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2.1. 1. Wie sich Stilratgeber Funktionsverbgefügen gegenüber positionieren

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Die Stilistik blickt auf eine jahrzehntelange Tradition der Abwertung von Funktionsverbgefügen in Stil- und Schreibratgebern zurück. Bereits 1963 fassen Daniels und von Polenz abwertende Bezeichnungen aus verschiedenen Stilratgebern – darunter Wustmann (1891), Engel (1931) und Reiners (1945) – zusammen, wie z.B. aufgeblähte Wendungen, Sprachbeulen, Verbsurrogate, unechte Zeitwörter, Zeitwortattrappen, Abklatschwörter und schwülstige Umschreibungen – wer Funktionsverbgefüge verwendet, der leide zudem an einer Dingwortseuche oder Verbaphobie (Daniels 1963: 9f.; von Polenz 1963: 11; s.a. Wustmann 1891: 416). Trotz zahlreicher linguistischer Publikationen zu Funktionsverbgefügen, in denen Linguisten und Linguistinnen der Kritik am Gebrauch von Funktionsverbgefügen seit den Arbeiten von Kolb (1963), v. Polenz (1963) und Daniels (1963) mit Untersuchungsergebnissen entgegnen – Funktionsverbgefüge zeichnen sich durch semantische, syntaktische und kommunikative Funktionen aus (u.a. Schmidt 1968, Klein 1968, von Polenz 1987, Heine 2006, Storrer 2013; s. Kap. 1.2.3) –, wird die Abwertungstradition in der Ratgeberliteratur bis in die Gegenwart weitergeführt:

Die einfachste Spielart der Hauptwörterkrankheit sind die Streckverben. Jedes Verbum kann man auseinanderstrecken, indem man das Verbum in ein Hauptwort verwandelt und ein farbloses Zeitwort hinzufügt. […] Namentlich Menschen, die von Natur Langweiler und Kanzleiräte sind, neigen zu dieser Form der Hauptwörterei. Sie sind zu faul, um zu besprechen, zu prüfen und zu entscheiden. Sie treten in Erwägungen ein, sie nehmen die Sache in Bearbeitung, sie stellen etwas unter Beweis […] und fällen schließlich – so Gott will – eine Entscheidung. Meiden Sie die Streckverben! (Reiners 2009: 72)

In der 37. Auflage von Reiners Stilfibel (2009) wird nicht nur weiterhin für das Vermeiden von Streckverbgefügen plädiert, es zeigt sich darüber hinaus, dass sich die Forderung Reiners „Meiden Sie die Streckverben“ auch in anderen Ratgebern, wie z.B. bei Mackowiak (2011) und List (2013), wiederfindet:

Funktionsverbgefüge (veraltet auch Streckformen) nennt man diese Ausdrücke. Sie machen einen Text etwas weniger verständlich, weil sie vom Leser verlangen, erst einmal die Beziehung zwischen dem Verb und dem Substantiv nachzuvollziehen: Wen stelle ich an? Überlegungen. Das wäre beim einfachen Verb überlegen gar nicht nötig. Hier wird nur aufgebläht. (Mackowiak 2011: 72)

Mehr Verben, weniger Substantive: Handlungen werden durch Verben wiedergegeben. Verben sind frisch, farbig, lebendig und anschaulich. Sätze mit vielen Hauptwörtern sind ermüdend. […] Diese Verben nennt man Streckverben: in Erwägung ziehen erwägen, Verzicht leisten verzichten […] Bei diesen Verben können wir Zeit sparen, wenn wir die Vorsilbe weglassen, denn sie ist überflüssig. (List 2013: 12)

Reiners (2009), Mackowiak (2011) und List (2013) zufolge machen Funktionsverbgefüge Texte weniger verständlich, werden nur von Langweilern und Kanzleiräten gebraucht und sollen vermieden werden. Die Kritik am Gebrauch von Funktionsverbgefügen schlägt sich gegenwärtig jedoch nicht nur in Schreibratgebern in Printform nieder, sondern sie breitet sich nun auch im Internet aus: Auf Schreibblogs, Webseiten von Universitäten und in modernen Textanalysetools finden sich Ratschläge zur Vermeidung von Nomen-Verb-Verbindungen beim Verfassen von Texten, vgl. das folgende Beispiel aus der Zeit online:

Abbildung 5:

Zeit online – deutsche Stilkunde

So schreibt die Zeit online unter dem Titel „Die Krone der Hässlichkeit“, Funktionsverbgefüge gehörten zum „Bürokratenjargon“ und werden als „schwer verständliches abstoßendes Deutsch“ abgetan – anzeigen sei anstelle von zur Anzeige bringen „sowieso das bessere Deutsch“ (Zeit online: Lektion 12 – Sätze und Nominalstil1; Abbildung 5). Die Schreibblogs „Textwende“ und „Die Brief-Profis“ vergleichen Funktionsverbgefüge mit mittelalterlicher Folter: „Im Mittelalter wurden Menschen unter Schmerzen auf der Streckbank in die Länge gezogen. Heute werden nur noch Verben gewalttätig verlängert“ (Abbildung 6) und „Streckverb klingt so nach Folter“ (Abbildung 7). Verdeutlicht wird dieses Sinnbild durch die Illustration in Abbildung 6, in der eine Figur in die Länge gezogen wird und um Hilfe ruft. Begleitet werden derartige Äußerungen von dem Ratschlag, Funktionsverbgefüge, wie z.B. eine Änderung vornehmen oder eine Feststellung machen, durch Verben, wie ändern oder feststellen, zu ersetzen:

Abbildung 6:

Textwende – Schreibtipps: Besser schreiben mit Verben2

Abbildung 7:

Die Brief-Profis – Behördendeutsch in verständliche Sprache umwandeln3

Wie bei Reiners (2009), Mackowiak (2011) und List (2011) werden Funktionsverbgefüge auf Schreibblogs im Internet als Behördendeutsch abgetan und sind „kraftlos und abstrakt“ (Textwende: Schreibtipps4). Durch die Substitution der Gefüge mit den entsprechenden Basisverben sollen die Texte wieder in „verständliche Sprache“ (Die Brief-Profis: Behördendeutsch) übersetzt werden, wodurch impliziert wird, dass Texte mit Funktionsverbgefügen weniger oder nicht verständlich sind.

Zudem ist zu beobachten, dass die Ratschläge zur Vermeidung von Funktionsverbgefügen auch in den universitären Bereich dringen, denn verschiedene Universitäten raten ihren Studierenden zum Verfassen von Abschlussarbeiten, auf Funktionsverbgefüge zu verzichten und sie mit dem Basisverb zu ersetzen, vgl. die folgenden Abbildungen:

Abbildung 8:

TU Braunschweig – Gestaltungsrichtlinien für wissenschaftliche Ausarbeitungen des Instituts für Bauwirtschaft und Baubetrieb5

Abbildung 9:

TU Chemnitz – Workshop zu wissenschaftlichem Arbeiten und Schreiben6

In den Gestaltungsrichtlinien für wissenschaftliche Ausarbeitungen des Instituts für Bauwirtschaft und Baubetrieb der TU Braunschweig (Abbildung 8) sowie in einem Workshop zu wissenschaftlichem Schreiben der TU Chemnitz (Abbildung 9) findet sich der Ratschlag verankert, Funktionsverbgefüge, wie unter Beweis stellen und eine Analyse durchführen, mit Basisverben, wie beweisen und analysieren, zu ersetzen. Funktionsverbgefüge sollen als Sprachmüll vermieden werden. Interessant ist, dass es sich bei der TU Braunschweig und der TU Chemnitz um technische Universitäten handelt, die Funktionsverbgefüge für wissenschaftliche Ausarbeitungen vermeiden wollen, denn Untersuchungen zu Funktionsverbgefügen hinsichtlich ihrer Textsortenspezifik zeigen, dass Funktionsverbgefüge häufig in technischen und wissenschaftlichen Texten verwendet werden (vgl. Vigašová 1968, Richter 1988) und werden als geradezu typisch für diese Textsorten gehandhabt. Der Grund dafür wird in den Leistungen von Funktionsverbgefügen zur Terminologiebildung gesehen, denn z.B. Transportarbeit bzw. gute Vorarbeit leisten oder Sicherheitsmaßnahmen treffen (Popadić 1971: 56/57) haben eine fachspezifische Bedeutung, die mit einem einfachen Verb nicht ausgedrückt werden kann (vgl. Popadić 1971: 56; s. Kap. 1.2.3). Deswegen ist es verwunderlich, dass gerade technische Universitäten in Workshops und Richtlinien zu gutem wissenschaftlichem Stil davon abraten, Funktionsverbgefüge zu verwenden.

