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BIENVENUE À FRANCE

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An der Douane belgique wird uns am 15. Juli 2005 der kostbare, mit vielen Stempelaufdrucken versehene belgische Laufzettel abgenommen und, natürlich, genauestens geprüft. Alles ok, wir dürfen ausreisen. Wir folgen weiter der kanalisierten Meuse, die nun Canal de l’Est Branche Nord heißt. In der ersten Schleuse auf französischer Seite erstehen wir eine Vignette für die VNF (Voies Navigables de France), die französischen Wasserstraßen. Die Saisonkarte für vier Monate kostet bei unserer Schiffsgröße 290€. Damit können wir alle Wasserwege nutzen, und die Schleusen und viele Liegeplätze sind kostenlos. Wir erhalten eine Fernbedienung für die écluses automatiques, die automatischen Schleusen, mit einer kleinen Gebrauchs-Anleitung.

Auf eigenem Kiel sind wir in Frankreich angekommen, und das ist wirklich ein gutes Gefühl!

Mit einer Laserstrahl-Wasserwaage aus dem Baumarkt vermessen wir unsere Höhe mit exakt 3,35m und bringen vorn am Bug einen Stab an, der eine Höhe von 3,40m hat. Dadurch entfällt das leidige Peilen bei jeder Brücke, eine sehr praktische Einrichtung. Jetzt weiß der Rudergänger: Wenn der Stab unter der Brücke durchpasst, kann der Rest folgen.

Mit Bravour fährt Jörn (schwierige Passagen überlasse ich gern ihm) durch den Tunnel von Ham. Er ist 600m lang, sehr niedrig und gerade mal 5,7m breit. Gut, dass wir den Geräteträger weit gelegt hatten, denn der Fels kommt uns unbehauen von der Decke oft bedrohlich nahe. Es gibt keine Beleuchtung, und die Positionslaternen strahlen die Wände in der Dunkelheit dramatisch rot und grün an. Zusätzlich halte ich noch einen starken Bordscheinwerfer bereit, aber meine Hauptaufgabe beschränkt sich auf Ruhe bewahren und immer schön weiteratmen. Auch die Salonbeleuchtung sorgt durch die großen Fenster an den Tunnelwänden für etwas Licht. Auf dem Teppich liegt Dinah und schaut mit großen Augen zu uns herauf. Sie spürt die Anspannung genau. Die unglaublich enge Tunneldurchfahrt ist eine sehr unheimliche Erfahrung. Zum Glück geht bei uns alles gut. Ein paar Tage später treffen wir ein lädiertes Motorboot, dem gerade eine neue Persenning mit Gestänge angepasst wird. Sie waren den Felsen im Tunnel leider zu nahe gekommen.

Auf der anderen Seite erwartet uns eine wunderbare Landschaft, dicht am Ufer ansteigende, bewaldete Berge, dazwischen schroffe Hänge aus Schiefergestein. Verträumte Dörfer liegen am Weg, und fast alle Häuser sind aus dem grauen Stein der Gegend gebaut. Auf dem Wasser ist fast kein anderes Schiff unterwegs. Die Schleusen öffnen sich ohne Wartezeit per Fernbedienung, und das funktioniert so:

Ungefähr 100m vor den Schleusen steht am Ufer eine Tafel, die mit dem telecommand angeklickt wird. Dadurch wird die Schleusung aktiviert. Wenn ein grünes Licht aufleuchtet, darf eingefahren werden. Nach dem Festmachen muss in der Schleuse eine senkrechte Stange angehoben werden, ein Signal ertönt und der Schleusenvorgang beginnt. Bei grünem Licht darf auf der anderen Seite ausgefahren werden. Eine gute Erfindung. Trotzdem – jede Schleuse ist anders und erfordert Kraxeln auf der glitschigen Leiter oder Leinenweitwurf über die Poller.

Die Schleusen des Canal de l’Est sind klein, 38,50m lang und nur 5,05m breit, der Hub liegt bei gut 3m. Da wir meistens allein schleusen, können wir im hinteren Teil festmachen, denn vorn entsteht durch das mit Macht einlaufende Wasser oft ein heftiger Strudel.

