein wenig mehr als nur des Schwanzes einer toten Katze.«
Mit zornfunkelnden Augen sprang sie auf. »Wenn Ihr meinem Wort nicht glaubt, dann sagt es nur frei heraus.«
»Weibsvolk!«, knurrte er erbost. »Das ist hier doch nicht von Belang. Du hättest nur einmal an dich halten sollen!«
Noch ehe die Heilerin erwidern konnte, was ihr zweifellos schon auf der Zunge lag, setzte der Eintritt seines Vetters in die Halle ihrem Wortwechsel ein jähes Ende.
*
Wie immer war es Bruder Goswin, der Scholasticus des Domstifts, zu dem Bandolfs erster Weg führte, wenn er alles Wissenswerte über einen Mann von Stand erfahren wollte, der sich in Worms aufhielt. Wenn er Glück hatte, würde Bruder Goswin den Zuzug eines Edelmanns in Worms in seiner Chronik vermerkt haben, und da der Scholasticus Wert darauf legte, derlei Einträge auch mit Bemerkungen über Besitz und Herkunft einer solchen Familie zu versehen, hatte er über Guntrams Sippe gewiss in Erfahrung gebracht, was immer es darüber zu erfahren gab.
Es war schon weit nach der Sext, als Bandolf sich einen Weg durch das Gedränge auf dem Marktplatz bahnte. Von Westen her zogen dunkle Wolken heran, aber noch wärmte eine ungewöhnlich milde Herbstsonne die Luft, die die mächtigen Türme des Doms in weiches Licht tauchte und die Menschen auf die Gassen trieb.
Zwar galt der Aufruf zum Sendgericht nur für die Landbewohner rund um Worms, aber die Kirche Sankt Alban, die als Gerichtsort auserkoren war, befand sich in der Nähe der Martinspforte, und so sah nicht nur der Burggraf von Worms sein Heim mit Anverwandten bevölkert. Auch die meisten anderen Bewohner der Stadt beherbergten Gäste, die anlässlich des Sendgerichts nach Worms gekommen waren. Andere, die nicht das Glück hatten, Unterschlupf bei Verwandten zu finden, hatten sich in Ställe und Scheunen eingemietet oder lagerten in Zelten oder im Freien vor den Stadttoren. Obwohl die Markttage zu Michaeli vorbei waren, hatte der Bischof einigen Händlern und Bauern gestattet, ihre Stände bis zu Sankt Martin auf dem Marktplatz aufzuschlagen – ein Privileg, das sich Seine Eminenz gut entlohnen ließ. Und auch für den Burggrafen von Worms würde ein Drittel des Marktpfennigs abfallen.
In den Gassen und auf den Plätzen der Stadt drängte sich eine bunt gemischte Menge: Edelleute in farbenfroher Gewandung, mit teurem Pelz und reichlich Stickereien versehen, und Kaufleute, die ihren Wohlstand mit überreichem Faltenwurf und bunten Farben zum Ausdruck brachten, dazwischen Stiftsherren, Pilger und Mönche, in dunkle Roben und Kutten gehüllt, und Hörige in ihren braunen Kitteln und Röcken. Auch Bettler, Schausteller, Wanderprediger, Hausierer und Diebsvolk mischten sich unter die Menge und machten dieser Tage den Bütteln des Burggrafen das Leben sauer.
Überall steckte man die Köpfe zusammen, schloss einen Handel ab, tratschte, zankte, tuschelte und lachte, doch obwohl Bandolf die Ohren spitzte, konnte er nicht feststellen, ob die Heilerin Gegenstand des Geschwätzes war. Wohl zeigte sich hie und da ein schlechtes Gewissen, wenn Bandolf vorüberging und Gespräche plötzlich verstummten oder man ihn mit rasch niedergeschlagenen Augen grüßte. Doch auch das war nicht weiter ungewöhnlich, wenn das Recht des Königs in Gestalt des Burggrafen von Worms durch die Gassen marschierte.
