Читать книгу Störtebekers Erben - Susanne Ziegert - Страница 18
Kapitel 13
ОглавлениеMargo passte David ab, als dieser gerade mit einem kleinen Grüppchen Touristen mit Eimerchen und Schaufel von einer Wattwandertour zurückkehrte. Aus dem Fenster der Pensionsküche hatte sie ihn mit einigen Menschen in bunter Regenkleidung im Watt gesehen, das ohne Sonne und im Nieselregen wirkte wie ein ausgedehntes Schlammfeld. Keine zehn Pferde hätten sie bei dem Wetter mit nackten Füßen dort hineingebracht. Doch bei den Touristen waren die Wattwanderungen ein Renner. Etwas selbstironisch hatte David im Programm des Nationalparkhauses eine Safari zu den »Small Five« angekündigt und führte den Besuchern fünf kleine Tierarten vor, die im Meeresboden lebten. Margo fand die Idee ausgesprochen witzig, denn es war die ironische Antwort auf die Werbung afrikanischer Nationalparks, wo es die »Big Five« zu sehen gab. Wie viel Bitterkeit dahinter steckte, wusste sie seit ihrem ersten Nachbarschaftsbesuch. Sie hatte sich die Ausstellung angesehen und wollte sich bei ihrem Nachbarn vorstellen, um sich für die einsamen Monate vorzubereiten. David hatte sie freundlich begrüßt und spontan auf einen Tee im Dachgeschoss eingeladen, wo er ein Teleskop aufgestellt hatte, um die Sterne zu beobachten. Er war neben dem Inselkaufmann Peter Hein ihr nächster Nachbar, das Nationalparkhaus befand sich keine 50 Meter entfernt auf der anderen Seite des Mittelweges, der die Insel durchschnitt. In den unteren Räumen befand sich eine Dauerausstellung mit ausgestopften Vogelarten, Schaubildern über das Watt, einem Aquarium und einer kleinen Ausstellung über den Klimawandel arrangiert um einen Pappeisbären, der auf einem Bein auf einer winzigen Eisscholle stand. In der Etage darüber hatte die Stadt eine Wohnung für den Ranger und Chef des Nationalparkhauses eingerichtet.
Sie waren ins Gespräch gekommen und hatten mehrere Stunden lang über die Insel diskutiert und darüber, wie es sie beide hierher verschlagen hatte.
Schon als kleines Kind hatte er die Sendungen mit dem berühmten Naturfilmer Sielmann verfolgt. Antilopen, Giraffen, Elefanten oder gar der König der Tiere, der Löwe – die afrikanischen Großen Fünf waren sein Lebenstraum. Und er hatte alle Voraussetzungen, sich diesen zu erfüllen. Denn gerade, als er als bester Absolvent Studium und Promotion abgeschlossen hatte, wurde die Stelle im südafrikanischen Hagalugu-Nationalpark frei, ein internationales Naturschutzprojekt unter deutscher Führung. Im gleichen Jahr hatte sich auch eine Kommilitonin beworben, die nur mittelmäßige Noten mitbrachte, allerdings die Nichte des Umweltministers war. Also wurde mit der Frauenförderung argumentiert – und David hatte das Angebot auf der Insel in der Nordsee bekommen, das er nach langem Überlegen angenommen hatte. »Ein Heimkind hat eben keine Chancen in dieser Gesellschaft, sich selbst zu verwirklichen«, hatte er geklagt, und sie wollte lieber nicht genauer nachfragen. Das schien ein schmerzhaftes Kapital seiner Vergangenheit zu sein. Statt Löwe und Nashorn führte er nun Touristen Wattwurm und Nordseegarnele vor und träumte weiter von Afrika. Das vermutete zumindest Margo.
David lächelte, als er seine Nachbarin am Weg hinter dem Deich entdeckte. Nachdem er die Teilnehmer seiner Wattsafari verabschiedet hatte, lud er Margo zu einem frisch gebrühten Friesentee ein. »Schrecklich, das mit Peter, oder?«, begann er und setzte eine Kanne heißes Wasser auf.