In Fumay, einem zauberhaft gelegenen Ort in den Ardennen, können wir für 3€ die Waschmaschine in der Capitainerie nutzen, und der heiße Wind an Bord fungiert als Trockner. Jetzt muss nur noch gebügelt werden. Aber selbst diese Arbeit macht mir Spaß, weil ich dabei in der Plicht sitzen und das Treiben um mich herum beobachten kann.

Vom Touristbüro mit Karten versorgt unternehmen wir eine lange Wanderung durch die Wälder mit großartigen Ausblicken auf das Meusetal. Wunderschön ist es hier, und hautnah bekommen wir auch das Dorfleben mit:

Die Vorbereitungen für eine Hochzeit laufen auf Hochtouren. Fröhlich und aufgeregt wird von Haus zu Haus gelaufen, man putzt sich heraus und bewundert die festlichen Kleider. Wie auf Kommando springen plötzlich alle in ihre Autos und entschwinden zur Feier.

Regelmäßig werden um 22Uhr im Dorf die Fensterläden unter lautem Klappern für die Nacht geschlossen und die Blumenkästen hereingeholt. Wer noch später seinen Nachbarn besuchen möchte, klopft an die Scheibe der Wohnküche, fischt den Haustürschlüssel aus seinem Versteck und lässt sich selbst ein.

Auf dem direkt an der Pier stattfindenden Markt versorgen wir uns mit Obst und Gemüse, dann schleusen wir zusammen mit einem kleinen Holländer auf einer pittoresken Tour durch den Ardenner Wald. Diese wunderbare Landschaft bezaubert uns durch immer neue grün-grüne Ausblicke, ich komme nicht einmal zum Bettenmachen vor lauter Bewundern. Die Berge haben romantische Namen, wie “Rochers des Dames de Meuse“ oder „Vier Söhne des Aymon“, nach volkstümlichen, zu Herzen gehenden Sagen der Ardennen.

Vor Revin ist die Überraschung an Bord groß, denn schon wieder muss ein Tunnel durchquert werden. Man sollte doch öfter mal auf die Karte schauen… Dieser ist allerdings etwas breiter und kürzer, außerdem haben wir den Tunnelblick ja schon in Ham geübt.

Die Meuse hat zahllose Poeten inspiriert, und in Laifour empfängt man uns sehr freundlich mit einem Gedichtband:

„Et la barque glissait sur les ondes câlines

Et vers cet immense miroir

-Les arbres par milliers, des crêtes des collines-

Se penchaient, comme pour s’y voir.“

„Und das Boot glitt auf den sanften Wellen

Und zu diesem riesigen Spiegel

Beugten sich die Bäume zu Tausenden, die Kämme der Hügel,

Als ob sie sich darin sehen wollten…“

Hier erleben wir französische Idylle pur. Wenn in dem stillen Dorf ein Hund bellt, hört man das Echo aus den bewaldeten Bergen auf der anderen Seite des Flusses. Jörn unterhält sich angeregt mit einer lebhaften 84-jährigen Madame, und wir können wieder das Dorfleben beobachten. Tauben in der Voliere, kleine Schieferwildschweine auf Gartenzaun-Pfosten (les sangliers soll es hier in den Wäldern geben), die unvermeidlichen Flaschen Wein auf den Gartentischen und Vogelgezwitscher. Dieser Ort ist Honig für die Seele.

Wir sind richtig traurig, als wir die Ardennenwälder verlassen und versprechen uns, dass wir wiederkommen werden.

In Sedan kauft Jörn endlich mal wieder Rotwein (leider bei Aldi. Er schmeckt gut, aber so ist das natürlich nichts fürs Gefühl), und wir machen eine Fahrradtour zur größten Burganlage Europas.

