Читать книгу Medizin der Erde - Susanne Fischer-Rizzi - Страница 23

Beifuß

Оглавление

Artemisia vulgaris

Familie der Korbblütler - Asteraceae

»Erinnerst du dich, Beifuß, was du verkündest, Was du anordnest in feierlicher Kundgebung, Una heißt du, das älteste der Kräuter; Du hast Macht gegen drei und gegen dreißig, Du hast Macht gegen Gift und Ansteckung, Du hast Macht gegen das Übel, das über das Land dahinfährt.«

Aus einem angelsächsischen Neunkräutersegen 11. Jh.

An seiner äußeren Erscheinung ist nichts Auffallendes zu finden, und seine Blüten gehören zu den bescheidensten der hier im Buch beschriebenen Pflanzen. Merkwürdig, dass der unscheinbare Beifuß einmal als »Mutter aller Pflanzen« verehrt wurde und seit der Antike als kraftvolle Heilpflanze gelobt wird. Wir können heute kaum mehr nachvollziehen, welche Kräfte unsere Vorfahren im Beifuß erschaut haben, welche Zusammenhänge der Dinge der Schöpfung sie wahrnahmen, wenn sie diese Pflanze als Geschenk der Göttin verehrten. Wir können nur den fast verwischten, jahrhundertealten Spuren der Geschichte des Beifuß nachgehen, um vielleicht eine Ahnung von dem zu bekommen, was diese Pflanze einmal für die Menschen bedeutet hat.

Die erste Spur führt uns zurück ins Persien des vierten vorchristlichen Jahrhunderts. Dort begegnen wir Artemisia, der Gemahlin des Königs Maussolos (er wurde durch sein Grabmahl berühmt, das zu den 7 Weltwundern zählt). Artemisia war eine heilkundige Frau, und vielleicht hat sie den Beifuß oft verwendet, denn, wie es heißt, hat sie dieser Pflanze ihren Namen verliehen, den wir bis heute, nach so langer Zeit, noch immer kennen. »Artemisia vulgaris«, so lautet der botanische Name des Beifuß. Doch es gibt noch eine weitere Artemisia, mit der die Beifußpflanze verbunden war. Perser wie Griechen verehrten die Göttin Artemis, deren bekanntestes Abbild in Ephesus in Kleinasien stand. Ihr waren besonders heilkräftige Pflanzen zugeordnet, zu denen auch der Beifuß gehörte.

Artemis, die große Muttergöttin, Schutzherrin der Kräuterheilkundigen, wurde um Hilfe bei Geburten angerufen, und hier finden wir den ersten Hinweis auf die Heilkräfte des Beifuß, denn das Kraut Artemisia galt als Pflanze der Göttin, hilfreich bei allen Frauenkrankheiten.

Im antiken Griechenland trug die Pflanze den Namen Parthenis, der Jungfrau Kraut, und war somit wieder eine der Göttin geweihte Pflanze. Auch im alten Ägypten soll der Beifuß ein Kraut der Göttin Isis gewesen sein, und ihre Priesterinnen trugen bei den Umzügen Beifußpflanzen in den Händen.

Die Römer nannten ihre Artemis Diana, und auch sie war eine die Geburt schützende Göttin. Ihr Kraut Diania, es war wieder der Beifuß, galt als großes Frauenheilmittel.

Das Kraut der Göttin, der Mutter aller Dinge, durfte den Namen »Mutter aller Pflanzen« tragen, denn es galt als hilfreichstes Frauenmittel. Die Hebammen, Kräuterfrauen und Ärzte früherer Zeiten, haben diese Pflanze wohl oft gebraucht, um ihre Patientinnen zu heilen. Hippokrates, Plinius, Dioskurides, Galenus, sie alle loben den Beifuß als großes Frauenheilmittel. Die Spuren aus der Zeit der Antike führen uns wieder hierher zurück in unseren näheren Umkreis. Abt Walahfrid Strabo nennt den Beifuß in seinem Kräutergartengedicht »Mutter der Kräuter«, und in dem angelsächsischen Kräutersegen am Anfang dieses Kapitels wird der Beifuß als »das älteste der Kräuter« angerufen. Das ganze Mittelalter hindurch bis in die Neuzeit wird der Beifuß von unseren Heilkundigen fast ausschließlich als Frauenheilmittel verwendet, und viele beschreiben die Heilkraft dieser Pflanze: Hildegard von Bingen, Paracelsus, Tabernaemontanus, Bock, Lonicerus ..., z.B. schreibt Culpepper, um nur eine der vielen Textstellen herauszugreifen, im 17. Jahrhundert:

»Es ist ein Kraut der Venus. Seine Spitzen, Blätter und Blüten sind voll Tugend; sie sind aromatisch und äußerst sicher und hervorragend zur Behandlung von weiblichen Krankheiten.«

Wie wir den alten Kräuterbüchern entnehmen können, wurde der Beifuß verwendet, um die Fruchtbarkeit zu stärken, die Geburt zu erleichtern, die Nachgeburt zu fördern, Schmerzen der Menstruation zu beheben und ihre Unregelmäßigkeiten auszugleichen. Außerdem um alle krampfartigen Zustände, besonders der Frauen, zu beheben. Der Beifuß wird als Pflanze mit besonders viel Wärmekraft beschrieben, es heißt: »seine Qualität ist warm und trocken, er hat die Kraft zu erwärmen«. Schoßwurz wurde der Beifuß von den Frauen genannt, denn sie banden ihn sich zur Geburt um den Schoß, um die Wehentätigkeit anzuregen. Wie viele Pflanzen, die ursprünglich einer Göttin geweiht waren, so ist auch der Beifuß, das Kraut der Isis, Diana und Artemis, mit in das Kräuterbüschel aufgenommen worden, das an Maria Himmelfahrt der Maria zur Segnung dargebracht wird. Einige alte Bräuche haben sich noch als letzte Reste erhalten, wie zum Beispiel die Empfehlung, den Beifuß nur im Zeichen der Jungfrau zu sammeln, oder ein Brauch, der sich in Süddeutschland noch lange gehalten hat, an Maria Himmelfahrt die Ställe mit Beifuß zu räuchern, um das Vieh vor Krankheit zu schützen.


Es bleiben noch einige seltsame, altertümliche Namen des Beifuß, deren Enträtselung uns auf die zweite Spur der Geschichte dieser Pflanze leiten: Mugwurz, Machtwurz, Sonnwendgürtel, Thorwurz.

Diese Namen führen uns in unsere germanische und keltische Vergangenheit, ja sogar, wie einige Ethnologen sagen, bis in indogermanische Zeit. Die Namen lassen darauf schließen, dass der Beifuß in diesen Kulturen eine wichtige Rolle gespielt hat. Von heute noch bestehenden Stammesgesellschaften, wie zum Beispiel den Indianern im Amazonasgebiet oder den Aborigines, erfahren wir, dass die Menschen, die noch in starker Verbindung mit der Natur leben, Kraftplätze, Krafttiere und Kraftpflanzen kennen. Eine Kraftpflanze kann dem Menschen Kraft und Macht verleihen, wenn er weiß, wie er dieser Pflanze begegnen muss. Die Mistel z. B. war für die Kelten eine bedeutende Kraftpflanze, die die Druiden, die Priester ihrer Religion, an einem bestimmten Tag mit goldenen Sicheln von den Eichen schnitten, um sie an das Volk zu verteilen. Solch ein Mistelzweig, als Amulett getragen, sollte das ganze Jahr über Kraft geben und vor Krankheit schützen. Auch der Beifuß war solch eine magische Kraftpflanze, er war die Mugwurz (vom Keltischen = wärmen, kräftigen), später die Machtwurz. Selbst die Götter bedienten sich seiner Kraft. Thor, der germanische Donnergott, besaß den Zaubergürtel Megingjardr. Mit diesem Gürtel aus Beifuß konnte er seine Kraft verdoppeln und so seine gefährlichen Reisen und Kämpfe bestehen. Und wer immer sich stärken wollte, der brauchte nur einen Gürtel aus dem Gürtlerkraut, d.h. dem Beifuß zu tragen. Aber dies ging nicht an jedem x-beliebigen Tag. Darauf verweisen uns die Namen Johannisgürtel und Sonnwendkraut. Dieser Gürtel musste am kräftigsten Tag des Jahres, am Tag der Sommersonnenwende, geflochten werden. Das Sonnwendfest war der wichtigste Tag des Jahres, der Tag an dem die Sonne, das lebenspendende Licht seine größte Kraft hat. Die Tradition der Sonnwendfeiern lässt sich viele tausend Jahre zurückverfolgen.

Der Beifuß war eines der Sonnwendkräuter, aus dessen Wurzeln oder Zweigen man den Sonnwendgürtel flocht. Am Ende des Festes warf man ihn ins Feuer und mit ihm alles Schlechte, das man loswerden wollte. Man konnte den Kranz auch nach dem Fest behalten und ihn als Schutz und Stärkung tragen, damit räuchern oder in den Stall hängen, damit die Tiere vor Krankheit und Zauber geschützt wurden.