›Ein Kreuz mit diesem Weib‹, dachte Bandolf ärgerlich, als er in die Hohlgasse einbog, die zum Pfalzhof vor dem Domizil des Bischofs führte. Wieso hatte Garsende ihm nicht früher gesagt, was man in der Stadt über sie klatschte? Und warum, zum Teufel, hatte sie so voreilig sein und ihren Verdacht über den Tod Ebertines in die Welt hinausposaunen müssen? War damit doch nur erreicht, dass der Täter nun womöglich gewarnt war und auf der Hut sein würde.
Ohnehin würde es schwer genug werden, Ebertines Mörder auf die Spur zu kommen, so es denn einen gab. Es war das eine, nach einem Meuchler zu forschen, wenn offenkundig ein Mord begangen worden war. Etwas ganz anderes jedoch, wenn es nur einen vagen Verdacht gab und niemand Klage führte. Bislang hatte Guntram von Hollerborn keine solche Klage erhoben, weder vor ihm noch vor dem Bischof, und seit die Heilerin um seine Hilfe gebeten hatte, zerbrach sich Bandolf den Kopf darüber, wie er es rechtfertigen sollte, wenn er de facto grundlos im Leben eines Edelmanns herumstocherte.
Der Burggraf seufzte.
Mochte er auch noch leise Zweifel hegen, ob Garsende mit ihrem Verdacht bezüglich Ebertines Tod Recht hatte, so hegte er keinerlei Zweifel daran, dass sie in einer üblen Lage steckte. Hinter ihrem Aufbrausen und ihrem Zorn hatte er auch Furchtsamkeit entdeckt, und das war nicht die vorherrschende Eigenschaft, die ihm eingefallen wäre, hätte man ihn nach der Heilerin gefragt. Augenscheinlich hielt man sich ihm gegenüber noch zurück, was Anschuldigungen gegen ein Weib anbelangte, das in seinem Heim ein- und ausging. Doch wenn das Volk erst einmal aufgebracht war, dann genügte meist ein Tropfen, um das Fass zum Überlaufen zu bringen, das wusste er so gut wie sie. Der Tod von Guntrams Tochter konnte gut dieser Tropfen sein, ganz gleich, auf welche Weise das Mädchen tatsächlich gestorben war.
Und angesichts des Sendgerichts ...
Der Burggraf seufzte.
Zwar war der Bischof nicht im Besitz des Blutbanns, doch wenn man Garsende vor dem Sendgericht der Giftmischerei schuldig sprechen würde, des feigen Mordes und womöglich noch anderer Vergehen, die ebenso schwer wogen, würde man sie dem weltlichen Gericht überantworten, und das würde ihr Todesurteil sein. Als Burggraf von Worms beschränkte sich Bandolfs Gerichtsbarkeit auf die Stadt. Garsende, die außerhalb der Stadtmauern lebte, fiel jedoch unter die Gerichtsbarkeit des Landgrafen, und auf dessen Urteil würde Bandolf kaum Einfluss nehmen können.
Tief in Gedanken versunken, erreichte der Burggraf die Pforte, die zum Kreuzgang des Domstifts führte. Zu seiner Verwunderung teilte ihm der Pförtner mit, er dürfe den Burggrafen nicht einlassen, werde dem Bruder Scholasticus jedoch mitteilen, dass er ihn zu sprechen wünsche. Ohne ein weiteres Wort schlug er das Guckloch in der Pforte zu, und Bandolf hörte, wie er sich entfernte.
Unmutig auf den Füßen wippend, wartete Bandolf auf seine Rückkehr.
»Befürchten Eure Brüder, ich könnte mich an den Domschätzen vergreifen, oder warum lässt man mich neuerdings hier draußen stehen?«, knurrte er übellaunig, als die Pforte sich endlich öffnete und Bruder Goswin zu ihm heraustrat. Hinter dem Scholasticus schloss der Pförtner sogleich wieder das Tor.
»Ich denke, die Domschätze hatte Propst Reginhard nicht im Sinn, als er uns an die Regeln des Heiligen Benedikt erinnerte, die einzuhalten wir Brüder uns verpflichtet haben«, antwortete Bruder Goswin.
