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Auria

Galata, August 1096

Die Arbeit im Infirmarium war noch härter, als Auria gedacht hatte. Die Kranken und Verwundeten lagen in einem großen Saal jeweils zu dritt oder zu viert in einem Bett und trotzdem brachten die Gesellen der Händler stets neue Hilfsbedürftige. Auria half dabei, rasch gezimmerte Behelfsbetten mit weißen Laken zu beziehen, den Fiebernden feuchte Tücher zur Kühlung aufzulegen und Wasser und Brot zu verteilen. Vor lauter Arbeit kam sie gar nicht dazu, sich vor den schwitzenden, oft wunden Menschen zu ekeln. Der Gestank verteilte sich zum Glück etwas in dem hohen weiten Raum mit den großen Fenstern und war nicht überall so penetrant.

»Das ist wegen der schlechten Miasmen. Schlechte Luft macht die Menschen krank«, erklärte ihr ein graubärtiger Mann, während er in einem bauchigen Glas den Urin eines Kranken prüfte. Offensichtlich der Arzt des Klosters. Er schnupperte an dem Urin. »Ein fauliger Geruch. Das kommt von zu viel Hitze im Körper. Wir werden ihn zur Ader lassen.«

Rasch wandte sich Auria wieder ihrer Arbeit zu. Blutlassen wollte sie sich nicht gleich am ersten Tage zumuten. Allein bei dem Gedanken wurde ihr schummrig. Aber sie hatte auch den ganzen Morgen ohne Unterbrechung gearbeitet. Einer der Brüder, dessen Kutte ihn als Benediktiner-Pater auswies, hielt in seiner Arbeit inne und blickte sie prüfend an. Dann räusperte er sich. »Du musst auch selbst etwas essen«, mahnte er. »Komm, ich bringe dich in den Speiseraum, den wir für unsere Helfer eingerichtet haben.«

Natürlich, fuhr es Auria durch den Kopf. In das Refektorium der Mönche würde man Laien oder gar eine Frau ganz bestimmt nicht einlassen. Der Speisesaal war provisorisch in einem Lagerhaus eingerichtet. An drei Tischen standen lange Bänke. An einigen saßen Männer und Frauen, die sie teilweise bereits im Infirmarium gesehen hatte. Im hinteren Teil stand eine Frau und schöpfte den Arbeitern eine Suppe aus einem großen Kessel. Auria holte sich ihre Schüssel ab und setzte sich an einen gerade leeren Tisch. Jetzt erst merkte sie, wie hungrig sie war. Gierig trank sie den ersten Schluck Suppe. Eine Gemüsebrühe, die zwar nicht besonders gehaltvoll, aber wenigstens mit Essig und Salz gut gewürzt war. Dazu hatte sie ein graues Brot erhalten – hart, aber durch Tunken in die Brühe wurde es genießbar.

»Du erlaubst, dass ich mich setze?«, ließ eine Männerstimme sie aufschrecken. Auria hatte sich so auf ihr Essen konzentriert, dass sie gar nicht bemerkt hatte, wie der Fremde herantrat. Sie hustete. »Bitte«, antwortete sie dann und wies auf die freie Bank gegenüber.

Der Mann war jung. Dennoch wies ihn seine gute Kleidung eher als Kaufmann, denn als Knecht oder Gesellen aus. Sein Kinn war glatt rasiert, was eher eine Seltenheit darstellte. Das schwarze Haar trug er halblang und auch sein Teint war dunkler als Aurias. Zusammen mit der geraden römischen Nase konnte er kein Langobarde sein. Eher ein Grieche. Oder ein Römer, verbesserte sie sich, denn sein Latein klang zwar etwas fremdartig, aber nicht wie eine Fremdsprache.

»Ich habe euch noch nicht gesehen«, sprach sie ihn keck an. Er war ein schöner Mann. Nur etwas ernst.

»Das wundert mich nicht. Ich habe nur gerade einen Verwundeten gebracht und der gute Pater lud mich ein, mich zu stärken, bevor ich zu den Booten zurückkehre.«

»Du bist ein Kaufmann?«, fragte sie neugierig.

