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Auria

Jerusalem, Oktober 1096

Die Seereise mit der Sant’Andrea führte Auria und ihre Zofe südlich an Cypern vorbei, bis sie schließlich den Hafen von Jaffa in der Levante erreichten. Das Land befand sich unter ihrer Herrschaft, seitdem die Seldschuken es vor nunmehr fünfundzwanzig Jahren den fatimidischen Kalifen entrissen hatten. Die harsche Behandlung aller Ungläubigen, und das betraf nicht nur griechische und lateinische Christen, sondern auch Juden und jene Muslime, die sich Schiiten nannten, also den Glauben des Ägyptischen Kalifen teilten, war überhaupt einer der Auslöser für die Kreuzzugspredigten gewesen. Doch wie üblich fand der Handel Wege auch in die Paläste der Seldschuken-Emire und der lockende Profit öffnete Türen, die den einfachen Pilgern verschlossen blieben.

Im Hafen von Jaffa wurde die gesamte Ladung in das Zollhaus verbracht. Unter lautem Gefeilsche und Geschimpfe hatte man die Waren taxiert, wobei etwa der zehnte Teil derselben spurlos verschwand. Matteo fluchte wie ein Amalfitanischer Fischer aus den Gassen am Meer, aber es half nichts. Auria und ihre Zofe blieben zum Glück unbehelligt und schlossen sich einer Karawane nach Jerusalem an. Trotz der späten Zeit im Jahr war es heiß und trocken. Solange sie noch am Meer entlang nach Süden zogen, machte eine frische Brise die Reise erträglich, doch als der steinige Weg schließlich nach Osten auf das Judäische Hochland zu abzweigte, wurde es fast unerträglich. Auria hockte zudem in einer Art Sänfte, die mit Netzen gegen Blicke von außen geschützt wurde, hoch auf einem schwankenden Maultier. Hätte sie wenigstens reiten dürfen – aber das kam in diesem Land offenbar nicht infrage. Auch ihr Begleiter und Beschützer, ein junger Mönch aus Montecassino namens Antonius, konnte daran nichts ändern. Umso glücklicher war sie, als sie schließlich über einem breiten ansteigenden Hügel die Mauern der Heiligen Stadt erblickten.

»Wir sind am Ziel«, jubelte Laura, der man aufgrund ihres Alters immerhin die Blicknetze um die Sänfte erspart hatte. »Die Heilige Stadt, wo die Tore wie Edelsteine glänzen und in der lauter Gottesfurcht und Friede herrscht!«

Auria bezweifelte diese Einschätzung, zumal ihr die Vorstellung eines Lebens in »lauter Gottesfurcht und Frieden« irgendwie auch nicht recht behagen wollte. Dennoch spähte sie neugierig hinaus. »Igitt!«, rief sie erschrocken. »Was ist denn das?« Sie hatte einen Leprakranken am Wegesrand entdeckt, in dessen Gesicht die Nase fehlte. Aus sicherer Entfernung reckten nun mehrere Aussätzige ihre verkrüppelten Gliedmaßen empor, um Almosen heischend.

»Das sind die Aussätzigen aus dem Lazarett«, kommentierte Antonius, der die Reise schon öfter gemacht hatte. »Die armenischen Brüder haben hier vor den Toren ein Hospiz für sie errichtet, das dem heiligen Lazarus geweiht ist. Man nennt es daher das ›Lazarett‹. Auch sie werden von gütigen Amalfitanern und anderen italienischen Kaufleuten unterstützt, ihr Rektor ist ein Landsmann von dir aus Bari«, erklärte Antonius. »Ein gewisser Johannes Amorusius.« Auria hielt sich ein Tuch vor den Mund, während sie an dem schmucklosen Gebäude vorbei auf die Stadtmauer zuhielten.

Schon vor dem Tor nahm das Gedränge zu und wurde schließlich zu einem unentwirrbaren Knäul aus Farben, Rufen und Schimpfen in fremden Sprachen, Kamelen, Schafen und noch tausend Dingen. Zum ersten Mal in den zwei Wochen ihrer Landreise war Auria herzlich froh über das Netz, was sie vor der Außenwelt beschützte. Doch Antonius schaffte es schließlich, sie zu lotsen. Hinter dem Tor traten die Häuser zurück und bildeten einen Platz. Zur Rechten reckten sich mächtige Quader in den Himmel.

»Der Davidsturm«, erklärte Antonius, offenbar hatte er ihre Gedanken trotz des Netzes, dass sie vor Blicken schützte richtig erraten. »Hier müssen wir die Tiere zurücklassen. In den Gassen des Bazars kommen wir zu dieser Tageszeit nur zu Fuß weiter.«

Sie ließen Tiere und Sänfte mit einigen Knechten zurück folgten zu Fuß einer Straße, die in gerader Linie den Berg hinab nach Osten führte. Bald schlossen sich steinerne Bögen über der Straße, deren beide Seiten dicht von Händlern besetzt waren, die mit lauter Stimme mannigfaltige Waren anpriesen. Doch Antonius schaffte es, sie unbeschadet weiterzuziehen. Schließlich bog er nach links ein und führte sie unter einem weiteren gewaltigen Steinbogen hindurch.

»Der Muristan«, erklärte er. »Das lateinische Viertel. Gleich sind wir da.« Auria sah zu ihrer Linken zwei Kirchengebäude.

»Ist das die Kirche mit dem Grab des Heilands?«, fragte sie und war selbst von dem heiligen Schauer überrascht, der sie durchlief.

»Nein, das sind unsere beiden Kirchen St. Maria latina und St. Maria Magdalena. Die Grabeskirche wirst du aber sicher noch zu sehen bekommen«, entgegnete er aufmunternd und hielt stracks auf die größere der beiden Kirchen zu. »Das Männerspital wird von St. Maria mitversorgt, die Frauen von St. Magdalena, wo du unter den Schwestern und durch die Oberin Agnes, einer ehemaligen Matrone aus Rom, sehr herzliche Aufnahme finden wirst. Aber zuerst wollen wir deinen Vater begrüßen!« Er trat nicht in die Kirche ein, sondern steuerte ein Gebäude etwas weiter die Straße hinab zur Rechten an. »Das ist das Männerhospital.«

Ein Mann in der schwarzen Kutte der Benediktiner öffnete auf ihr Klopfen, und noch bevor Antonius etwas sagen konnte, fiel dieser ihm freudig um den Hals. »Antonius, du bist wieder da!« Eilig winkte er die kleine Gesellschaft hinein.

Als Erstes fiel Auria die Ruhe auf, die von diesem Ort ausging. Sie befanden sich in einem Innenhof, der mit einigen Palmen und Sträuchern begrünt war. In einer Ecke befand sich sogar ein Brunnen. Als Nächstes erkannte sie wohlgeordnete Kräuterbeete. Wie in einem Kloster in Italien! Die Tür schlug hinter ihnen zu und sperrte das hektische Treiben der Straßen aus. Das also war ihr neues Zuhause. Sie hätte es schlechter treffen können! Doch ein Ruf riss sie aus ihren Gedanken. »Auria!«

Sie fuhr herum. Ihr Vater Giordano lief, so schnell ihn die krummen Beine trugen, auf sie zu. Der schwarze Mantel der Spitalbrüder flatterte hinter ihm her.

Das Spital zu Jerusalem

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