»Will heißen?«
»Will heißen, dass der Kreuzgang der Besinnlichkeit dienen soll und nicht dem müßigen Geplauder zwischen einem geistlichen und einem weltlichen Freund«, antwortete Bruder Goswin mit einem Zwinkern.
Zweifellos war die Bemerkung als Scherz gemeint, doch Bandolf kannte ihn gut genug, um den Beiklang von Schärfe in seiner Stimme zu erkennen. Er warf ihm einen forschenden Blick zu.
Wie stets hing die dunkle Robe zerknittert von den mageren Schultern des Scholasticus herab, und das borstige Haar schien jedem Versuch, es zu glätten, zu widerstehen.
Unter seinem Blick huschte ein schiefes Lächeln über Bruder Goswins schmale Züge. »Wie jeder Propst, der eine neue Herde Schäfchen unter seine Fittiche nimmt, glaubt offenkundig auch Reginhard von Köln, dass er sich unseren Respekt mit ganz besonders strenger Zucht und Ordnung verschaffen müsse«, beantwortete er Bandolfs unausgesprochene Frage.
Zwar hatte der Burggraf gehört, dass man das Amt des Dompropstes mit einem Schützling des Erzbischofs von Köln besetzt hatte, jedoch war er Reginhard von Köln noch nicht begegnet.
»Und was haltet Ihr von Eurem neuen Propst?«, fragte er neugierig.
»Ein strenger, unbeugsamer Mann. Und, Gott sei’s geklagt, auch ein Mann bar jeglichen Humors«, meinte Bruder Goswin mit einem schiefen Lächeln. Rasch fügte er hinzu: »Oh, versteht mich nicht falsch. Propst Reginhard ist keineswegs ein übler Mensch. Streng ja, doch auch ein redlicher Mann, der sich um Gerechtigkeit bemüht. Er scheint nur hin und wieder zu vergessen, dass dies ein Stift in Worms und kein Kloster in der Einöde ist.« Er seufzte. »Aber Ihr seid doch gewiss nicht gekommen, um über die Eigenschaften unseres Propstes zu plaudern?«
Bandolf lachte. »Nein, da habt Ihr recht. Ich wollte wissen, ob Euch der Edelmann Guntram von Hollerborn bekannt ist?«
»Guntram von Hollerborn«, wiederholte Bruder Goswin und runzelte die Stirn. »Bekannt ist er mir nicht. Obgleich ...?« Sein Stirnrunzeln vertiefte sich. »Aus irgendeinem Grund kommt mir der Name vertraut vor.«
»Womöglich hat er sein Anwesen in der Salzgasse von der Kirche erworben«, half ihm Bandolf auf die Sprünge.
Langsam schüttelte der Scholasticus den Kopf. »Nein«, sagte er zögernd. »Ich muss den Namen anderswo gehört haben. Aber just kann ich mich nicht darauf be ...«
»Bruder Goswin! Bruder Goswin! Gott sei’s gedankt, dass ich Euch so rasch gefunden habe«, unterbrach ihn eine Stimme, die wie verhuscht aber dringlich klang.
Beide Männer drehten sich um. Die Pforte zum Domstift war einen Spalt weit geöffnet worden, durch den der Gehilfe des Scholasticus mit ängstlichem Gesicht herausspähte. »Propst Reginhard sucht nach Euch.«
»Was will er denn von mir?«, erkundigte sich Bruder Goswin.
Zögernd trat Bruder Bartholomäus gänzlich durch die Pforte.
Nach einem gehauchten »Benedicite, Burggraf« wandte er sich an Bruder Goswin. »Er sagte nur, er müsse dringlich mit Euch sprechen.« Während er dem stämmigen Burggrafen einen furchtsamen Blick zuwarf, als befürchte er, Bandolfs Schatten könne ihn erschlagen, setzte er scheu hinzu: »Mich deucht, es ging ihm um Eure Chronik.«
Eine steile Falte erschien auf der Stirn des Scholasticus. »Was hat der Propst mit meiner Chronik zu schaffen?«, fragte er argwöhnisch.
Bandolf unterdrückte ein Lächeln. Die Chronik des Domstifts war Bruder Goswins ganzer Stolz, die er liebevoll hegte und mit Argusaugen bewachte.
