Читать книгу Störtebekers Erben - Susanne Ziegert - Страница 16
Kapitel 11
ОглавлениеSie hatten ihm tatsächlich Handschellen angelegt. Mit den Händen auf dem Rücken war es mühsam, die ausgetretene Holztreppe am Turm hinabzugehen. Gegenüber dem gepflasterten Platz stand der Hubschrauber startbereit auf der Wiese. Paul hatte den tosenden Fluglärm gehört, als er noch beim Frühstück saß, und sich gefragt, ob es irgendeinen Notfall gab. Dann war alles ganz schnell gegangen.
Die von Menkendorf und ihr etwas kurz geratener Kollege, dessen Namen er vergessen hatte, standen vor ihm und hatten ihm erklärt, dass er festgenommen sei und nach Hamburg überstellt werde. Der Polizist half ihm, in den Hubschrauber einzusteigen, löste seine Handschellen, um ihn anzuschnallen, und fixierte ihn dann am Sitz. Ihm gegenüber nahm die Menkendorf Platz, an seiner Seite deren jüngere Kollegin.
Der Hubschrauber stieg senkrecht in die Höhe, bis er sich weit über der grünen Spitze des Turms befand, drehte einen Kreis in Richtung der nördlich gelegenen Vogelinseln Scharhörn und Nigehörn, die unter ihnen gelblich aus dem Wattenmeer ragten. Hunderte von Vögeln waren, von ihrer Ankunft aufgeschreckt, losgeflattert und flüchteten sich in einer beeindruckenden V-Formation in die Ferne. Der Pilot drehte über die grau-silbern glitzernde Landschaft in Richtung Festland ab. Paul sah hinab auf das Meer, das gerade begonnen hatte, sich zurückzuziehen, und die kleine grüne Erhebung mit dem roten Turm. Insel meiner Hoffnung – er lächelte bitter. Wie kurz hatte er vor dem Ziel gestanden, und nun?
Unter anderen Umständen hätte er den komfortablen und schnellen Transport in seine Heimatstadt durchaus geschätzt. Aber mit den Handschellen am Sitz fixiert war ein Helikopterflug nicht wirklich ein Vergnügen. Er sah zur Kommissarin gegenüber, die mit unbewegtem Gesicht in einem Aktenordner las. Die hatte sich in ihn als Verdächtigen Nummer 1 verbissen.
Sie hatte ihn mit nüchternem Magen schon vor dem Frühstück zur ersten Vernehmung gebeten und ihn später verhaftet, nachdem ihn mehrere Menschen durch die Tür hindurch angesehen und heftig genickt hatten. Offenbar hatten die ihn am Todesabend von Hein gesehen, er hatte daher auch nicht länger seine zwei Besuche auf dem Friedhof geleugnet. Sie wollte ihm jedoch nicht glauben, dass er Peter Hein bei seinem zweiten Grabungsversuch an dem Abend dort tot aufgefunden hatte.
Er musste an Störtebeker denken, der vor über 600 Jahren ebenso unfreiwillig die Reise nach Hamburg angetreten hatte. Das war zumindest eine der unzähligen Geschichten, die über den Piraten erzählt wurden. Einer der Überlieferungen zufolge soll der Anführer der Vitalienbrüder im April 1401 bei Helgoland seinen Verfolgern wortwörtlich ins Netz gegangen sein, nachdem ein Verräter flüssiges Blei in die Schiffssteuerung gegossen hatte und die Kogge danach manövrierunfähig war. Die Soldaten der Hanse hatten das Schiff geentert und ein Netz über den gefürchteten Kämpfer geworfen, um ihn so außer Gefecht zu setzen. Nach der Ergreifung hatten sie ihn im Keller des Neuwerker Turms eingesperrt, bevor er seine letzte Reise zur Hinrichtung auf dem Grasbrook in Hamburg antrat.
Wie gut, dass das Mittelalter vorüber war, so musste Paul zumindest nicht mit Ketten an den Füßen herumlaufen. Er fragte sich, ob er die U-Haft auch Margo zu verdanken hatte. Schließlich hatte die Pittbull-Frau sie auch in die Mangel genommen und war nicht gerade zimperlich, diese ehrgeizige Karrieristin. Wollte ihren adligen Namen wohl in Kürze durch den davorstehenden Dienstgrad Hauptkommissarin aufpolieren.
Er dachte wieder an Margo und bedauerte, dass er sich von der Insel entfernen musste. Sie war seine absolute Traumfrau. Er dachte an den tiefgründigen Blick ihrer blauen Augen und ihre seidigen langen Haare, die ihr wie ein glänzender Umhang über den Rücken fielen, an ihre weibliche Figur. Er hatte noch nie solche hageren Emanzen, wie die Kommissarin eine war, gemocht, die sicher ihren Körper durch stundenlanges Training im Fitnessstudio und Marathons stählte. Wie anders war doch Margo, einerseits sehr weiblich, ein Genussmensch mit einer leicht extravaganten Note, wie ihre Kleidung verriet. Gleichzeitig war sie hochintelligent, witzig und schlagfertig, er musste beim Gedanken an seinen nächtlichen Besuch lächeln. Naiv war sie wirklich nicht, und irgendetwas führte sie im Schilde, diese geheimnisvolle erotische Frau.
Und wenn sie ihn verraten hatte, dann würden die Bullen bald mit Heins Karte wedeln, oder? Er hatte ein Gespräch mitgehört, das sie mit der Kommissarin geführt hatte, und sie hatte sich nicht im geringsten die Butter vom Brot nehmen lassen.
Doch wie waren sie sonst auf ihn als ihren Hauptverdächtigen gekommen und hatten die Gegenüberstellung und eine Hausdurchsuchung machen können? Dabei hatten sie das Geld gefunden, das er in seiner grenzenlosen Dämlichkeit mit einer Quittung von Hein in seiner Tasche liegen lassen hatte. Er ärgerte sich über seine eigene Nachlässigkeit.
Natürlich wären 50.000 Euro wohl für den einen oder anderen ein Motiv. Das wäre mehr als sein offizielles Jahreseinkommen. Gebrauchen konnte er dieses Geld natürlich, seine Forschungen und Expeditionen verschlangen Unsummen und er musste immer neue Finanzquellen anzapfen. Doch diese entsetzliche Grausamkeit des Mörders, niemals wäre er dazu in der Lage, auch nicht für den größten Fund seines Lebens.
Unablässig dachte Paul über ein Detail nach. Warum war der Leichnam auf diese Weise zugerichtet und genau dort abgelegt worden? Er dachte an den aufgespießten Kopf und fragte sich, ob sich dahinter eine Botschaft an ihn verbarg. Hatte es etwas mit seiner Suche zu tun, wollte der Täter eine Warnung abgeben oder Mitwisser vernichten? Dann war er selbst in Gefahr.