Die Wurzel konnte, als Amulett getragen, Kraft verleihen und Gesundheit schenken. In einer Handschrift aus dem 15. Jahrhundert heißt es über den Beifuß:

»Artemisia ist ain kraut, daz ist unter allen ungeheure. Ob du furchtest czauber, so hab ir vier pundl (büschl) in de chemenaten, un dir schaden die unholden nicht chinden, noch an viech, noch an chainer slacht Ding...«

Tabernaemontanus berichtet, dass man zu seiner Zeit die Wurzel des Beifußes um den Hals trug, die Krankheiten, die von Dämonen erzeugt werden, zu heilen. Er meint damit die Epilepsie. Neben dem Ruf, ein großes Frauenheilmittel zu sein, galt der Beifuß auch als ein Mittel, das die Kraft besitzt, Epilepsie zu heilen. Hufeland und Rademacher haben den Beifuß als Epilepsiemittel verwendet. Der Arzt Rademacher beschreibt in seiner »Erfahrungsheillehre« 1848, wie er mit dem Beifuß Epilepsie heilen konnte. In neuerer Zeit hat sich besonders Dr. Bohn mit dem Beifuß als Heilmittel der Epilepsie befasst und ihn dafür empfohlen.

Heute wird der Beifuß nur noch selten als Heilmittel verwendet. In der Homöopathie wird die Wurzel verarbeitet und gegen Epilepsie, Veitstanz und Hysterie gebraucht. In manchen Kräuterbüchern unserer Zeit wird der Beifuß nicht einmal mehr erwähnt, die »Mutter aller Kräuter« ist in Vergessenheit geraten.

Jetzt bleibt mir noch der letzte, heute gebräuchliche Name »Beifuß« zu erklären.

Ich lasse mir dabei von Leonhard Fuchs helfen, der 1588 in seinem Kräuterbuch schreibt:

»So einer über Land reysset / beyfuss bey ihm tregt / so vertreibt es die müde.«

Wie der Breitwegerich, so ist auch der Beifuß ein Begleiter der Wanderer. Er wächst gern an Wegrändern und bietet seine Hilfe denen an, die vom vielen Laufen müde Füße bekommen haben. Kein Kräuterbuch, vom alten Plinius (1. Jh. n. Chr.) angefangen, bis weit in unsere Zeit, das den Beifuß nicht als Mittel preist, das, ans Bein gebunden oder in die Schuhe gelegt, den müden Wanderer wieder frisch macht.

Nur Konrad von Megenberg zweifelt in seinem »Buch der Natur« (14. Jh.) an dieser Kraft des Beifuß:

»Artemisia haizet peipoz, daz kraut ist haiz und trukken und den guot, die unperhaft (unfruchtbar) sint von übrigen fäuthen, ez sprechent auch die maister, wer es an diu pain pind, es benem denwegraisern in müd. daz versuoch, wan ich gelaub sein niht, ez waer dann bezaubert.«

Herr von Mengenberg hat wahrscheinlich noch nie die wohltuende Kraft eines Beifuß-Fußbades nach einem anstrengenden Tag auf den Beinen erlebt. Ich hätte ihm dies gerne empfohlen.

Wenn es schon so schwer ist, die Kraft des Beifußes an seiner äußeren Erscheinung abzulesen, so können wir uns durch seine Anwendung dem nähern und es erfahren, was die Alten über diese Pflanze gesagt haben. Wir können 1000 Bücher lesen, aber wenn wir dazu nicht parallel eine eigene Erfahrung gemacht haben, werden wir nie etwas verstehen. Unser Wissen bleibt leer. Wir müssen versuchen, die alten Hinweise in unsere eigenen neuen Erfahrungen münden zu lassen, erst dann werden sie für uns erlebbar. Seit ich die starke Wärme dieser Pflanze in meinem Körper gespürt habe, verstehe ich die Aussage der Alten, »diese Pflanze ist heiß im dritten Grad«. So habe ich den Beifuß immer wieder zur Stärkung und Erwärmung empfohlen, bei Krankheiten (besonders der Frauen), die durch Unterkühlung und Verkrampfung entstanden sind. Und er hat sich schon so oft bewährt.

Wenn wir den Beifuß suchen, sollten wir an Wegrändern entlanggehen, in Kiesgruben, Steinbrüchen, an Bahndämmen und Abhängen nach ihm Ausschau halten. Er wirkt so luftig und leicht, dass man von weitem fast durch ihn hindurchschauen kann. Sein aufrechter, fester Stängel, oft braunrot gefärbt, erhebt sich bis zu 1¼ Meter über dem Boden. Aus ihm entspringen viele Seitenäste, die sich oft verzweigen. Seine Blätter sind oberseits mattgrün, unterseits mit einem weißlichen Filz überzogen. Die doppeltgefiederten Blätter laufen in einem spitzen Zipfel aus. Erst spät im August und September erscheinen die unscheinbaren Blüten in Rispen am oberen Ende der Äste. Die graufilzigen Blütenköpfchen tragen kleine gelbe oder rotbraune, sehr unscheinbare Blüten. Sie enthalten keinen Honig und werden vom Wind bestäubt.