»Ich dachte nur ... Nun, Propst Reginhard kam in die Bibliothek, um eine Abhandlung des Heiligen Gregor einzusehen. Als er die Chronik auf Eurem Pult liegen sah, blieb er stehen und begann darin zu blättern«, erklärte Bruder Bartholomäus.
Bruder Goswins Wangen färbten sich rot, doch er sagte nichts. Sein Gehilfe fuhr hastig fort: »Dann runzelte er plötzlich die Stirn, schlug die Chronik zu und befahl mir, Euch zu suchen.« Nach einem zarten Räuspern fügte er hinzu: »Mir schien so, als sei er missgestimmt, gewissermaßen verärgert.«
»Verärgert?«, wiederholte Bruder Goswin.
Bruder Bartholomäus räusperte sich. »Vielleicht auch sehr verärgert.«
»Und was, bei allen Heiligen, hat der Bruder Propst an meiner Chronik auszusetzen?«, erkundigte sich Bruder Goswin mit unheilvoller Ruhe.
»Womöglich hat ihm ein Abschnitt missfallen?«, hauchte Bruder Bartholomäus.
»Missfallen?«, echote Bruder Goswin. Steif und mit Gewitter in der Stimme wandte er sich an Bandolf. »Entschuldigt mich, Burggraf. Aber wie es scheint, benötigt man ein klärendes Wort von mir.«
Noch ehe Bandolf nicken konnte, wirbelte der Scholasticus herum und lief mit vorgerecktem Kopf wie ein Stier auf die Pforte zu, als gedächte er, sie zu rammen, während Bruder Bartholomäus sich beeilte, ihm zu folgen.
Halb belustigt, halb erstaunt sah der Burggraf Bruder Goswins Robe durch die Pforte flattern. Derart aufgebracht hatte er seinen Freund noch selten erlebt.
Zwar hätte Bandolf es vorgezogen, über Guntram von Hollerborn ein wenig mehr zu wissen als nur seinen Namen, bevor er im Haus des Edelmanns vorstellig wurde. Doch nun würde ihm wohl nichts anderes übrigbleiben, als sich auf seine eigenen Eindrücke zu verlassen.
›Vielleicht war es nicht nur ein Nachteil, dass die Heilerin mit ihrem Verdacht herausgeplatzt ist‹, überlegte Bandolf, während er den Hohlweg wieder hinabging. So konnte er wenigstens ihren Verdacht als Grund nennen, wenn er Guntram von Hollerborn auf den Zahn fühlte.
Als er am Ende der Gasse angekommen war, beschloss Bandolf, vor seinem Heimweg noch rasch beim Wirt am Markt eine kleine Stärkung zu sich zu nehmen. Die Anwesenheit seines Vetters war ihm auf den Magen geschlagen, und ihm schien so, als hätte er beim Mittagsmahl kaum einen Bissen heruntergebracht.
Laute Stimmen, Gegröle und Gelächter drangen durch die Tür der Schenke, doch als der Burggraf eintrat, verebbte der Lärm.
Argwöhnisch warf er einen Blick in die Runde, ehe er sich setzte.
Fast jedermann in der Stadt kannte die hochgewachsene, stämmige Gestalt des Burggrafen. Man rief ihm Grüße zu, doch aus den Augenwinkeln bemerkte Bandolf auch hie und da einen verstohlenen Blick und Köpfe, die rasch gesenkt wurden.
Unwillkürlich fragte er sich, ob die Gespräche vor seinem Eintritt um eine gewisse Heilerin gekreist hatten.
Allmählich hob der Lärmpegel wieder an.
»Willst du mir nicht etwas mitteilen, Oswin? Beispielsweise, worüber hier so angeregt gesprochen wurde, bevor ich hereinkam?«, erkundigte er sich, als der Wirt ihn fragte, was er dem Burggrafen bringen dürfte.
