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Blutwurz

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Potentilla erecta (tormentilla)

Familie der Rosengewächse - Rosaceae

Wenn wir dieses zarte, unscheinbare Pflänzchen mit den freundlich goldgelben Blüten betrachten, so erscheint es uns erst ganz unverständlich, warum die Alten es potentilla, die Mächtige, nannten (potentia = Macht). Die Erklärung hierfür liegt in der Erde verborgen. Wir brauchen nicht tief zu graben, um auf des Pflänzchens Wurzel zu stoßen, und diese Wurzel ist es, die so viele Heilkräfte enthält, dass die Pflanze mit dem ehrenvollen Namen »die Mächtige« belegt wurde.

Die kurze, dicke, braune Wurzel liegt schräg im Boden. Sie ist unregelmäßig knollig verdickt. Wenn wir diese Wurzel quer durchschneiden, können wir etwas Seltsames beobachten. Die gelblichweiße Schnittstelle läuft blutrot an, so als ob wir uns in den Finger geschnitten hätten. Blutwurz, so nannten die Alten diese Wurzel, und für sie war die blutunterlaufene Schnittstelle ein deutliches Zeichen, dass sie diese Wurzel als Mittel gegen Blutungen verwenden sollten. »Tormentill ist die aller köstlichst blutstellung« schreibt Otho Brunfels in seinem 1532 erschienenen Kräuterbuch. Ein gutes Blutstillungsmittel muss eine zusammenziehende Kraft haben. Diese Kraft erkannten unsere Vorfahren am Äußeren der Pflanze. Die Wurzel ist fest und wie in sich zusammengezogen, sie geht nicht in die Breite, sondern ist knollig verdickt. Sie nimmt nicht viel Wasser auf, obwohl sie oft in feuchten Moorböden wächst. Wenn wir ein Stückchen von der frischen Wurzel kauen, so schmecken wir sofort ihren herben, zusammenziehenden Geschmack, so stark, dass sich unser Mund pelzig anfühlt.

Aber auch der obere Teil der Pflanze wächst in der Gebärde des Zusammenziehens. Die einzelnen Teile der Blätter, meist drei oder fünf, haben ihre Ansätze alle auf einen Mittelpunkt zentripetal ausgerichtet. Für die Alten war es klar, dass eine Pflanze mit so viel zusammenziehender Kraft auch verletzte Blutgefäße in unserem Körper zusammenziehen kann.

Die Blutwurz ist inzwischen durch die Reagenzgläser im Labor gegangen, ist zerlegt und analysiert worden, und die moderne Wissenschaft hat das alte Pflanzensiegel bestätigt. In der Blutwurz wurde ein sehr hoher Gehalt an Gerbstoff festgestellt, manche Blutwurzpflanzen enthalten bis zu 25 % Tormentillgerbsäure. Die Blutwurz übertrifft darin noch die Rathaniawurzel, eine aus den Anden eingeführte Pflanze, die lange Zeit als das Gerbstoffmittel galt. Durch den hohen Gehalt an Gerbstoffen wirkt die Blutwurz stark zusammenziehend. Gleichzeitig wirkt sie, vermutlich durch ihren Gehalt an Tormentillrot, desinfizierend. So wurde die alte Verwendung der Blutwurz bei Verletzungen durch neue Methoden bestätigt.

Der alte Name Blutwurz, Ruhrkraut, Ruhrwurz verrät uns ein weiteres Anwendungsgebiet. Man hat sie früher zur Heilung von Ruhr, Paratyphus und infektiösen Darmerkrankungen verwendet. Man gebrauchte sie besonders, wenn der Stuhlgang von Blut dunkel gefärbt war. Auch sollte sie bei Darmkrankheiten in Verbindung mit Koliken helfen. Darauf verweist der alte, noch heute gebräuchliche Name »Tormentille«. Er leitet sich ab vom lateinischen tormentum = Kolik. Noch heute verwendet die Naturheilkunde die Tormentille oft zur Heilung der oben genannten Krankheiten. Wir können uns ihre heilsame Wirkung in diese Richtung von ihrer Wirkstoffkombination ableiten. Sie desinfiziert, repariert verletzte Blutgefäße in der Schleimhaut, beruhigt die Entzündung, kräftigt die Schleimhäute des Magens und des Darmes. Wir wissen inzwischen auch, dass die Gerbstoffe der Blutwurz in ein wohlausgewogenes Netz von verschiedenen anderen Wirkstoffen eingebettet sind, die sie gegenüber den reinen Gerbstoffpräparaten überlegen machen. Die Gerbstoffe der Blutwurz sind besser verträglich. Sie sind an Eiweißstoffe gebunden, welche bewirken, dass sie langsam und länger anhaltend abgegeben werden. Wir nennen dies Depotwirkung. Das alles macht die Blutwurz zu einem souveränen Mittel zur Heilung von entzündlichen und infektiösen Prozessen des Dick- und Dünndarms.