Auffällig ist an der Kritik aus dem Internet, dass sich der Wortlaut der frühen Stilkunde wiederholt, vgl. z.B. aufgeblähte Wendungen (zitiert nach Daniels 1963: 9) oder Blähverben (List 2013: 12) mit „Gemeint sind Verben, die sich mit einem Substantiv aufblähen“ (Die Brief-Profis: Behördendeutsch7). Es entsteht der Eindruck, die Ratschläge der Autoren und Autorinnen lassen sich auf Wustmanns Stilkunde „Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen“ aus dem Jahre 1891 zurückführen, in der er den Verbsurrogaten ein Kapitel widmet und sie als „Schwulst“ bezeichnet (Wustmann 1891: 416ff.):

Abbildung 10:

Wustmann (1891: 417)

Auf Wustmann (1891) basierende Ratschläge zur Vermeidung von Nomen-Verb-Verbindungen finden sich aber nicht nur in der Ratgeberliteratur zum Verfassen von guten (wissenschaftlichen) Texten, sondern auch in modernen Online-Anwendungen zur automatischen Textprüfung, in die Ratschläge zur Vermeidung von Funktionsverbgefügen eingespeist werden. Der Benutzer oder die Benutzerin gibt einen beliebigen Text in ein Textfenster des Analysetools im Internet ein und wird ggf. durch eine Warnung auf einen Fehler oder ein Problem im Text aufmerksam gemacht. Der Text soll anschließend entsprechend überarbeitet werden. Um dies zu demonstrieren, habe ich die konstruierten Sätze Dass ich heute eine Entscheidung treffen muss, steht fest und Dass sie heute eine Frage stellt, war klar in die Online-Anwendungen „Textanalysetool“ und „Wortliga“ zur Überprüfung eingegeben.

Abbildung 11:

Entscheidung treffen im „Textanalysetool"8

Abbildung 12:

Frage stellen im Textanalysetool "Wortliga"9 (Hervorhebung S.K.)

Die eingegebenen Sätze Dass ich heute eine Entscheidung treffen muss, steht fest und Dass sie heute eine Frage stellt, war klar werden von beiden Programmen als einfach eingestuft (s. rechte Seite in Abbildung 11 und Abbildung 12). Interessant sind dabei die Fehlermeldungen der Softwaresysteme, denn beide Programme stufen die Funktionsnomen Entscheidung und Frage als problematisch ein und fordern die Benutzer*innen zur Vermeidung des Nominalstils bzw. zur Suche nach Synonymen auf (s. rechte Seite in Abbildung 11 und Abbildung 12), obwohl die Nomen Entscheidung und Frage als Grundwortschatz des Deutschen eingestuft werden können (vgl. Klein 2013: 41). Daraus kann geschlussfolgert werden, dass Wustmanns Sprachkritik aus dem Jahre 1891 auch in Online-Softwaresystemen zur automatischen Textprüfung im Internet des 21. Jahrhunderts Anwendung findet.

Die abwertenden Kommentare zu Funktionsverbgefügen in Stilkunden des 19. und 20. Jahrhunderts finden sich in gegenwärtigen Schreibratgebern on- und offline wieder. Betroffen sind im Internet verschiedene Schreibblogs, Websites von Universitäten sowie automatische Korrekturhilfen im Internet: Die Konstruktionen seien hässlich, zu lang; sie würden den Text aufblähen und ihn weniger verständlich machen. Zusätzlich fordern die Ratgeber*innen dazu auf, Funktionsverbgefüge durch entsprechende Basisverben zu ersetzen, d.h. die Ratschläge beziehen sich auf die Ebene des Textes in Bezug auf Produktion und Rezeption. Weil das Produzieren und Rezipieren von Texten zu den Zielkompetenzen im Fremdsprachenunterricht gehören, werden im Folgenden Lehrwerke für den DaF-Unterricht auf die Thematisierung von Funktionsverbgefügen überprüft.

Leistungen von Funktionsverbgefügen im Text

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