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2.2. Wahl der Korpora

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Den Untersuchungsstand der vorliegenden Arbeit bilden die Funktionsverbgefüge Frage stellen, Antwort geben und Entscheidung treffen sowie ihre polnischen Äquivalente zada(wa)ć pytanie, da(wa)ć odpowiedź und podjąć/podejmować decyzję. Für die Beantwortung der Forschungsfragen zu Funktionen von deutschen und polnischen Funktionsverbgefügen im Textzusammenhang soll im Folgenden eine geeignete und vergleichbare Datengrundlage in Form von deutschen und polnischen Korpora ausgewählt werden.

Die Frage nach den Funktionen von Funktionsverbgefügen im Text bezieht sich auf die Kritik am Gebrauch von Funktionsverbgefügen seit Wustmanns Stilkunde aus dem Jahre 1891, die gegenwärtig auf Schreibblogs, in universitären Richtlinien zum Verfassen wissenschaftlicher Arbeiten als auch in modernen Textanalysetools im WWW rezipiert wird (vgl. Wustmann 1891: 416ff.; Reiners 1943–2009; Mackowiak 2011: 72; Textwende: Schreibtipps1; TU Braunschweig: Gestaltungsrichtlinien2, Textanalysetool"3; s. Kap. 1.2.1). Funktionsverbgefüge werden dort als schlechter und unverständlicher Behördenstil abgetan (vgl. z.B. Reiners 2009: 72; Textwende: Schreibtipps4) und auch in der linguistischen Forschungsliteratur werden Funktionsverbgefüge, wie Frage stellen, mit einem öffentlichen und amtlichen Sprachduktus in Verbindung gebracht (vgl. grammis online 20195; Hoffmann 2017: 225; Heringer 2014: 115). Funktionsverbgefüge kommen zwar z.B. in Gesetzestexten (Seifert 2004, Crestani 2013, Storrer 2013), politischen (Panzer 1986), wissenschaftlichen (Richter 1988) und wirtschaftlichen Texten (Schaarschuh 1990, Marušić 2012) vor, sie werden aber auch in einer Vielzahl stilistisch unterschiedlicher Textsorten verwendet, wie z.B. in Zeitungstexten (Schmidt 1968, Popadić 1971), literarischer Prosa (Daniels 1963, Storrer 2013) und in der Online-Enzyklopädie Wikipedia (Storrer 2013), d.h. jede dieser Text(sort)en würde für die Untersuchung von Funktionsverbgefügen in Frage kommen, sofern vergleichbare deutsche und polnische Korpora existieren. In diesem Zusammenhang erscheint die Online-Enzyklopädie Wikipedia besonders interessant, denn als weltweit größte multilinguale Online-Wissensressource bildet die Wikipedia eine wesentliche Quelle der gegenwärtigen Informationsbeschaffung im Internet und ist in Form von mehrsprachigen Korpora verfügbar (vgl. Cölfen 2012: 512f.; Pscheida 2010: 336, Mederake 2016, van Dijk 2010: 86; Lih 2009; Tiedemann 2012; Wołk/ Marasek 2014, Margaretha/Lüngen 2014). Als Online-Enzyklopädie, bei der unter Voraussetzung einer Registrierung ein Jeder mitwirken kann, ist die Wikipedia ein kollaboratives und gemeinnütziges Schreibprojekt