Im Jahre 1424 begann der Bau, der danach immer mehr erweitert und entwickelt wurde. Per Audioguide lassen wir uns durch das riesige Gelände führen. Auf sieben Etagen wird sehr anschaulich dargestellt, wie aus einem ehemaligen Kloster ein Herrenhaus wurde, dessen Festungsmauern später durch einen Ringwall und Geschützwälle verstärkt wurden. Als Puffer zwischen France und Deutschland musste diese Gegend viel ertragen. Davon bekommen wir einen nachhaltigen Eindruck.

Auf der Fahrt nach Mouzon ist es kühler, und ab und zu gibt es kräftige Schauer. Wie gut, dass wir keinen großen Törn geplant hatten. Denn wegen der Brücken müssen wir unseren Geräteträger immer „Klar zum Legen“ haben und können daher auch die Persenning nicht nutzen. Wir stehen also buchstäblich im Regen. Das Boot hat zwar einen Innensteuerstand, aber den nutzen wir hier im Kanal nicht so gern. Es fehlt einfach die große Rundumsicht. Künftig schützen wir den Steuerstand bei Regen mit unserem großen Sonnenschirm, er lässt sich vor einer Brücke schnell niedriger stellen.

Wir fahren in eine Schleuse ein, machen fest, und ich ziehe an der Stange. Der Schleusenvorgang beginnt, es geht sehr rasant abwärts. Plötzlich beklemmt sich die Achterleine, die aus der Hand über die Klampe immer nachgegeben werden muss. Sie hängt unter der Klampe fest und immer fester, weil das Wasser enorm schnell fällt. Es gibt zwar an der Wand eine rote Notstop-Stange, die ich sofort hektisch ziehe, aber sie funktioniert nicht, und das Boot gerät in bedrohliche Schieflage. Beherzt schneidet Jörn die straffe Leine durch, und mit einem ordentlichen Satz liegt das Boot wieder waagerecht. Gut, dass das Messer immer bereit liegt!

In Mouzon besichtigen wir die Dorfkirche, und nach einem Spaziergang durch den kleinen Ort übt sich Jörn im Dialog mit einem Drogisten. Ich stehe eine gefühlte halbe Stunde mit Dinah vor dem Geschäft und sehe nur ab und zu über den Auslagen die Hände der beiden in die Luft fliegen. Die Unterredung ist wohl sehr lebhaft. Jörn erscheint endlich wieder, hochzufrieden: Mit dem kleinen Emaille Stift, den er für unser Waschbecken kaufen wollte und außerdem einem Restauranttipp. Mit aller Leidenschaft, zu der ein echter Franzose fähig ist, wenn es um Essen geht, hat der alte Drogist „Les Échevins“, ein uraltes Lokal in Mouzon, angepriesen. Dort speisen wir abends tatsächlich superb und fürstlich und fühlen uns wie Gott in Frankreich.

Als wir uns Dun sur Meuse nähern, sehen wir auf einem Hügel eine alte Kirche liegen. Nach dem Anlegen, wunderschön in grüner Natur, kurven wir nachmittags per Fahrrad sechs km zurück zur Kirche „petite Notre Dame de Mont-Devant-Sassey“ aus dem 11. Jahrhundert. Allein der Name ist Musik, und die kleine Kirche strahlt eine wunderbare Atmosphäre aus. Hier gefällt es uns. Lange sitzen wir vor der Kirche und schauen ins Tal.

Hinter unserem Liegeplatz hat inzwischen eine Segelyacht aus Deutschland festgemacht. Nur selten haben wir auf der Strecke Landsleute getroffen, daher versuchen wir, ein Gespräch aufzunehmen. Nachdem wir ganz beglückt von unserem Kirchenbesuch geschwärmt haben, kommt die harsche Frage der Seglerin: „Und was, bitte, zeichnet diese Kirche nun aus?“ Ich fühle mich wie dumme Schülerin vor Oberstudienrätin und ziehe mich schnell zurück. Gleiches Heimatland bedeutet anscheinend nicht das gleiche Empfinden von Entdeckerfreuden auf Reisen.

