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Endlich kommt Verstärkung

Die ganze Nacht und den halben Sonntag hatte Barnaby über den Akten gebrütet und war dabei doch keinen Schritt weiter gekommen. Gegen sechzehn Uhr verließ er das Polizeipräsidium, kaufte sich noch zwei Zeitungen, um anschließend direkt nach Hause zu fahren.

Obwohl er eigentlich keinen Hunger hatte, zwang er sich zu ein paar Eiern mit Speck. Danach genehmigte er sich eine Zwanzig minütige Dusche und legte sich ins Bett. Er starrte an die Decke. Diese brennenden Gefühle von Hilflosigkeit und Wut, die die ganze Zeit über durch seine Eingeweide krochen, ließen ihn einfach nicht zur Ruhe kommen.

Exakt siebzehn Minuten später, zog er sich wieder an und ging runter in die Bibliothek. Er brauchte jetzt unbedingt etwas zum Entspannen, öffnete seinen Plattenschrank und überlegte. Louis Armstrong? Nein, der gute alte Satchmo war jetzt wohl eher nicht so das Richtige. Barnaby entschied sich für Smetana. Bei seiner Moldau konnte er erfahrungsgemäß gut entspannen.

Er schenkte sich ein Schlückchen Whisky ein, schnappte sich die Zeitungen und machte es sich auf seiner Ledercouch bequem. Interessiert las er die Titelseite der C.G. News. Allegra hatte einen Aufruf gestartet. Sie bat die Bevölkerung von Counterfoil Grove, um mehr Aufmerksamkeit und um ihre dringend benötigte Mithilfe. Die Anwohner sollten ihre Umgebung noch besser beobachten und besonders ein Auge auf die Kinder haben, auch wenn es nicht die eigenen waren. Alles Ungewöhnliche, auch wenn es noch so banal erschien, sollte umgehend der Polizei oder der Redaktion mitgeteilt werden.

Dann folgte ein Interview mit so einem Möchtegernexperten, der den Leuten Tipps gab, worauf sie unbedingt achten und wie sie sich dann gegebenenfalls verhalten sollten.

Barnaby schüttelte mit dem Kopf, wo hatte sie den denn bloß ausgegraben? Das hätte ja sogar er noch besser hingekriegt. Er wusste schon, warum er nicht auf diese abgedrehten Psychologen stand. Die meisten von denen brauchten doch selber einen Psychiater.

Der einzige dieser außergewöhnlichen Spezies, der jemals in Counterfoil Grove praktizierte, hatte sich vor vier Jahren auf seinem Dachboden erhängt. Der Ärmste hatte offensichtlich keinen kompetenten Kollegen gefunden, der in der Lage gewesen wäre, ihn vom Suizid abzuhalten.

Im Innenteil informierte Allegra die Leser, über den aktuellen Stand der Ermittlungen. Barnaby stellte erleichtert fest, dass sie Wort gehalten und keine polizeiinternen Details veröffentlicht hatte. Er legte die Zeitung beiseite, schloss die Augen, und während er darüber nachdachte, ob und wie man diesem Schweinehund eventuell eine Falle stellen könnte, schlief er ein.

Das Schrillen der Türglocke ließ ihn aufschrecken. Er schaute zur Uhr, es war genau neunzehn Uhr achtundvierzig. Er fühlte sich ein wenig verknittert und schlurfte schwerfällig zur Tür.

Strohhut, Sonnenbrille, buntes Hemd, Reisetasche, Krückstock und ein breites Grinsen im Gesicht.

„Woodrow, altes Haus, wie schön dich zu sehen. Komm doch rein.“

Nach einer innigen Umarmung schnappte Barnaby sich die Reisetasche und trug sie rüber ins Gästezimmer. Er wusste, dass Woodrow sich nach einer längeren Autofahrt gerne frisch machte.