auf ehrenamtlicher Basis, bei dem der Textproduktionsprozess einer ständigen Aushandlung innerhalb der Wikipedia-Community unterliegt (Mederake 2016: 179). Die Wikipedia existiert in insgesamt 302 Sprachversionen (Wikipedia: Sprachen6). Die deutsche Version hat nach der englischen und schwedischen die meisten Artikel (Wikipedia: Statistik – Vergleich verschiedener Sprachversionen),7 d.h. es werden sehr große und frei verfügbare Datenmengen auch für die Wissenschaft bereitgestellt, sodass die Wikipedia in unterschiedlichen humanwissenschaftlichen Forschungsrichtungen untersucht wird (vgl. Pscheida 2010: 334), z.B. zum Kooperations- sowie Konfliktlösungsverhalten im Wikipedia-Sozio-System (Wilkinson/Hubermann 2007, Matei/Dobrescu 2006), zur Motivation und Partizipation der Verfasser und Verfasserinnen (Hassel 2007, Möllenkamp 2007), zur Qualität der Wikipedia-Artikel (Blumenstock 2008, Stvilia et al. 2005) sowie zur Wikipedia als Lern- und Lehrplattform für (auto)didaktische Zwecke (Jaschniok 2007, Büffel/Pfeil/Schmalz 2007, Wolf 2007; s.a. den Forschungsstand zur Wikipedia: Wikipedistik8). Für die Linguistik ist die Wikipedia aber nicht nur wegen der verfügbaren Datenmassen und verschiedenen Sprachversionen interessant, sondern auch als Textsorte Enzyklopädie-Artikel, die in einem Aushandlungsprozess der Verfasser und Verfasserinnen als kollaborative Schreibpraxis im Internet entsteht und dieser in der Versionengeschichte und in Diskussionsseiten zu einzelnen Artikeln nachverfolgt werden kann (vgl. Gredel/Mell 2018, Gredel 2018a, b, c). Wikipedianer*innen diskutieren beispielsweise über die Konzeption oder die Struktur von Wikipedia-Artikeln und passen die Inhalte gegebenenfalls an (vgl. Stvilia et al. 2005: 17; van Dijk 2010). Wikipedia-Daten, denen auch Angaben zu Benutzern und Benutzerinnen, wie z.B. der Status innerhalb der Community oder die Anzahl verfasster Artikel, entnommen werden können, eignen sich für diskurslinguistische Fragestellungen nach Macht- und Aushandlungsprozessen in komplexen Sozio-Systemen (vgl. Gredel/Mell 2018, Gredel 2018a, b, c). Zudem gehören Wikipedia-Texte durch ihre Lokalisierung im WWW zu Hypertexten, in denen verschiedene Phänomene internetbasierter Kommunikation, wie z.B. Verlinkungen und Emoticons, aber auch multimodale Elemente in Form von Sprach- und Videoaufnahmen zu finden sind (vgl. Storrer 2018a, b; Gredel/Herzberg/Storrer, 2018; Wikipedia: Artikel mit Video9). Beim Verfassen der Artikel befolgen die Wikipedianer und Wikipedianerinnen Konventionen, die in den Wikipedia-Guidelines zusammengefasst werden und neben Informationen zur Zitierweise oder Angaben zur angemessenen Länge von Artikeln auch Richtlinien zur Verständlichkeit beinhalten (Wikipedia: Wie schreibe ich gute Artikel10):