»Ganz recht. Allerdings kein Amalfitaner.«

Sie machte große runde Augen. »Also ein Grieche?«

»Nein«, er lachte. »Venezianer.«

»So kommst du aus dem anderen Kontor«, stellte sie fest.

»Aber«, fügte er nun mit einem entwaffnenden Lächeln hinzu, »wenn ich geahnt hätte, dass die Amalfitaner eine so bezaubernde junge Dame wie dich in diesem Konvent verbergen, dann hätte mich auch die Mauer zwischen den Kontoren niemals davon abhalten können, Dir meine Aufwartung zu machen!« Sie spürte die Röte warm in ihre Wangen steigen und senkte verlegen den Blick. Doch als sie scheu wieder aufsah, waren seine Augen noch immer auf sie gerichtet und ihre Blicke trafen sich einen Moment. Schnell wandte sie sich ab.

»Du solltest nicht so reden«, schalt sie ihn, aber er wurde wieder ernst.

»An einem heiligen Ort wie diesem Kloster muss ich die Wahrheit sprechen.« Er räusperte sich und blickte sich um. »Ich muss nun wieder gehen, nach den Fährbooten sehen.«

»Ihr fahrt die Franken hinüber zu den Türken?«, fragte Auria mit hochgezogenen Augenbrauen. »Und dort sollen sie dann alleine gegen die Ungläubigen kämpfen?« Doch er überhörte die Spitze.

»Ja«, bestätigte er. »Der Kampf geht uns Händler nichts an. Zum Glück haben die Seldschuken keine Flotte mehr. Die haben die Kaiserlichen vor zehn Jahren verbrannt, als sie aus dem Ascaniossee ins Marmarameer wollten. Aber ich muss nun wirklich fort. Ich hoffe aber, dich wiederzusehen?«

»Du findest mich hier bei der Arbeit oder im Hause des Hypatos Pantaleone.«

»Wer war denn das?«, fragte Laura streng. Auch sie hatte den Vormittag im Hospital Dienst getan, es aber verstanden, gleich von der Krankenstube zum Wäschewaschen zu verschwinden. Doch offenbar wurde nun auch dort eine Pause gemacht.

»Ein venezianischer Kaufmann«, erwiderte Auria und versuchte, ihrer Stimme einen gelangweilten Klang zu geben.

»Ein Venezianer? Hier? Du liebe Güte.« Sie schlug die Hände zusammen. »Sprich nicht mit solchen, Kind«, forderte sie dann streng.

Auria rollte die Augen. »Ich bin fast erwachsen und eine Kaufmannstochter. Wieso sollte ich dann nicht mit einem Kaufmann sprechen?« Um sich vor weiteren Fragen zu retten, stand Auria auf. »Ich werde wieder in der Krankenstube erwartet.« Und tatsächlich gab es dort genügend zu tun. Ein Kranker hatte sich übergeben und seine Bettnachbarn gleich mit besudelt.

»Zu viel gutes Essen nach langer Fastenzeit«, kommentierte der dienende Bruder am Bett. »Wasche sie und schau, ob du ein neues Bettlaken bekommen kannst«, wies er Auria an, ohne sich um ihren angeekelten Gesichtsausdruck zu bekümmern. Diese Franken stanken schlimmer als die Gossen von Amalfi am Ende des Sommers.

»Und wie war der Tag im Infirmarium?«, begrüßte der Hausherr die beiden Frauen, als sie am Abend erschöpft zum Anwesen der Pantaleones kamen. Laura war zu müde, um irgendetwas zu antworten, und warf ihrem Gastgeber lediglich einen finsteren Blick zu. Auch Auria fielen fast die Augen zu, aber der Tag hatte zumindest etwas Abwechslung gebracht. Und dann war da noch die Begegnung mit dem Venezianer, von dem sie allerdings nicht einmal den Namen wusste. Dennoch blickte sie Pantaleone freundlich an. »Es ist eine harte Arbeit, aber Gott wohlgefällig.« Er runzelte die Stirn, aber nickte dann ernst. Offensichtlich erstaunte ihn Aurias Verhalten immer noch.

Doch der nächste Tag wurde nicht weniger anstrengend und so sehr Auria auch zur Kantine hinüberschielte, den hübschen Venezianer bekam sie nicht zu Gesicht. Dementsprechend schlecht war ihre Laune am Abend.