Zusammen mit einem großen schwarzen Schweizer Stahl-Motorboot mit dekorativem Berner Sennhund, farblich abgestimmt zum Boot, fahren wir Richtung Verdun. Es sind neun Schleusen zu bewältigen, die noch manuell betätigt werden. Meist sind sie schon geöffnet, wenn wir mit erlaubten 8km/h angerast kommen, und die Leinen werden uns vom Schleusenpersonal abgenommen. Bisamratten kreuzen vor unserem Bug, und Rinder stehen am und im Fluss. Es wird eine sehr schöne Tour von knapp sieben Stunden.

In Verdun ist es sehr voll. Wir bekommen nur noch einen Platz an rauer Kaimauer. Auf einem ausführlichen Stadt- und Einkaufsbummel ersteht Jörn eine Zeitung im Buchladen, und an Bord stellt er einigermaßen erstaunt fest: Es ist eine Ausgabe von 1964. Das hat ja durchaus was Historisches.

Die Hafenmeile von Verdun ist sehr touristisch, also bekochen wir uns selbst und genießen die geschäftige Atmosphäre an den Ufern. Jedenfalls so lange, bis auf der großen Bühne gegenüber ein Afrobeat-Konzert beginnt. Auweia… Die Schweizerin trinkt einen großen Cognac zur Beruhigung, und wir machen noch einen Rotwein auf. Das hilft.

Die Stadtplaner hatten leider vergessen, für öffentliche Toiletten zu sorgen. So benutzen die jungen Männer die Mauern am Hafen, eine sehr anrüchige Sache.

Auch auf dem Weg nach Sampigny, Meuse-km 252, werden die Schleusen manuell bedient, meist von Studenten. Lange Wartezeiten machen die Fahrt etwas mühselig, zudem beginnt es mächtig zu wehen. In den engen Schleusen wird es dadurch nicht einfacher. In einer écluse manuelle läuft eine Ziege als Haustier frei herum. Dinah ist ganz begeistert und möchte am liebsten hinüberspringen und mit ihr spielen. An der nächsten wird leckerer Honig aus der Gegend verkauft.

Bei der Bedienung der manuellen Schleusen darf und sollte ein Crewmitglied mitkurbeln. Jörn verschafft sich dadurch immer gern ein wenig Bewegung, meist verbunden mit einem kleinen Klönschnack.

Felder, Wiesen, Auen, zwischendurch ein Eisvogel auf Fischfang. Idylle! Hinter zwei Holländern machen wir an der Wiese fest. Einer kommt gerade aus Spanien und erzählt Wissenswertes über Barcelona: „Für einen guten Liegeplatz müsst Ihr unbedingt Maria anrufen!“ Na ja, das hat wohl noch etwas Zeit.

Jörn ersteht im Ort in einem Tante Emma Laden eine Melone und eine Zeitung, die aber leider von gestern ist. Beim nächsten Zeitungskauf will er nun ganz genau hinschauen.

Gestern trafen wir eine Ziege an der écluse, heute kommen wir an einer Herde Esel vorbei.

Und am Kai von Commercy werden unsere geheimsten Wünsche wahr: Wir machen direkt vor einem Aldi-Markt fest, verproviantieren uns nach Herzenslust und fahren mit dem vollen Einkaufswagen direkt vors Schiff. Superb!

Am nächsten Anleger gibt es einen Wasserschlauch, und Jörn will die Gelegenheit nutzen und „nur mal eben“ das Deck abspritzen. Dabei flutet er mal wieder den Salon (ein Fenster war offen). Die Bordfrau ist sauer und der Hund verkriecht sich.

Dieses Malheur hatte ich schon zu Seglerzeiten mit schöner Regelmäßigkeit zu beklagen: Besonders beim ersten Wasserfassen im Frühjahr klönte mein lieber Mann gern ausgiebig mit Stegnachbarn, nachdem er den Schlauch gelegt und den Wasserhahn aufgedreht hatte. Es gab ja nach dem Winter so viel zu erzählen! Mittlerweile floss das Wasser. Nicht nur in den Tank, wo es ja hingehörte, sondern auch auf den Teppich, durch ein offenes Luk in eine Kajüte oder in die Bilge. Weil ein Ventil nicht geschlossen worden war oder sich im Winter irgendwo ein Schlauch oder eine Schelle gelöst hatte, oder... Jörn wunderte sich derweil nur, wie viel Liter unser Tank fassen konnte.