Ein guter Artikel in Wikipedia soll verständlich sein. Überprüfe neue Artikel oder Änderungen auf allgemeine Verständlichkeit, siehe Checkliste Verständlichkeit. Menschen ohne einschlägige fachliche Vorbildung sollen einen Artikel, zumindest aber die zusammenfassende Einleitung verstehen können. Zur Verständlichkeit erforderliche Erklärungen sollen direkt im Artikel gegeben werden. Verweise geben weiterführende und vertiefende Informationen zum Thema. Artikel, auf die verwiesen wird, sollten ebenfalls verständlich sein. (Wikipedia: Allgemeinverständlichkeit; Hervorhebung im Original11)

Die Richtlinien zur Allgemeinverständlichkeit in Wikipedia-Artikeln beziehen sich auf die Grundsätze des Hamburger Verständlichkeitskonzepts, das z.B. auf die Einfachheit im Ausdruck, die Gliederung des Textes sowie auf die Kürze und Prägnanz der Produktion eines verständlichen Textes setzt (Tausch/Langer/Schulz von Thun 2015; Wikipedia: Hamburger Verständlichkeitskonzept12). Die Qualität sowie die Verständlichkeit der Wikipedia-Artikel konnte nicht nur durch empirische Studien belegt werden (Kurzidim 2004, Wiegand 2007), sondern lässt sich auch mit Klickzahlen im Internet in Verbindung bringen: Neben anderen Online-Diensten wie Google, Facebook oder Amazon gehört die Wikipedia zu den meistaufgerufenen Seiten im WWW der Gegenwart und besetzt Platz 5 (vgl. Wikipedia: Liste der meistaufgerufenen Websites13) bzw. Platz 7 (Chip: Die meistgeklickten Webseiten der Welt14) der weltweiten Ranglisten. Würden Funktionsverbgefüge, wie von Stil- und Schreibratgebern behauptet wird (vgl. Mackowiak 2011: 72), Texte unverständlich machen, dann dürften die schwülstigen Umschreibungen (zitiert nach Daniels 1963: 9f.) nicht in Wikipedia-Artikeln vorkommen. Aus der Korpusstudie von Storrer (2013) geht jedoch hervor, dass die dort untersuchten Funktionsverbgefüge Abbitte leisten, Absage erteilen, Anwendung finden, Entscheidung treffen und Kritik üben im Wikipedia-Korpus sogar häufiger vorkommen als im Vergleichskorpus mit juristischen Texten (vgl. Storrer 2013: 197). Durch den Bezug zu linguistischen Verständlichkeitskonzepten und dem Vorkommen von Nomen-Verb-Verbindungen eignen sich Wikipedia-Artikel hervorragend als Datengrundlage für die Erforschung von Funktionsverbgefügen bezüglich ihrer Leistungen im Textzusammenhang.

Für die Vergleichssprachen der vorliegenden Untersuchung Deutsch und Polnisch15 sind zwei Arten von Korpora mit Wikipedia-Artikeln verfügbar, nämlich die Parallelkorpora der Korpus-Plattform OPUS (Tiedemann 201216; Wołk/Marasek 2014) mit Wikipedia-Artikel-Korpora in 20 Sprachen17 – darunter sind beispielsweise Arabisch, Russisch und Vietnamesisch sowie Englisch, Französisch, Deutsch und Polnisch – und die Vergleichskorpora des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache,18 die mit dem Deutschen in insgesamt neun Sprachversionen zur Verfügung stehen, und zwar in Englisch, Spanisch, Französisch, Italienisch, Norwegisch, Kroatisch, Ungarisch und Polnisch (Margaretha/Lüngen 201419).

Die Parallelkorpora der OPUS-Plattform basieren auf maschinellen Übersetzungen von Originaltexten in eine bzw. mehrere Zielsprachen (Wołk/ Marasek 2014) und eignen sich für Fragestellungen, die sich beispielsweise auf die Ausprägung einer sprachlichen Form bzw. Mehrworteinheit in verschiedenen Sprachsystemen befassen, z.B. wie die Konstruktion Frage stellen im Polnischen widergegeben wird und ob es unterschiedliche Übersetzungsvarianten gibt, was an den folgenden Beispielen aus Linguee demonstriert wird (Hervorhebung S.K.)20

1 Deutsch: Eine Frage stellt sich natürlich immer wieder, nämlich, ob die humanitäre Hilfe die Richtigen erreicht, und hier spielt Transparenz eine sehr wichtige Rolle.Polnisch: Oczywiście rodzi się jedno pytanie – pytanie zadawane od dawna – o to, czy pomoc humanitarna dociera do rzeczywistych odbiorców, przejrzystość odgrywa tu bardzo ważną rolę.

2 Deutsch: Wenn ihm eine Frage gestellt wird, sollte ein Präsident versuchen, sie irgendwie zu beantworten und eine mutige Entscheidung treffen: Er sollte sagen „Ich bin dafür” oder „Ich bin dagegen” und dies begründen.Polnisch: Gdy słyszy pytanie, powinien spróbować na nie odpowiedzieć i podjąć odważną decyzję: oświadczyć „Jestem za” lub „Jestem przeciw”, po czym wyjaśnić, dlaczego.