„Hast du Hunger?“

„Nein, vielen Dank. Ich habe vor einer knappen Stunde, in einem kleinen Landgasthof, ganz hervorragend zu Abend gegessen. Aber zu einem Gläschen von deinem wunderbaren alten englischen Malt, sage ich sicher nicht Nein.“

„Sollst du haben. Mach dich ganz in Ruhe fertig, ich warte in der Bibliothek auf dich.“

Woodrow Kennsington hatte schütteres graues Haar, stahlblaue Augen und eine sehr ausgeprägte Hakennase. Er war groß, hager und ging leicht gekrümmt. Vor ungefähr zehn Jahren hatte ihm ein flüchtender Vergewaltiger zwei Kugeln ins Becken gejagt. Jener Vorfall machte dann diesen Stock zu seinem ständigen, unverzichtbaren Begleiter.

„Cheers, mein Freund, ich freue mich, dass du da bist. Ich hoffe, du hast ein bisschen Zeit

mitgebracht.“

„Ich habe alle Zeit der Welt, es sei denn, mein Schöpfer hat andere Pläne. Wie wäre es mit einer entspannenden Partie Schach?“

„Gute Idee“, Barnaby zog den kleinen Tisch, mit dem eingearbeiteten Schachbrett, näher heran. „Was hältst du von der Partie des letzten Jahrhunderts, Robert James Fischer gegen Donald Byrne, New York, neunzehn sechsundfünfzig?“

„Ich habe eine bessere Idee. Wie wäre es mit dem größten Meisterwerk, das je auf dem Schachbrett geschaffen wurde?“

„Warte, warte, warte, … sag nichts. Bogoljubow gegen Aljechin, Hastings, neunzehn zweiundzwanzig. Einverstanden, … fang an.“

Heute verzichteten die beiden Freunde auf die übliche Interpretation der einzelnen Schachzüge, stattdessen erzählte Barnaby dem ehemaligen Chef Inspektor von Scotland Yard jede Einzelheit über seinen schlimmsten, nicht enden wollenden, Albtraum.

„Hat die Gegenüberstellung mit diesem Jungen Ricky denn irgendetwas ergeben?“

„Nicht wirklich. Der schwarze Mann ist nach seiner Aussage, von mittlerer Statur und Größe. Demnach käme fast jeder zweite Kerl in dieser Stadt infrage. Ich weiß einfach nicht mehr weiter, Woodrow, meine letzte Hoffnung ist das Profil aus London.“

„Kann ich mal kurz telefonieren?“

„Natürlich, du weißt doch, dass du dich hier wie zu Hause fühlen kannst und sollst.“

„Hier Kennsington, verbinden sie mich bitte mit Inspektor Kershaw … Hallo Kurt, hier ist Woodrow. Wer kümmert sich um das angeforderte Profil für den Kindermörder in Counterfoil Grove? Aha, … aha, … ist der jetzt da, … kann ich mal mit ihm sprechen?“

Barnaby schenkte die Gläser nach, während Woodrow auf die gewünschte Verbindung wartete. „Hallo Ethan, hier ist Woodrow Kennsington … Danke, … ja mir geht es gut. Wie ich gehört habe, sind sie für das Profil des Kindermörders in Counterfoil Grove zuständig. Wie weit sind sie damit? Hmm, … ja sicher, … verstehe. Hören sie zu, Ethan, ich verstehe, dass sie viel zu tun haben und eigentlich vollkommen überfordert sind, schließlich sind sie ja auch der Beste von allen. Aber sie müssen mir einen persönlichen Gefallen tun ... Ja, … ganz genau. Das wäre wirklich supernett von ihnen, … ja, ich bin persönlich vor Ort. Danke, Ethan, sie haben was gut bei mir. Auf Wiederhören und einen lieben Gruß an die Frau Gemahlin.“

Zufrieden legte Woodrow den Hörer auf, „Er wird sich umgehend darum kümmern, morgen wissen wir vielleicht schon mehr. Hast du die Unterlagen hier oder im Büro?“

„Im Büro.“ „Gut, dann schlage ich vor, dass wir jetzt zu Bett gehen und ich dich dann morgen früh ins Büro begleite. Du siehst so aus, als könntest du eine ordentliche Mütze voll Schlaf gebrauchen.“

Barnaby hatte in der Tat große Probleme, seine müden Augen offen zu halten, deshalb nahm er Woodrows Vorschlag dankbar an. „Wenn du irgendetwas brauchst, du weißt ja, wo alles steht. Ich bin dann mal weg, … gute Nacht, mein Lieber.“

Das Blut der Kinder

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