Читать книгу Das Spital zu Jerusalem - Sven R. Kantelhardt - Страница 28
ОглавлениеDavid
Civitot am Dracon, August 1096
Die Westfranken sind bis Nicäa vorgestoßen! Die haben eine türkische Armee zurückgeschlagen!« Tatsächlich war ein Großteil der Westfranken am Vortag aus dem Lager, welches die Angelsachsen »Civitot« genannt hatten, aufgebrochen. Rasch liefen die zurückgebliebenen Deutschen und Italiener zusammen.
»Ausgerechnet unter diesem Feigling Peter?«, fragte jemand.
»Nein, ein gewisser Burel führt sie jetzt. Peter hat nichts mehr zu sagen. Er ist mit einem Boot nach Konstantinopel geflüchtet.« Allgemeines Gelächter beantwortete diese Nachricht. »Angeblich, um neue Vorräte zu besorgen! Aber die Westfranken haben sich lieber selbst versorgt. Sie haben große Beute gemacht.«
»Und was tun wir? Von den Almosen der Westfranken leben oder darauf warten, dass Peter der Einsiedler aus Konstantinopel zurückkehrt?« Wütendes Geheul antwortete ihm.
»Das lassen wir nicht auf uns sitzen, Männer«, rief Rainald. »Wir marschieren ins Landesinnere und vertreiben die Ungläubigen!«
Als sie Civitot verließen, waren es schließlich fast sechstausend Menschen, fast ausschließlich Italiener und Deutsche. Sie folgten der Route, die die Westfranken auf Nicäa zu genommen hatten. Sie erreichten die Hauptstadt des Sultans Kilidsch Arslan nach drei Stunden Marsch. Doch die hohen Mauern zeigten auch dem Dümmsten unter ihnen, dass es hier kein Hereinkommen gab.
»Wir lassen uns von den Feiglingen hinter ihren Mauern nicht aufhalten«, schrie Rainald. »Wenn sie nicht kämpfen wollen, dann umgehen wir die Stadt. Mögen sich die Westfranken darum kümmern.«
»Die Mauren sollen hinter ihren Mauern schmoren, bis die schwarz werden wie Mohren!«, witzelte ein Mann. Die aufgestachelte Menge johlte über seine Dichtkunst.
»Wir marschieren weiter ins Landesinnere«, rief Rainald über den Lärm hinweg. Und so zog der Heerwurm weiter. Doch bald schon wurde das Murren der Männer lauter. »Wir wollen erobern und plündern, nicht endlos in der Sonne herummarschieren.«
»Wohin führt uns der Italiener?«
Kaum zwei Meilen hinter den Mauern von Nicäa hielt Rainald auf einer Bodenwelle an und blickte vor sich ins Tal. Keine Meile vor ihnen erhob sich ein Hügel und darauf eine Burg.
»Das scheint mir eher unsere Größe zu sein«, stellte Heinrich fest und strich sich über den Bart.
»Männer, das ist Xerigordos. Eine Feste der Türken, in der sie viele gute Christenmenschen gefangen halten und misshandeln. Zeigt ihnen, was ihr davon haltet!« rief Rainald, als der Großteil des ungeordneten Zuges zu ihm aufgeschlossen hatte. Die Anspannung und Unsicherheit der Männer entlud sich in einem schaurigen Kriegsgeheul und der Sturm brach los. Auch David wurde von der kriegswütigen Welle mitgetragen. Sie rannten die Bodenwelle hinab und den Hügel hinan. Die Seldschuken waren offensichtlich von dem plötzlichen Ansturm einer solchen Menge Volks vollkommen überrascht.
»Das Tor, ihr Narren«, schrie Rainald, der sich immer noch in der Nähe von David befand. »Nehmt das Tor ein!« Und tatsächlich erreichten die ersten Kreuzfahrer das noch offene Tor. Sie stürzten hinein. Die Torflügel setzten sich zitternd in Bewegung. Ein paar Pfeile pfiffen von der Mauerkrone herab in den vorstürmenden Haufen. Doch noch immer drangen Männer durch das erst halb geschlossene Tor. Da schwangen die Flügel unversehens wieder auf und auch David erreichte den Schatten des Torbogens. Vor ihm starrte die dunkle Öffnung, doch der Strom der Angreifer drückte ihn hinein, ohne Zeit zum Nachzudenken. Drinnen rannte und schrie alles durcheinander. Der Boden war von Blutlachen und Leichen übersät. David schwindelte. Wieder entlud sich die blinde Wut der Kreuzfahrer über allem und jedem. Keuchend blieb er im Schatten eines der Wirtschaftsgebäude stehen.
»Hier sind keine Christen«, rief ein Mann.
»Dann haben sie schon alle umgebracht«, schrie Rainald. »Rache, Rache für das Blut der Unschuldigen!«
Es dauerte eine ganze Weile, bis das Schreien und Wimmern in der Burg erstarb. Schließlich kehrten immer mehr Männer auf den offenen Hof zurück. »Die Burg ist gut mit Vorräten versehen«, berichtete ein verarmter Ritter, den David vage erkannte. »Sie haben sich auf eine Belagerung eingerichtet.«
»Dann bleiben wir hier«, entschied Rainald mit lauter Stimme. »Xerigordos wird unser Stützpunkt!« Und wahrhaftig hatte der Ritter nicht zu viel versprochen. An diesem Abend wurde selbst der immer hungrige Kunz satt.