In keiner der polnischen Übersetzungen erscheint das Funktionsverbgefüge Frage stellen als Nomen-Verb-Verbindung: In (1) wird das Funktionsverbgefüge Frage stellen mit rodzić pytanie übersetzt, was wörtlich ‚eine Frage gebären‘ bedeutet (vgl. Pons online: rodzić21). In (2) wird Wenn ihm eine Frage gestellt wird mit Gdy słyszy pytanie wiedergegeben, was wörtlich ‚wenn er eine Frage hört‘ bedeutet, d.h. in Übersetzung (2) ist kein Funktionsverbgefüge vorhanden, sondern nur das Nomen Frage ‚pytanie‘. Das deutsche Funktionsverbgefüge Frage stellen kann also je nach kontextuellen Erfordernissen auch mit anderen sprachlichen Mitteln übersetzt werden (vgl. Kvam 2010: 55). In Übersetzungen kann es zudem zur Übertragung von Strukturen der Ausgangssprache auf die Zielsprache als Shining-through-Effekte kommen (Teich 2003: 61; Hansen 2006: 115), was sich auf Untersuchungsergebnisse auswirken kann. Die Wikipedia-Übersetzungsmaschine der OPUS-Plattform wird außerdem von den Entwicklern als weiter verbesserungsfähig im Vergleich mit menschlichen Übersetzungen eingestuft (Wołk/ Marasek 2014: 131), was auf zusätzliche Fehlerquellen schließen lässt. Da in der vorliegenden Arbeit deutsche und polnische Funktionsverbgefüge auf systematisierbare Funktionen im Textzusammenhang im jeweiligen sprachlichen Einzelsystem untersucht werden, wären mögliche Übersetzungsvarianten, Shining-through-Effekte sowie maschinelle Übersetzungsfehler Störfaktoren in der Untersuchung, sodass ich mich für die Zwecke der vorliegenden Arbeit für Vergleichskorpora entscheide.

Bei Vergleichskorpora handelt es sich um Sammlungen von Originaltexten in verschiedenen Sprachen zu „einem vergleichbaren Diskursbereich“ (Lemnitzer/ Zinsmeister 2015: 138), d.h. zu einem gemeinsamen Thema bzw. zu einer Textsorte, wie z.B. einem deutschen (Wikipedia: Krim22) und einem polnischen Original-Artikel zur Krim (Wikipedia: Krym23), die keine Übersetzungen voneinander sind und (vermutlich) von unterschiedlichen menschlichen – und ausdrücklich nicht maschinellen – Textproduzenten und -produzentinnen verfasst wurden.24 Da ich an natürlicher und von anderen Sprachen unabhängiger Sprachproduktion interessiert bin, fällt die Wahl für die Untersuchung von deutschen und polnischen Funktionsverbgefügen im Textzusammenhang auf die Wikipedia-Vergleichskorpora des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache, die in weitere Subkorpora,25 z.B. nach ihrem Entstehungsjahr unterteilt werden (COSMAS II: Wikipedia-Korpora26). Das deutsche Wikipedia-Artikelkorpus existiert zum Zeitpunkt der Datenerhebung (Mai bis November 2018) in den Versionen der Entstehungsjahre 2013, 2015 und 2017. Das polnische Subkorpus ist zum Erhebungszeitpunkt jedoch nur in den Versionen aus den Jahren 2013 und 2015 verfügbar, sodass für die zeitliche Konsistenz der Datengrundlage die Wikipedia-Subkorpora aus dem Jahr 2015 für beide Sprachen ausgewählt wurden (vgl. Kupietz et al. 2018). Das deutsche Wikipedia-Artikel-Korpus (WPD15) setzt sich aus 1 802 682 Texten und 824 692 227 Textwörtern zusammen, das polnische Korpus (WPP15) enthält 1 105 401 Texte und 282 995 410 Textwörter. Das polnische Wikipedia-Korpus ist demzufolge deutlich kleiner als das deutsche, was in Bezug auf die quantitativen und qualitativen Ergebnisse der Ergebnisse zu berücksichtigen ist.

Als Datengrundlage für die Untersuchung der Funktionsverbgefüge Frage stellen, Antwort geben und Entscheidung treffen sowie der polnischen Äquivalente wurden die Wikipedia-Artikel-Korpora des IDS aus dem Entstehungsjahr 2015 ausgewählt. Wikipedia-Artikel eignen sich für die vorliegende Untersuchung von Funktionsverbgefügen im Textzusammenhang, weil die Artikel auf linguistischen Konzepten zur Verständlichkeit von Texten basieren. Im nächsten Abschnitt gehe ich auf die weitere Vorgehensweise bei der Datenerhebung sowie die Analysemethoden der vorliegenden Arbeit ein.

Leistungen von Funktionsverbgefügen im Text

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