Das Wasser flutete auch einmal die Kajüte unseres Sohnes nebst seinen kostbaren Benjamin-Blümchen-Kassetten, Büchern und Kuscheltieren. Mehrfach durfte ich daher als eine der ersten Aktionen im Frühjahr Teppich, Wäsche und Polster trocknen. Freundin Erika fragte nach dem ersten Törn nie: „ Wie war die Reise? “, sondern immer zuerst:“ Und was wurde dieses Mal nass??“

Auf dem letzten Stück Canal de l’Est Branche Nord gibt es noch vier Schleusen, in denen ich mich mit heftigem Leiterkrabbeln austoben darf. Denn mit Werfen komme ich nicht an die Poller oben auf dem Rand heran.

Nach einer kurzen Atempause erreichen wir auf dem engen und lauschigen Canal de Marne au Rhin das Souterrain de Foug. Dieser Tunnel ist 860m lang, bereitet aber keine Probleme, weil er hoch genug und sogar beleuchtet ist.

In der nächsten écluse müssen wir uns vom telecommand trennen. Es geht 6m bergab, das ist doch mal eine willkommene Abwechslung! Von nun an öffnen sich die verbleibenden läppischen zehn Schleusen, sobald wir uns nähern. Sie werden über Kameras von einer Zentrale gesteuert.

Im schönen Toul gibt es abends typisch französische Life - Musik am Hafen, der halbe Ort schwingt das Tanzbein zu den Klängen eines Akkordeon-Orchesters. Wir auch. Für uns Norddeutsche ist es erstaunlich, in welcher Geschwindigkeit hier eine fröhliche Stimmung entsteht und Alt und Jung in schönster Eintracht einen Formationstanz auf die ausgelegten Bretter legen. Viele haben etwas zu essen mitgebracht, schließlich sind wir in Frankreich, und ohne Essen geht es nicht!

Wir gönnen uns zwei Hafentage. Hier gibt es viel zu sehen, unter anderem eine weithin sichtbare, sehr beeindruckende Kathedrale. Sie wird gerade aufwendig saniert, und eine junge Restauratorin erklärt uns mit Begeisterung die Arbeiten.

Im Hafen sehen wir ein deutsches Motorboot, das durch eine Flybridge sehr hoch ist. Unmengen von gefüllten Wasserkanistern stehen überall an Deck. Das gibt natürlich Anlass für wilde Spekulationen: Vielleicht wollen die Eigentümer die Wasserqualität auf Reisen testen?

Des Rätsels Lösung erfahren wir ein paar Tage später, als wir das Boot weiter im Süden wiedertreffen: Es ist durch die Flybridge 3,60m hoch. Die Brücken im Canal sollen lt. VNF zwar eine lichte Höhe von garantiert 3,50m haben. Aber in diesem Streckenabschnitt gibt es eine Unterführung, auf die ein verzweifelter Bootsbesitzer (er hatte wohl reichlich Zeit dafür) in großen Buchstaben gemalt hatte: „Diese Brücke ist nur 3,38m hoch!“

Es musste also so viel Ballast wie möglich an Bord der Flybridgeyacht genommen werden, um die Höhe zu verringern. Die Bordfrau war nicht gerade begeistert, denn sogar das mit Wasser gefüllte Schlauchboot und einige schwere Zementsäcke standen in der Plicht und im Salon herum. Zusätzlich hatte der Eigner etliche Familienmitglieder aus Deutschland an den Canal de l’ Est beordert, um im wahrsten Sinne des Wortes mehr Ballast aufzunehmen.

Aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Um Haaresbreite schafften sie es dann tatsächlich, das Boot auf diesem Binnenweg zum Mittelmeer zu bringen.