»Es wird nicht mehr lange dauern«, versuchte Pantaleone, sie aufzumuntern. »Bis auf ein paar Nachzügler haben wir alle ans andere Ufer gebracht. Ihr werdet also im Infirmarium kaum noch Neuzugänge bekommen.«

»Und was wird aus den Franken, die hier bei uns liegen? Ich meine, wenn sie wieder gesunden?«

»Ich habe gehört, dass sich im Frankenland ein richtiges Heer sammelt. Von Rittern und erfahrenen Kriegsleuten. Dem mögen sie sich anschließen, wenn es im nächsten Jahr tatsächlich aufbricht. Man sagt auch, der Kaiser soll diesen einfachen Leuten, ihr Anführer ist übrigens ein Mönch namens Peter, geraten haben, auf das Ritterheer zu warten. Aber ich bin nicht sicher, ob das der Wahrheit entspricht. Mir schien, Alexios wollte die Horde nur so schnell wie möglich vom Hals haben. Ich hoffe wir haben sie nur über den Bosporus, nicht gleich über den Styx gerudert.«

Doch am folgenden Morgen kamen nochmals einige Kreuzfahrer. Sie wurden getragen und die meisten litten unter schlecht verheilten Verletzungen, ungerichteten Knochenbrüchen und eiternden Schnittwunden.

»Die haben sie vor Beograd erhalten«, erklärte einer der Träger, seinem Dialekt nach auch ein Venezianer. Auria fuhr herum und musterte den Mann. Nein, es war nicht der Fremde. Enttäuscht zog sich ihre Brust zusammen. Doch da kam eine weitere Trage herein. Und Auria hätte jubeln können, der hintere der Träger war der Erwartete!

Sie ließ den Bruder, dem sie gerade bei der Versorgung einer schwärenden Hiebwunde an der Hüfte geholfen hatte, einfach stehen und lief zum Eingang. Der Venezianer erkannte sie und grinste breit. Auria fühlte sich bis zur Haarwurzel erröten. »Ich«, stammelte sie, fing sich aber rasch. »Was bringt ihr da?«

»Noch einen armen Sünder. Er hat eine Stichwunde in den Rücken erhalten und kann die Beine nicht mehr bewegen.« Erschüttert blickte Auria auf die unnatürlich schlaff daliegenden Beine. Doch der Mann war ohnehin nicht ganz bei sich. Er murmelte im Fieberwahn unverständliche Laute und beachtete sie gar nicht.

»Und der ist alleine von Beograd bis Konstantinopel gekommen?«, fragte sie, um etwas zu sagen. Sie konnte ihn schließlich nicht einfach nach seinem Namen fragen.

»Seine Kameraden haben ihn bis Sofia getragen, dann haben ihn die Kaiserlichen auf ein Maultier geladen«, erklärte der Fremde. »Ich heiße übrigens Tristano. Wie ist dein werter Name?«

Ihr Herz tat einen Sprung. Er interessierte sich tatsächlich für sie! »Auria«, entgegnete sie.

»Kann ich dich auch einmal außerhalb des Klosters treffen?«, fragte er geradeheraus. Sie blickte ihn unschlüssig an. »Pantaleone, also mein Beschützer hier, lässt mich nicht aus dem Haus«, gestand sie schließlich, obwohl es ihr peinlich war.

Tristano lachte. »Das kann ich mir vorstellen. So eine Schönheit wie dich würde ich auch lieber für mich behalten.« Doch dann wurde er ernst. »Heißt das, du warst überhaupt noch nicht außerhalb des Kontors? Noch nie in Konstantinopel auf der anderen Seite des Goldenen Horns?« Sie schüttelte traurig den Kopf. Rasch sah er sich um, dann beugte er sich vor und senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Übermorgen Abend eine Stunde nach Sonnenuntergang schleich dich aus dem Haus. Ich zeige dir Konstantinopel!« Auria wurde ganz schwindelig und Tristano wandte sich, als sei nichts gewesen an den nächsten Mönch. »Vater, ich glaube, der hier schafft es nicht mehr lange. Das Einzige, was für ihn noch getan werden kann, ist euer heiliges Öl.«

Das Spital zu Jerusalem

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