»Schlimm, ich kannte ihn zwar kaum, aber ich kann es nicht glauben, dass er so ein Ende gefunden hat«, stimmte Margo ihm zu. »Ich frage mich nur, was seine Tochter gegen mich hat, sie hat mich heftig beschimpft«.
»Ach die Barbie. Seit der Hein einmal in eine lettische Kellnerin verknallt war und von Hochzeit sprach, hat die Angst um ihr Erbe. Der Mann war ja ein Großgrundbesitzer, der kam als armer Schlucker als Kind auf die Insel, sein Vater war der Müllfahrer, und hat den Bauern ihr Land Hektar für Hektar abgehandelt. Das ist sicher mittlerweile mehrere Millionen wert. Und du mit deinem polnischen Nachnamen …«, er zwinkerte ihr zu.
»Mit mir redet sie auch erst wieder, seit meine Mutter von ihm geschieden ist.« Er servierte den Tee in weißen Porzellantassen, die mit verschiedenen Möwenarten bemalt waren, in der Sitzecke vor einem Aquarium, durch das eine kleine rote Krabbe schnell humpelnd vor einem größeren Artgenossen hinter einen grünen Hügel huschte. »Ein Bein hat er ihr schon ausgerissen.« David klang belustigt, als er die Prügelei in seinem Minimeer beobachtete.
Margo sah dem Hinkebein hinterher und hätte das kleine rote Tierchen am liebsten vor seinem Verfolger gerettet und es in die Freiheit entlassen. Sie glaubte, sich verhört zu haben: »Deine Mutter war mit dem Hein …? Du hast aber einen anderen Namen.« Margo nippte verblüfft an ihrem Tee und überlegte. Hatte er nicht erzählt, dass er ein Heimkind war?
»Brigitte Hein ist auch meine Mutter, aber ich habe einen anderen Vater«, erklärte David.
Sie hätte gerne gewusst, wer sein Vater war. Aber sie kannte ihn erst seit kurzer Zeit und hätte es aufdringlich gefunden, ihn auf sein Privatleben anzusprechen. Sie selbst hatte diese Frage, die ihr immer wieder gestellt worden war, geradezu gefürchtet, da sie keine Antwort darauf hatte. Margo hatte das Gefühl, diese Informationen über Davids Familienverhältnisse erst einmal verarbeiten zu müssen. Brigitte Hein, der Name sagte ihr doch irgendetwas! Sie nahm einen Schluck Tee und dachte angestrengt nach. Margo hatte noch ihre Mühe, die komplexen familiären und sonstigen Bande der Insulaner zu durchschauen.
Aber ihr war eingefallen, woher sie den Namen ›Brigitte Hein‹ kannte. Dieser Name war im Testament ihrer eigenen Mutter erwähnt worden. Margo hatte vom Notar aus dem Nachlass einen versiegelten Umschlag erhalten, den sie nach dem Tod ihrer Mutter an die Unbekannte abschicken sollte. Die Empfängerin war also ausgerechnet Davids Mutter.
Margos Blick fiel wieder auf das Aquarium, wo die große Krabbe die kleine aufgespürt hatte und ihr mit den Scheren brutal zusetzte. Rote Beinchen und Fühler schwammen neben dem Tatort.
»Natur kann so brutal sein.« David sah mit einem amüsierten Blick zu, und seine Stimme hatte einen ironischen Ton. Das war kein nüchternes Beobachten durch den Wissenschaftler, er schien das Gemetzel richtig zu genießen. Margo lief ein kalter Schauer über den Rücken, sie fühlte sich plötzlich sehr unwohl in seiner Gegenwart. Sie stellte ihre halbvolle Tasse mit lautem Krachen auf die Untertasse und sagte: »Danke für den Tee, ich muss leider.« Sie fröstelte, als sie das Haus verließ.