Drei Schleusen geht es noch bergab, dann sind wir Ende Juli in dem französischen Teil der Mosel bzw. im Canal des Vosges. Jetzt liegen bis zum Scheitelpunkt unserer Reise noch 150 Höhenmeter mit 50 Schleusen auf 65km vor uns. Wunderbare hügelige Landschaft in saftigem Grün erfreut uns. Wir sehen Reiher, Ibisse und sogar ein Reh im Wasser der Moselle. Außer uns ist kaum ein anderes Boot unterwegs – wo sind sie bloß alle? In Richardménil liegen wir anfangs auch solo an einer Wiese, aber später treffen noch zwei Boote aus Mecklenburg- Vorpommern ein. Sie kommen aus dem Süden und berichten begeistert von Avignon und Canal du Midi. Den ganzen Abend läuft auf einem PC die Diashow ihrer Fotos, dazu gibt es „Wien dü Peis“ aus dem Kanister. Die Freude über ihre Erlebnisse ist ansteckend, und durch sie bekommen wir sehr wertvolle Tipps über Liegeplätze im Canal du Midi.

Am nächsten Tag sind wir um 09.00 Uhr in der ersten Schleuse, von denen wir heute 15 zu bewältigen haben. Alle Schleusen sind gleich gebaut, alle haben ein kleines Häuschen aus gelbem Sandstein, in dem früher der éclusier als Angestellter der Kanalgesellschaft wohnte, mit dem Namen und der Nummer der Schleuse über der Eingangstür. Die heutigen Bewohner haben nur noch selten mit der Schleuse zu tun, einige der Häuschen stehen auch leer und verkommen allmählich. Andere sind dagegen gut gepflegt und von liebevoll bepflanzten Gärten umgeben.

Es geht fast überall zügig, aber unter den éclusiers, auch hier viele Studenten, gibt es doch große Temperamentsunterschiede. Die einen sind fix, die anderen lahm, einen stören wir gar bei einem tête à tête mit seiner Freundin. Wir müssen mehrfach unser Signalhorn bemühen, erst zart, dann deutlicher, bis der junge Mann sich hastig und leicht derangiert aus einem kleinen Zelt auf der Wiese windet und uns die Schleuse öffnet. Wir fahren durch sonnige, teilweise parkähnliche Landschaft, dann durch Alleen, die den Kanal fast überwuchern. Eng, aber ungemein romantisch.

Aber nicht alle Tage verlaufen reibungslos. Es ist wie im richtigen Leben. Mit der Tour von Charmes nach Épinal haben wir uns eindeutig zu viel zugemutet: Die ca. 10 écluses manuelles gingen noch einigermaßen reibungslos. Es begleitete uns eine junge Crew, die zügig die Schleusen bediente. Nachdem wir ausgefahren waren, wurde die Schleuse wieder geschlossen und die Crew fuhr mit dem Auto weiter am Kanal entlang zur nächsten Schleuse, um sie für uns zu öffnen.

Die Binnenwasserstraßen spielen in Frankreich als Transportwege keine große Rolle mehr, aber zwischen den écl. 17 und 21 verkehren noch regelmäßig flache Kiesfrachtschiffe. Eins davon brachte uns in arge Bedrängnis. Wir mussten dem voll beladenen Schiff so weit ausweichen, dass wir am Rand des Kanals mit der Schraube unsanft aufsetzten. In weiser Voraussicht war Jörn rechtzeitig in den Leerlauf gegangen, sodass der Propeller sich nicht mehr drehte und größerer Schaden vermieden wurde. Mit Pekhaken und Bugstrahlruder konnten wir uns mühselig aus der Uferbepflanzung befreien. Das war noch mal gut gegangen.

Einige der folgenden per telecommand zu bedienenden (ca.??) Schleusen funktionierten nicht. Mehrmals musste ich vom Bug hinunter in die Wiese hüpfen und am Nottelefon der Schleuse die VNF-Zentrale in meinem gepflegten Französisch um Hilfe bitten (Es erschien dann nach einigen Minuten ein Mitarbeiter per Auto, Fahrrad oder Moped, der die Schleuse manuell in Gang setzte). So brauchten wir für die 26km geschlagene 6 Stunden und waren entsprechend bedient.

