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Auria

Galata, August 1096

Zwei Tage hatte Auria gegrübelt, wie sie unbemerkt das Haus des Pantaleone verlassen könnte. Einmal fort, würde ihre Abwesenheit bis zum Morgen nicht auffallen, doch das unbemerkte Hinaus-und Hineinkommen war nicht einfach. Die Tür wurde bei Sonnenuntergang fest verriegelt und einer der Diener schlief direkt nebenan in einem kleinen Verschlag. Er würde sicherlich hören, wenn sie sich an dem rostigen Riegel zu schaffen machte. Doch schließlich kam ihr ein Gedanke. Wenn sie etwas Öl über den Riegel goss? Vielleicht würde es dann gehen? Jedenfalls wollte sie die Gelegenheit, sich von Tristano Konstantinopel zeigen zu lassen, nicht verstreichen lassen, komme was da wolle. Schon beim Morgenmahl gelang es ihr, eine kleine Schale mit Olivenöl zu befüllen und unter ihrem Gewand in ihre Kammer zu schmuggeln.

Im Infirmarium schien die Zeit stehen zu bleiben. Endlich durften sie nach einem arbeitsreichen Tag heimgehen.

Auch das Abendessen im Hause Pantaleone zog sich in die Länge. Der Hausherr war guter Dinge. Die Kreuzfahrer waren nun allesamt auf die asiatische Seite des Bosporus übergesetzt und damit war sowohl die ungeliebte Aufgabe erledigt als auch die Gefahr, die von den stets marodierenden Franken ausging, gebannt. Er trank mehr Wein als üblich und zur Feier des Tages bekamen auch die Hausgenossen von dem schweren roten Tropfen. »Den hat dein Onkel und seine Brüder auf dem heiligen Berge geerntet.« Pantaleone prostete Auria zu.

Sie nickte höflich. »Ich gehe lieber schlafen. Die Arbeit im Infirmarium hat mich sehr ermüdet«, entschuldigte sie sich. In ihrem Gemach legte sie sich in ihrem guten blauen Kleid ins Bett und zog die Decke hoch. Ihr Herz begann, schneller zu schlagen. Nun würde es nicht mehr lange dauern! Allmählich wurde es still im Haus. Wie spät mochte es sein? Die Sonne war bereits im Westen verschwunden und eine angenehme Kühle breitete sich aus. Vorsichtig richtete sich Auria auf. Ein Geräusch aus den Tiefen des Hauses ließ sie zusammenfahren. Mit angehaltenem Atem lauschte sie. Doch schon herrschte wieder Stille. Vorsichtig erhob sie sich und trat an das Fenster. Auf der Straße war alles ruhig und dunkel. Schon wieder schrak sie zusammen, als etwas über die Straße huschte. Doch es war nur eine der vielen streunenden Katzen. Langsam, jeden Schritt setzte sie sorgfältig, ging sie zu dem kleinen Tisch, auf den sie das Schälchen mit dem Öl gestellt hatte. Sie tastete nach der Tonschale, um sie nicht versehentlich umzuwerfen. Da war sie. Nun ging es weiter zu Tür. Die schloss ohne Quietschen oder Knarren. Die Treppe auf dem Hof draußen war eher ein Problem. Einige der Stufen knarrten fürchterlich. Aber Auria hatte in den letzten Monaten genügend Zeit gehabt, sich einzuprägen, auf welche der Stufen sie treten durfte und welche nicht. Nummer zwei, fünf, sechs und zehn waren zu vermeiden. Sie schaffte es fast lautlos bis in den Hof hinunter. Vom Mond stand nur eine schmale Sichel am Himmel. Das kam ihr entgegen. Vorsichtig schlich sie sich an der Außenmauer entlang bis zur großen Tür. Wieder hielt sie atemlos inne und lauschte. Dann befühlte sie sie die alten Angeln. Vorsichtig goss sie etwas Olivenöl über jede. Dann verteilte sie den Rest über dem Riegel. Erst jetzt fiel ihr ein, dass man die Ölspuren am nächsten Tag bemerken müsste. Sollte sie die ganze Sache abbrechen und sich ins Bett legen? Fast wäre sie umgedreht, doch dann fiel ihr ein, dass man auch wenn sie von ihrer Unternehmung absah, am nächsten Tag das Öl bemerkt würde. Es gab kein Zurück mahr. Langsam, mit klofpendem Herzen, zog sie den Riegel zurück. Es ging besser als gedacht. Und im Nu war die Tür so weit geöffnet, dass sie sich hinaus drücken konnte. Vorsichtig zog sie die schwere Tür hinter sich zu. Bebend stand sie im Schatten des Hauseingangs. Sollte sie nicht besser doch umkehren? Doch da löste sich etwas aus dem Dunkel vor der Hauswand gegenüber.

»Auria«, flüsterte eine Stimme.

»Tristano!« Er umarmte sie stürmisch. Ihr stockte der Atem – noch nie hatte sie ein Fremder umarmt. Aber vielleicht war das in Venedig so Sitte. Sie schob den Gedanken beiseite.

»Komm mit zum Hafen«, flüsterte er und ergriff ihre Hand. Mit flauen Knien folgte sie ihm. Seine Hand war hart und groß. Sie gab ihr etwas von ihrer Sicherheit zurück. Schon erreichten sie das Hafentor des Kontors. Zu Aurias Erstaunen stand es bereits einen Spalt breit offen.

»Wie?«, fragte sie.

»Auch Wächter verdienen sich gerne ein paar Münzen dazu«, flüsterte er. »Aber jetzt komm.« Er zog sie durch den Spalt des Tores. Und Auria erstarrte. Vor ihr glitzerten Hunderte, nein Tausende von Lichtern über und in der großen Stadt. Das Licht wurde noch vielfach von dem stillen Wasser des Goldenen Horns zu ihren Füßen reflektiert. Ein wundervoller Anblick. Sie drückte Tristanos Hand, was er offenbar als Ermutigung verstand. Er nahm sie in den Arm und schien zu überlegen, ob er sie küssen sollte. Auria spannte sich an und er entschied sich, sie es vorerst bei dieser weniger verbindlichen Nähe zu belassen. Sie war erleichtert. Andererseits hätte sie sich genau das gewünscht. Ihre Gefühle trieben sie hin und her.

»Hier ist das Boot«, flüsterte er in ihr Ohr. »Das bringt uns in die Stadt.« Tatsächlich wartete ein Mietboot im Schatten der Kaimauer. Tristano stieg voran und half ihr einzusteigen. Auria wusste selbst gut mit Booten umzugehen, aber diesmal ließ sie es sich gerne gefallen. Wieder hielt er ihre Hand länger als notwendig. Dann saßen sie auf der schmalen Bank im Heck und der Bootsführer stieß vom Ufer ab. Tristano wechselte ein paar Worte mit dem Mann auf Griechisch. Auria war stolz, dass sie alles gut verstand. Wie Venedig unterhielt auch Amalfi enge Verbindungen nach Konstantinopel und die meisten Händler sprachen ebenso gut Griechisch wie Latein. Das Funkeln der Lichter verstärkte sich, als sie der Stadt näher kamen. Auria legte ihren Kopf auf Tristanos Schulter. Doch schon erreichten sie das andere Ufer. »Ich kenne ein Haus, in dem wir das beste Essen der Stadt bekommen. Und Trinken!«, prahlte Tristano. »Es ist gar nicht weit vom Hafen. Komm, lass uns die Sorgen von morgen vergessen!«

Das Spital zu Jerusalem

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