Die Blutwurz gehört zur Familie der Rosengewächse. An ihrem unscheinbaren Aussehen erinnert nicht viel an eine Rose. Doch ich erinnere mich genau, seit wann ich die Blutwurz mit Rosen in Verbindung bringen kann. Es war, als ich die frische Wurzel zur Bereitung einer Tinktur auf einer Reibe raspelte, da stieg mir ein ganz feiner Rosenduft in die Nase. In einem Buch, in dem die Inhaltsstoffe der Blutwurz aufgelistet sind, las ich nachträglich, dass die Wurzel neben Gerbstoffen, Farbstoff, Harz usw. auch etwas rosenähnliches ätherisches Öl enthält.

Die fünffingrigen Blätter der Blutwurz weisen sie als Mitglied der Gattung »Fingerkräuter« aus. Zu dieser Gattung gehören rund 300 Arten. In unserer einheimischen Flora gibt es verschiedene Fingerkrautarten, die oft miteinander verwechselt werden. Ich finde, wenn man genau hinschaut, sind sie leicht voneinander zu unterscheiden. Zur Zeit der Blüte hat die Blutwurz ein untrügliches Unterscheidungsmerkmal: ihre goldgelben Blüten tragen im Gegensatz zu den anderen Arten nur vier Kronblätter. Dies ist etwas Besonderes, denn die Mitglieder der Rosenfamilie haben meist fünf Kronblätter. Auch die anderen Fingerkrautarten halten sich an diese Zahl, nur die Blutwurz hat eben vier. Blumen mit vier Kronblättern sind in unserer einheimischen Flora eine Seltenheit. Der typische Fünfstern der Rosengewächse findet sich bei der Blutwurz versteckt in der Wurzel. Schneidet man diese auf, so erscheint an der Schnittstelle dieses Zeichen.

Die Wurzel der Blutwurz sollte im zeitigen Frühjahr oder im späten Herbst gesammelt werden. Dann blüht die Pflanze noch nicht oder nicht mehr. So müssen wir uns zur Unterscheidung an andere Merkmale halten. Wir finden die Blutwurz auf trockenen wie auf feuchten Magerwiesen, auf feuchten moorigen Waldrändern, aber auch hoch oben im Gebirge, sie klettert dort bis zu 2500 m hinauf. Im Moor sind die Pflanzen klein und eng an den Boden gedrückt. Je trockener der Standort, umso mehr streckt sich die Pflanze, wird größer und erreicht eine Höhe bis zu 40–50 cm. Die Blutwurz hat dünne, verzweigte Stängel, die anfangs flach am Boden liegen und sich später je nach Standort hoch aufrichten. Die groß gezähnten Blätter entspringen direkt aus dem Hauptstängel, sie sind dunkelgrün und etwas glänzend. Unten am Stängel sind sie fünfzählig, weiter oben werden sie dreizählig. An den oberen Stängelenden thronen auf vierblättrigen grünen Kelchen die goldgelben Blüten.

Auf den hoch gelegenen Alpwiesen wächst eine kleine Schwester der Blutwurz, das Goldfingerkraut, Potentilla aurea. Es erreicht höchstens eine Höhe von 20 cm, seine Blätter sind oberseits kahl, unterseits glänzend, die unteren anliegend und seidig glänzend behaart. Es hält sich wieder an die Fünfzahl der Kronblätter. Auch die Wurzel des Goldfingerkrautes kann zu Heilzwecken verwendet werden. Wer es einmal entdeckt hat, wird es sicher nicht mehr übersehen, denn es leuchtet schon von weitem freundlich goldgelb.

Hinter dem geheimnisvollen Namen »pentephyllon« des Dioskurides verbirgt sich eine weitere heilkräftige Fingerkrautart, das Kriechende Fünffingerkraut, Potentilla reptans. Früher war es einmal ein bekanntes Heilkraut, das die Apotheker unter dem Namen »Herba Pentephylli« führten. Es galt wie die Blutwurz als blutstillendes und stopfendes Mittel. Heute ist es aus unserem Heilschatz ganz verschwunden.

Man verwendete dieses Kraut früher nicht nur zum Heilen, sondern sprach ihm auch magische Kräfte zu und gebrauchte es, um sich vor Zauberei zu schützen. Manchmal stößt man in alten Büchern noch auf seine Namen, die auf diese Verwendung hinweisen: Marshand, Hermesfinger, Rauchkraut. Wenn man dieses Kraut am Mittag zwischen 11 und 12 Uhr pflückt und an die Stalltür nagelt, so schützt es vor Hexerei, so erzählt die Sage. Oft war das Kriechende Fingerkraut Bestandteil von Räucherpulvern, mit denen man räucherte, um böse Geister zu vertreiben. Die Kirche hat den wohl uralten Brauch übernommen: man wand aus dem Kraut Kränzchen, brachte sie in die Kirche, wo sie die acht Tage vor Fronleichnam hängen blieben. Bei der Fronleichnamsprozession wurden diese »Rauchkränzlein« mitgetragen.

Das Kriechende Fünffingerkraut wird öfter mit der Blutwurz verwechselt. Das Kriechende Fünffingerkraut hat langgestielte Blätter, die wie eine Hand fünffingrig aufgeteilt sind. Ihr Rand ist auffällig gekerbt und gesägt. Es bildet kriechende, bis zu einem Meter lange Stängel, die sich an den Knoten immer wieder bewurzeln. Es blüht von Mai bis August mit fünfzähligen goldgelben Blüten, die einzeln auf den langen Stängeln sitzen.

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