In Épinal können wir uns aber gut erholen. Es gibt eine gepflegte lange Pier, ein nettes Restaurant, das für seine Muschelgerichte bekannt ist, und gute Einkaufsmöglichkeiten. Merke: „Avez vous gaz?“ bedeutetet nicht: „Haben Sie Gas?“ sondern: „Haben Sie Blähungen?“. Fremdsprachen machen doch immer wieder Freude.

Es ist hier gar nicht so einfach, die Gasflaschen zu tauschen, sie sind nur am Campingplatz erhältlich, und der ist auf einem steilen Hügel außerhalb der Stadt. Ein „Trimm Dich“ - Programm für Jörn, denn erst beim zweiten Besuch ist der Kiosk auch besetzt.

Seit mehreren Tagen ist die écl.26 oben in den Vogesen wegen Reparaturarbeiten gesperrt. Viele Boote, so hören wir, müssen davor warten. Aber in Épinal ist wenig los. Wir klönen längere Zeit mit Engländern von einer großen Motoryacht, die auch gen Süden fährt. Sie erzählen, dass sie seit 32 Jahren auf Antigua leben und sich, um hier Urlaub zu machen, „mal eben“ die fast neue Linssen gekauft haben. Sie sind von unserer Honfleur so angetan, dass sie am liebsten mit uns „mal eben“ tauschen würden. Sogar bei Neptunus in den Niederlanden rufen sie an, leider hat man dort keine 108Express auf Lager, die „mal eben“ nach Épinal gebracht werden kann… Nette Leute sind es, und very british. Sie wollen ihr Boot für einen Monat hier liegen lassen, weil es ihnen zurzeit zu heiß ist. Lustiges Argument für Leute aus der Karibik.

Auch den großen schwarzen Schweizer mit Berner Sennhund treffen wir hier wieder. Ich freue mich über jedes Fitzelchen Kommunikation, denn Jörn und ich sind jetzt sechs Wochen unterwegs, erleben fast alle Abenteuer gemeinsam und haben auch geschlechterspezifisch unterschiedlichen Redebedarf. Erschwerend kommt hinzu, dass Jörn der französischen Sprache mächtiger ist als ich, und somit auch Verhandlungen in Schleusen und Geschäften eher seine Sache sind. So bin ich glücklich, wenn wir mal auf Yachties treffen, darunter zunehmend erstaunlicherweise auch US-Amerikaner, mit denen ich mich unterhalten kann.

Am 03. August 2005 geht es weiter. Wir sind das 3. Boot, das sich in den Treck über die Vogesen einreiht. Glücklicherweise schleusen wir die hier beginnende Treppe mit 14 Schleusen allein hoch, es gibt Ampelregelung und wir kommen auf den letzten Schleusen bergwärts gut zurecht.

Nach einigen Kilometern oben auf dem Scheitel geht’s bergab und leider nur noch langsam voran. Der éclusier in Nr. 7 lässt uns mehr als eine Stunde in der Schleuse warten. Erst muss er unbedingt seinen Hunger stillen, dann kommt angeblich gleich hinter uns noch ein Schiff, auf das wir warten sollen. Manchmal braucht man eben sehr viel innere Gelassenheit und Geduld, und wir haben ja Zeit.

Die Landschaft ändert sich, auch die Häuser. Alle haben ein großes Tor. Früher diente es als Einfahrt für die Kutschen, heute zur Zierde. Die Gärten sind wunderschön, sie leuchten in einer großartigen Blütenpracht. In einem winzig kleinen Dorf wird unser Boot von der Jugend bestaunt, der – einzige – Kaufmann hat nicht viel zu verkaufen, immerhin erstehen wir Baguettes. Läutende Glocken von der nahen Kirche, ein paar krähende Hähne, ansonsten herrscht hier himmlischer Frieden.