»Nichts Besonderes, Herr. Ich weiß nicht, was Ihr meint«, tat der Wirt arglos. Angesichts der zusammengezogenen Brauen des Burggrafen schien ihm unbehaglich zu werden. »Meine Schänke ist voll ... Will sagen, es gibt viel zu tun ...«
Für einen Augenblick nagelte ihn der Burggraf mit seinem Blick fest. Als er aber im Rücken des Wirts den einbeinigen Bettler Fortunatus erspähte, der just die Schänke betrat, entließ er Oswin mit einem gebrummten: »Bring mir eine Schüssel von deinem Eintopf und einen Krug Bier.«
Offenkundig erleichtert, eilte der Wirt davon.
Schon vor geraumer Zeit hatte der Burggraf entdeckt, dass Fortunatus zwar ein Bein fehlte, nicht aber der Verstand, Augen und Ohren aufzusperren. Zudem schien sein Gedächtnis die Beschaffenheit eines Schwamms zu haben, der alles aufsog, was er tagaus, tagein auf den Gassen von Worms zu hören und zu sehen bekam. Und kaum jemand pflegte auf einen Bettler zu achten, der auf dem Marktplatz oder auf dem Hof vor der Bischofspfalz mit seiner Schale klapperte.
Auf seine Weise war Fortunatus eine ebenso gute Quelle an Auskünften wie Bruder Goswin, nur musste man aus den oft sehr farbenfrohen Schilderungen des Bettlers Klatsch und Tratsch und wilde Vermutungen heraussieben, um zum Kern der Dinge vorzudringen.
Als Fortunatus des Burggrafen ansichtig wurde, ließ er die Bettelschale, die er bereits gezückt hatte, flugs wieder in seinem Kittel verschwinden. Bettelei war in den Schänken von Worms verboten.
Bandolf winkte ihn zu sich. »Das Geschäft mit den Almosen muss recht erfolgreich sein, wenn du es dir erlauben kannst, hier zu speisen«, bemerkte er trocken.
Fortunatus schüttelte betrübt den Kopf. »Ach, Herr, wie wünscht’ ich nur, Ihr hättet Recht. Keiner hat zurzeit einen Kanten Brot für einen armen, beinlosen Bettler wie mich übrig. Was sag’ ich, muss doch froh sein, dass man mir nicht noch was aus der Schale stiehlt. Nur deshalb war’s, dass ich reinkam, um nachzusehen, ob hier wohl ein Herr wäre, der Barmherzigkeit walten lässt und mir von seiner Mahlzeit eine winzige Krume abgibt.«
»Pah!«, schnaubte der Burggraf. »Angesichts des Sendgerichts wird sich keiner nachsagen lassen wollen, er geize beim Almosengeben.«
»Gäb’s Gott, alle Leute möchten so denken wie Ihr«, seufzte Fortunatus, während er mit begehrlich glitzernden Augen auf die dampfende Schüssel schielte, die der Wirt just in diesem Augenblick vor Bandolf auf den Tisch stellte.
»Setz dich und leiste mir Gesellschaft«, sagte der Burggraf und gab dem Wirt Order, noch eine weitere Schale vom Eintopf zu bringen.
»Und was von dem Gebrauten für die Pilger«, rief Fortunatus dem davoneilenden Wirt hinterher.
»Das Gebraute für die Pilger?«, wiederholte der Burggraf erstaunt.
»Das verwässert er nicht, alldieweil ihm mal einer erzählt hat, ’s brächt’ ihm Tod und Unglück, wenn er’s bei den Pilgern tät’«, erklärte Fortunatus und grinste.
Erheitert gab Bandolf nach. »Na schön, du sollst dein Pilgerbier bekommen. Aber die Mahlzeit musst du dir ehrlich verdienen.«
»Um was ist’s Euch denn zu tun?«
»Um einen Edelmann. Und um die Heilerin«, erklärte Bandolf knapp.
»Um die Drude geht’s, wie? Als hätt’ ich’s mir nicht schon gedacht.« Fortunatus ließ ein Seufzen hören und sah sich verstohlen um. Dann rückte er nah an den Burggrafen heran. »Ich sag’s Euch, wie ich’s denk’, Herr«, raunte er. »Wär’ ich die Drude, ich tät’ mich heut’ noch tummeln, dass ich aus Worms verschwinde.«