Der Beifuß ist ein naher Verwandter des Wermuts (Artemisia absinthium). Beifuß und Wermut ähneln sich im Aussehen, sind jedoch leicht zu unterscheiden. Die Blätter des Wermuts sind dick mit einem Flaum überzogen, was die ganze Pflanze seidig-graugrün schimmern lässt. Die Blütenköpfchen haben einen silbergrauen Hüllkelch und hellgelbe Blüten. Die Pflanze enthält viel ätherisches Öl und strömt einen intensiven Duft aus. Der Wermut kommt fast in ganz Europa vor, ausgenommen im hohen Norden und einigen südlichen Gebieten. Er ist eine bekannte Heilpflanze und wird wegen seines hohen Gehalts an Bitterstoffen hauptsächlich als Magenmittel, zur Anregung der Verdauung, bei Appetitlosigkeit und Ernährungsstörungen verwendet. Gleichzeitig hat er eine anregende Wirkung auf die Galle.

Die Eberraute, Artemisia abrotanum, ist ebenfalls eine enge Verwandte des Beifuß. Sie ist in Südosteuropa und Westasien heimisch, und meistens ist es ihr hier in unserem Klima zu kühl für eine Samenreife. Sie scheint bei uns schon im 9. und 10. Jahrhundert bekannt gewesen zu sein. Meine Eberrauten im Garten haben die kalten Allgäuer Winter bis jetzt gut überstanden und erfreuen mich jedes Jahr mit ihrem zarten, filigranen Blattwerk, das einen feinen erfrischenden Zitronenduft verströmt. Es heißt, die Bäuerinnen hätten am Sonntag zum Kirchgang ein Zweiglein Eberraute angesteckt, damit sie der frische Duft bei einer langweiligen Predigt wachhalte. Die Zweige der Eberraute ergeben frisch oder getrocknet einen angenehm schmeckenden Heiltee. Zu gleichen Teilen mit den duftenden Blättern der Zitronenverbene und Marienbalsam (Chrysanthemum balsamita) gemischt, ergibt die Eberraute eine meiner Lieblingsteemischungen. Eberrautentee wirkt anregend und kräftigend, hilft bei Blutarmut und Appetitlosigkeit. Eberraute wird Kindern bei Wurmbefall verabreicht. Während der Schwangerschaft sollte Eberraute nicht innerlich angewendet werden. Der Tee ist äußerlich angewandt in Form von Kompressen und Gesichtswasser ein Heilmittel bei Hautkrankheiten. Eberraute ist ein Gefäßtonikum für die Hautkapillaren und kann so als Gesichtswasser oder Crème, bei geplatzten Äderchen, sogenannten Besenreißern, und zur leichten Einreibung bei Krampfadern verwendet werden.


Es heißt Eberraute »klärt die Gedanken«. Diese Wirkung kommt in dem edlen Teerezept »der Seher« gut zur Entfaltung:

Der Seher

Grüner Tee, Blätter3 Teelöffel
Eberraute, Kraut1 Teelöffel
Arabische Minze, Blätter1 Teelöffel
Zitronenverbene, Blätter1 Teelöffel
Gingko, Blätter1 Teelöffel

Die getrockneten Zutaten mischen, mit 6 Tassen kochendem Wasser übergießen, einige Minuten ziehen lassen, abseihen. Den Tag über verteilt trinken. Ein Tee, der entspannt, fein ausgleicht und innere Balance schenkt.

Schöner als Abt Walahfrid Strabo in seinem Kräutergedicht im 9. Jahrhundert die Eberraute gepriesen hat, könnte ich es nicht treffen.

Deshalb möchte ich ihn hier zitieren:

»Ebenso leicht ist’s den hohen Wuchs deiner Staude zu preisen,

Eberraute, bewundernd das Blattwerk, das reich sich entfaltet,

Üppig in Zweige geteilt und feinen Haaren vergleichbar.

Dieser duftende Schöpf, zugleich mit den biegsamen Zweigen

Ärztlichen Mitteln vermengt, ergibt eine nützliche Mischung.

Fieber wehret sie ab, scheucht Seitenstechen, bringt Hilfe,

Wenn die tückische Gicht uns mit plötzlichem Anfall belästigt.

Aber noch mehr: Sie hat so viel Kräfte wie haarfeine Blätter.«

Medizin der Erde

Подняться наверх