Mitten in der Einsamkeit liegen wir gerade allein in einer Schleuse, als ein weißer Lieferwagen vorbeifährt. Der Fahrer sieht uns, setzt zurück und hat in Nullkommanichts seine Verkaufsklappe geöffnet. Über seine Schätze in der Auslage schaut er uns erwartungsvoll an. Er ist sicher genauso erstaunt über uns wie wir über ihn, denn im Umkreis von 10km gibt es hier kein Dorf. Der Schleusenmeister meint, keine Eile, wir sollten erst einmal in Ruhe einkaufen. Wir sind schließlich in Frankreich!

Und so erstehen wir frischen Barsch, Aubergine, Zucchini und Avocados. Wir sollen dafür 19€ bezahlen. Der Händler sieht unsere entsetzten Blicke und schenkt uns 2 Tomaten. Er meint, dass die zum Barsch doch unbedingt dazu gehören. Jörn vergisst leider vor lauter Einkaufsglück auf der Theke seine Sonnenbrille, aber bevor wir reagieren können, sinkt das Schleusenwasser und der schnelle Händler ist auch schon wieder weg.

Diese Vogesentour ist sehr schön, und nur selten kommt uns ein Bergfahrer entgegen. Wir befinden uns in der Wildnis, weit und breit ist kein Dorf zu sehen. Hier soll es laut der Lokalzeitung sogar Wölfe geben, daher sind die Abendspaziergänge mit Dinah eine aufregende Geschichte. Auf dem Handy haben wir einige Tage kein Netz. Links und rechts vom Kanal gibt es nur Wald und einen Pfad, der hauptsächlich vom Personal der VNF und manchmal von Anglern genutzt wird.

Eine Péniche, ein langes französisches Frachtschiff, kommt uns entgegen. Da der Kanal hier sehr eng ist, legen wir uns ans Ufer, ohne festzumachen. Ich balanciere auf dem Uferstreifen und halte das Schiff fest. Plötzlich springt Dinah aufgeregt hinter mir her und fällt dabei ins Wasser. Ich muss jetzt gleichzeitig den Hund retten und das Schiff festhalten, und schon kommt die Péniche. Der Sog ist sehr kräftig, wie gut, dass nur so wenige von diesen raumgreifenden Booten unterwegs sind. Nach diesem Erlebnis haben wir eine Mittagspause verdient, freundlicherweise dürfen wir dafür in einer Schleuse liegenbleiben.

Zur Nacht machen wir wieder in der Natur fest und treffen Engländer, die in der Schweiz leben und mit einem holländischen Boot hier in Frankreich unterwegs sind, später Amerikaner mit holländischem Plattbodenschiff und guten Tipps.Und wir entdecken Orchideen am Wegesrand!

Fontenoy-le-Château hat eine Hausboot-Charterstation für die nahe Saône und ist ein stimmungsvolles Dorf. Viele Tafeln mit klugen Sprüchen kluger Köpfe sind überall an Brücken, Straßen und Gebäuden angebracht. Reste einer kleinen Burganlage kann man besichtigen, und es gibt sogar einen Mini-Einkaufsladen. Wir halten ausgiebigen Klönschnack mit zwei deutschen Motorbooten.

Und noch einmal heißt es schleusen (elf) was das Zeug hält. Etliche funktionieren nicht, und Hilfe muss angefordert werden. Entsprechend sind wir für die Schönheiten der Natur nicht mehr so empfänglich. Und dann haben wir die Vogesen und damit die Massenschleusungen hinter uns. Und das ist auch gut so.

In Corre können wir unsere Wäsche waschen, und hier gibt es sogar einen Trockner, welch ein Luxus! Sehr hilfreich ist die Hafenmeisterin, die im Zweitjob kellnert und uns abends im Restaurant des Dorfes zehn wunderbare Flusskrebse für 10€ serviert.

Wir liegen mitten im Grün. Es gibt auffallend viele Libellenarten, von schwarzblau bis blassgrün, kleine und große. Und hier wohnt eine Entenmutter, die sich liebevoll um ihre elf Küken kümmert. Ein alter Mann kommt mit einem Korb vorbei. Ich kaufe Salat und Eier, und er schenkt mir Blumen.

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